Reichstagsprozeß in Leipzig

Fortsetzung aus Nr. 82

Zweiter Verhandlungstag

Lubbe und die Polizei

Leipzig , 22. September.

Ueber das Benehmen des Angeklagten nach seiner Fest­nahme in Berlin erklärt der 3euge Kriminal- om­missar Heisig: Zunächst gab es bei der Vernehmung fleine Schwierigkeiten, weil van der Lubbe ja noch aufge= regt und erschöpft von den vorhergegangenen Dingen war. Aber sehr schnell schon gegen 12 Uhr nachts- war er zu einer fließenden Unterhaltung bereit. Es war bemerkens­wert, mit welchem Interesse er selbst über die Dinge sprach und wie er mir alles genau erklärte. Wenn ihm das Proto­foll seiner Aussage vorgelegt wurde, so erbat er hier und da Korrekturen und erklärte dann eingehend, warum er diese oder jene Fassung lieber in das Protokoll aufgenommen sehen möchte. Dieses interessierte Verhalten behielt er bei, sclange er bei der Polizei war. Als ich, fuhr der Zeuge fort, nach der ersten Führung van der Lubbes durch das Reichs­ tagsgebäude noch einmal mit ihm durch den Reichstag gehen mußte, zeigte er sich außerordentlich gut orien= tiert. Er hat tatsächlich uns geführt. Ueber die Brandstel­Ien wußte er besser Bescheid als ich.

Weiter erklärte der Zeuge: Bei seiner ersten Vernehmung gleich nach der Tat war van der Lubbe keineswegs nieder­geschlagen, sondern er hat ganz offen und frei bekannt, daß er die Reichstagsbrandstiftung gemacht hätte und auch dafür einstehen wolle. Er fragte, ob die Sache auch in die hol= ländischen Zeitungen fäme. Als ich das bejahte, sagte er erfreut: Soists recht!" Er habe mit seiner Tat die Arbeiter aufrütteln wollen, die schon viel zu lange ge= zögert hätten. Um die bestehende Ordnung des Staates zu stürzen, müsse man gewaltsam vorgehen. Als Ziel des Kamp­fes bezeichnete er die Arbeiterregierung.

Rätselhaft

Die Vernehmung des Zeugen Heisig ist damit vorläufig beendet.

Der Oberreichsanwalt verweist auf die Mitteilung eines holländischen Nachrichtenbüros, das eine Erklärung der Familie van der Lubbe verbreite, wonach diese mit Bestür­zung erfahren habe, daß ihr Brief an den Angeklagten, wo­rin sie dem Angeklagten dringend die Annahme des Rechts­anwalts Stomps als Verteidiger angeraten haben, an van der Lubbe nicht ausgehändigt worden set. Das habe zur Folge gehabt, daß Lubbe in seinem Miß­trauen gegen aufgezwungene Verteidiger auch diesen Ver­teidiger abgelehnt habe. Die Familie habe sich in diesem an den Reichspräsidenten Zusammenhang telegrafisch von Hindenburg gewandt, um diesen dringend um eine Ver­mittlungsaktion beim Reichsgericht zu ersuchen, daß der Brief an Lubbe ausgehändigt werde.

Vorsitzender: Haben Sie in den letzten Tagen von Ihren Angehörigen einen Brief bekommen, in dem Ihnen geraten wurde, den Rechtsanwalt Stomps als Verteidiger anzunehmen?

Der Angeklagte Lubbe wird unmittelbar vor den Richtertisch geführt und gefragt. Er antwortet zunächst mit nein. Als die Frage wiederholt wird, sagt er leise i a", und auf die weitere Frage, wo sich der Brief befinde, erwidert er: Im Gefängnis.

Vorsitzender: Dann haben Sie ihn also bekommen. Stand in diesem Brief, was ich eben gesagt habe? Lubbe: Ja. Oberreichsanwalt: Der Gefängnisvorsteher hat selbst den Brief dem Angeklagten van der Lubbe übergeben und kann befunden, daß Lubbe nach Uebergabe des Briefes erklärt hat: Ich will den Verteidiger Stomps nicht haben.

Der Vorsitzende, Präsident Dr. Bünger, unterbricht dann die Verhandlung durch eine Pause von 20 Minuten, um R.-A. Stomps Gelegenheit zu einer Aussprache mit dem Angeklagten zu geben.

Um einen Verteidiger

Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen teilt Präsi dent Bünger mit, daß von morgen ab im Saale ein Lautsprecher angebracht werden soll, um die Verhand­Inng namentlich der Presse besser verständlich zu machen.

Es werden dann zunächst die Briefe, die in der Verteidiger­frage vorliegen, zur Verlesung gebracht. Gefängnisdirektor Dieße, der als Zeuge vernommen wird, legt den Brief der Angehörigen van der Lubbes dem Gericht vor und teilt mit, daß er ihn soeben vom Tisch der Zelle des Angeklagten ge­nommen habe. In dem Brief heißt es u. a.: Die Familie hat in Verhandlungen mit Rechtsanwalt Pauwels gestan­den, um Dich verteidigen zu lassen, Sie hat aber jetzt ihr volles Vertrauen Rechtsanwalt Stomps gegeben. In der Zeitung stand, daß Du jegliche Verteidigung ablehnst. Aber wir bitten Dich dringend, Stomps als Rechtsanwalt anzunehmen. Er steht nicht im Dienste einer politischen Par­tet und wird Deine Interessen so wahren, wie Du es selbst wünschst. Ich schreibe dies im Namen der ganzen Familie, die Dir herzliche Grüße sendet. Der Brief ist unterzeichnet: Simon.

Senatspräsident Dr. Bünger: Der Fall dürfte damit aufgeklärt sein. Ich frage nun den Angeklagten van der Lubbe: Haben Sie soeben mit Herrn Stomps gesprochen? Van der Lubbe schüttelt den Kopf, worauf R.-A. Dr. Seuffert, der Offizialverteidiger van der Lubbes, erklärt: Er hat mit ihm gesprochen!

Der Oberreichsanwalt bittet, R.-A. Stomps selbst als Zeugen zu vernehmen. Der Senat schließt sich dem an. R.-A. Stomps erklärt, daß die Untersuchung statttge= funden habe. Der Offizialverteidiger hat mir Gelegen­heit gelassen, allein mit Lubbe zu sprechen, also nur in Ge­genwart des Dolmetschers. Ich habe auf verschiedene Art und Weise versucht, einige Worte aus ihm herauszubekom­men. Er hat es völlig verweigert, mir eine Antwort zu geben.

Homosexuell?

Auf eine Frage des Verteidigers von Torgler , R.-A. Dr. Sack, bestätigt R.-A. Stomps, daß von allen Freunden und Bekannten des Angeklagten van der Lubbe entschieden be= stritten worden sei, daß van der Lubbe homosexuell ver­anlagt sei. R.-A. Dr. Sack: Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil in dem sogenannten Braunbuch nur der An­fang des Sazes steht:" Ich habe ein halbes Jahr mit van der Lubbe zusammengewohnt". Die entscheidende Fort­segung aber: und ich kann sagen, daß er nicht homosexuell ist," ist im Braunbuch unter den Tisch gefallen. Welche Schlüsse aus dieser Weglassung gezogen werden müssen, ist ja verständlich.

Fememörder Schulz

Oberreichsanwalt Dr. Werner verliest hrerauf einen von Oberleutnant P. Schulz eingegangenen Brief, in dem Oberleutnant Schulz die in der Weltbühne" aufgestellte Be­hauptung zurückweist, daß er an der Reichstagsbrandstiftung beteiligt sei. Oberleutnant Schulz weist darauf hin, daß er zur Zeit des Reichstagsbrandes sich in Tuzing am Starnberger See wegen einer Nierenerkrankung in ärztlicher Behandlung befunden habe. Auf eine Frage des Vorsitzenden erklärt Sachverständiger Professor Dr. Bonnhoeffer, eine Pyromanie liege bei dem Angeklagten van der Lubbe nicht vor. Er sei also nicht insofern geistes­erkrankt, daß er einen unwiderstehlichen Zwang verspüre, Feuer anzulegen.

Holländische Freunde

Der Vorsitzende erklärt es für notwendig, nur die Frage zu untersuchen, ob van der Lubbe eine gewaltsame Aenderung der gegenwärtigen deutschen Verfassung erstrebe

und dafür eine Staatsverfassung nach dem sowietrussischen Vorbild erreichen wolle. Oberreichsanwalt Dr. Werner verliest zu diesem Thema Briefe holländischer Freunde van der Lubbes. In einem Brief heißt es u. a.: Lieber Kamerad! Dieser Brief hat die Aufgabe, Dir namens des internatio nalen Proletariats, das mit Deinen Ansichten solidarisch ist, brüderliche Grüße zu übermitteln. Dein Verhalten während der Tat hat Anlaß zu ernsthaftem Nachdenken und zu Dis­fuffionen in jeder Strömung der Bewegung gegeben."

Dr. Sack stößt vor

R.-A. Dr. Sack fragt den Angeklagten, ob er im Sep­tember 1932 im Haag in einer Versammlung streikender Chauffeure sich dahin ausgesprochen habe, man müsse gegen den Willen der Kommunistischen Partei Terroraktionen aus­führen. Van der Lubbe erklärt: Das glaube ich nicht.

Es wird dann noch einmal eine kurze Pause einge­legt, in der geprüft werden soll, inwieweit Teile einer Broschüre verlesen werden können, die dem Angeklagten aus Holland zugesandt worden ist. Nach der Pause gibt R.-A. Dr. Sack eine Erklärung ab, in der es u. a. heißt: Mir ist während der Pause Mitteilung gemacht worden, daß in Südamerika in den Rio- Blättern ein Bericht er­schienen ist, in dem das Gerichtsverfahren, das hier unter Ihrer Leitung stattfindet, Herr Präsident, dargestellt wird als ein Theater und daß man nur zugunsten der Nazis den Reichstagsbrand ausschlachten wolle.

Als deutscher Anwalt fühle ich mich verpflichtet, dies in aller Deffentlichkeit dem Gericht zu melden. Es scheint mir eine selbstverständliche Pflichtausübung, wenn diesen Berichterstattern, die solche Tendenzmeldungen in die Welt setzen, und denen wir als Gäste bereitwilligst zu: gestanden haben, an diesem Verfahren, das in seiner ernsten Würde durch kein anderes Gericht überboten werden kann, teilzunehmen, die Freizügigkeit entzogen wird.

Senatspräsident Dr. Bünger: Ich habe schon in meinen einleitenden Worten hervorgehoben, daß es eine Selbst­verständlichkeit ist, daß das Reichsgericht unabhängig und nur nach Recht und Gesez urteilt. Das immer wieder zu wiederholen lehne ich, ab; denn es ist eine Selbstverständ­lichkeit.

Der Vorsitzende und der Oberreichsanwalt sind der Auffassung, daß in diesen Fällen möglichst die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen müsse, und bitten R.-A. Dr. Sack, ihnen die entsprechenden Blätter mitzuteilen.

Eine Broschüre

Die Broschüre wird hierauf verlesen. Sie ist von den Brüdern und Stiefbrüdern van der Lubbes verfaßt und verbreitet worden. In der Broschüre wenden sich die Ver­fasser mit großer Leidenschaft gegen die Behauptung, daß van der Lubbe ein faschistischer Spizel sei. Ueber seine poli­tische Gesinnung heißt es u. a.:

Sein Interesse ist auf Spartakus gerichtet; doch i st er nie Mitglied gewesen. Er bemühte sich, die Einheit der Arbeiter durch Herausgabe von Pamphleten zu stärken." An anderer Stelle der Broschüre heißt es, daß, wo er eine Gefahr für andere sah, Lubbe sich selbst aufopferte, ohne einen Gegendienst zu verlangen. Er sei aus keinem anderen Grund jemals mit dem Gesez in Konflikt geraten als wegen seiner Grundsäße. Die Versammlung wird dann auf Sams= tag 9.30 Uhr vertagt. Die Verhandlung über die Persönlich­feit des Angeklagten van der Lubbe ist jetzt abgeschlossen und das Gericht will, ehe zu der Tat selbst übergegangen wird, zunächst die Persönlichkeiten der anderen Angeklagten feststellen. In der Samstagsizung wird also das Vorleben des Angeklagten Torgler im Mittelpunkt der Verhand­lungen stehen.-

D

Strenge Kontrolle an einem Portal des Reichsgerichts. Alle Passanten müssen sich ausweisen und werden nach Waffen untersucht.

Geiseln

Die Staatspolizeistelle Köln teilt mit:

" In der Nacht zum 20. September wurden in einigen Straßen der Kölner Altstadt Reklameschilder von Zigaretten­fabriken zerstreut aufgefunden. Auf ihrer Rückseite waren hoch verräterische Aufschriften, vermutlich mit einem Gummistempel aufgedruckt. Vier Personen konnten wegen Verdachts der Verbreitung dieser Heßschriften vor­läufig festgenommen werden. Sie werden einem Kon­zentrationslager zugeführt. Die Staatspolizeistelle Köln hat außerdem als Vergeltungsmaßnahme die Ueberführung weiterer Kommunisten in ein Konzentrationslager angeordnet."

Begierbild: Wo ist der Reichstagsbrandstifter?

Monströse Razzia in Harburg ( Inpreß.) Zweitausend Wohnungen sind in dem roten Viertel" Hamburgs durchsucht worden. Hundert Polizei­beamte und mehrere 1000 SA.- Leute führten die Operation durch. Das ganze Viertel wurde umstellt. Es wurden Waffen gesucht, und es wurde in 2000 Wohnungen folgendes gefun­den: 4 Gewehre, 6 Bajonette, 2 Revolver, 10 Dolche und 6 Gummiknüppel.

Ein ungeheures Waffenlager Polizei und SA.

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in der Fantasie der

Hohenzollernbündler eingesperrt

Wie die Pressestelle der Stadt Krefeld mitteilt, ist in Kre­ feld der Bundesführer des Hohenzollernbundes, Front der Kaiserlichen, Friedrich Karl Schmitz, in Schutzhast genommen worden. Diese Maßnahme richtet sich nicht gegen den Bund, sondern nur gegen die Person des Schmitz. Dieser hatte, nachdem in der vergangenen Woche eine Versammlung des Hohenzollernbundes von dem Gladbach- Rheydter Polizeipräsidenten verboten worden war, eine Anzahl Flug­blätter verbreitet, in denen er Vorwürfe und Verdäch­tigungen verallgemeinernder Art gegen führende Personen und Stellen der Gladbacher NSDAP . erhob.