DAS BUNTE BLATT

NUMMER 89- 1. JAHRGANG

TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

Der Untröstliche husba

Von Siegfried v. Vegesack  

Vor vier Wochen starb unsere Nachbarin, die alte Wal­purga Loibl. Sie war über achtzig geworden, litt an Wasser­sucht, lag schon viele Jahre stöhnend unter einem mächtigen, rotgewürfelten Federbett in der verräucherten Stube und humpelte dann und wann zur Tür, um die Hühner zu füttern.

Alle anderen Arbeiten, auch das Kochen, verrichtete ihr Mann, der alte Xaver: er mähte die Wiese, häufelte die Kar­toffeln, hackte das Holz, fütterte und melfte das Vieh. Er war noch ganz rüftig, aber auch schon nahe an die Siebzig. Kinder hatten sie nicht: zwei Söhne waren im Krieg gefallen, eine Tochter früh gestorben. Um so rührender hingen die beiden Alten aneinander. Durch eine fast fünfzigjährige Ehe waren sie sich so ähnlich geworden, daß man sie für Ge schwister hätte halten können: dasselbe verwitterte, ausge­dörrte, von Runzeln zerfurchte Gesicht, dieselben tiefliegen­den wasserblauen Augen, mit dem halb kindlich- gutmütigen, halb verschmitt- mißtrauischen Ausdruck, wie ihn die Waldler hier oft haben.

Stumm führte mich der alte Xaver zur Leiche, die in einer Kleinen dunklen Rammer hinter der Küche aufgebahrt lag, zog das weiße Tuch vom pergamentgelben eingefallenen Gesicht und schluchzte wie ein Kind. Ein Strauß roter Papier­rosen lag auf dem aufgedunsenen Leib der Toten, in den merkwürdig langen, geschwollenen Händen steckte ein schwar­zes Kreuz.

Ich versuchte den Alten zu trösten, so gut ich es konnte: die Frau hätte doch so gelitten, nun sei sie erlöst- und was man sonst so sagt, obgleich man weiß, wie leer und hilflos alle solche Trostworte sind. Ob Xaver mich überhaupt ver­stand, weiß ich nicht. Jedenfalls schluzte er immer heftiger, und während die dicken Tränen über seine zerfurchten Wangen follerten, versicherte er mir immer wieder, was für eine Frau Walpurga   gewesen sei:

" O mei, o mei, war dös a Wei! So oane triag i nimma, und glaub' ma's oder nett: aber i heirat nimma, na, i heirat nimma!"

An die Möglichkeit, daß der alte Xaver noch einmal het­raten könnte, hatte ich eigentlich gar nicht gedacht. Ich glaubte deshalb, daß seine wiederholten Versicherungen, nie wieder zu heiraten, nur den tiefen Schmerz über den Tod seiner Frau ausdrücken sollten, und schüttelte voller Teil­nahme seine zittrige Hand.

In der Stube nebenan hockten die Bauern und Bäuerin­nen vom Dorf, Mägde und Burschen, beim Leichenbier", das

der alte Xaver einschenkte. Man schwazte, lachte, machte jogar berbe Späße und nur dann und wann, wenn eine alte

Bäuerin den Rosenkranz herbetete, fielen die Leute mur­melnd in des Gebabbel ein, als besännen sie sich, warum sie eigentlich hergekommen wären. Spät nachts hörte ich noch wildes Kreischen und Gejohle. Das Leichenbier war vielleicht etwas zu reichlich gewesen.

Eine Woche später traf ich wieder den alten Xaver. Er hackte Holz vor seinem Häuschen. Ich trat auf ihn zu, schüt telte seine fnöchrige Hand. Xaver hieb die Art in einen Wurzelstock, zog ein rotes Tuch hervor, schneuzte sich um­ständlich und erklärte mit Ueberzeugung, wobei Tränen in seine Augen famen:

mei, war dös a Frau! A feel'nguats Leit! Oft is mir d'Weil lang! Glaub ma's oder net aber vor Lichtmeß heirat i nimma, na, dös tua i net!"

Fontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  " Lohnt es, sich noch ins Bett zu legen, oder soll man ein menig warten und dann wieder in den Fucino gehen?" fragte ich Berardo.

Buerst muß man untersuchen, wer auf dem Glockenturm ist," antwortete Berardo.

Im Grunde glaubte er nämlich an den Teufel und nicht an die Madonna. Das Erscheinen des Bösen hätte ihn über­zeugt, aber nicht das der heiligen Jungfrau.

Auf dem Turm fanden wir Elvira und meine Frau, mehr tot als lebendig.

( Tags darauf erfuhren wir, daß das erste Auto sich über­schlagen hatte, weil es in einen quer über die Straße gelegten Baumstamm hineingefahren war. Es hatte verschiedene Ver­wundete gegeben, der Knirps mit der dreifarbigen Schärpe war auch darunter.)

Die Stadt

Die Aufregungen der Unglücksnacht warfen Elvira aufs Krankenlager.

Man hatte ihr gerade etwas Wolle zum Färben und Weben gebracht und es quälte sie sehr, nicht arbeiten zu können. Seit dem Krieg war die Weberei unserer Gegend auf einen toten Punkt gekommen und der Webstuhl Elviras einer der wenigen, der noch nicht ganz stillstand. Aber auch er flapperte selten genug. Nur hin und wieder bekam sie einige Kilo Wolle zum Verarbeiten. In den Nachbardörfern waren so­gar Webstühle verheizt worden, die Jahrhunderte lang in Gang gewesen. Vielerlei hatte den Zusammenbruch dieser Industrie herbeigeführt. Das Verschwinden des einheimischen Noh..aterials, das Einführen in der Stadt hergestellter Stoffe und das wachsende Elend der Cafoni.

In ihrer Hilflosigkeit ließ Elvira Berardo fragen, ob er ihr nicht beim Spalten des Brennholzes helfen wolle. Ohne an eine Entschädigung zu denken, sagte er willig ja und spaltete nicht nur das Holz, sondern färbte auch unter ihrer Anleitung die Wolle,

Lichtmeß   ist Anfang Februar. Immerhin wollte er also sechs Monate trauern und dann erst heiraten. Vorsichtig er­kundigte ich mich, ob er wirklich ernstliche Absichten hätte, ob er schon jemand habe, und ob es wirklich ratsam sei, in seinem Alter... aber Näheres war aus Xaver nicht herauszube­kommen. Er griff wieder nach der Art und hieb auf das Holz ein, daß die Späne splitterten.

Zwei Wochen später begegneten wir uns wieder. Er fam von der Kirche, im schwarzen Rock und schwarzem Filzhut, eine schwere silberne Uhrfette über dem Bauch.

Xaver blieb stehen, holte sein buntes Schnupftabak-- Fläsch­schnupfte, während er das Fläschchen wieder in die Tasche chen aus der Tasche, klopfte eine Prise auf den Daumen,

steckte:

" O met, war dös a Wei, so oane triag i nimma! Glaub ma's oda net, aber vor Michelt heirat i nimma!" Aus den sechs Monaten waren nur sechs Wochen geworden. Und, wie um sich zu rechtfertigen, fügte er nach einer Weile hinzu:

,, Das Scheckerl wird um Micheli kalbn, da brauch i a Frau. werd alt, i to net alls alloa damacha!"

Solange Walpurga   lebte, konnte er für zwei arbeiten. Aber es muß wohl schwerer sein, für sich ganz allein zu schuften.

Und heute kam ich wieder an seinem Häuschen vorbei. Der alte Xaver winkte mir eifrig aus dem Fenster zu und bat mich, einzutreten.

Eine stämmige Frau saß still und ernst auf der Bank neben dem Tisch. Vor ihm ausgebreitet lag ein blaugemusterter Kattunstoff, daneben stand eine Maß Bier.

" Dös ist d' Zenz, die wo mei Wei wird," erklärte Xaver stolz und feierlich, und am Sunnta   über acht Tag ist Hoch

aeit!"

Ich mußte den Kattunstoff prüfen, den Xaver seiner Braut gekauft hatte, mußte aus dem Maßkrug auf das alte junge Paar trinken.

In der Ecke, am Fenster wölbte sich aber das rotgewürfelte Federbett der verstorbenen Walpurga  . Ueber zehn Jahre hatte Xaver die schwerkranke Frau gepflegt. Sollte er nun wirklich noch länger warten? Nein, er hat recht, und ich glaube, auch die Tote hätte ihm recht gegeben schon wegen der schecketen Kuh, die zu Michaeli kalben soll.

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Goldfunde in Grönland  

DIENSTAG DEN 3. OKTOBER 1933

Rassische Liebesbalfade

Es waren zwei Nazifinder, Die hatten einander so lieb. Sie fonnten zusammen nicht kommen, Denn sie war ein ostischer Typ.

Ihr Schädel nämlich war rundlich, Ihr Busen hingegen oval, ( Statt umgekehrt) rassenkundlich War dieses Weib ein Skandal.

Sein Haupthaar war fiegfriedisch, Sein Auge preußischblan: Kein Partner für die negroidisch Mongolisch gemixte Frau.

Und als er trotzdem dämlich Beim Raffenamt angesucht,

Da hieß es: Du bist unabkömmlich Als Bulle für arische Zucht." Sie weinten sehr selbander, Die Lage war äußerst trist. Da plöglich- ha!- erfand er Eine echt nordische List.

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Er ließ sich die Haare schwärzen Und fräuseln, dann husch- husch Strich wenn auch mit blutendem Herzen Den Leib er sich mit Tusch.

Dann trat er zum Bürotisch Im Raffenamt und bat

Sehr höflich auf hottentottisch Um ein Ehezertifikat.

Er frug: Stört die Herrn meine Raffe?" Da schrien fie höhnisch: Nein! Ihr Glück, daß Sie feine blasse Und nordische Wunschmaid frei'n!"

So fanden die beiden sich eh'lich. Und weil er sich fleißig wusch, Verschwand mit den Jahren allmähli Von seinem Leibe der Tusch...

Nun frage ich euch auf Ehre, Ob das, was jener getan So tühn, gelungen wäre Einem mischraffigen Mann? Nein! Also: die Raffenlehre Ist doch kein leerer Wahn!

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Jura.

Die Sunde der Expedition Kochi   großer wirtschaftlicher Bedeutung wäre. Dr. Koch hat jetzt

In Kopenhagen   trat nach monatelanger Abwesenheit Dr. Koch, der bekannte dänische Grönlandforscher, mit seiner Expedition von Grönland   ein. Dr. Koch arbeitete bekannt­lich auf Grönland   gemeinsam mit deutschen Wissenschaftlern und benutzte weitestgehend die Vorarbeiten deutscher Grön­Tanderpeditionen bei seiner diesjährigen Reise, die er im Auftrage der dänischen Regierung unternommen hatte. Dr. Koch empfing sofort nach seinem Eintreffen in Kopenhagen  die Vertreter der dänischen Presse und machte dabei Aus­führungen, die größtes Jntereffe in gana Standinavien ver­ursachten. Es gelang Dr. Koch, in Grönland   sehr beden­tende Goldfunde festzustellen, gleichzeitig aber auch Sil­berfunde und Funde anderer Mineralien.

Durch die ausgestandene Angst etwas abgemagert, war Elvira mit ihrem ovalen, braunen Gesicht, ihren schwarzen Augen und Haaren, dem biegsamen Körper, vielleicht noch schöner geworden. Sie lag auf ihrem Strohsack in der Ecke, befahl und Berardo gehorchte wie ein Kind, das etwas Neues lernt. Manchmal stellte er auch Fragen, die sie in Verlegen­heit brachten, wie zum Beispiel, warum ein gelblicher Stoff dunkelblau wurde, wenn man ihn in Indigo   tauchte. Es kann nicht anders sein," sagte sie. Aber warum?" beharrte er.

Weil es eben so ist," und um einen Trumpf auszuspielen, fragte sie:

" Warum kommen eigentlich aus Sonnenblumensamen teine Zwiebeln?"

Red keinen Unsinn," belehrte sie Berardo; es ist doch flar, daß aus wirklichen Sonnenblumenkernen nichts anderes als Sonnenblumen wachsen können..."

Solche Gespräche mußten zu einer Annäherung führen. So oft ich in die Färberei tam, um meine Hilfe anzubieten, fand ich Berardo schon dort, vor den zwei eingemauerten Defen, die fast die Hälfte des Zimmers ausfüllten. Dicker Dampf hing im Raum und Berardo rührte und hob mit der schwarzen Stange die in den Kesseln kochenden Stoffe oder er schürte das Feuer. Eines Abends machte Elvira in meinem Beisein einen ihrer Versuche, Berardo einige Lire als Be zahlung aufzudrängen. Aber er stieß sie mit seiner üblichen Art barsch zurück.

Wenn Berardo das Geld nicht nimmt, so will er, daß du es für deine Hochzeit zurücklegit," wagte ich einzuwenden. Elvira wurde glühend rot und Berardo jah mich an, als wolle er über mich herfallen.

Da kann man nichts machen, dachte ich bei mir. Berardo ist fein Mann für die Ehe.

Am nächsten Morgen jedoch kam Maria Vincenza, Berar­dos Großmutter und fragte:

Hast du Berardo gesehen?"

" Wie? Ist er denn heut nacht nicht nach Hause gekommen?" Er war nicht da," sagte sie und ging.

Bald darauf erschien er, ohne auch nur guten Morgen zu. sagen, auf meiner Schwelle. Ich ließ ihn wortlos stehen. Als ich aufs Feld gehen wollte, sagte er:

Ich brauche einen Rat..."

Die Goldfunde, besonders aber die Silberfunde, sind nach seinen Angaben so zahlreich, daß eine Ausbeutung von einen Plan der Funde auf Grönland   entworfen und wird diesen der dänischen Regierung übergeben. Dadurch be­kommt Grönland  , das bis jetzt von nicht allzu großer wirt­schaftlicher Bedeutung war, für Dänemark   auch wirtschaft lich größtes Interesse.

Dr. Koch gelang es auch, sehr interessante geologische Funde zu machen. Sie stammen teilweise aus der Stein­zeit, darunter auch einige Stelette, die ein ganz neues Licht auf den Ursprung Grönlands   und auf die altgrön­ländische Zeit werfen. Dr. Koch will nächstes Jahr mit drei Flugmaschinen eine neue Expedition in Nordgrönland unternehmen. Ganz Dänemark   erwartet mit größter Spannung den genauen Bericht des Forschers in der Kopenhagener Universität.,

Das erstemal in seinem Leben bat dieser Mensch um einen Rat.

Es handelt sich um die Heirat. Als du gestern davon an fingst, schien es mir nicht dringlich, aber jetzt ist es dringlich." Da verstand ich, daß Berardo diese Nacht bei Elvira ge schlafen hatte.

Meine Meinung ist, daß du, wenn du Elvira gleich Heiratest, nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hast... Eine bessere Partie findest du in ganz Fontamara nicht."

Du hast mich nicht verstanden," erklärte mir Berardo. Habe ich mir denn je eine bessere Frau gewünscht?... Im Gegenteil, was bin ich denn?... Ein Cafoni ohne Land. Ein Fuchs ohne Bau. Wird sie mit einem Landlosen zufrieden sein?... Es geht nicht. Wenn sie keinen Verstand hat, ich habe einen. Allein oder mit der Großmutter hungern, das macht nichts. Aber wenn Elvira bei mir wäre... Um Lohn, heut bei dem einen, morgen beim andern arbeiten, macht auch nichts. Aber kann ihr Mann als Tagelöhner gehen?... Kann sie einen Cafoni ohne Land überhaupt zum Mann nehmen?"

Warum hast du dir das nicht früher überlegt? Warum ist dir das nicht gestern nacht eingefallen, bevor du dich mit ihr eingelassen hast?"

" Du hast mich nicht verstanden," wiederholte Berardo un­geduldig. Ich denke nicht daran, auf sie zu verzichten Ich hätte nie erlaubt, daß sie ein anderer bekommt... Das war echt Berardo. Man konnte sich mit ihm einen ganzen Tag lang herumschlagen, ohne zum Schluß zu kom

men.

Diesmal aber war die Frage höchst einfach und ich glaubte mit folgendem alle möglichen Einwände abzuschneiden: Willst du sie heiraten oder nicht?"

,, Nichts hast du verstanden und wirst nie etwas verstehen!" Damit ging er weg.

Berardos Stimmung besserte sich nicht. Die Ursache seiner Unruhe war im Grunde der Mangel an Land. Bis jetzt hatte er es mit verstiegenem Gerede zu vertuschen versucht; aber die dringende Notwendigkeit, sich eine Familie zu gründen, hatte ihm die harte Wirklichkeit zum Bewußtsein gebracht.

( Fortsetzung folgt)