DAS BUNTE BLATT

NUMMER 851. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS BEILAGE

Die Bisse des Gewissens

Wunder der Efirlicikeit in USA  .

Hätte Diogenes   sich kürzlich nach Neuyork begeben und sich mit seiner Laterne auf die Suche gemacht, so hätte er den ehr­lichen Menschen gefunden, nach dem er suchte, dieser brave Mann schickte nämlich 300 Dollar in Papiergeld an das Schazamt zu Washington  .

Seit Beginn dieser schlechten Zeiten gehen solche Ge­wissensgelder" spärlicher ein, und dies war die einzige Zah­lung der letzten drei Jahre von nennenswerter Höhe. Die Zeiten haben sich auch in diesem Punkt geändert, seit sich auf dem Schazamt eines schönen Morgens ein Bündel in gelbem Packpapier vorfand, das 30 000 Dollar ent= hielt. In einem beigefügten Brief erklärte der Sender, er habe nunmehr zusammen 80 000 Dollar zurückbezahlt, den pierfachen Betrag, den er der Regierung entwendet hätte. Zuweilen ist ein überspanntes Gewissen augenscheinlich, wie in dem Fall eines Mädchens, das einen Scheck auf 840 Dollar an das Schazamt schickte, da sie während des Weltkrieges als Schreiberin bei der Einziehungsbehörde er­mutigende Zuschriften auf die Gestellungsbefehle geschrieben hatte, ohne zu beachten, daß gebührenfreie Postsendungen nicht für private Mitteilungen benüßt werden dürfen. Sie hatte thren Namen angegeben und das Schabamtschickt thr das Gelb zurüd.

Behn Jahre nach dem Kriege schickte ein Veteran 110,76 Dollar mit eingehender Aufzählung kleiner Beträge, die er unterschlagen oder an Sachen entwendet hatte, nebst 3insen. Im Jahre 1888 hatte ein 18jähriges Bürschchen sich auf ber Pferdebahn seltgen Angedenkens' durchgeschmuggelt. Vor einiger Zeit erhielt die Bahn aus Norfolk   im Staate Virginia   den Nickel sowie dret wettere als Zinsen. Das Ge wiffen hatte ihm keine Ruhe gelassen. Solche Fälle sind bei Bahngesellschaften nichts Seltenes. Ein Mann machte eine wette Reise, um auf dem Bahnhof zu Dover   im Staate New Jersey   2,50 Dollar zu zahlen, um die er vor einem Vierteljahrhundert die Lackawanna- Bahn geprellt hatte. Eine andere Gesellschaft erhtelt von einem früheren Schaffner awet Dollar für Nickel, die der gute Mann hatte verschwinden laffen. Aus Syracuse   schickte ein Mann einen Dollar, um Jein Konto in Ordnung zu bringen, bevor er stürbe, und eine Frau sandte 450 Dollar mit der Erklärung, ihre Eltern hätten sie als Kind oft als viel jünger ohne Fahrkarte durch­geschmuggelt.

Der Gewissensfonds" der Regterung wurde unter Präsident Madison eingerichtet und ist auf über 600 000 Dollar angewachsen. Als Präsident Madison eines Morgens die Briefschaften durchging, flatterte ein Fünfdollarschein auf den Tisch. Der unbekannte Absender erklärte, daß er die Regierung betrogen hätte. Auf ein solches Ereignis war die Regierung nicht vorbereitet, und so ordnete der Präsident an, daß ein Gewissensfonds" eingerichtet würde.

Vor einigen Jahren nahm etn Veteran des Bürgerkrieges in Indianta einen Pastor betseite und beichtete, daß er schreckliche Gewissensbisse erlitten hätte, denn als er die Armee verließ, hätte er einen Maulesel mitgenom­men, der dem Staate gehörte. Er gab dem Pastor 200 Dollar. Ein anderer schickte der Regierung eine Ent­schädigung, da er sie bei einem Pferdehandel beschummelt hätte.

Ein rührender Brief traf 1869 etn. ,, An Se. Majestät Prä­fident Cleveland! Ich bin in schrecklicher Stimmung. Vor

Sontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  

Wir wollen den Minister sprechen," sagte Berardo zu ben Wache haltenden Carabinieri.

Sofort warfen sich diese auf ihn, als wenn er einen schweren Fluch ausgestoßen hätte, und versuchten ihn in den Torbogen zu ziehen. Aber wir flammerten uns an ihn und so entstand ein Handgemenge. Aus dem Innern des Palastes eilten viele Leute herbei, unter ihnen Don Circostanza, sicht­lich betrunken, die Harmonika- Hosen im dritten Stadium. Niemand lasse es gegen meine Fontamaresen an Respekt fehlen! Behandelt sie gut, meine lieben Fontamaresen!...," begann er zu grölen.

Die Carabiniert Iteßen uns los. Don Circostanza trat unter uns und wollte uns einen um den andern umarmen

und küssen.

etwa zwei Jahren benützte ich zwei Freimarken, die schon gebraucht waren. Ich war mir nicht darüber klar, was ich tat. Nun muß ich Tag und Nacht daran denken. Lieber Prä­sident! Wollen Sie mir bitte vergeben? Ich will es nie wieder tun. Beiliegend den Betrag für drei Frei­marken, und bitte, vergeben Sie mir, denn ich war erst dreizehn Jahre alt, und es tut mir so leid, daß ich es getan habe. Von einem Ihrer Untertanen."

Der Brief zeigte eine Mädchenschrift und trug einen Post­stempel aus dem Staate Ohio  . Es wurden die größten An­strengungen gemacht, den Absender zu finden, denn der Präsident wollte das Mädchen als Gast im Weißen Haus  begrüßen. Allein sie wurde nie ermittelt. Vielleicht erfuhr sie aus den Zeitungsmeldungen, daß der Präsident ihr die Sünde vergeben hatte und es sogar bedauerte, sie nicht fin­den zu können.

Der Sender gibt seinen Namen selten bekannt und hält es nicht für notwendig, da die Erstattung des Geldes seine Seele befreit. Manche reuige Sünder glauben an das Bibel= wort: Auge um Auge, Zahn um Zahn." So schickte jemand drei Glühbirnen als Ersatz für solche, die er gestohlen hatte. Ein anderer schickte einen Schiebemaßstab.

Ein Mann sandte acht Tausenddollarscheine ein, doch von jedem Schein die Hälfte. Er hatte Vertrauen in sein Ge­wissen, doch nicht zur Regierung, und verlangte eine öffent­Itche Empfangsbestätigung. Als diese erfolgte, schickte er die zurückbehaltenen Hälften.

Was es alles gibt

Wo blieb Sofiiffers Bibliothek

Jm Annuaire du bibliophile vom Jahre 1868 fand sich eine Notiz, nach der die Bibliothek Friedrich Schillers, 144 Bände mit einem Verzeichnis von der Hand des Dichters selbst um­faffend, 1862 durch die Buchhandlung J. S. Mayer in Ham­ burg   angekauft worden sei. Da sich in Deutschland   kein Ab­nehmer gefunden habe, seien von einem englischen Sammler 600 Taler geboten worden, doch habe die Buchhandlung, da sich gegen einen Verkauf ins Ausland gewichtige Stimmen erhoben hätten, das Angebot abgelehnt und sei auf den Aus­zu

weg einer Verlosung verfallen. Von 150 Rosen au 150 Florins habe man 101 abgesetzt; der glückliche Gewinner sei ein Justizbeamter namens H. A. Helmcke gewesen. Paul Eng­lisch, dem der Fund dieser Mitteilung in der französischen  Zeitschrift geglückt ist, erhebt daraufhin in der Zeitschrift für Bücherfreunde" die Frage, ob diese Angaben stimmen und wo die im Besitz Schillers gewesenen Bände geblieben sind?

Neue Nagelmode

Aus Paris   tommt die Nachricht, daß eine neue Nagel­mode" aufgenommen wird. Die Nägel sollen nicht mehr rot, auch nicht mehr perlmutter lackiert werden, sondern schwarz. Schwarzer Lack läßt sich besser als andere Lack­arten auftragen und dürfte die Weiße der Hand noch besser unterstreichen. Es ist kaum anzunehmen, daß die neue Mode­torheit Schule machen wird, denn ein schwarzer Nagel wird bestimmt nur unangenehm auffallen.

,, Wie ist das Land verteilt worden?... Was werden die Cafont von Fontamara davon bekommen?"

" Wann wird die Aufteilung beginnen?..." fragte Berardo weiter.

Das Land soll nicht geteilt werden. Der Minister und der Vertreter der Cafoni haben festgestellt, daß der Fucino schon viel zu viel parzelliert ist... Es gibt im Fucino schon viel zu viel kleine Pächter... Der Minister und der Ver­treter der Cafont haben beschlossen, daß diese Kleinpächter verschwinden müssen. Viele haben als frühere Frontkämpfer das Land erhalten. Aber das ist kein ausschlaggebender öko­nomischer Gesichtspunkt..."

,, Stimmt," unterbrach Berardo, im Krieg gewesen zu sein, heißt noch nicht, etwas von Landarbeit verstehen. Die Haupt­sache ist die Bearbeitung des Bodens. Der Fucino gehört dem, der ihn bebaut, das ist Don Circostanzas Grundsatz."

Das ist auch der des Ministers," fiel der Beamte ein. Der Fucino dem, der ihn bebaut... Der Fucino dem, der die Mittel hat, ihn zu bebauen oder bebauen zu lassen... Mit anderen Worten: der Fucino dem, der genügend Kapital hat... Der Fucino muß von den armseligen kleinen Leuten

Wir wollen den Minister sprechen," baten wir den Freund befreit und den reichen Bauern übermacht werden. Die­des Volkes.

" Der Minister ist schon wieder weg," war die Antwort. " Wir wollen wissen, was aus dem Fucino geworden ist," fügte Berardo hinzu.

Don Cirostanza Iteß uns von einem Carabiniert in das Büro des Prinzen Torlonia begleiten und dort fanden wir einen Beamten, der uns erklärte, was daraus geworden war. Hat die neue Regterung die Frage des Fucino gelöst?," fragte Berardo.

Ja, es ist erledigt, und zwar zur Befriedigung aller," antwortete der Beamte.

Warum hat man uns nicht zur Besprechung gerufen? Warum hat man uns auf dem Plaz stehen lassen?" fragte Pontius Pilatus  .

Der Minister konnte doch nicht mit 10 000 Cafoni spre­chen... Aber er hat mit euren Vertretern unterhandelt," antwortete der Beamte.

Wer war denn der Vertreter der Cafoni?," fragte ich. ,, Cavaliero Pelino, Hundertschaftsführer der Miliz," war die Antwort.

jenigen, die feine großen Mittel haben, haben auch kein Recht, im Fucino Land zu pachten."

Was hat denn unser Vertreter dazu gesagt?" fragte ich. Cavaliero Pelino, Vertreter der Cafoni, ist auch dafür eingetreten, daß die Cafoni im Interesse der nationalen Produktion kein Land mehr pachten dürfen," antwortete der Beamte... Um das zu erreichen, hat er vorgeschlagen, den Pachtzins der großen Pächter zu verkleinern und den der fleinen um 20 Prozent zu erhöhen. Der Zins soll künftig in Naturalien erfolgen, vor allem in Zuckerrüben, deren Preis von der Verwaltung Torlonia bestimmt werden wird Für die kleinen Pächter, die keine Rüben bauen, ist die Pacht auf 720 Lire pro Hektar festgesetzt worden... Ich kann euch noch mitteilen, daß die Vorschläge eures Vertreters restlos und mit Freuden angenommen wurden und daß sämtliche Cafoni des Fucino in Avezzano   zusammenkamen und ihre Zustimmung durch begeisterte Afflamationen für den Mini­ster, den Präfekten   und die anderen Beamten bekundet haben... Wollt ihr noch mehr wissen?"

Alles ist klar," antworteten wir.

MITTWOCH, DEN 27. SEPTEMBER 1933

Anekdoten

Die Schülerin

Am Wiener Burgtheater   gab es eine vorbildliche Ehe zwischen der Schmittlein und dem Schauspieler Prechtler. Die Zärtlichkeit zwischen beiden war fast sprichwörtlich in Wien  , und als die um etwa fünfzehn Jahre ältere Künst lerin starb, zitterte alles um das Leben von Otto Prechtler  . Wie würde er den Schlag aushalten?

Zum nicht geringen Erstaunen der Wiener   erschien Otto Prechtler   nicht lange nach der Beerdigung in der Be­gleitung einer jungen Dame, die er als seine Schülerin vor­stellte. Hartnäckig. Namenlos. Ein Jahr lang. Einmal, an­läßlich einer Feierlichkeit im Burgtheater, erscheint der Fürst Montenuovo. Otto Prechtler   hat wieder die junge Dame bet sich, die nicht von seiner Seite weicht. Und wieder stellt er vor: Exzellenz, gestatten gütigst meine Schülerin!" Exzellenz lächelt leutselig und geht vorbei.

Georg Reimers   aber sieht Prechtler vorwurfsvoll an und sagt: Aber Otto! Kann sies denn noch immer nicht?!" Die neue Sachlichkeit

Carl Sternheim   ist ein sehr eigenartiger Herr. Alles tann er vertragen- nur nicht die Mutmaßung, daß er nicht der unbedingt wichtigste lebende Dichter ist und daß das Publikum sich etwa noch für andere Dramatiker er­wärmen könnte als für Carl Sternheim  . Bei Erich Ziegel  , dem Direktor der Hamburger Kammerspiele  ( der als der avantgardistische Theaterleiter Deutschlands   für Sternheim  als einer der ersten mit Entschiedenheit eingetreten war), wird ein spätes Lustspiel des Autors, Die Schule von Uznach  " einstudiert. Sternheim   ist auf den Proben, kann sich vor Dankbarkeit gegen Ziegel nicht fassen und dediziert ihm das Buch mit einer enthusiastischen Widmung Dem leben­digsten Förderer der deutschen   Dramatik in unauslöschlicher Bewunderung und Dankbarkeit Carl Sternheim  ."

Das Stück wird gespielt, hat einen netten Achtungserfolg, macht aber gar keine Kasse. Ziegel sieht sich infolge leerer Häuser gezwungen, es nach ein paar Tagen abzusetzen. Darauf kommt ein wütender Brief des Dichters, gefolgt von einem Telegramm, das das Widmungsexemplar zurück­erbittet.

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Biegel, mit seinem weisen, gütigen Lächeln, packt das Büch lein eigenhändig ein nicht ohne vorher mit bedächtiger Feder unter die Widmung das Zitat aus dem Lustspiel ge­setzt zu haben: Die neue Sachlichkeit will gelernt sein!"( Carl Sternheim  , Schule von Uznach  , letzter Aft, letzte Szene.) Erich Ziegel  .

Laden nicht verfernen Verfälschte Butter

Marie B. tritt in den Verhandlungssaal. Sie ist eine But terstandlerin auf dem Kremser Wochenmarkt.

Richter: Sie haben Butter verfälscht, hab'n S' pantscht?" Angeklagte: Bei uns dahoam wird net pantscht, bei uns wird nur anständi buttert."

Richter: Sie sind ledig, haben Sie schon ein Kind?" Angeklagte: Ja."

Richter: Jezt werden Sie auch noch eine Strafe dazu friegen."

Angeklagte( entrüftet): Do müss'n' scho den Franzl strofa   von der Gendarmerie, wän der is da Voada..."

Ein schlechter guter Freund. Ja, lebst Du noch? Man sagte mir, Du wärest schon längst gestorben."- Na, Du bist mir auch ein netter Freund dann warst Du also nicht einmal bei meinem Begräbnis!?"

Alles war klar.

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Die Straßen waren voller Licht. Es war spät geworden, aber die Wege waren taghell erleuchtet. Alles war flar. Avezzano   bot einen seltsamen und verwirrenden Anblick, es schien uns wie eine Welt, die eben toll werden will. Ich sah Leute, die sich in den Cafes und in den Wirtshäusern gütlich taten, die sangen, tanzten, sinnlose und dumme Dinge plärr­ten, und ich mußte mich bemühen, das eben Erlebte zu glauben. Ich fragte mich, ob das nur zum Schein geschah oder ob alle, ohne es bemerkt zu haben, einfach verrückt geworden

waren.

Aus den Wirtschaften drang, mit dem Geruch gebackener Fische, der Gesang Betrunkener. Wir hatten Hunger und Durst, aber diese Gasthäuser widerten uns an.

Die

Die Städter amüsierten sich," sagte Berardo.. Stadtleute sind lustig... Sie trinken... sie essen... den Cafoni zum Hohn..."

Wtr ließen sie machen. Niemand von uns hatte Lust, sich zu wehren. Wir verstanden nichts mehr. Wir waren in einer fremden Welt. Wir waren unter die Städter geraten.

Die Burschen ließen uns wieder stehn und zogen mit der ,, Iuftigen Therese" nach der Melodie des Garibaldiliedes wetter.

Da näherte sich ein Herr, der uns seit einiger Zeit gefolgt war. Er war gut gekleidet, seine Haare und sein Bart waren rot, am Kinn hatte er eine Narbe.

Ihr seid aus Fontamara?" fragte er. Wir antworteten ihm nicht.

Wißt ihr, daß die Behörden vor euch Angst haben? Sie wissen, daß ihr gegen das Regime seid..." Wir ließen ihn reden.

Aber ihr habt recht. Ihr tut gut daran, euch aufzulehnen. So kann es nicht weitergehen.. Kommt, laßt uns ruhig zusammen sprechen."

Der Herr bog in eine Seitenstraße ein. Wir folgen ihm. Hinter uns ging ein Bursche, halb Arbeiter, halb Student, der uns zwei, dreimal anlächelte, wie einer, der etwas zu sagen hätte. Der Rothaarige betrat eine abgelegene und ber­lassene Wirtschaft. Wir gingen hinter ihm hinein. Der junge Mensch, zögerte einen Augenblick, trat auch hinter uns ein und setzte sich an einen Tisch in unserer Nähe.