Der Schwerindustrielle
Denken verboten!
Sie brauchen Knechte
In einem Briefe, den jüngst ein junger deutscher Student an einen Freund im Ausland schrieb, heißt es:
„ Augenblicklich werden wir herabgewürdigt zu einem nationalen Etwas, gerade wir Studenten. Wir müssen be= dingungslos gehorchen, es gibt kein„ Warum" mehr. Wir sollen nicht zweifeln, so sagte man uns, auch nicht fragen, sondern nur glauben. Wer nicht glaubt, hat kein Recht am Staat."
So wachsen gegenwärtig in Deutschland junge, lernende Menschen auf! Es ist charakteristisch für autokratische Regierungssysteme und zeugt von vornherein gegen sie, daß sie alle gezwungen sind, den Menschen das Fragen und das Denken zu verbieten, während die Demokratie in erster Linie an die Vernunft, an das Denken appelliert.
Jegliches Denken bedroht den Bestand von Diktaturen das wußten die Despoten aller Zeiten, darum ihr Haß gegen den Geift, gegen freie Forschung und Wissenschaft, darum im faschistischen Deutschland der heiße Eifer, die Jugend in die Zwangsjacke eines Glaubensklischees zu pressen. Die er= wachsene, unter Wahlrecht und Meinungsfreiheit reif gewor dene Generation hofft man teils mit Gewalt, teils mit Jllufionen niederzuhalten, den Nachfolgenden soll das Denken abgewöhnt werden, damit sie nicht nach Erfüllung irgendwelcher braunen Verheißungen fragen. Eine neue Knecht 3- moral soll entstehen, die alle Kritik, die alle Fragen des gesunden Menschenverstandes ablehnt, weil daraus„ Unruhe" entsteht.
Erinnerungen aus meiner Jugend drängen sich hervor. Die älteren Generationen um 1890 waren aufgewachsen in einem Deutschland, dessen gelähmtes geistiges Leben und dessen Moral noch gezeichnet waren vom Absolutismus und Halbabsolutismus. Die sozialistischen Organisationen erfaßten nur einen fleinen Bruchteil der arbeitenden Menschen. In der Werkstatt, in der ich lernte, schufteten in zwölfstündiger Arbeitszeit junge Gesellen, die jede Aufklärung oder Diskussion über soziale Fragen als eine Art Aufwiegelung betrachteten und ablehnten. Nicht nur aus Scheu vor dem Meister, sondern weil sie innerlich überzeugt waren, daß das alles nur Unruhe" schaffe. Sie wollten sich in der Ruhe
ihres Glaubens, daß an der bestehenden Weltordnung nicht zu rütteln sei, nicht stören lassen. Es war ihnen überliefert worden, daß dies alles lediglich Opfer koste, daß man auf diese Art seine Familie gefährde und daß Aufklärung darum verdammenswert sei.„ An dem Unfrieden sind nur die roten Hezer schuld--", das hörte ich in der proletarisch- kleinbürgerlichen Umgebung meiner Jugend täglich. Die alles revolutionierende Arbeiterbewegung und die Grundrechte der Demokratie haben inzwischen eine Menschheit erzogen, die danach fragten, was einer Neues verkündet. Damals fedoch galt es auch breiten proletarischen Schichten als verdammenswert, alten Köhlerglauben zu erschüttern, weil eine despotische Vergangenheit darauf Acht und Bann und schwere Strafen gesetzt hatte. Man war mit der Erfahrung aufge
wachsen, daß so was" zu nichts Gutem führte, daß es besser fei zu glauben, statt zu fragen. Rebellion erschien awedlos und schädlich- ein Knechtsgeschlecht war herangewachsen.
Diesen Gemütszustand, diese Degeneration des Denkens möchten die Hitlerianer in Deutschland möglichst rasch wieder erreichen. Darum das frampfige Bemühen, die Jugend in einer neuen autokratischen Staatsräson zu drillen, ihr körperlich und geistig die Uniform des Hakenkreuzes überzu stülpen und in der Schule durch militärisches Brimborium auch äußerlich die Uniform über das Denken zu stellen.
Aber die nationalsozialistischen Kurpfuscher, die eine tranfe Welt lediglich mit Suggestion heilen möchten, werden sich schneiden. Fünfzehn Jahre Demokratie und Freiheit sind
Praktischer Nationalsozialismus
1.310
Leipzig.( Inpreß.) Ein Leipziger Bankdirektor teilt der. Gauleitung mit, daß er ein oder zwei bedürftige Nazis auf seiner Erholungsreise als Begleiter mitnehmen will. Die Gauleitung belobt den Bankdirektor und sagt:„ Das ist praktischer Nationalsozialismus!"
Wir wissen jetzt, und das ist vielleicht die 20. Definition des Sozialismus" der Nazis, daß eine Ferienreise mit zwei Bedienten praktischer Nationalsozialismus ist.
Görings Blutgesetze
Berlin, 10. Aug. Das Münchener Sondergericht verurteilte erwartete Konferenz die bekannten drakonischen Gesetzentwürfe publiziert und der Reichsregierung vorgeschlagen hat, ist geraume Zeit vergangen. Zunächst wurde in einem amtlichen Kommunique mitgeteilt, diese von Görings Führerkonferenz präsentierten Geseze würden ihrer Wichtigkeit wegen in der fürzesten Zeit zu Reichsgesehen werden.
Die Verzögerung, die beinahe einer Desavonierung des Ministerpräsidenten und Reichsinnenministers gleichkommt, liegt aber in der Linie, die durch das Nichterscheinen Hitlers bei dieser mysteriösen Göringschen Konferenz bereits vor gezeichnet wurde. Das tiefe Mißtrauen Hitlers gegen Göring, das durch die Einflüsse des Propagandaministers Göbbels immer von neuem geschürt wird, äußert sich nicht nur in dieser auffälligen Verzögerung der Promulgation neuer Terrorgeseze, sondern auch in anderen Tatsachen, die nach und nach ans Tageslicht dringen, So bedeutet die vers schärfte Absperrung Hitlers in seinem oberbayerischen Ferienort weit weniger die Befürchtung, von„ Marristen" angefallen zu werden, als vielmehr die reale und wohl= begründete Angst, der Innenminister Göring fönnte bereits jetzt einen Handstreich auf den„ Führer" organisiert haben.
Die Amsterdamer„ Tribüne" veröffentlicht die Fotografie einer mit Lichtbild versehenen, von der Standarte 40 der Krefelder SA. ausgestellte Legitimation, die die Grenz- und Bahnhofspolizei ersucht, den Inhaber der Legitimation, Emil Haftenteufel, unbehindert passieren zu lassen. Hastenteufel stellte sich bei der holländischen RP . als tommunistischer Emi: grant vor, konnte aber sofort entlarvt werden, wobei man ihm die Dokumente abnahm, aus denen unter anderem her: vorgeht, daß er gleichzeitig auch im Dienste des Krefelder Polizeipräsidiums steht.
Verbotene Schriften
Berlin, 10. Auguft.( Inpreß.) Seitdem Görings un drei Arbeiter aus Lindau, die die„ Thurgauer ArbeiterZeitung", unser thurgauisches Bruderorgan, gelesen und weitergegeben hatten, zu 7 bzw. zu 5 Monaten Gefängnis.
Der Münchener Zeichner Eduard Wendel wurde zu vier. Monaten Gefängnis verurteilt, weil er ein stark zerlesenes Schriftstück, ein Flugblatt„ Marxistischer Pressedienst", einem Arbeitskollegen gegeben hatte". Wegen Weitergabe eines fommunistischen Propagandaromans wurde der Spinnerej arbeiter Weber aus Kolbermoor zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt.
auszuradieren. Die heute jung sind, haben Hitlers schein Die neue
zialistische Verheißungen zu oft und laut gehört, als daß diese Verheißungen von den genarrten Massen so leicht vergessen werden könnten. Der immer deutlicher werdende Bankrott aller kapitalistischen Systeme, der Sturmschritt der geschichtlichen Entwicklung machen eine Einschläferung sehr schwer. Daß sie unmöglich wird, dafür werden wir, da= für wird mit uns die Arbeiterbewegung sorgen.
Rote Falken
Internationale Kinderrepublik
Aus Oostduinkerke wird uns geschrieben: Weithin schallt über die Dünen das alte Kampflied der Sozialisten, die Internationale, gesungen von 500 Kinderstimmen. Die internationale Kinderrepublik der Roten Falken am herrlichen Groenendyckstrand nahe bei Ostende ist eröffnet worden. In dem Dünental haben 500 Falken ihre weißen Rundzelte aufgeschlagen. Die Dörfer haben bereits ihre notwendigsten Aufbauarbeiten vollendet.
Es ist wirklich eine internationale rote Kinderrepublik. Ein Sprachgewirr von französisch, flämisch, deutsch und gelegentlich etwas italienisch durchschwirrt die Luft. 270 Franzosen, zirka 100 Belgier, 50 Rote Falken aus Wien, einige Schweizer und 30 Tschechen, dazu einige wenige Emigranten und Emigrantenkinder, das ist die Zusammensetzung des Lagers.
Deutschland fehlt, denn die Tyrannei dieses Landes hat die Kinderfreundebewegung verboten und erlaubt nicht, daß deutsche Arbeiterfinder mit den Arbeiterkindern anderer Länder zusammenkommen. Und doch verdienten unsere mutigen Roten Falken, daß sie wiederum einmal in Freiheit atmen und mit Begeisterung unsere schönen sozialistischen Lieder singen fönnen.
Die deutsche Kinderfreundebewegung hätte einen vollgültigen Anspruch darauf, auch in diesem Lager stark vertreten zu sein, denn die deutsche Kinderrepublik hat im vorigen Jahr durch das gelungene Lager bei Paris Frank reich für die sozialistische Erziehungsarbeit gewonnen. Und
auch das Lager bei Oftende ist noch von deutschen alten
führern wesentlich vorbereitet worden.
Aber auch wenn unsere Falken hier im Lager nicht pertreten sind, so denkt man doch an sie. Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein Falke oder ein Helfer nach dem Schicksal dieses oder jenes deutschen Freundes sich erkundigt, es gibt fein Falfenherz, das nicht aufs tiefste ergrimmt ist, wenn es den Namen Hitler hört und von den Qualen der Arbeiterflase im„ dritten Reich" hört.
Die Falken find friedlich und von froher Ausgelassenheit. Warum sollten sie es auch nicht sein hier draußen in der wunderbaren Sonne, an dem herrlichen weiten Strand der
Bruno Brandy.
A Blaid
Nordsee und in dieser sicheren Geborgenheit einer bewußten und herzlich geübten Solidarität!
Aber wenn von Deutschland die Rede ist, dann werden selbst die ausgelassensten Burschen und Mädel ernst, und man hat den Eindruck, als ob ihre Herzen von Mitleid erfüllt und ihre Fäuste von flammendem Zorn geballt wären.
In Desterreich, in der Tschechoslowakei, in der Schweiz, in Dänemark, überall gibt es auch in diesem Jahre rote Kinderrepubliken, die den Geist einer aktiven sozialen Demokratie praktisch und anschaulich in den Herzen der Kinder wachsen lassen. Sie zusammen mit dem Werden internationaler Kinderrepubliken in Ostende und dem Lager der Wooderaftbewegung in England werden um so höher die roten Fahnen der sozialistischen Erziehungsarbeit heben, je brutaler unsere Bewegung in Deutschland gequält wird.
Aber auch in Deutschland werden die Roten Falken ihrer sozialistischen Sache treu bleiben, sie werden sich den Glauben an die Zukunft der Arbeiterklasse nicht rauben lassen, und sie werden eines Tages nicht nur selbst Kämpfer und Vorbereiter, sondern Vollender nicht eines mystischen„ dritten Reiches", sondern einer sozialistischen Republik der Freiheit, der Menschlichkeit und der planvoll organisierten Gesellschaft sein. Freundschaft!
Scheiterhaufen
Immer noch Bücherverbrennung
Gewerkschaftspresse
Ein trostloses Bild
Wenn man die gleichgeschaltete sogenannte Gewerk schaftspresse heute durchblättert, so wiederholt sich überall dieselbe Beobachtung. Die Tätigkeit der Kommissare er schöpft sich in der radikalen Auswechslung des Personals, der Konstruktion von Rorruptionsfällen und der Selbstbeweihräucherung. Im übrigen hat die Gewerkschaftsarbeit aufgehört. Es gibt weder Lohn- noch sonstige soziale Bewegungen. So liegt vor uns die letzte Ausgabe des Wochenblatts der Nahrungsmittelarbeiter. Die erste Seite ist ausgefüllt und geschmückt mit Proträt und Lebenslauf des in weiten Kreisen unbekannten Verbandsleiters. Frontkämpfer, Redner, Schriftsteller ist er gewesen. Von der Gewerkschaft weiß er nichts zu erzählen, aber er ist Verfasser eines Schauspiels„ Das Schicksal eines deutschen Helden". Dann rühmt sich dieser Pg. Wolkersdörfer der Erfolge seiner Säuberungsarbeit. Ein zweiter langatmiger Artikel macht aus den Beiträgen zu den Wahlen eine Riesenkorruption, stellt es so dar, als hätte der SPD .-, Häuptling Wels die Summe persönlich empfangen, ,, der nun herrlich und in Freuden in Prag leben kann, obwohl er in Berlins schönster Umgebung am Scharmützelsee in Grünau und in Friedrichshagen drei schmucke Billengrundstücke zum Aussuchen besitzt und sich mit Möbeln aus dem kaiserlichen Schloß„ standesgemäß" aus stattete."( Das haben die Lügenbeutel bisher Scheidemann nachgelogen. D. Red.) So viel Worte, so viel Lügen. Dann folgt ein entstellter Bericht über die Gehälter bei der Arbeiterbank. Ein Aufruf„ Kauft deutsche Waren", eine Anweisung an die Betriebszellen, monach nur die Treuhänder der Arbeit Tarifverträge abschließen dürfen. Dann noch einige unbedeutende Notizen aus der Rechtsprechung und das Gewerkschaftsblatt ist fertig.
Diese Gewerkschaftspresse ist das Spiegelbild der heutigen Gewerkschaften überhaupt. Nazidrang zur Futterkrippe, Verleumdung der bisherigen Gewerkschaftsfunktionäre, nationalistischer Klimbim und sonst nichts.
Die Herrschaften täuschen sich aber, wenn sie annehmen, daß die Gewerkschaftsmitglieder zufrieden sind. Von einer Gleichschaltung der Massen in der Gesinnung kann keine Rede sein.
In Heidelberg sind letzter Tage nach sechswöchiger Säube- BI.
rung der Bibliotheken mehrere Tonnen Bücher 200 verschie= dener Autoren öffentlich verbrannt worden. An die Verbrennung schloß sich, wie der Londoner„ Observer" meldet, eine feierliche Demonstration der Heidelberger Geistes" Welt an.
Sterbendes ,, Weltblatt"