Freiheit

Nummer 46-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 12. August 1933

Chefredakteur: M. Braun

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Das gute Einverständnis zwischen den beiden großen Kulturvölkern, Deutschen  und Franzosen das ist der Punkt, von welchem alle politische Freiheit, aller zivilisatorischer Fortschritt in Europa  , alle Vermehrung und Verwirklichung der geistigen Ideenmasse, kurz alle demokra­tische Entwicklung und somit alle Kultur­entwicklung überhaupt unwiderruflich abhängt! An diesem Punkte hängt nicht nur das Schicksal einer bestimmten Na­tion es ist die Lebensfrage der gesam­ten europäischen   Demokratie.

Lassalle.

do riadid

Minister und Mörder

Fechenbach planmäßig ermordet- Die Regierung ist verantwort­lich für die Bestien Ein erschütternder Brief Frau Fechenbachs

Prag, 11. Aug.( Eig. Draht.) Der Vorstand der SPD.  , Hitler- Hindenburg- Löbe

Gitz Prag, teilt mit, daß e chenbach nicht, wie es in der amtlichen Meldung heißt, auf der Flucht erschossen, sondern planmäßig ermordet worden ist. Wenn man ihn ungefährdet von Detmold   in das Konzentrations lager nach Dachau   hätte bringen wollen, dann wäre der Transport mit der Eisenbahn der sicherste und einfachste Weg gewesen. Man hat statt dessen den Transport im Kraftwagen mit SA.- Mannschaften gewählt.

Wer diese Anordnung traf, trägt auch die volle Verantwortung für die Ermordung Fechenbachs Ueber die Schuldfrage gibt ein Brief Aufklärung, den bie Gattin Fechenbachs Mitte Juli erhielt. Es heißt darin:

Heute wurde ich dem Herrn Staatsminister vorgeführt. Ich wurde an Eisner und an meinen Prozeß erinnert und habe manches hören müssen( dieser Brief passierte natürlich die Nazizensur. Red.), was mir nicht angenehm war. Aber ich dachte an Dich und an die Kinder und habe geschwiegen. Das Entscheidende, was Dich besonders inter­effiert und weshalb ich Dir heute schreibe, ist dies: Der Herr Staatsminister hat mir eröffnet, er habe in Bayern  den Antrag gestellt, mich in ein bayerisches Konzen trationslager zu übernehmen.

Fechenbachs Frau, Mutter von drei kleinen Kindern, versuchte alles, um die Auslieferung ihres Mannes an Bayern   zu verhindern. Da sie aber einsah, daß jede Ver­öffentlichung das Schicksal ihres Mannes nur noch ver­schlechtern könnte, nahm sie davon Abstand, der Welt­öffentlichkeit ihre Befürchtungen zu unterbreiten, daß ihrem Manne auf dem Wege nach Bayern   oder in Dachau  ein furchtbares Schicksal bereitet werden follte

Des Reichskanzlers Bekenntnis zum Mord Die Schuld des Reichspräsidenten

Der in Karlsbad   erscheinende Neue Vorwärts", das richtet sich were fachliche Angriffe gegen den Wochenblatt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  , Reichspräsidenten Hindenburg. Er erinnert da­ran, daß Hindenburg   1925 bei de: Uebernahme seines Amtes in die Hand des Reichstagspräsidenten und jetzigen Gefange nen im Konzentrationslager, Paul 2öbe, einen Eid geleiz stet hat, in dem er u. a. auch gelobte, Gerechtigkeit gegen je

dermann" zu üben.

Das Blatt wirft Hindenburg   vor, er habe wissen müssen, daß Hitler   das Amt des Reichskanzlers in der Absicht über­nähme, die von ihm feierlich beschworene Verfassung zu bres chen und auf Gewalttaten ausgehe. Bei der Unterredung zwischen Hindenburg   und Hitler   im August 1982 habe Hitler  erklärt, er rechne im Falle seiner Machtergreifung mit 3 000 Toten. Als ein Teilnehmer dieser Besprechung entsegt ant­wortete, Musolini   habe es doch nur bei dem einen Mat­teotti bewenden lassen, habe Hitler   überlegen lächelnd ge­antwortet, das sei ganz falsch. Auch der Sieg des italienischen Faschismus habe sehr zahlreiche Menschenleben gekostet. Daher galt die Kandidatur Hitlers   als erledigt. Bei einem Diplomatenessen, das kurz darauf stattfand, äußerte eine dem Reichspräsidenten nächststehende Persönlichkeit: " Der Anstreicher wird es nicht!"

Jetzt habe es Hindenburg   nicht einmal vermocht, den Mann, in dessen Hand er den Eid für Verfassung und Ges rechtigkeit abgelegt habe, vor den Klauen des Fememörders siration des Verhaltens von Hindenburg   noch mit, Paul Heines zu bewahren. Der Neue Vorwärts" teilt zur Illu= Löbe sei der erste gewesen, der im Januar 1982 im Paz lais des Reichstagspräsidenten im Kreise von Republikanern die Wiederwahl Hindenburgs vorgeschlagen habe!

Der Artikel endet mit den Worten: Abgeschlossen aber ist das Kapitel Hindenburg  ."

Auch ein Staatsoberhaupt Holy

Der alte Herr, bedauert außerordentlich", aber tun kann er nichts. Seine übergeord. neten Herren schicken den lauteren Paul Löbe   ins Konzentrationslager....

Paul Löbe  , der ehemalige Reichstagspräsident, in dessen Hände der Reichspräsident Hindenburg   den Eid abgelegt hat, die Verfassung zu achten und zu schüßen, sitt in Schutzhaft. Nun hat sich Frau Löbe   an Hindenburg   um Hilfe gewendet und von ihm die Antwort erhalten, daß er die Verhaftung ihres Mannes außerordentlich bedaure, Sie möge versichert sein, daß er nach wie vor an der Lanterkeit Löbes feinerlei Zweifel hege. Er habe sich mit dem Reichskanzler in Verbindung gesetzt, um die Ents haftung ihres Mannes zu erwirken.

So weit der Brief, wie ihn ein bürgerliches Blatt wiedergibt. Der Brief ist bereits vor achtzehn Tagen ge­schrieben worden, aber die Tatsache, daß Paul Löbe   jetzt in ein Konzentrationslager unter die Obhut des Feme- Heines in Breslau   gebracht worden ist, beweist deutlich, daß die Hitler und Göring   auf die Intervention des Reichspräsidenten   einfach gepfiffen haben. Und diesen Gesellen haben Hindenburg senior und Hindenburg junior die Macht in die Hände gespielt.

Ein Rechtsstaat? Ein Räuberstaat, in dem selbst das höchste Oberhaupt des Staates nichts mehr zu sagen hat. Es fehlt nur noch, daß man für die Enthaftung unschul diger Menschen auch Lösegeld nimmt.

Wir buchen auch diese Schande für den Tag der Ab­rechnung.

Ich kann nicht länger schweigen

Ein deutscher   Hochschullehrer schreibt an die Deutsche Freiheit".

In diesen Tagen hat die« Deutsche Freiheit" einen Brief aus einer deutschen   Universitätsstadt   er­ene halfen, der ihr, um der Postzensur zu entgehen, auf Umwegen zugeleitet wurde. Sein Verfasser ist ein bekannter deutscher   Hochschullehrer und naturwissenschaftlicher Forscher. Wir gestehen, daß uns dieser Brief, aus dessen Zeilen die seelische Bedrängnis eines hochgesinnten Mannes spricht, aufs Tiefste bewegt hat. Denn hier wird endlich die Stimme vernehmbar, die wir vermißten und noch ver­missen, in diesen Monaten der Vernichtung der geiffigen Freiheit, der Zerstörung der kulturellen Werke, der Vergewaltigung aller menschlichen Hoheitsrechte. Dieser Brief läßt erkennen, daß die wert­nie vollsten und schöpferischsten Menschen, so wenig fie die ganze Wahrheit unter dem Druck der Presse­zensur und der Nachrichtensperre wissen, so wenig das Schreien der Mißhandelten und Gefolterten an der Oberfläche des« normalen Betriebs" hörbar wird, doch aus unterirdischen Quellen die Wirklich keit erahnen.

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Wir haben an dem Wortlaut dieses deutschen   Gelehrtenbriefs- den Namen seines Verfassers nicht ein Wort geändert. Wir biffen alle Zei­müssen wir aus begreiflichen Gründen verschweigen tungen, die ihn zu Gesicht bekommen, alle Menschen, die ihn lesen, diesen leider alleinstehenden Ver­such einer Ehrenrettung des guten deutschen   Namens durch Abdruck und durch Weitergabe zu ver­breifen. Um so mehr, als, wie es in einer Anschrift von Professor W. heißt, eine Reihe von noch nicht gänzlich gleichgeschalteten Zeitungen, denen dieser Brief in außerordentlich abgeschwächter Form zu­gesandt wurde, den Abdruck mit höflich- unverbindlichen Worten verweigert haben.

An die Redaktion der Deutschen Freiheit.

Die Redaktion der« Deutschen Freiheit". ...., den 23. Juli 1933. Deutschen Freiheit.) Aber ihr Name, der Deutschsein" und Freiheit" in guter symbolischer Weise vereinigt und mir einen Begriff davon gibt, was Sie für unser Vater land zurückgewinnen wollen, hat mich ermutigt, Ihnen durch Vermittlung eines Freundes diesen Brief zugehen zu lassen. Ich gebe Ihnen die Entscheidung, meine Zeilen nach Ihren publizistischen Möglichkeiten zu verwerten, falls Sie mit ihnen, woran ich nicht zweifle, übereinstim­men sollten.

Ich wende mich heute an Sie, obwohl ich bisher noch kein Exemplar Jhrer Deutschen Freiheit" in Händen ge­habt habe. Man hat sie, wie es jüngst im Rundfunk hieß, offiziell als deutschfeindlich" bezeichnet, und ich nehme an, daß sie bei uns verboten ist.( Seit dem 19. Juni, ein Tag vor dem Erscheinen der ersten Nummer. Die Red. der

Vor hundert Jahren wurde die Heilige Allianz   der

Reaktion, die über Preußen- Deutschland   und Desterreich lagerte, aufgeschreckt durch die Rufe junger Rebellion. Studenten und Gelehrte, Geschichtsschreiber und Lehrer einten sich im Bekenntnis der Menschenrechte, die unter der Polizeifauft des Vormärzes am Boden lagen. War es ein Zufall, daß, von den Göttinger Sieben" angefangen bis zu den Jung- Hegelianern, die deutschen   Universitäten die Keimzellen der neuen Sprengkräfte waren? Es lag in Geschichtssinn der Zeit, daß der Freiheitswille des Geistes nicht schweigen konnte und nicht schweigen durfte gegenüber dem, was Macht und Herrschgewalt ausübte und alleinige Autorität über das Volk zu beanspruchen sich vermaß.

Jezt scheint mir die Stunde gekommen, wo wir deutsche Hochschullehrer oder wenigstens einer von uns den Bann des Schweigens brechen müssen. Einer von ihnen, der zu den sogenannten Unpolitischen" gehört und nie. mals Mitglied einer Partei war, unternimmt das Wagnis des Beginns. Nicht darum soll es gehen, ein neues revo Iutionäres Banner voranzutragen. Ich maße mir keine Rolle an, zu der ich mich nicht berufen fühle zu einer Zeit, wo nur eine wahre Massenerhebung die Wende herbei­führen könnte. Aber wenn ich in meinem engeren Hoch­schul- Umkreise täglich den Fluch der Feigheit beklemmend erleben muß, wie sich meine Kollegen beugen unter das Diktat uniformierter Studenten, wie sie Befehlsempfänger geworden sind für die Anordnungen des totalen Staates, wie sie die Vernichtung der akademischen Frei heitsrechte der Fakultäten widerspruchslos hinnehmen und sich vor Kommissaren" neigen, die wenige Jahre vorher - nein, dann bei ihnen ein schlechtes Examen machten