Köpfen auf deutsche   Art

Fort   mit der artfremden Guillotine

Der nationalsozialistische Staatssekretär Freisler   führte vor Presseleuten u. a. aus:

Bei der Todesstrafe ist es nicht einzusehen, warum da and dort, wo einmal französisches Recht galt, als Boll: streckungsmittel die Guillotine gelten soll, die übrigens dem deutschen   Volte absolut fremd ist.

Sie wurde also beseitigt, ebenso das Fallschwert. Die Todesstrafe wird jetzt- wenn nicht das Reich etwas an= deres bestimmt, durch Erschießen oder Erhängen- in Preußen durch das Beil vollzogen. Es ist dies übrigens die allerficherste Tobesart, die noch niemals zu irgend welchen Beanstandungen Anlaß gegeben hat.

Auch uns sind Beanstandungen der mit dem Beil Singe richteten noch nicht zugegangen. Zweifellos sind sie also zu­friedenstellend bedient worden.

Wünschen wir auch Herrn Freisler   die allerficherste Todesart".

Schutzhaft"

Wie so was vor sich geht

Limburg  , 3. Aug. Am Montagabend fand in der Stadt eine größere Demonstration gegen die ehemaligen Lim burger Separatisten statt. Als die SS.  , die gerade zum Außendienst ausrüden wollte, von dieser Demonstration er: fuhr, sah sie sich veranlaßt, einzugreifen und nahm etwa 20 Separatisten in Schußhaft. In einem größeren Trupp wurden die Separatisten zur Polizeiwache und dann in das Freienbiezer Gefängnis abgeführt. Dem Zuge voran mußte ein Separatist ein Schild tragen mit der Aufschrift: Wir sind die größten Lumpen von Limburg  " und Verein ehemaliger Sepa ratisten".

Das steht nicht in einer Greuel- Broschüre, sondern in der Kölner   Nazi- Zeitung.

Dirne der Politik

Bilder aus deutschen   Gerichtssälen

Ein Ministerrat

Die Meinung, als ob die Gerichte ni 8 andres find als die Vollzugsorgane der Staatsregierung, ist falsch. Neben der staatlichen Justiz gibt es teinerlei irgendwie geartete Organisationsjustiz." Bayrischer Justizminister& rant. Und die Praxis

Am 7. März geht ein deutscher   Richter, der in einer mitt­Teren Industriestadt amtiert, aus gesundheitlichen Gründen auf Urlaub. Da er im Verdacht steht, Mitglied der Deutschen  demokratischen Partei zu sein, erbricht am 8. März sein Vor­gesetzter, ein Landgerichtspräsident, den Schreibtisch des ver­

reisten Kollegen und fördert neben einem guten Dugend

agrarrechtlicher Bücher auch eine ältere agrargeschichtliche Studie Otto Bauers zutage, die im Verlag der Wiener

Volksbuchhandlung erschienen ist. Die Bücher werden durch einen nationalsozialistischen Bibliothekar begutachtet und mit Ausnahme des einen erwähnten Buches für unbedenklich er­klärt. Bauers Schrift dagegen wird als umstürzlerisch­bolschewistisch" charakterisiert. Am 11. März beschäftigt sich

die zuständige Gruppe des nationalsozialistischen Juristen bundes mit der Angelegenheit und am 18. März wird der an agrarischen Fragen allzu interessierte Richter in ein Kon­zentrationslager übergeführt, in dem er noch heute sizzt. Añ­fang Jult ergeht gegen ihn ein Urteil, auf Grund dessen er

zum Ersatz für die Reparatur des von dem Landgerichts­präsidenten aufgesprengten Schreibtisches verurteilt wird.

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In Berlin   findet einer der vielen Prozesse gegen links­stehende Proletarier statt, die jetzt in Deutschland   am laufen­den Band abrollen. Angeklagt sind drei Kommunisten wegen eines Ueberfalles auf Nationalsozialisten. Obwohl solche Prozesse im dritten Reich" von vornherein entschieden sind, Forscht nach den 16 Urgroßeltern bas Gericht werbe von einer Berurteilung absehen: es find kann man in dem besonderen Fall einige Hoffnung baben, nämlich Menschen angeklagt, die durch elf Zeugen beweisen können, daß sie sich an dem fraglichen Tage und zu der frag­lichen Stunde in einem von Berlin   drei Bahnstunden ent­fernten Orte aufgehalten haben. Von den elf Beugen ent­schuldigen sich aber am Verhandlungstage sieben wegen Krankheit" bei dem Gerichtsvorsitzenden, zwei sind beruf­lich verhindert" und zwei werden im Gerichtsgebäude von SA.- Leuten verprügelt und achtundvierzig Stunden in einer braunen Kaserne interniert. Der Vorsißende führt die Ver­handlung trotzdem zu Ende und das Gericht verurteilt die drei Angeklagten auf das Zeugnis eines Nationalsozialisten, menschen" bestimmt am Tatort gesehen, zu Zuchthaus  . er habe die marristischen Verbrechervisagen dieser Unter­

Weimar, 3. Aug.( Inpreß). Der Präsident des Landesamtes für Rassewesen, ein gewisser Astel, ist besonders rigoros: " Für die sichere Feststellung, ob arische oder teilweise fremd­raffige Abstammung gegeben ist, ist es zweckmäßig, die Her­funft sämtlicher Vorfahren bis ungefähr einschließlich der 16 Ururgroßeltern zu kennen," sagt der treffliche Mann.

Stadion Judenfrei!"

Nürnberg  , 2, Aug.( Inpreß.) Das Direktorium des Nürn­ berger   Stadions hat aus Gründen der Ruhe und Ordnung Juden den Eintritt verboten.

Lehrer und Luftschutz

Der Reichsluftschutzbund   hat 1000 Lehrer im Luftschutz aus­gebildet. Diese Lehrer sollen den Luftschutz als Lehrfach in ihren Schulen betreiben.

Aus den geschicktesten Lehrern wird eine Spezialstaffel aus­gesucht, die militärisch ausgebildet wird.

Das Führerprinzip

Verhaftung wegen ,, unrichtiger" Abstimmung

Freiburg   i. Br., 2. Aug.( Inpreß.) Im kleinen badischen Orte Todtnau   sollte ein neuer Bürgermeister gewählt werden, den die Kreisleitung der NSDAP  . vorschlug. Die Wahl war geheim und fiel durch. Darauf wurden zwei Mitglieder des Rathauskollegiums verhaftet, weil angenommen werden darf, daß sie durch unrichtige Abstimmung die Wahl des Kandidaten vereitelt haben".

Arme reiche Frauen

Es war wohl in den sichziger Jahren des vorigen Jahr­hunderts, als auf die schöne Beit der krinoline die noch schönere des Cul" folgte. Was ist der Cul? Wenn man es furz ausdrücken will: eine nach hinten gepreßte Krinoline, welche die ganze Krinolinenfülle auf die Sitzgelegenheit der Dame überträgt und zu phantastischen Dimensionen steigert. Verbunden war mit dieser sozusagen rückwärts gerichteten Fülle eine vornhinaus ihr entsprechende des Busens, wohin gegen die Taille möglichst zusammengepreßt wurde. Im gan­zen aber hatte jene Zeit von dem Ideal der Vollschlankheit eigentlich nur die Fülle bei möglichst knappen Kleidern.

Es war für die Damen jener Zeit nicht leicht, sich zu setzen. Der Cul bedurfte dabei sehr vorsichtiger Behandlung. Es war aber auch nicht leicht, zu gehen. Denn die hinten weiten Röcke mußten vorn ganz eng sein und wurden, damit sie richtig Fasson hielten, über den Knöcheln zusammengebunden. Wer ganz und gar modern war, konnte nur mit Schwierigkeiten vom Gehweg auf den Fahrdamm hinuntersteigen". Und in Berlin   passierte es in jenen goldenen Zeiten, daß eine elegante Dame ratlos vor dem Rinnsal einer regengeschwollenen Gosse stand. Den Schritt hinüber erlaubte ihr Rock nicht. Ein vorübergehender Arbeiter, der ihre Not sah, nahm sie, turz entschlossen, unter die Arme und setzte sie, hoppla, hinüber, was sie mit empörtem Wortschwall quittierte." Na, denn nich, Frollein," sagte der freundliche Mann und setzte sie, hopps.

wieder zurück.

revue.

Es ist aber nicht nur in jeden goldenen Zeiten schwer ge­mesen, eine elegante Dame zu sein. Das denkt man vor einer Ausstellung, die in der Hauptstadt aller europäischen   Moden. in Paris  , zurzeit zu sehen und wirklich sehr sehenswert ist. Der Schmuck des Lebens von achtzehnhundert" nennt sie fich. Und selbstverständlich nehmen die Damen als der Haupt­sächliche Lebensschmuck, in Bildern, Kostümen, Schmuckge­genständen, darin den brettesten Raum ein. Die Armen! Das sagt man im vollsten Ernst am Schluß dieser Dreißigjahr Mit dem Cul de Paris fängt es an. Dann kommen die achtziger Jahre, in denen die Frauen in einem Panzer von Korsett staten und mit langen Schleppröcken, mit unzähligen Rüschen. Besäßen, Paniers belastet, in engen Stehkragen, schon fünfzehnjährig, wie würdige Matronen einherschritten. Die neunziger Jahre mit den unsäglichen Schinkenärmeln. Und um neunzehnhundert, als die" Revolution" der Reform leider beginnt, verwandeln die sich in etwas lächerliche Prie sterinnen in langfließenden, symbolisch beforkerten Gewän­dern. Sogar der Wille zur Natürlichkeit wird Unnatur.

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In einer westfälischen Stadt ist seit fast zwanzig Jahrent ein Mann Bürgermeister, der vor dem Krieg Anhänger der Konservativen war und sich seither nie öffentlich au einer politischen Partet bekannt hat, ohne Zweifel aber mit der nationalen Rechten sympathisiert. Als die Gleichschaltung kommt, ist er deswegen dem Ortsgruppenleiter der NSDAP  , einem jungen Rechtsanwalt, ein Dorn im Auge: denn dieser interessiert sich selbst für den Bürgermeisterposten, findet aber feinen Vorwand, den Bürgermeister abzusetzen. Nach einigen Versuchen, eine freiwillige" Pensionierung zu erzwingen. läßt der Nazibonze den Bürgermeister wegen schwerer finanzieller Verfehlungen" in Schubhaft nehmen und beauf­tragt einen zweimal wegen Unterschlagung und einmal wegen Fundverheimlichung rechtskräftig verurteilten Bücher­revisor damit, gegen den Bürgermeister Material" zu fin­den. Schließlich wird festgestellt, daß der mißliebige Mann einen Einrichtungsgegenstand im Werte von annähernd fünf­zehn Mark, der aus Amtsgeldern gekauft worden war, während der Ferienzeit in seiner Privatwohnung benüßt hat. bekommt deswegen von einem deutschen   Gericht eine Gefäng­nisstrafe und wird ihm die Befähigung, öffentliche Ehren­ämter zu befleiden, abgesprochen. Vier Tage, nachdem das

Da es Priesterinnen sind, deren Bilder von bedeutenden und teilweise sehr großen Malern stammen, so sind sie an= mutvoll und elegant, auch noch in der verrücktesten Maskie­rung. Aber sie erscheinen durchaus nicht mehr als natürliche Menschen, sondern als Arabesken, die einen bestimmten, deko­rativen Milieu sich anpassen und nach ihm sich wandeln. Wie gut haben es daneben die Männer, die bescheidene Neben­personen in der Dekoration bleiben, für die aber doch dieser ganze raffinierte Aufwand dient. Auch ihre Moden wechseln: Schnitt der Bärte, Schnitt und Anzüge, aber der Mann bleibt Mensch, und er hat die Erlaubnis, sich ungehindert zu be­wegen in der Arbeit, in seinen Geschäften, wie bei Sport und Vergnügen.

Dagegen die Frauen... Da sind zwei Schlittschuhläu­ferinnen aus den siebziger Jahren. Sicher tragen sie unter ihren weißen volantbedeckten Röcken ein halbes Dußend unterröcke, damit der richtige dezente" Faltenwurf heraus­kommt. Welch ein Vergnügen, mit ihnen zu laufen! Da ist eine Reiterin der achtiger Jahre: über ihren riesigen, ge­rafften Schlepprock hat sie eine ungeheure grauseidene Schleife gebunden, die ihre halbe Rückseite zu einem sonderbaren Schmetterling macht. Es sieht ebenso kapriziös elegant wie verrückt aus. Aber wie sie sich damit zu Pferde seßen konnte? Da sind die ersten Tennisspielerinnen. Wenn man ihre weißen, ipißenbesetzten, bauschigen Mullröcke mit den Rosa­schleifen, ihre Spinnentaillen und komplizierten Frisuren sieht, schaudert man bei dem Gedanken, was ein noch so ge­mäßigtes Spiel daraus machen mußte. Aber auf Spiel fam es fa auch nicht an, sondern darauf, daß sie eine mög­lichst hübsche Dekoration waren zwischen den grünen Bäumen und Rasenplätzen.

Denn diese Frauen sind Lurusgegenstände. Unpraktisch, unbequem, aber augenscheinlich sehr, sehr kostspielig, genau wie die gestickten Atlasseffel, die gläsernen( ich erfinde nicht) Stühle, die Bronzeblumen und Majolikafrüchte, welche die­selbe Ausstellung zeigt, Männer, die mit ihrem Reichtum prunken mußten, damit sie kreditwürdig waren, Geschäfts­leute, welche fostspielige Bedürfnisse schaffen mußten, um ihre Produktion zu steigern und Anlagemöglichkeiten für ihre Kapitalien zu schaffen, verwandeln diese armen Frauen in Stoffdekorationen, in Gestelle für Juwelensammlungen, in Ausstellungsgegenstände. Daß Gesundheit, Verstand und Glück, ebenso wie Freiheit und Natürlichkeit dieser Frauen zum Teufel gingen, war völlig gleichgültig. Sie hatten ihre Nolle zu spielen in dem tollen Wettlauf hinter dem goldenen Kalb her. Und Leib und Geist waren Gegenstände der Reprä­sentation, das heißt der Geschäftsreklame.

Urteil verkündet ist, wird der nationalsozialistische Rechts anwalt Bürgermeister.

Ein dreiundachtzigjähriger Mann, Mitglied eines natio strebungen, unterhält sich vor einigen Wochen in Berlin   ge nalen Kriegervereins und Förderer aller kirchlichen Be­mütlich am Wirtshaustisch über alles mögliche. Zufällig tommt man auch auf die Stellung des Auslandes zum dritten Reich" zu sprechen. Der alte Herr beteiligt sich ge rade an dem Teil der Unterhaltung faum und meint nur ganz nebenbet und ohne jede böse Absicht: er glaube nicht, daß es allein der Judenboykott sei, der Deutschland   im Augenblick die Sympathien des Auslandes raube. Ein Mann sich vom Nebentisch hört die Aeußerung: er ist erst seit April gern beliebt machen; er zeigt den Greis beim nächsten Po Sondergericht: fünf Monate Gefängniß für den Dreiund­Itzeivevier an. Das Ergebnis der Verhandlung vor dem achtzigjährigen ohne Bewährungsfrist.

In Norddeutschland sind vor dem ordentlichen Gericht sozialdemokratische Arbeitslose angeklagt. Sämtliche Ent wegen eines politischen Zusammenstoßes aus dem Jahre 1932 lastungszeugen fehlen- teils entschuldigt, teils unentschul digt bei der Hauptverhandlung. Die Anklage steht auf sehr schwachen Füßen, denn ein SS- Mann, der inzwischen wegen der Hitler- Jugend   in Untersuchungshaft sitzt, ist der einzige eines Notzuchtversuches an einem minderjährigen Mitglied Belastungszeuge. Der Vorsitzende ist korrekt" und klagt seine Not dem zuständigen SA.- Führer. Daraufhin werden so gefoltert, daß sie schriftliche Geständnisse" ablegen. Die die fünf angeklagten Arbeiter in einer Verhandlungspause Hauptverhandlung wird wiedereröffnet: die Geständnisse werden verlesen, die Angeklagten, denen man die schweren Mißhandlungen ansieht- einer sinkt innerhalb einer halben Stunde zweimal in Ohnmacht, bestätigen die Richtigkeit. verurteilt. Ste werden zu insgesamt einundzwanzig Jahren Zuchthaus

In Sachsen  , in Ostpreußen  , in Westfalen   und im Rhein­ land   ist es vorgekommen, daß die von den Behörden bestimm ten Offizialverteidiger sozialdemokratischer und kommu nistischer Angeklagter aus Angst, ihre Existenz zu verlieren, es ablehnten, irgendise iche Entlastungs- und Berteidigungs hätten den ausgezeichneten Ausführungen des die Anklage anträge zu stellen und in der Verhandlung erklärten, fie vertretenden Staatsanwalts nichts hinzuzufügen. Wir kennen einen Fall, wo ein bürgerlicher Rechtsanwalt korrekt einen schlüffigen Alibibeweisantrag feines Mandanten weitergab. Der Effekt: der Arbeiter wurde trotzdem verurteilt und den Rechtsanwalt beherbergt jetzt ein Konzentrationslager.

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republikanischen Richter die Republik   unterhöhlten und be­Als man sich vor einigen Jahren dagegen wendete, daß die kämpften, erhob sich dagegen voll Entrüstung ein Senats präsident und erklärte, die Justiz werde die Dirne der Po lifit; als republikanische Staatsmänner Schutz gegen die niedrigsten Verleumdungen bei den Gerichten fuchten, be­tamen ihre Beleidiger recht die Richter aber betonten gegenüber allen Angriffen ihre Unabhängigkeit". Heute. wird das Recht in Deutschland   zehntausendfach geschändet; heute schreiben SA.- Leute den Richtern das Strafausmaß vor und besetzen die Gerichtssäle, um die Tätigkeit der Gerichte zu kontrollieren aber kein Richter pocht noch auf seine un­abhängigkeit. Sie tuschen und parteren Order; sie beugen die Gesetze und erklären dankbar, es sei zum ersten Mal seit vier­zehn Jahren wieder eine Luft, Richter zu sein, denn jetzt gebe es bei Todesurteilen keine Begnadigung mehr! Heute sind die deutschen   Richter zu Helfershelfern, Handlangern und Zutreibern der Folterknechte des dritten Reiches" geworden. Heute ist die deutsche Justiz nicht die Komödie, nicht die Tra gödie, sondern etwas, wovor man voll Ekel und Empörung nur eines tun kann: ausspucken!

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Unter den Ausstellungsgegenständen sind auch Bilder be­rühmter Schauspielerinnen und Tänzerinnen Sarah Bern hardt neben Cleo de Merode  , an welche Leopold von Belgien  die Beute seiner Kolonien verschwendete. Die schöne Otero" trägt ein Bolerojäckchen, das ganz und gar aus Edelsteinen besteht. Das geschah in der Zeit, als die Arbeiter ihre ersten Gewerkschaftskämpfe durchführten, und die Großindustriellen, welche diese Edelsteinen bezahlten, behaupteten, die Wirt­schaft könne den Zehnstundentag und die sozialen Versiche­rungen nicht tragen.

Alle diese Damen und Halbdamen haben bestimmt geglaubt, glücklicher zu werden durch ihre Edelsteine und Toiletten, ob­gleich sie weder gesünder noch flüger, weder schöner noch ge= nußfähiger dadurch wurden, obgleich die Hauptfreude jedes menschlichen Lebens, die Freude am Miterleben, Erkenntnis und Liebe, menschliche Verbundenheit, ihnen unwiederbring­lich verloren ging. Dame heißt ursprünglich Herrin. Wie wenig sind diese armen, eleganten, bewunderten Frauen Herrinnen, wie sehr verftlavt dem Kampf um Glanz und Geld, um Kredit und Macht, der die heutige Gesellschaft dar­stellt.

Die heutige Gesellschaft? Ist es nicht doch anders gewor­den? Sind wir nicht sehr viel weiter gekommen in Ein fachheit, natürlichem Leben? Haben nicht unsere Technik und unser Sport sehr gründlich mit diesem alten Unwesen auf­geräumt? Es hat eine Weile so ausgeschaut. Aber seit die Reaktion in der Welt anwächst, seit die Reichen und Mäch­tigen sich immer offener feindlich einstellen gegen den Le­bens- und Freiheitsdrang der Massen, sehen wir auch in der Mode immer stärker den Lugus der Unnatur wiederkehren, sogar unter der Maske der einfachen Natürlichkeit.

In Amerika   ist die neue höchste Mode, keine Strümpfe zu tragen. Statt deffen schminkt man sich die Beine. Es gibt drei Arten Schminke: braun für den Sport und die Reise, ,, nuanciert" für die Stadt und seidenartig" für den Abend. Dreimal täglich mindestens muß also die elegante Ameri­fanerin ihre Beine schminken, und die Schminken sind sehr teuer. Damit ist die Natürlichkeit auf der einen Seite, der foziale Unterschied auf der anderen gewahrt.

In Amerika   soll es fünfzehn Millionen( nichtunterstützter) Arbeitsloser geben. Die Farmer verzweifeln, weil diese Ar­beitslosen ihren Weizen nicht kaufen können. In London   sind Delegierte von sechsundsechzig Ländern zusammengekommen, um zu beraten, wie man die Erde retten kann vorm wirt­schaftlichen Zusammenbruch. Aber die eleganten Damen be­raten über die Arten der Schminke und des Puders, die sie gebrauchen. Und auf der Londoner Konferenz drängen fich die Festlichkeiten.