Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"
Einer, der es verdient hat
Olaf Gulbeansson wird gemaßregelt
Der„ Simplizifsimus" war einmal Deutschlands bestes politisches Wizzblatt. Die ersten Schriftsteller, die bedeutendsten Zeichner standen in seinem Dienst in den Jahren vor dem Kriege: Ludwig Thoma , Thomas Theo dor Heine , Karl Arnold und- Olaf Gul= bransson. Als der Krieg begann, war der erste Absturz da. Das Blatt, das den preußischen Militarismus der Weltlächerlichkeit preisgegeben, den Junkerfeudalismus tödlich verspottet hatte: jest blies es in die Schlachttrompete bis zum Erbrechen. In der Aera von Weimar wurde der„ Sim plizissimus " nach einigen Schwankungen wieder das, was er einmal war. Er zog gegen die Reaktion vom Leder und zeigte die Braunbehemdeten in ihrer hohlen Blöße.
Bis an die Schwelle des 5. März! Heraus flogen Peter Scher , Thomas Theodor Heine . Man schaltete sich im Siebenmeilenstiefeltempo gleich unter Führung von Olaf Gulbransson , der sich rassisch wiederentdeckte, allem abschwor, was er früher gezeichnet, und Hitler , den er eine Woche zuvor noch lächerlich gemacht hatte, auf das graphische Postament stellte. Eiligst unterschrieb er eine geharnischte Erklärung gegen Thomas Mann , weil dieser deutsche Dichter in einigen Details an der Gottähnlichkeit
bekannten Simpliziffimus- Zeichners Olof Gulbransson, die in der Städtischen Galerie zu dessen sechzigstem Geburtstag veranstaltet wurde, sofort zu schließer und fünftig alle Ausstellungen in städtischen Gebäuden auf städtischen Pläßen vorher von der Zustimmung Stadtrats abhängig zu machen. Der Antrag wurde damit vegründet, daß Gulbransson , dessen künstlerische Qualitäten nicht in Frage gestellt würden, den nationalsozialistischen Führer in Wort und Schrift auf das unflätigste verhöhnt und die Angehörigen der SA. beschimpft habe. Städtische Ausstellungsräume sollten nur ausgeprägt deutschen Künstlern zur Verfügung stehen. Die nationalsozialistische Reichsleitung hatte die Stadtratsfraktion auf die Beleidigungen des Führers durch Gulbransson aufmerksam gemacht und es für nicht angängig erklärt, daß solche Personen auch noch geradezu belohnt würden. Der nationalsozialistische Antrag wurde einstimmig
angenommen"...
Ereignisse und Geschichten
Krieg
Heil
Erwachet, Millionen Verstummter Kanonen, Und recket den Hals! Mich sandten als Retter Die furchtbaren Götter Des dunklen Walhalls.
Im letzten ber Kriege, Euch führe ich zum Siege, Genossen aus Stahl. Froh auf, Kameraden, Gegossen, geladen! Ich geb' das Signal,
" Seil Hitler ", ertöne! Es kracht. Meine Söhne Bedecken das Feld. Du, Liebe, erwache Und schüße die schwache Dich liebende Welt.
Dieser Dank vom Hause Hitler trifft keinen Unschuldigen. Statt Arien
Wer die Stiefel füßt, die ihn getreten haben, darf sich nicht wundern, wenn er statt des erwarteten Silberlings einen neuen Fußtritt bekommt.
wagte.
Aber die Gesinnungslosigkeit, hier gegen bar verkauft, findet nicht einmal bei den in diesem Punkte an vieles gewöhnten Nationalsozialisten ihren Lohn. Aus München wird gemeldet:
" Die nationalsozialistische Stadtratsfraktion beantragte im Hauptausschuß des Stadtrats, die Kollektivausstellung des
Hans Heinz Ewers , der Verfasser der„ Alraune ", der auch ein Buch zur Berherrlichung Horst Wessels geschrieben hat, ift, wie das 8- Uhr- Abendblatt" meldet, nunmehr in den Aufsichtsrat der Berliner Wäschefabrik A. G . gewählt worden. Das Unternehmen hat, wie das Blatt bemerkt, in den Jahren 1981 und 1982 mit Verlust gearbeitet. bemerkt, in den Jahren 1981 und 1982 mit Verlust gearbeitet.
noch eleganter als die Pariserin Was man sich zuflüstert
Warum Frau Minister ging.
Der Leiter des Deutschen Modeamts, Dr. Horst, sprach fich sehr hoffnungsfreudig über die Zukunft der deutschen Mode aus. Schon jetzt darf keine Filmschauspielerin in Deutschland andere als deutsche Kleider tragen. Aber man denke nicht daran, etwa für die deutschen Frauen eine Uniform zu schaffen. Im Gegenteil, man wolle die deutsche Frau gan der Frage ihres Aeußeren intereffieren, bis sie eleganter sein wird, als die Pariserin".
Frau Göbbels , die mit Delheinz und Weech ihr Amt niedergelegt hat, erhält durch diese Ausführungen des Dr. Horst einen Stich: denn sie wollte eine Art Uniform als deutsche Mode in die Welt seßen. Aber selbst für den Teutschen Horst bleibt die Pariserin das Jdeal.
Kraft und Schönheit
,, Deutschstämmige Kollegen, denen ihre Leibesfülle Beschwerden bereiten, werden gebeten, um... im Aerztehaus, Genthiner Straße, um... zu erscheinen, um über neue Wege zu Kraft und Schönheit" sich schlüffig zu werden. An fragen sind zu richten an..."
Ein Optimist
„ Die Zeit der Mörder ist vorbei," sagte der Vorsitzende bei der Begründung des Urteils gegen die BBG.- Räuber in Berlin .
" Göbbels , du siehst aus wie Apoll ..."
„ Ich fühle mich sehr geschmeichelt durch dieses Kompliment."
„ Du hast mich nicht ausreden lassen, du siehst aus wie a polnich Jüdel."
Göbbels fuhr mit der Straßenbahn und gab, da er kein Kleingeld bei sich hatte, dem Schaffner einen Zehnmarkschein.
Aciec
Kalmann Reinhold.
Richard Wagner schuf bekanntlich das Mufitdrama mit der fortlaufenden„ unendlichen" Melodie, während die vorwagnersche Oper in eine Anzahl in sich abgeschlossener Musifnummern zerfiel. Die Wagner- Oper bedeutete also das Ende der einst so berühmten Arien, der Solonummern für männliche und weibliche Gesangstars.
Was Wagner an Arien fehlt, wird ihm jetzt durch Arier erſezt:
Der Allgemeine Richard Wagner - Verein hat in Bayreuth seine Hauptversammlung abgehalten. Die Sabung wurde dahin geändert, daß Mitglieder des Vereins jede arische physische und juristische Person oder Personenvereinigung werden kann. Die Ortsgruppenleiter sollen nachprüfen, ob thre Mitgliederlisten nichtarische Mitglieder aufweisen.
Es ist ein Glück für Richard Wagner gewesen, daß der nach ihm benannte Verein noch nicht existierte, als der unbekannte junge Rapellmeister Wagner durch die Protektion des auf der Höhe seines Ruhms stehenden jüdischen Komponistent Meyerbeer ( eigentlich Meyer Bär) die ersten Aufführun gen seiner Werte in Paris erreichte! Wenn dieser Nichtarier sich nicht damals für Wagner eingesetzt hätte, wer weiß, ob die fünfzig Jahre nach dem Tode des Meisters zu ihm ge= langten Arier noch Anlaß hätten, Richard- Wagner - Vereine auf rassereiner Grundlage zu bilden...
Als er fah, daß der Schaffner das Abzeichen der NSBO. Professoren des mocdes
trug, ließ er sich mit generöser Geste nicht herausgeben. Sah ihn der Schaffner lange an und sprach:„ Wenn ich gewußt hätt', daß die Juden so nobel sind, wär' ich nicht zu den Nazis gegangen."
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Wie wir durch das deutsche Komitee erfahren, wird in Deutschland demnächst ein neuer nationaler Feiertag ge= schaffen. Der Tag, an dem sich die Staatsangehörigkeit Hit lers fährt.
Wie uns mitgeteilt wurde, ist Herr Röhm Kommissar für sexuelle Gleichschaltung geworden.
Zuerst schickte der Herr seinen Erzengel Michael aus, um Erkundigungen über Deutschland einzuholen. Der Herr wartete und wartete, aber Michael kam nicht. Er saß im Konzentrationslager. Schickte Gott der Herr den Gabriel aus. Aber auch der kehrte nicht mehr zurück. Da seßte der Herr alles auf eine Karte und sandte den klugen Moses auf die Erde. Gar bald telegrafiert der zurück: Michael und Gabriel befreit. stop. Moser, Standartenführer.
" Bum ersten Male in der Geschichte der Revolution treten Revolutionäre auf, die zu ihren Taten kostenlos die Erklä rung liefern, es seien eben revolutionäre Taten. Der Kommentar aber macht eben die Revolution verdächtig. Ein Mörder, der seinem Opfer während er es niederschlägt, einen theoretischen Vortrag über den natürlichen Blutrausch eines geborenen Mörders hält, erweckt sogar im Opfer noch den Verdacht, es sei ein Professor des Mordes, der es erschlagen und kein richtiger Mö r= der."( Joseph Roth im„ Neuen Tage- Buch", Paris
Schwarze Listen noch nicht fertig
Das Buchhändler- Börsenblatt teilt mit, es könne die vielen Anfragen über die Zusammensetzung der Schwarzen Liste noch nicht beantworten. Das Göbbelssche Ministerium sei mit deren Busammenstellung noch beschäftigt. Wir bitten daber noch um einige Zeit Geduld," schließt die Mitteilung der ber breiter deutscher gedruckter Kultur.
Ein enger Hof. Der düstere Zellenbau mit kleinen Gitterfenstern und drei tote, graue Mauern schließen ihn ein. Ein Weg schließt sich oval um eine Rasenfläche. Auf schmaIem Streifen sind Blumen angepflanzt.
An der Südwand steht ein Aufseher. An der Nordwand ein zweiter.
Zuchthausgefangene, in Sträflingskleidern. gehen mit schwerem Schritt im Kreise. Einer hinter dem andern gehen fie. Drei Schritte Abstand. Sprechen ist verboten. Wenn es warm ist, gehen sie langsam. Das Tempo wird rascher, wie das Thermometer fällt.
Ueber die Mauer weg können sie ein paar Bäume sehen, die auf naher Höhe wachsen. Das ist alles.
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Wieviel Jammer und Elend tragen sie mit sich herum?
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Eine Stunde täglich sind die Gefangenen im Hof. Dann gehen sie zurück in vergitterte Zellen an ihre Arbeit.
Und morgen machen sie wieder die Runde im engen Hof zwischen grauen Mauern...
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Ein warmer Sommertag. Der Spazierhof liegt zur Hälfte in goldigem Sonnenschein. Die eine Mauer wirft fühlen Schatten.
*) Ermordet am 7. August 1988 von Nazihorden.
Sträflinge machen ihren Rundgang im Gänsemarsch. Aus pergamentenen Gesichtern brennen hohle Augen. Schweigsam, in sich gekehrt, trotten sie im Kreis.
Alle haben den Hof schon ausgemessen. Wie oft! Sie wiffen, daß sie hundert Schritte in jeder Runde brauchen. Wenn sie auf der Sonnenseite sind, recken sie sich, dehnen die Brust weit und atmen tief.
Würziger Heuduft kommt von draußen über die Mauer. Mitten im Hof, auf einer Grasfläche, stehen zwei Büsche Mohn . Roter Gartenmohn.
Die Gefangenen wissen vom Vorjahr, wie schön er blüht. Sie warten seit Tagen, daß die schwellenden Knospen plazen und die rote Pracht herausquilt.
Heute ist das Wunder geschehen. Ueber Nacht. Große, flammend rote Blumen glühen in der Sonne. Wenn ein linder Lufthauch darüber streicht, ist's wie züngelndes Feuer.
Und die Gefangenen gehen im Kreise und haben im Haus der Freudlosen gefunden, woran sie sich freuen... Hellauf leuchtet der Mohn im Strahl der Sonne. Scharf ist der Kontrast zum Grau der Mauer. Deutlich wird's feßt: Das Graue ist das Tote. Die rote Glut ist die Farbe des Lebens, ein jubelndes Fanal des Lebens!
Hoch auf streben die schlanken Stengel des Mohns, als wollten sie das Leben hinausheben über das tote Grau, das ringsum laftet.
Eintönig flingen die Schritte im Kreis,
Wie leere Augen glogen vergitterte Fenster ins Weite.
Vier tote Mauern engen den Raum und roter Mohn glüht in der Sonne.
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Ein jubelndes Fanal des Lebens!
Wolkenloser Himmel blaut über dem Spazierhof. In die laue Stille schallen rundgehende Schritte der Gefangenen. Hohle Augen schauen mit leerem Blick zu Boden oder dem Vordermann auf den Rücken.
Einer hebt die Augen ins Blaue.
Hoch oben sieht er ein paar Bussarde schweben. Die kreisen majestätisch umeinander.
Unten im Hof werden die anderen durch das Schauen des einen aufmerksam, bis sie alle die schwebenden Vögel sehen. Im Rundgehen verfolgen sie das Spiel der Bussarde, den Kopf weit zurückgeneigt.
Die Augen bekommen Glanz, der leere Blick belebt sich. Gedanken werden wach und huschen unsichtbar von einem zum andern. Gedanken voll Sehnsucht, frei zu werden von der drückenden Enge.
So fret wie die schwebenden Vögel da oben... Die Bussarde sind nicht mehr zu sehen. Sie haben sich irgendwo niedergelassen.
Und im grau ummauerten Hof schauen hohle Augen wieder mit leerem Blick auf den Boden oder dem Vordermann auf den Rücken.
Aber die Sehnsucht bleibt. Die brennende Sehnsucht, fret zu werden von der drückenden Enge.
So fret, wie die schwebenden Vögel.