DAS BUNTE BLATT
1610
Von Isaacs zu Lord Reading
Der Aufstieg eines jüdischen Selfmademans
Neuerlich tritt eine der merkwürdigsten Figuren der Weltgeschichte in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Der Marquis of Reading hat sich an die Spize eines Komitees gestellt, das sich die Unterstützung der aus Deutsch land geflüchteten Juden zum Ziel gesezt hat. Kein anderer fonnte berufener sein, die Präsidentschaft des Central British Fund for German Jewry, dessen Sekretär der Generaldiref= tor des Bankhauses Rothschild ist, zu übernehmen, und kein anderer hätte in wenigen Tagen diesen Erfolg buchen können, den Lord Reading allein durch die Macht seiner Persönlichkeit erzielen konnte. In der kurzen Zeit seines Bestandes hat der Central Fund Spenden im Betrage von über hunderttausend Pfund erhalten. Bemerkenswert ist dabei, daß ein hoher Prozentsatz dieser Beiträge von hochstehenden Persön lichkeiten nichtjüdischen Glaubens geleistet wurde, die im Vertrauen auf die Führerschaft Lord Readings ihre Hilfe zur Verfügung gestellt hatten. Es scheint daher begreiflich und burchaus angebracht, sich mit dieser mächtigen Persönlichkeit näher zu befassen.
Rufus Daniel Isaacs teilte anfangs das Schicksal aller 8weitgeborenen Söhne. Er wurde weniger beachtet, blieb im Hintergrund und hatte nicht einmal die Aussicht, jemals feines Vaters Geschäft im Osten Londons zu übernehmen. Der alte Josef Isaacs handelte mit Tuchwaren in der City und war unter den Maklern angesehen und beliebt. Seine Frömmigkeit war gepaart mit ehrlichem Patriotismus für seine Heimat England. Niemals hätte er sich in seinen fühnsten Träumen auch nur einen Abglanz der märchenhaften Zukunft seines zweitgeborenen Sohnes, der dereinst als höchster Würdenträger des Reiches neben dem gekrönten Herrscher stehen sollte, vorzustellen gewagt. Josef Isaacs war fromm, bescheiden, erfahren in der Weisheit des Talmuds und ein tüchtiger Kaufmann. Das Streben nach der Krone Indiens hätte er als frevelhaften Ehrgeiz mit Gotteslästerung gleichgestellt.
Raum vierzehnjährig, zeigte Rufus Daniel schon den un bezwinglichen Hang zum Studium der weltlichen Gesetze. Er sehnte sich in die weite Welt und setzte es beim Vater durch, in Brüssel und Hannover seine juristischen Studien vollenden zu dürfen. Nach England zurückgekehrt, arbeitete er einige Jahre lang als Rechtsbeistand kleiner Händler, die seine Dienste mit Aepfeln oder Kupfermünzen lohnten. In seinem
Freundeskreis erzählt man sich zur Illustration seiner da maligen Tätigkeit einen bezeichnenden Fall aus seiner Praris. Er hatte einen Obsthändler zu verteidigen, der beschuldigt war, verdorbene Feigen verkauft zu haben. In gewandter Rede schilderte Isaacs die Makellosigkeit seines Klienten und erging sich in Beteuerungen seiner Unschuld.
Wann wird Frieden sein?
Wenn durch die Welt die Kriegsfurie rast, Wenn alles Leben verseucht und vergast, Wenn der Kopf in der Schutzmaske steckt, Wenn trotzdem der Mensch elend verreckt ,. Wenn Todesröcheln die Lüfte erfüllt, Vom Gifthauch, der durch die Ritzen quillt, Wenn alle Bande der Menschheit sich lösen, Wenn alles Gute vernichtet vom Bösen: Wenn der Gastod schreitet, Seine Schwaden breitet Ueber alles Sein Dann zieht Frieden ein!
Maria Marnoff.
Bis der Kläger ihn unterbrach und etwas verwirrt meinte: „ Wenn der gelehrte Herr noch lange so weiter spricht, werde ich selbst noch von der Unrichtigkeit meiner Beschuldigungen überzeugt werden. Vielleicht hält der hohe Gerichtshof es für besser, den Gegenstand der Klage selbst zu betrachten. Ich habe ihn gleich mitgebracht!" Mit diesen Worten reichte er dem Richter einen Korb mit den inkriminierten Früchten. Der Richter schlug vor, daß der Angeklagte selbst ihn durch
Die Stunde der grossen Furcht
Hab' ich Talent zum Schauspieler?
Wer etwa 20 Lenze auf dem Buckel hat und dazu noch eine geheime Liebe für die Schminke und Kulisse im Herzen, empfand das Langweilige des Sonntagmorgen nicht. Die Jungen feuchten durch den Regen, um noch rechtzeitig hinter der Bühnenpforte zu verschwinden. Scharmante Mädelchen, schlanke Damen und junge Mädchen wurden von der Drehtüre aufgesaugt, von diesem grausamen Ding verschluckt, das in anderen Zeiten Prominente ausgespien hatte.
Im Konversationszimmer saßen sie, dicht ausammengedrängt. Es waren 120 Kandidaten versammelt. Die Aufgeregten suchen sich durch Beguden der Schauspielerfotos abzulenten. Dies Zimmer hat wenig Beruhigendes. Wände, die nichts anderes sind, als Lagerflächen für Andenken. Verständnisinnig sieht Josef Rainz auf unseren Nachwuchs herab und die Züge der Duse lassen vermuten, daß auch sie sich einstens in einer ähnlichen Lage befunden hat. Ich sah ein Blondköpfchen vor einer Widmung träumen, die aus der Feder Ludwig Barnys stammte:" Meinen lieben Solleginnen und Kollegen..." Ob sie sich wohl auch dazu Bählte?
In dem schmalen Gang rennen sie sich an. Das Reklambändchen muß noch oft bemüht werden. Augen werden zur Probe gerollt, vom Sein oder Nichtsein hört man und zwischendurch erklingt Theaterdirektor Strieses Sächsisch im Selbstgespräch. Gelegentlich Leute, die überhaupt keinen blauen Dunst" haben, um was es sich handelt. Viele glauben, es genüge im Scheinwerferlicht einige zerstreute Lehrertypen nachzuahmen. Daher oft die erstaunte Frage:„ Sie, muß ich etwas auswendig wiffen?" Einer prahlt:„ Jeden Schauspieler kann ich topieren. Den Moissi, den Baffermann und auch George."
Darauf ich:" Dann gehören Sie ins Kabarett, aber nicht ins Theater." Darauf er:„ Bin doch kein Clown."
Ich unterhielt mich mit Damen und Herren, die man vom Volksgemurmel her kennt. Sie trauten sich die Kräfte zu, die langweilige Rolle des„ Daftehers" mit dem gefeierten Part des Darstellers vertauschen zu können. Die abendliche Beschäftigung in der Komparserie schien jedoch ihren komödiantischen Talenten eher geschadet als genügt zu haben. So wurde sicherlich nicht jener Statist in die Schauspielerschule aufgenommen, der wenige Sekunden vor seinem Auftritt folgende Weisheit zum Besten gab:„ Es hat was für sich, jeden Abend auf der Bühne zu sein. Man lernt die Stimmen fennen. Ich spiele denen im Parkett alle Rollen auf einmal vor. Die Kommission soll sehen, daß ich verwendbar" bin." Zwei Mädel schütten sich gegenseitig ihr Herz aus. Die eine: Dente, diese Blamage, wenn ich durchfalle! Die ganze Stadt sieht mich schon als Diva an,"
Die andere:„ Das hättest du niemanden erzählen sollen. Meine Mama glaubt, ich sei spazieren gegangen. Komme ich nach Hause, dann sagt die gute Frau noch obendrein, das hat dir gut getan."
Im Bühnenhof kokettiert eine grell gekleidete Dame. Notes Tuch auf zitronenfarbigem Kleid. Es wird über sie getuschelt: „ Die hat sich auf Theater zurecht gemacht. Abscheulich!"
Jene Dame, die das vorgeschriebene Alter bestimmt um zehn Jahre überschritten und deshalb ihr Rot ein wenig dick aufgetragen hatte, handelte wie die meisten der Anwesenden. Sie verwechselten Theater mit Vorstellung. Da fielen mir Worte eines Menschendarstellers ein: Der ist der größte Schauspieler, der sich am wenigsten verstellt. Theater ist Offenbarung der eigenen Seele.
Ein junger Mann soll in wenigen Minuten als„ Spitta" auf der Bühne stehen, einer Figur aus den Ratten" von Hauptmann, der zur gleichen Stunde den Goethe- Preis in Empfang nahm. Wir waren uns darüber einig, daß diese Rolle von Aktualität stroßte.
Der Kandidat, der seinen Kontorsessel mit einem Platz an der Schauspielschule vertauschen möchte, sprach weiter von der tragischen Fronie, die gerade heute an Spitta hafte. Spitta, der Theologe, der Schauspieler werden möchte! Dieses Jammergestell, der des Geldes wegen von seinem Lehrer ausgebildet wird! Fast alle Anwesenden ähneln ein wenig Spitta. Sie alle-- weil ihre Rollen indirekt die Frage enthalten, die Spitta direkt stellte: Hab ich Talent zum Schauspieler?"
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Ein Teil der Prüflinge ähneln ihm in der schlechten Figur, im Fehlen der statuarischen Haltung. Als ich mich von dem jungen Mann verabschiedete, gewahrte ich, ihm auf die Schulter Klopfend, daß er sie mit Zeitungspapier ausgestopft hatte? Spitta? Spitta?
Zwischendurch schallt die Stimme eines bei der Prüfung amtierenden Schauspielers. Prüflinge werden aufgerufen. Da eben:„ Magda Schmidt, Verkäuferin, 20 Jahre alt, soll sich vorbereiten." Und es schlägt hinter der kleinen Magda eine Eisentüre zu, die so dick ist, daß die aufgemalte Bitte um Ruhe überflüssig erscheint. Nach zwei Minuten ist Magda wieder unter uns. Sie weint ein wenig. Ich durfte nur eine Minute sprechen, die Maria Stuart und das Schönste kommt doch erst zum Schluß."
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Sie hatte etwa hundert Leidensgenossen, die alle nicht zu ihrer Pointe" famen. Es erwies sich nämlich, daß von 120 Bewerbern etwa acht zur Nachwahl bleiben durften.
einen Versuch von der Saltlosigkeit der gegen ihn erhobenen Anwürfe überzeugen möge. Dieser sah verzweifelt auf den Korb mit den faulen Feigen und dann auf seinen Rechtsbeistand.„ Was geschieht, wenn ich die Feigen eise?" fragte er Rufus Isaacs , der ihm versicherte, daß ihm dann der Freis spruch sicher wäre.„ Dann verlieren wir halt den Prozeß," erklärte der so glänzend verteidigte Obsthändler achsel
zuckend.. AG
Rufus Daniel avancierte aber rasch in die vorderste Reihe der Männer des Barreaus. 1904 etablierte er sich im Middle Temple , dem Zentrum der Londoner Gerichtsbarkeit, und sechs Jahre später bekleidete er einen der höchsten Posten im englischen Justizleben. Er wurde zum Attorney General berufen und furz darauf zum Lord Chief Justice ernannt, eine Stellung, die er von 1913 bis 1921 innehat. Während des Krieges wurde der inzwischen auch schon als Unterhaus mitglied politisch tätige Rechtsgelehrte in speziellen Missionen nach Amerika gesandt, 1918 wurde er zum Hochkommissar und außerordentlichen Botschafter in den Vereinigten Staaten ernannt. 1921 erreichte seine erstaunliche Karriere den Höhe punkt, als er zum Vizekönig von Indien , einer Würdens stellung, die nur ganz erlesenen Männern des Reiches zuteil wird, designiert wurde. Ein Jude nach dem König der mächtigste Regent des Reiche&: Mit diesem Be weis der Dankbarkeit für die Loyalität und den Patriotis mus der englischen Juden hat König Georg den Grundgedanken des englischen Liberalismus manifestiert.
Nach fünfjähriger Regentschaft in Indien kam der zum Marquis of Reading geadelte Staatsmann nach England zurück. Reading war der Bezirk, den Rufus Isaacs im Parla ment vertrat. 1931 trat er als Außenminister in die Regierung ein und trug in der kurzen Zeit seiner außenpolis tischen Tätigkeit viel zur Verständigung der Völker bei. Heute widmet er sich nur seinen industriellen Interessen, die vor allem in der chemischen Industrie- er ist Verwaltungs rat der Imperial Chemical Industries- fonzentriert sind. Seine philanthropische Tätigkeit bedarf wohl kaum einer bes sonderen Würdigung, da die Welt sich von der Generosität des ehemaligen Tuchhändlerbuben Rufus Daniel Isaacs, des prominentesten jüdischen Staatsmannes schon oft genug über
zeugen konnte.
Hellseherin als Efievermittlerin
Die Polizei von Lissabon hat sich mit einer eigen artigen Gesellschaftsaffäre zu befassen, in deren Mittelpunkt eine schöne Frau und eine Anzahl betrogener Heirats kandidaten stehen.
Die schöne Frau heißt Celeste Bill. Sie genießt in gewiffen Kreisen Lissabons einen Ruf als Hellseherin. Celeste. Bill verband ihre Hellseherei insgeheim mit der Vermittlung von Ehen. Ihr Trick bestand darin, den unverheirateten Herren ihre Frauen vorauszusagen. Wenn sie zum Beispiel ein Mann über seine Zukunft befragte, so sah Frau Celeste voraus, daß in den nächsten Tagen eine Frau kommen werde, die das Schicksal zu seiner Gattin bestimmt habe. Auf diese Weise hat Frau Celeste hundersiebenundachtzig Männer mit ihren Frauen gegen gutes Honorar zusammengebracht. Selbstverständlich war immer ein Teil der Be trogene und ein Teil der Gewinnende. Die Hellseherin betrieb ihr Handwerk wie ein Detektiv. Sie führte eine Kartothek der heiratssüchtigen Frauen und ließ sich von ihnen in manchen Fällen sogar die ganze Mitgift als Honorar zahlen. Dieses glänzende Geschäft der Hellseherin kam durch einen folgenschweren Irrtum mit der Polizei in Berührung. Frau Celeste wollte nämlich einen Mann mit einer Frau zu sammenbringen, die, ohne daß sie es wußte, seine geschiedene Gattin war. Was die Hellseherin in Trance über die kommende Frau und ihre Geldverhältnisse dem Manne vorschwärmte, war purer Schwindel, was der frühere Mann durchschaute. Er untersuchte auf eigene Faust die bereits vermittelten Ehen und ging dann mit den betrogenen Ehemännern zur Polizei. Frau Celeste Bill wurde darauf verhaftet und kann sich in ihrer Belle nun auf einen interessanten Prozeß vorbereiten...
Arzt- Anekdoten
Heilkunst
Bei einer der letzten Versammlungen der Gesellschaft der Aerzte unterhielten sich zwei der bekanntesten Internisten über die durch neue Methoden geschaffenen Möglichkeiten der Krankenbehandlung.
„ Wir sollten uns nicht auch noch mit diesen neuen Dingen den Kopf vollstopfen lassen," meinte da der eine Arzt, zu dessen Patienten in früheren Zeiten viele gekrönte Häupter gehört hatten. Ich halte es mit Voltaire . Heilkunst, sagte er, heißt Drogen, die man schlecht tennt, einem Körper eingeben, den man noch schlechter fennt."
Honorar