Deutsche   Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit"* Samstag, den 30. September 1933 Ereignisse und Geschichten

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Einhundert deutsche Professoren Dietrich, ein Lump

Kultur im Zeichen der Verblödung

Fanatismus, Feigheit und dunkelhafte Brutalität fenn­zeichnen die grotesken Gefilde, die sich heute geistiges Deutsch­ land  " nennen.

Da gibt es Leute, die vom Veitstanz unflarer Begriffe Hoffnungslos erfaßt wurden und laut tönend ihren Brei in die blechernsten Nürnberger Trichter füllen; gibt es andere, denen Schaum vor dem polternden Munde steht, wenn sie von Goethe, dem guten Europäer, sprechen hören, gibt es vor allem Unzählbare, die wohl wissen, wie unredlich und minderwertig der posaunte Teutonenrummel ist, die sich aber nicht schämen noch sich zu Widerstand aufraffen, vielmehr des Pöstchens gedenken, das sie haben oder ergattern möchten. Zu dieser verächtlichen Gattung gehören viele und allzuviele aus dem Lande der Dichter und Denker, gehören ganze Wälder profefforaler Rauschebärte.

Nach der Erfahrung, daß Episoden die Weltgeschichte aus­schöpfen, mögen drei kleine, leider wahre Geschichten, Baga­tellen des Zufalls und doch Enthüllungen des innersten We­sens, zeigen, wie Totengebein klappert und Verwesung heult, wo einst der schöne Garten deutschen Geistes blühte.

I

Zunächst ein Beispiel für die ahnungslose Ver­blödung, die um sich zu greifen beginnt. In einer öffentligen Bibliothek Berlins  , die täglich, auch heute noch, Hunderte von Besuchern( freilich keine Braun­hosen) zählt, verlangt ein ausgewachsener Mann, auf dem Bestellzettel als Schriftsteller erkennbar, Literatur über Bis­ marck  , darunter Bücher von Liemann, dem berüchtigten Töpfchengucker, und von Kurt Kersten  , einem Skeptiker der jüngeren Generation. Der Bibliothekar, ein mit Schmissen wohl dekorierter Akademiker, betrachtet den Petenten weh­mütig väterlich und bedauert, den Kersten nicht geben zu können. Wörtlich: Solch Buch sollen Sie nicht lesen, das könnte, ja, das muß Ihnen schaden, ich jedenfalls kann die Verantwortung dafür nicht übernehmen! Unser Schrift­steller steht leicht gelähmt, rafft sich auf und fragt schüchtern nach dem Warum? Der neudeutsche Erzieher, wissenschaftlich vorgebildeter Leser, antwortet ehrlich entrüstet, huldvoll er­haben und von Erkenntnis bengalisch umleuchtet: Aber, dies Buch gehört doch zum Weltteutonenkreis... wahrlich, es täte Ihnen nicht gut, es zu lesen! Wer wird nicht glauben, dak nach solcher Lektion ein deutscher Schriftsteller davonging mit dem erbärmlichen Gefühl eines geprügelten Hundes.

II

Zu zweit ein Beispiel zugleich für die Verrohung der frech auf den Markt getretenen Halbbildung und der stummen Striecherei gelehrter und beachteter Pechmänner: Bei der Er­öffnung der Berliner   Ausstellung, die Hermann wirth  , der Raffefanatiker, veranstaltete, um die Totalität des Nordens zu beweisen. Anwesend etwa hundert Pro­fessoren. Jedenfalls nur das, was sich für bestes Publikum" hält. Geheimrat Pallat, nicht ohne Abstand zu nehmen und das Problematische dieser etwas unbestimmten Wissenschaft vom germanischen Dogma kennzeichnend, spricht als Erster. Bald ergreift mit wuchtiger Geste das Wort Herr Streicher, Morddiktator aus Bayern  . Er bringt die Grüße des Führers, der schon vor zehn Jahren erkannt habe, daß Hermann Wirth  der große deutsche Gelehrte sei, der Einzige, der Gelehrte der Deutschen  . Endlich breche deutsche Wissenschaft- Morgenröte hervor: Griechen, Römer, Inkas- alles Nordmänner, das ist es! Heil! Was aber war die Wissenschaft bis jetzt, bis heute? Ein Betrug. Betrieben von Juden und Jesuiten  . Indessen, er, Streicher, habe es schon vor Wirth gewußt, sein Blut habe es ihm gesagt, daß diese forrupte Wissenschaft Iüge. Etwa, wenn sie behaupte, daß die Juden das Alte Testament geschrieben hätten, die Psalmen, die Propheten, das Hohe Lied. Nein, niemals! Es bleibt jeder, was er ist, und was er ist, das war er schon vor Jahr­tausenden. Was aber ist der Jude? Ein Schwein, eine Bestie. Das war er auch von jeher, also kann er unmöglich an der Bibel beteiligt sein. Heil! Und nun und das ist der Kern des Grauens dieser wortgetreu berich= teten Begebenheit setzte tosender Beifall ein. Ein= hundert deutsche Professoren der Anthropologie, der Prähistorie, der Volkskunde, der Kunstwissenschaft be= flatschten jubelnd solche exhibitionistische Orgie eines Halb­verrückten.

III

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Zum dritten ein erschütterndes Symptom für die Vergiftung der heranwachsenden Generation: Ein Lehrer spricht pathetisch über das Dolchmesser, das jetzt auch von den Vierzehn jährigen und Jüngeren zur Hitleruniform getragen wird. Was lehrt Euch dies Symbol deutscher Mannhaftigkeit, was steht auf der Klinge, in Stahl geäßt: Blut und Ehre! Drei Bagatellen, drei Entblößungen deutscher Entartung, drei Anklagen vor Geschichte, Kultur und Welt!

Windhunde mit Dackelbeinen"

Eigendünkel und Selbstvergötterung

Mit immer neuen Entdeckungen überraschen uns die Rasseforscher des dritten Reiches". Jüngst hat, wie schon mitgeteilt, einer von ihnen die wundersame Feststellung ge­troffen, daß durch Kreuzung menschlicher Rassen Formen hervorgebracht würden, die die Natur nicht gewollt habe und die daher kötermäßig- abscheulich aussielen, etwa wie Wind­hunde mit Dackelbeinen".

Nun, gerade Rassenmischlinge sind oft Menschen von wunderbaren förperlichen Gaben. Die wegen ihrer hohen Gesangskunst, wie wegen ihrer ergreifenden Schönheit vor einem Menschenalter gleichgefeierte Sängerin Melba war z. B. das Mischprodukt eines schottischen Vaters und einer südländischen Mutter. Sicher war die große Operndiva trop ihres Mischblutes der Welt wertvoller als Millionen ebenso rassereine wie Sedeutungslose Mitmenschen.

Da wir im Gebiet der Musik sind, so fällt uns ein, daß der von den Nazis am meisten gefeierte Komponist, nämlich Richard Wagner  , mit größter Wahrscheinlichkeit deutsch  - jüdisches Mischblut war. Aber da hier immerhin Zweifel bestehen und sich das Geheimnis der Abstammung Wagners nach hundert Jahren nicht mehr mit letzter Sicher­heit aufhellen läßt, so sollen lieber absolut feststehende Fälle herangezogen werden.

Als einer der größten deutschen Maler aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt Hans von Maries.

Bekenntnis der meisten

Ich bin proteischen Geschlechts Und wechsle meine Meinung Je nach dem Stande des Gefechts. Mal bin ich links, mal bin ich rechts, Bejahung und Verneinung.

Ich halt' es mit der Konjunktur Und heule mit den Wölfen. Nur wer labil ist von Natur, Bleibt immer auf der rechten Spur Und kann sich weiterhelfen.

Wer noch an Ueberzeugung glaubt,

Der ist ein dummes Luder.

Ich hab' mich nirgends feftaefchraubt Und gehe stets und überhaupt

Mit denen, die am Ruder.

Seine aus lettem Raum- und Harmonieempfinden ge= stalteten Bilder zieren die bedeutendsten Sammlungen, ein Teil seines Werkes hängt in der Nationalgalerie zu Berlin  . Maries war unbestritten das Produkt der Ehe zwischen einem hohen preußischen Beamten, der aus einer fran­

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In Nr. 38 der Literarischen Welt" schreibt Herr Fri Diettrich, ein Lyrifer mittleren Formats, einen offenen Brief an einen österreichischen Dichter". Alle Phrasen und Lügen des dritten Reiches" werden von Diettrich neu zu einem dummen Wortbrei verrührt. Die fünfzehn Jahre, die rote, die schwarze, die goldene Internationale, die mit tollem Raffinement Mauern um Deutschland   errichten", die Juden und ihre rassische Kraft" kurz, der ganze Schwindel wird von dem Diettrich neu aufgerührt. Er schließt mit der Ver­sicherung, er werde erst wieder nach Desterreich kommen, ,, wenn dort das Jawort für Deutschland   gefallen ist". Man wird ihn also in Oesterreich   entbehren müssen. Zu dem offenen Brief Diettrichs wäre kein Wort zu sagen, wenn er nicht typisch wäre für die Konjunkturisten und literarischen Schwindler, die heute das Reich beherrschen. Bis in die letzte Zeit vor Anbruch der braunen Barbarei war der Zump näm­lich ,, ommunist" Bei jedem seiner Wiener   Aufenthalte sagte er in ähnlichem Phrasengeschwall den Steg des Bolsche= wismus in Deutschland   voraus. Im Dezember 1932 gab er zum Beispiel Wiener   Freunden folgendes Gedicht:

Das rote Fahnenlied Von Friz Diettrich

Die roten Fahnen sind im Winde Ein Feuer, herrlich angefacht. Von unsren Augen sank die Binde, Die uns den Tag zur Nacht gemacht. Die Trümmer einer alten Welt, Die stürzend noch zusammen hält, Wir müssen ohne Säumen Sie aus dem Wege räumen.

Die Sowjetfahnen sind Antennen, Drin fängt sich unsre Hoffnung auf. Die roten Lagerfeuer brennen Von Völkerhauf zu Völkerhauf. Bald wird die Erde unser sein! Die Parlamente stürzen ein; Wir müssen ohne Säumen Sie aus dem Wege räumen.

Auf allen Straßen rote Fahnen, Auf allen Türmen, jedem Mast! Weil wir den Tag der Taten ahnen Vergönnen wir uns keine Rast.

Den Weg zum roten Vaterland Versperrt uns manche Henkerhand; Wir müssen ohne Säumen

Sie aus dem Wege räumen.

Aber auch in Briefen hat er des öfteren scharf gegen die Nazibewegung Stellung genommen; so wandte er sich beson­ders gegen den Rassenirrsinn und berief sich schriftlich darauf, daß er drei Nationen" im Blute habe. Er ver­wies auf seine Beziehungen zur Internationalen Arbeiter­Hilfe und verlangte Kampfsongs", um sie dort vorzulesen. Wann hat also der Lump gelogen, damals, als er rot war, oder heute, da er braun ist?

zösischen Regufiefamilie abſtammte, und einer jüdischen Tote sind wehclos

Mutter.

von

Die Tochter Lily des preußischen Generals Kretschmer, berühmt geworden unter dem Namen Lily Braun  , hatte in zweiter Ehe den jüdisch- marristischen Schrift­steller Dr. Heinrich Braun   geheiratet. Der Ehe entsproß ein Sohn Otto, der kaum 21jährig im Weltkrieg fiel. Die nach­gelassenen Schriften dieses Frühvollendeten" haben wegen ihrer Reife und Tiefe das Aufsehen der ganzen Welt hervor­gerufen, sie sind in Hunderttausenden von Exemplaren ver­breitet. Was die Kultur durch den frühzeitigen Tod dieses genialen hochbegabten Jünglings verloren hat, ist kaum

Friz Brüge I.

Das Würzburger Stadttheater bringt, wie die Deutsche Freiheit"( Nummer 81) berichtete, das Theaterstück Die schwimmende Insel" von dem im Krieg gefallenen Walter Flex  . Walter Fler war zu 50 Prozent Jude. Diese Tat­sache ist nie geleugnet worden; im Gegenteil, die völkische Literaturgeschichte hat der Tod auf dem Schlachtfeld hilft da nichts- immer vor dem Halbjuden Flex gewarnt.

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zu ermessen. Immerhin wäre dieser Mann, der- nur neben Die Flucht aus der Rasse

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bei erwähnt auch im Kriege ein außerordentlich mutiger Offizier war, nach neudeutscher Rassetheorie nichts als ein Windhund mit Dackelbeinen" gewesen.

Dies ein paar beliebige Beispiele. Der Eigendünkel und die Selbstvergötterung der Raffenschwärmer führt dazu, daß das Stroh im Kopfe sich über alle Gehirne erhaben fühlt, wenn es nur auch aus dem Kopfe herauswächst.

,, Ungehängt"

In der von dem Abgeordneten von eers geschriebenen Broschüre Juden sehen dich an" reiht sich Menschenbild an Menschenbild, und jede Unterschrift ist eine offene Mord­hezze. Die dem Nordstrahl schon zum Opfer fielen, werden noch im Grab bespien. Rosa Luxemburg  - gerichtet", Karl Biebknecht erschossen", Erzberger   endlich gerichtet". Und in der Reihe der lebenden Lügenjuden" taucht ein Ropf auf mit gütigen Augen, mit einer hoben, klugen Stirn. Darunter steht noch ungehängt", und wie ein blutiger

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Schleier liegt es über dem Bild, über der schändlichen Unter­schrift. Kugeln aus der Büchse eines gekauften Zumpen löschten das klare Licht dieses Geistes aus. Der dasim Bilde gezeigt wird, hieß Theodor Lessing  .

Und das gleiche Wort ungehängt", die gleichen Zeichen der braunen Verbrecherschrift stehen auch unter dem Bild Albert Einsteins  

Die Presse des dritten Reiches" höhnt aber über die Liberator. Freunde, die sich um das Leben Einsteins   besorgt zeigen.

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Wenn man übrigens, was jetzt in Deutschland   geschteht, wirklich der arischen Rasse" anfreiden müßte, so könnte man ihr nur wünschen, daß sie sich schleunigst mit einer anderen mischt( sofern sich noch eine andere mit ihr mischen will)!"( Konrad Folke über Blut und Geist" in der Neuen Züricher Zeitung".)

Staat der Landsknechte

Es ist selbstverständlich, daß der Nationalsozialismus als eine Bewegung herrlichster und härtester Männlichkeit zu nächst für eine gewisse Durchgangszeit zu einem gewissen Gegensatz zur Frau kommen mußte. Denn die Bewegung, die heute der Staat ist, ist vom Soldaten, und zwar von einem besonderen Typ des Soldaten, vom Landsknecht  , getragen und gebaut worden."

( Dr. Walter Groß   auf dem Nürnberger Parteitag.)

So tanzte schon So tanzte schon der Großpapa Neuerscheinungen des deutschen Musikhandels

" Feier der neuen Front";" Deutscher National. Leib- Rgts."; Isonzo  - Marsch";" Flieg, stolzer Abler!"; marsch"; 3wei Kriegsmärsche des ehem. fgl. Bayr. Inf. " Deutschlo 5 geht nicht verloren";" Trauerflänge"; Deutsch­ land   marschiert";" Allen voran";" So tanzte schon der Großpapa";" Deutsche Macht";" Baby, tut dir dein Herz­chen weh?"...