DAS BUNTE BLATT
NUMMER 65- 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE
Fierehen von M. Frischwin
1. Strohdiebstahl
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Wie ihre zehn Finger kennen die Jäger das Leben der wilden Tiere. Nur eins hat kein Jäger noch im euro päischen Rußland nicht, und nicht in Sibirien mit seinen Augen gesehen: eine freißende Bärin.
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Wohl daher hat keiner der Wärter des Zoo bemerkt, daß die Bärin Plasta" guter Hoffnung ging.
In dem neuen großen Bärenzwinger feinem Käfig, sondern von der Menschenwelt nur durch Wassergraben ge= trennt, und von den Tiernachbarn durch glatte Felswände
hauste das zottige Ehepaar, der riesige braune Bär " Athlet", und seine nicht minder zierliche Gattin Plasta". Der Bär hatte sich in einer Höhlung zwischen Felsblöcken eingerichtet, während„ Plasta" mit einem erhöhten Plazz unterm freien Himmel an dem Felsen, der die Bären von den Wölfen trennte, vorlieb nahm. Und bei der ersten Schneeschmelze im Frühling zeigte es sich, wie weise das Weibchen bei der Plazwahl gewesen ist, denn der Boden der tiefer gelegenen Höhlung war stets mit Wasser bedeckt.
In seiner Not verfiel„ Athlet" auf folgenden Ausweg: in der Mitte des Bärenzwingers wuchs ein großer Baum; damit die Bären, wenn ihnen das Fell juckte, nicht die ganze Rinde abschabten, war er unten mit Eisen beschlagen; „ Athlet" riß das Eisen herunter, streifte die Rinde ab und schleppte sie in seine Höhlung. Jedes Stückchen Rinde, das er irgendwie erreichen konnte, riß der Bär herunter, kletterte sogar auf den Gipfel des Baumes und fiel von dort prompt auf den Zementboden herunter, rieb sich lange die schmerzenden Stellen mit der Pfote, schnaubte und brummte. Als die letzte Krume Rinde aufgelesen war, trottete er in seine Höhlung und machte es sich auf den Rindstreifen bequem.
In der Freiheit hausen die Bären nicht mit den Weibchen zusammen, fümmern sich auch nicht um die Geburt der Jungen. Bald tam, für die ganze Welt unerwartet,„ Plasta" in die Wochen und die verblüfften Wärter beeilten sich, ihr ein großes Bündel Stroh hinüberzuwerfen.
„ Athlet", der sich bis jetzt nicht im geringsten um die Vorgänge auf der anderen Seite des Zwingers gefümmert hatte, erhob sich plöblich interessiert und watschelte auf das Lager der Bärin zu. Erschrocken befürchteten die Wärter ein Attentat auf das Leben der Brut.
Auch„ Plaska" schien die gleiche Befürchtung zu teilen; denn sie erhob sich ebenfalls, ging dem Männchen bis zur Mitte des Zwingers entgegen und versette ihm dort eine Maulschelle, daß der ungeschlachte Kerl umfiel und den Kopf mit beiden Pfoten bedeckte. Plaska" aber kehrte seelenruhig zu ihren Jungen zurück und nahm ihren Plaz wieder ein, ohne sich im geringenst um den gezüchtigten Gatten zu kümmern.
Nach einiger Zeit erholte sich der Bär; aber statt sich zu erheben, schleppte er sich triechend vorwärts, immer nur einen halben Schritt; jedesmal, wenn er in den Augen des Weibchens Verbot und Drohung las, fuschte er sich sofort hin
um nach wenigen Augenblicken sich wieder einen halben Schritt vorwärts zu stehlen.
Und es gelang ihm in der Tat, die Bärin hinters Licht zu führen durch seine ergebene Demut, durch die Bereitschaft,
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nach jedem scheelen Blick die Schnauze in den Boden zu stoßen und mit beiden Pfoten zu bedecken. So ließ sie ihn gewähren, bis er ganz dicht an ihr Wochenbett herangepirscht war. Schließlich drehte sie ihm sogar den Rücken zu und begann ihre Jungen nach allen Regeln der Kunst abzulecken. Da schien Meister Pez seinen Augenblick für gekommen zu halten: blitzschnell sprang er auf alle Viere, raffte mit den Vorderpfoten eine Menge Stroh zusammen und trabte, die Beute hoch über dem Kopf erhoben, auf den Hinterbeinen seiner Höhlung zu, schüttelte die weichen Halme über die garstigen fraßigen Rindstreifen und ließ sich zufrieden schnaubend darauf nieder. Jetzt soll Plaska" nur rantommen sie wird ihr blaues Wunder erleben!
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Der kahle, seiner Rinde beraubte Baum steht noch heute im Bärenzwinger. Und es kommt öfters vor, daß ein neugieriger Besucher sich beim Wärter erkundigt, was zum Kuckuck die Bären es nötig gehabt haben, die Rinde vom Baum zu reißen. Dann bekommt er schmunzelnd die Geschichte von dem Strohdiebstahl serviert, und es bleibt ihm nichts übrig, als verwundert den Kopf zu schütteln und ungläubig zu lächeln:
„ Das nenne ich Vatergefühle! Das ist mir richtige VaterItebe!"
Salzsäure und Baterpflicht
Lieber Leser, ist es Ihnen bekannt, daß beim Großziehen der Wolfsbrut auch der Herr Papa nach Kräften zur Fütterung herangezogen wird?-
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Nein?! Dann sei es mir gestattet, Ihnen von der alten hageren Wölfin des Moskauer Wolfzwingers zu berichten. Diese Dame war eine solide strenge Person und hielt ihre Brut in eiserner Zucht.
Nun hat die Natur es so bestimmt, daß die Milch der Wölfin arm an Salzsäure ist; um dieses Manko in der Ernährung der jungen Generation wieder wett zu machen, muß der alte Wolf jedem der Jungen nach dem Säugen ein wenig Gefautes ins Maul auswerfen.
Der Gemahl der erwähnten Wölfin war schon lange kein junger Geck mehr, und je größer die Jungen und somit ihre tägliche Anteilnahme an salzsäurigen Essensresten wurden, desto mehr kam er von Kräften. Und so geschah es, daß eines schönen Tages der Alte streifte: er begnügte sich damit, die Jungen zärtlich zu beschnuppern, zog aber nicht destoweniger vor, die Salzsäure für sich selbst zu behalten.
Da hätten Sie, lieber Leser, die alte Wölfin sehen sollen! Wie ein grauer Bliz schoß sie auf ihren Mann los und begann ihn vor den Augen der Brut zu schleifen, daß die Fellfeßen nach allen vier Himmelsrichtungen flogen.
Die Züchtigung dauerte lange- taum war sie beendet, als der Alte zur Brut trottete und seinen gesamten Vorrat an Gefautem auswarf.
Und einer nach dem anderen, mit eingezogenen Schwänzen, folgten ihm die übrigen Wölfe des Zwingers und warfen alle ihr Gekautes vor den Jungen aus. Nicht wahr, lieber Leser, heutzutage ist es nicht einmal leicht, Wolfsgemahl zu sein?- Frei nach dem Russischen .
120 Neger zu verkaufen
Der Unterschriebene ist eben aus Petersburg, Virginia , mit 120 fräftigen jungen Negern, beiderlei Geschlechts, angekommen, Plantagens besizer und Kaufleute werden hiermit gebeten, beian Unterschriebenen vorzusprechen, bevor sie anderswo Käufe tätigen, da er in der Lage ist, so billig, oder billiger zu verkaufen, als es irgendwelcher anderer Kaufmann tun kann. Benjamin Davis.
Der Herr im blauen Gehrock und grauem Zylinder faltete, nachdem er dieses Inserat gelesen, den„ Charlestown Courier" zusammen und bummelte weiter durch die Stadt. Er mußte der Postkutsche ausweichen und blieb bei diesem Anlaß vor dem Schaufenster eines Bücherladens stehen. Das Buch„ Onkel Toms Hütte"- eben erschienen- beachtete er nicht, dagegen interessierte ihn die Abhandlung eines gelehrten Jesuitenpaters über die Frage: Haben die Neger auch eine Seele?" Vor der Stadt draußen sah er wie diese Neger mit der Nilpferdpeitsche zur Arbeit getrieben wurden. Er sah wie Bluthunde ermüdete Sklaven aufjagten und er sah, wie Schwarzen, die nicht das geforderte Quantum Arbeit liefern konnten, das Essen entzogen wurde. Am Abend desselben Tages konnte er schließlich in einer VolksversammTung, Für und wider die Sklaverei", einen Redner äußern hören, die Sklaverei sei gottgewollt und entspreche den ewigen Gesezen der Vernunft.
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1933 trat ein Herr aus Knappe hundert Jahre später einer deutschen Fabrit. Ueber ihm am blauen Himmel zog ein Flieger seine Kreise. In dieser Fabrik wurden die Arbeiter nicht mit der Nilpferdpeitsche geschlagen, aber der Herr Direktor drohte mit Entlassung und schwang die Geisel der Arbeitslosigkeit. Kein Bluthund trieb die müden Arbeiter an, aber das laufende Band zwang ihnen ein mörderisches Tempo auf. Keinem Arbeiter wurde das Essen entzogen, wohl aber hatte er zu wenig geleistet- ein Teil von seinem Lohn abgezogen. Nach der Seele der modernen Sklaverei fragte noch feine gelehrte Abhandlung, wohl aber wurde die Broschüre: Sind die Arbeiter minderer Rasse?" in einer stillen Gelehrtenstube vorbereitet. Sonderlich schwer wurde dem Herrn Professor die Arbeit nicht. Er hatte nur die
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Folgerung aus dem Führerprinzip und der Liebe des Natio= nalisten zum Besonderen, dem seichten Fortschritt und dem ungebildeten Pöbel Entzogenen" zu ziehen. In feiner Volts versammlung wurde das Für und Wider der Sklaverei erörtert, wohl aber hatte der Führer durch den Radio fundgetan, daß die Sklaverei gottgewollt und den ewigen Gesetzen der Vernunft" entspreche.
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SONNTAG, DEN 3. SEPTEMBER 1933
Was es alles gibt
Eine dreifiundertjährige Rente
Eine Rente, die seit etwa 300 Jahren gezahlt wird, und die so lange läuft, wie überhaupt ein Mitglied der Familie existiert, bezieht ein Arzt namens Walter, der in Kanada lebt. Die Rente wird von der britischen Regierung gezahlt, und sie verdankt ihren Ursprung einem historischen Vortommnis. Im Jahre 1651 lebte eine Ahne des Arztes mit ihren fünf Brüdern in einem englischen Städtchen namens Boskobel. Zu jener Zeit lag der spätere König Karl II. in heftiger Fehde mit Cromwell . Er war nach der Schlacht von Worcester , als der Sohn Karls I. vor seinem Feinde flüchten mußte. Auf dieser Flucht kam er nach Boskobel, und als er das Haus erreichte, in dem Elisabeth Pendall Yate lebte, die Urahne des Dr. Walter, sah der Verfolgte kaum noch eine Möglichkeit, sich zu retten. In seiner Verzweiflung klopfte er bei Frau Yate an und flehte sie an, ihn zu verbergen. Die Frau fühlte Mitleid, sie nahm den Mann mit in ihren Garten, wo er sich in einem hohlen Baum verkriechen mußte. Wenige Augenblicke später nahten die Verfolger. Sie suchten das ganze Haus ab, durchstöberten auch den Garten, fanden aber den Prinzen nicht. In der Nacht verließ dieser sein Versteckt, um seine Flucht fortzusetzen. Es gelang ihm auch, unerkannt nach Frankreich zu entkommen. Als er später nach England zurückkehren durfte und dann den Thron bestieg, vergaß er nicht die Frau Yate, die ihm das Leben gerettet hatte. Er setzte ihr und jedem ihrer Brüder eine beträchtliche Rente aus mit der Maßgabe, daß diese Rente so lange ausgezahlt werden müsse, wie überhaupt ein Familienmitglied am Leben sei. Seine Nachfolger haben diese Tradition gewahrt, und so kommt es, daß Dr. Walter noch heute, nach fast 300 Jahren, die Pension erhält, die er der Hilfs bereitschaft seiner Urahne zu verdanken hat.
Japaniscie Reklame
Merkwüdige Reklameaufschriften sind in japanischen Geschäften üblich. Da heißt es z. B.:„ Unsere Teppiche sind so weich wie die Haut eines neugeborenen Kindes!" Ein Warenhaus rühmt sich, seine Waren mit der Geschwindigkeit eines Geschosses abzuliefern. Ein Papierfabrikant lobt sein Packpapier,„ das nicht schneller reißt als die Haut eines Elefanten". Was die Anpreisung des Kundendienstes angeht, so schießt ein Warenhaus wohl den Vogel ab, das seinen Katalog beginnt, indem es versichert, daß die Kundschaft mit ausgesuchtester Höflichkeit empfangen wird:„ Unsere Angestellten werden so liebenswürdig sein, wie ein Vater, der seiner Tochter zwar keine Mitgift geben kann, aber doch einen Mann für sie sucht. Wir werden Sie begrüßen wie einen Sonnenstrahl, der den Himmel nach dem trüben Regentag erhellt." Wie man sieht, versprechen die Kaufleute in Japan ihrer Kundschaft sehr viel; wenn sie auch imstande sind, alles zu halten, dann marschieren sie, was den„ Service" angeht, an erster Stelle in der Welt.
Ein seltsamer Fundgegenstand
Regenschirme verlieren gehört zum guten Ton, Brieftaschen liegen lassen ist eine schlechte Angewohnheit und eine kostspielige dazu, aber daß man ein ganzes Flugzeug vergißt, dürfte wohl einzigartig sein. Der Aeroplan wurde in Moncia in Indiania gefunden, abzuholen ist er bei den dortigen städtischen Behörden. Die Maschine ist in der vergangenen Woche auf dem Felde eines Farmers niedergegangen, der die Landung beobachtete und sah, daß zwei junge Leute dem Flugzeug entstiegen und sich eiligst davon machten. Man hofft, fie werden ihr Eigentum wieder holen, da der glückliche Finder nichts damit anzufangen weiß.
Der Frack als Badeanzug
Auch der Frack als Badeanzug ist schon dagewesen. Im Jahre 1817 freierte die Herzogin von Berry in Calais eine sensationelle Mode, nämlich ein öffentliches Bad im Meer. Darüber berichtet ein Zeitgenosse:„ Die Herzogin war angezogen wie zu einem Ball. Da sie nicht ohne Begleitung in das Wasser steigen durfte, mußte sich der Bürgermeister von Calais zu einem Seebad entschließen. Er folgte vorschriftsmäßig auf zehn Schritte Distanz der Herzogin im Frack, Zylinder und weißen Handschuhen ins Wasser. Eine riesige Zuschauermenge hatte sich am Strand versammelt. Der Bürgermeister ging so weit, bis ihm das Wasser zum Halse reichte. Dann blieb er stehen und wartete, bis die hohe Dame ihr Bad beendet hatte."
Statt Postfutsche Flugzeug, statt Zeitung- Radio, statt Lindenblütentee Aspirin , statt Holzschnitten Fotografie, statt Backsteine Beton, in diesen kurzen hundert Jährlein, da aus dem blauen Frack der graue Straßenanzug wurde, hat sich die Wissenschaft unheimlich entwickelt. ist unser Leben unglaublich reich geworden. Eines aber ist sich mit merkwürdiger Beharrlichkeit gleich geblieben: die Gesinnung der Sklavenhalter. Nach wie vor werden sie und müssen sie regiert werden von Haß, Brutalität, Verachtung, Ueberheblichkeit, Barbarismus und unstillbarer Gier nach Profit. Nur die Formen der Barbarei haben sich gewandelt: Statt Nilpferd= peitsche Arbeitslosigkeit, statt Bluthunden laufendes Band, statt Essen- Lohn, statt Seele- Rasse. Aber gerade Englischer Humor auf dem Hintergrund der reichen Kultur erscheint diese mittelalterliche Gesinnung grell und unmöglich.( So wie wenn ein eisengepanzerter Ritter Velo fahren wollte.).
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Auch um diese Sklaverei wird einst ein Sklavenkrieg entbrennen. Seine Fronten werden nicht wie amerikanischer Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten verlaufen, sondern quer durch alle Völker hindurch gehen. Er wird blutig und vernichtend sein, dafür aber wird gesorgt sein, daß die alte Sklaverei nicht durch eine neue Form der Ausbeutung ersetzt werden kann. Bern Hardt.
[ läuft,
Ein Fluß verrät durch Rauschen sich, daß er seh tief nicht Ein Bote, daß er müde sei, wenn er sehr schwitzt und schnauft. Wer allzu sehr mit Worten pocht, gibt leichtlich an den Tag, Daß seine unge ziemlich viel, das Herze nichts vermag. Fr. v. Loggau.
Diese Proben englischen Humors, in der letzten Zeit in englischen Blättern veröffentlicht, zeigen die Objekte, gegen die die Pfeile des britischen Wizzes sich richten.
Ein Besucher von Doorn erzählt, der Erkaiser scheine sich nunmehr jahrelang gut benehmen zu wollen. Die ganze Welt leidet allerdings augenblicklich noch darunter, daß er sich einmal jahrelang schlecht benommen hat.
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Es ist prophezeit worden, daß im Jahre 2000 die Benzinvorräte der Erde zu Ende sein werden. Aber das macht nichts. Bis dahin wird es so viele Autos geben, daß sie sich sowieso nicht mehr vom Fleck rühren können.
Wie unterscheidet man Fliegenmännchen von Fliegenweibchen? Ganz einfach! Die Männchen sigen am Kartentisch, die Weibchen auf dem Spiegel.
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Der Weise, der uns empfahl, beide Seiten anzuhören, lebte vor Erfindung der Grammophonplatten