DAS BUNTE BLATT

NUMMER 76- 1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE SAMSTAG, DEN 16. SEPTEMBER 1933

Zwei Morde

Was dem Deutschen   sein SA.- Mann und dem Yankee sein Gangster ist, das ist und bleibt dem Franzosen   sein cocu": Ein Mensch, der immer Grund hat zu schießen. So fließt denn auch in diesem glücklichen Lande täglich ein Strom von Blut, nicht um des lieben Geldes und nicht um der hohen Politik willen, aber um Liebe...

Es gibt Tage, an denen man in den großen Blättern gleich fünf, sechs Schlachtberichte aus diesem sentimentalen Bürgerkrieg findet: M. Dupont   hat seine Geliebte, Mme. Duval ihren Freund erschossen, Durand hat einen Neben­buhler erledigt und Odette von ihrer Freundin eine Ladung Vitriol ins Gesicht bekommen.

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In dieses ewige Einerlei vom Kampffeld der Liebe ist nun endlich eine erfrischende Abwechslung gekommen, die seit zwei Wochen ganz Frankreich   in Atem hält:

Schauplatz der Handlung: Das alte, ehrwürdige Quar­ tier Latin   rings um die Fakultäten und den Boul' Mich'. Personen der Handlung: Eine 18jährige Göre, ziemlich hübsch und sehr lebenslustig, verbraucht und verdorben durch ein bereits langes Liebesleben mit peinlichen Zwischen­fällen. Ein etwa gleichaltriger Student, der sich von ihr mit dem Ertrag sonstiger Abenteuer finanzieren" läßt: Durch schnittlich 200 Franken pro Tag.

Handlung: Man vergiftet mir nichts dir nichts die alten Eltern, um zu erben. Während sie auf dem Todeslager röcheln, geht man tanzen..

Als die Sache herausfam, ging der Teufel los. Vergessen war Hitler  , verschollen die Neo- Sozialisten, kein Hollywooder

Yon Walter Hell( Paris  )

Scheidungsprozeß fonnte noch imponieren, keines Steuer­zahlers Wehgeschrei wurde gehört, von allen Titelbildern, aus allen Zeitungsspalten starrte, schrie und tobte: Das Ver­brechen der Violette Nozieres. Hunderte von rasenden Re­portern jagten tagelang durch Paris  , Telefone schrillten, Federn spritzten, Schreibmaschinen klapperten und alles, alles hatte nur einen Sinn: Violette Nozieres. Jeder hatte sie gekannt, jeder erst fürzlich gesehen, jeder noch vorhin mit ihr gesprochen... und auch fast jeder einmal mit ihr ge­schlafen.

Und dann kam, ausgerechnet in diesen Tagen, kurz vor dem Höhepunkt dieser atemraubenden Affäre, aus Marien­ bad   in der Tschechei die einfache Meldung, daß dort ein deutscher Professor, Theodor Lessing  , ein bekannter und aufrechter Pazifist, von der Feme   gefillt worden sei. Als ich die Kunde zum ersten Male in irgendeinem Blatt auf drei Zeilen fand, ging ich an den nächsten Kiost und kaufte alle vorhandenen Zeitungen. Irgendwo muß doch da etwas stehen über diesen himmelschreienden Mord, irgendwo eine flammende Anklage, irgendwo ein hallender Schrei der Empörung! Drei Zeilen, vier Zeilen, im günstigsten Falle sechs. Theodor Lessing   von Nazis ermordet? Nu, wenn schon. Interessiert uns nicht. Haben andere Sorgen. L'Intran, l'Intran!! Neue Wendung in der Giftmord- Affäre! Violette Nozieres, Violette Nozieres, Violette Nozieres...

Eheficie Tragikomödien er Einbildung, vergiftet zu ſein, zwar geheilt, nun trauert

Der Giftmischier

Eine Tragödie, die sich wie ein Drama Strindbergs liest, ereignete sich in einem kleinen Dorfe Dänemarks  . Ein braver Dorfpolizist namens Stephan Wydhen ertrug zwölf Jahre lang mit unerschütterlicher Ruhe die Banksucht seiner Frau. Bei einem Streit riß ihm endlich die Geduld, und er drohte ihr, sie zu vergiften.

Die Tat wurde niemals ausgeführt. Die Drohung aber entwickelte sich zu einem mysteriösen Drama, das eben mit dem Tode des Polizisten endete. Der Polizist hatte nämlich seit der Drohung, seine Frau zu vergiften, keine ruhige Stunde mehr. Die Frau nannte ihn bei jeder Gelegenheit einen Mörder und wollte den Ehemann anzeigen.

Da verschwand eines Tages der Polizist. Zum Abschied sagte er seiner Frau, daß die Stunde für sie kommen werde. Denn wenn er auch fort sei, so werde er doch Mittel und Wege finden, ihr das versprochene Gift zu verabreichen, und zwar so, daß ihm niemand etwas nachweisen könne.

Nach einem halben Jahr erkrankte die Frau an einer geheimnisvollen Krankheit. Sie hielt sich für vergiftet. Die Aerzte standen vor einem Rätsel und die Kliniker sprachen von einer Psychose.

Zur gleichen Zeit vergiftete sich jedoch der Polizist wirklich. In einem Abschiedsbrief bekannte er, daß er seiner Frau die Vergiftung eingeredet habe. Da er aber fürchtete, sich dadurch strafbar gemacht zu haben, schied er aus dem Leben. Als die Frau den Brief zu Gesicht bekam, war sie von

Sontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  

Marietta Sorcanera trat vor, legte die Hand aufs Herz, neben die silberne Medaille und sprach mit sehr gewählten Worten von dem Streich der Cantonieri, die den Lauf des Baches, von Fontamara ableiten wollten.

Wir sind überzeugt, daß die zuständige Regierungsstelle darauf bedacht sein wird, die Straßenwärter wegen ihrer Willkür zu bestrafen," schloß Marietta.

,, Wenn es sich um Willkür handelte, könnt ihr sicher sein," entgegnete sofort der Impresario, daß ic sie zu unterbinden müßte. Solange ich Gemeindevorstand bin, wird es keine Gewalttätigkeiten geben. Besonders nicht gegen Arbeiter, wie die Fontamaresen... Aber darum handelt es sich hier nicht... Hauptmann, erkläre du, warum es geht..."

Der Hauptmann der Carabinieri löste sich aus der Gruppe der Gäste.

Es handelt sich tatsächlich nicht um Gewalttätigkeit. Unter dem neuen Regime fann so etwas nicht mehr vorkommen. Es handelt sich um einen gesetzlichen, höchst gesetzlichen Fall. Zudem um eine Vergünstigung, die die Obrigkeit Fontamara zuschieben wollte..."

Im Weitersprechen zog er ein Bündel Papiere aus der Tasche:

Hier habt ihr außerdem eine von allen Fontamaresen unterschriebene Eingabe, von allen- ohne Ausnahme. Die Eingabe bittet die Regierung, im höheren Interesse der Pro­duktion den Bach von den ungenügend bebauten Feldern der Fontamaresen gegen die Felder der Kreisstadt zu leiten, deren Besitzer größeres Kapital hineinstecken können."

Der Hauptmann wollte noch mehr sagen, aber wir hin­derten ihn daran. Wir wußten genau, auf welche Weise am Abend vorher ein gewisser Cavaliere Pelino unsere Namen auf leere Bogen geschrieben hatte.

,, Betrüger! Gauner! Spekulanten! Ihr studiert die Ge­setze nur, um das arme Volk hinters Licht zu führen! Das mit den gefälschten Eingaben muß aufhören...!"

Der Impresario wollte uns unterbrechen, aber vergeblich. Wir wollen dieses Zeug nicht länger hören." schrien wir. Genug mit diesem Gerede. Jeder Satz ist eine neue Gau­

sie aber um den armen Stephan, dem sie zu Lebzeiten die Hölle bereitet hat.

Der Mann im Test

Ein besseres Ende fand die Ehe eines jugoslawischen Bauern. Im Dorf Tulubra hat der Bauer Maneff sein kleines Anwesen. Er hat zwei Kinder und eine Frau, mit der nicht gut Kirschen essen ist. Ihre Unverträglichkeit ist im ganzen Dorfe bekannt, und wenn sie ihre Tage hat, dann wirft sie dem Mann an den Kopf, was ihr unter die Hände kommt.

Vor vier Wochen bereitete fie ihrem Gatten wieder ein­mal die Hölle. Da wurde es dem Bauern zu bunt, er ver­schwand bei Nacht und war nicht mehr auffindbar.

Was ist mit dem Bauern Maneff geschehen? Hat er sich das Leben genommen?

Zwei Tage später bemerkte ein Dorfjunge in der Spizze des höchsten Baumes im Dorf ein riesiges Nest. Und darin saß still vergnügt der Bauer Maneff.

Wie ein Lauffeuer ging die Sensation durch das ganze Dorf. Die Bewohner glaubten, Maneff sei verrückt ge­worden, man wollte ihn vom Baum locken. Aber Maneff lachte und erklärte, er hasse die Erde und werde bis an sein Lebensende in dieser luftigen Wohnung bleiben.

Seither find fast vier Wochen vergangen. Die Einwohner haben sich mit dem Nesthocker abgefunden und reichen ihm mit langen Stangen Nahrungsmittel hinauf. Es ist ihm nie so gut gegangen. Manchmal steht seine Frau beim Baum und zetert. Aber Maneff hört sie nicht.

nerei. Genug mit diesen Erklärungen. Das Wasser ist unser und bleibt unser!... Dir aber werden wir Feuer ins Haus legen, Feuer, Feuer!..."

Da griff Don Circostanza rettend ein: " Die Frauen haben recht," begann er zu brüllen, sie haben zehnmal, hundertmal, tausendmal recht..."

Wir verstummten sofort. Don Circostanza ergriff für uns Partei und wir wußten, daß er ein großer Advokat war. " Die Frauen haben recht," fuhr der Volksfreund fort. Sie haben 10 000mal recht. Ich habe sie immer verteidigt und werde sie immer verteidigen... Was wollen diese Frauen eigentlich? Sie wollen respektiert werden..."

" So ist es, so ist es," unterbrachen ihn viele von uns. Sie wollen respektiert sein und wir müssen sie respektieren," fuhr Don Circostanza fort, denn sie verdienen es auch. Alles Bösartige liegt ihnen fern. Sie haben verstanden, daß das Gesetz gegen sie ist und sie wollen sich nicht gegen das Gesetz auflehnen.. Sie suchen einen freundschaftlichen Vergleich mit dem Podesta. Sie wenden sich an sein gutes Herz... Sie wenden sich nicht an den Gemeindevorstand, aber an den Wohltäter, den Menschenfreund, den Freund des Volkes, der unserem Bezirk alles gespendet hat, ohne etwas dafür zu bekommen... Ist in dieser Sache ein Ver­gleich möglich?... Ja, er ist möglich."

Als Don Circostanza aufgehört hatte zu unseren Gunsten zu sprechen, kam es zu verschiedenen Kompromiß- Vorschlä­gen. Einen Vorschlag machte Kanonikus Don Abbacchio, einen anderen der Notar, einen dritten der Steuereinneh­mer. Aber es waren unmögliche Vorschläge, denn sie be­rücksichtigten weder die Wassermenge des Baches, noch das zur Bewässerung nötige Quantum.

Der Impresario schwieg und ließ die andern reden. Schließlich schlug Don Circostanza die einzig mögliche Lösung vor:

Diese Frauen sagen, daß die Hälfte des Baches für das Bewässern ihrer Böden nicht genügt. Sie wollen mehr als die Hälfte, wenigstens glaube ich, damit ihre Bedürfnisse gut zu umschreiben... Sie haben recht, 10 mal, 100 mal, 1000 mal recht... Aber auch der Podesta hat recht. Hier gibt es nur eine einzige Lösung. Man muß ihm dreiviertel des Wassers lassen und die dreiviertel, di übrigbleiben, find dann für die Fontamaresen... So haben die einen wie die andern dreiviertel, also etwas mehr wie die Hälfte... Das ist die einzige, die einzigste Lösung...

Fröhliche Geschichten

von Gaunern Lachende Schwindler

Das kleine Autowägelchen stoppt. Die Insassen können der Versuchung nicht mehr widerstehen, einen der schwer mit Früchten beladenen Kirschbäume am Wege zu er= flettern. Sie wenden sich an den Mann, der einen der Bäume fleißig plündert. Können wir hier auch ein paar Kirschen runterholen?" " Jawohl," erlaubt der Mann, kletternſe man auf einen Baum rauf!"

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Die beiden lassen sich das nicht zweimal sagen. Bis fie nicht mehr können. Unten wieder angelangt, rufen sie dem freundlichen Manne oben in den Zweigen zu: Vielen Dank auch! Dürfen wir dafür etwas zahlen?"

" Ja, Sie dürfen."

Gehören ihnen die Bäume alle." I wo, id flau ja ooch!"

Im Osten Berlins   eine kleine Gaststätte. Hier speiste viel hungriges Volt, denn das Essen war sauber und wohl­schmeckend. Ueber der Tür stand einladend auf dem Schild: " Wie bei Muttern zu Hause."

Da fehrte auch einmal ein recht windiger Geselle ein, ließ sich vom Besten auftragen und verzehrte es mit gutem Appe­tit. Als er gesättigt war, nahm er gemächlich den Hut vom Nagel und wollte sich entfernen.

Der Wirt lief auf ihn zu und verlangte die Bezahlung der Zeche.

" Ja, wieso denn," meinte der Gast, hier steht doch aus­drücklich: Wie bei Muttern zu Hause", und dort zahle ich auch nicht." Als der Wirt ihm hierauf seinen Standpunkt Klarmachte und bereits die Hand an den Kragen des Gastes" legte, sagte dieser:

Vielleicht haben Sie recht. Ich habe aber kein Geld. Als ehrlicher Mann will ich Ihnen aber drei Vorschläge machen. Erstens: Lassen Sie mich ziehen. Ich bettle mir hier in der Nähe das nötige Geld zusammen, komme und bezahle. Zweitens: Wenn Sie mir aber nicht trauen sollten, so begleiten Sie mich auf meinem Bettelweg, bis ich die von Ihnen geforderte Summe zusammen habe. Drittens: Paßt es Ihnen aber nicht, sich mit mir öffentlich zu zeigen, so betteln Sie heute an meiner Stelle, bis Ihr verlangter Betrag zusammen ist, und sehen Sie wenigstens zu, daß für mich noch ein anständiger Rest bleibt..."

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Zwei Sträflinge tuscheln auf dem Gefängnishof: Wie­viel Jahre?"" Behn."" Wofür?"" Hab' die Bank Macaire ausgeplündert!"- Komisch! Ich hab' fünf Jahre, weil ich sie gegründet habe!"

Eine halbe Stunde vor Heidenreichstein   in Niederöster­ reich  . An der Straße sißt einsam ein alter Mann. Ich frage ihn nach dem Weg so ergibt sich das Gespräch. Wer er sei? Und was er hier tue?

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,, Nix bin t," erzählte er, arbeitslos bin i un im Ges meindekotter sig i in Heidenreichstein   Untersuchungshaft. Einen Brief war i tragen an den Herrn Tierarzt nach Gmünd  , vier Stunden weit."

Und warum sißen Sie in Untersuchungshaft?" " 3 wegen Fluchtverdacht."

Ich sehe ein, daß mein Vorschlag den Podesta außerordent­lich schädigt, aber ich appelliere an sein gutes Philantropen­herz, an den Menschenfreund, der gewohnt ist zu geben, ohne zu nehmen..."

Don Ciccone, Don Cuccavascio, Don Tarandella, Don Pomponio und der Hauptmann scharten sich, von ihrer Angst erholt, um den Impresario und flehten ihn an, sich für uns zu opfern. Auch der Denker" schloß sich, nachdem er kura gedacht hatte, ihren Bitten an. Nachdem er sich lange genug hatte bitten lassen, gab der Impresario nach.

Ein Bogen Papier   wurde gebracht.

Der Notar schrieb die Kompromißformel auf, die er vom Impresario, vom Hauptmann der Carabinieri, von Don Circostanza als Vertreter der Fontamaresen unterzeichnen Iteß.

Danach begaben wir uns auf den Heimweg.

( In Wirklichkeit hatte keine von uns verstanden, worin praktisch der endlich erreichte Vergleich bestand).

In den darauffolgenden Tagen begannen die Straßen­wärter, unter dem Schuß zweier Carabinieri, den Graben weiter auszuheben, der einen Teil unseres Wassers in die vom Impresario erworbenen Felder leiten sollte. Aber die Frage war eben, welchen Teil?

,, Unsere kümmerliche Bildung hinderte uns"- fuhr nun der Alte weiter zu verstehen, wie man das Wasser in zwei Teile, jeden zu drei Viertel, teilen konnte. Selbst die Frauen, die den Vertrag angenommen hatte, waren sich un­eins, worauf er tatsächlich beruhte: einige behaupteten, das Wasser würde in zwei gleiche Teile geteilt, andere, Fonta­mara würde den größeren Teil der Hälfte, das heißt die drei Viertel behalten und Generale Baldissera wollte uns schließlich überzeugen, daß die drei Viertel sich auf Mond­phasen bezögen, in dem Sinne, daß der Bach die Ländereien der Fontamaresen während dreier Mondphasen bewässert hatte, nun die des Impresario in den drei folgenden daran kämen und so weiter. Wir hielten den Kampf gegen den Impresario für aussichtslos und darum war offen ge­

standen keiner von uns darauf versessen, ihn fortzuführen. Vielmehr beschäftigte jeden, wie er möglichst viel des weni­gen Wassers für sich bekäme, zum Ehaden der andern. Es hatte zwar noch etliche Wochen Zeit, bis die Wasserfrage afut war aber der Arafeel und die Diskussionen be­gannen sofort.

( Fortsegung folgt)