DAS BUNTE BLATT
NUMMER 97-1. JAHRGANG TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE DONNERSTAG, DEN 12 OKTOBER 1933
Verdi und wir
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Wem Verdi, seine Musif, seine Dramatit, seine Kunst der Menschendarstellung durch das Medium der mit sinnlicher Stimmwirkung getränkten Mujit oder besser gesagt der mufifdurchtränften Sinnlichkeit der Menschenstimmen nichts gibt, mer leer bleibt diesem Wunder kunstgeformten Temperamentausbruches gegenüber, wen hierbei nicht die Schauer des Reichs, jener nach Simmel tiefsten Schichten" packen, in denen Sein und Werden, Tod und Schicksal lagern", dem kann überhaupt kein musikalisches Theater je lebensnotwendig sein, das ist der opernlose, ja vielleicht der musiflose Mensch schlechthin. Er ist zu intelleftuell, um primitive und dennoch große Kunst aufzunehmen, zu ungeistig jawohl ungeistig um die Höhe, die das paradoreste aller Kunstwerke, die Oper, in diesem Wunder Verdi erreicht, zu fassen; ihm eignet vielleicht überhaupt nicht jene Weihe, große Menschlichkeit durch das Medium des Sunstwerkes zu erkennen oder auch nur zu ahnen.
Große Menschlichkeit, das ist das Wort für Verdi und seine Kunst. Paul Beffer hat 1913 bei der Jahrhundertfeier der Geburtstage beider großen Musikdramatiker des 19. Jahrhunderts- Wagner und Verdi- etwa folgendes geschrieben:„ Gestern Wagner- Jubiläum, heute Verdi- Feier, es ist, als träte man aus einem weihrauchduftenden, feierlichdunklen Dom hinaus auf einen hellen, sonnenbeschienenen Marktplay."-Ja, auf einen Marktplab, mit Menschen und Stimmen, mit Sonne und Licht, mit Abend, Dunkel, Nacht und Mond, mit aller Freude und allem Schmerz der Kreatur und aller Güte und Liebe eines aus dem Volfe und seinem ländlichen Boden kommenden, zu den Höhen des Lebens und den Gipfeln des Ruhms aufsteigenden und doch dann wieder zu Volk und Boden zurückstrebenden, begnadeten Menschen und Künstlers.
War der alte Verdi nicht zu Lebzeiten ein Mythos geworden? Klingt sein tönender Lebensweg nicht wie ein Mythos zu uns, in unsere verworrenen Zeitläufte herüber? Er fannte keine andere Philosophie als die des Menschen; er brauchte feine Sagenwelt in Bewegung zu jesen, weil er auch noch im lächerlichsten Vorwurf ewiges Menschen
Die Minen König Salomos entdeckt
In Abessinien arbeiten italienische Technifer an der Herstellung von Autostraßen durch das Innere des Landes. Bei ihren Arbeiten sprengten sie in einsamer Gegend den Hang eines Hügels fort. Als dies geschehen war, bemerkten die Ingenieure die Spuren eines fünstlichen Einganges zu einer geräumigen Höhle, die vor etwa 4000 Jahren verschlossen worden sein mußte. In der Höhle selbst fand man unter Staub der Jahrtausende Aerte und andere primitive Bergmannsgeräte sowie Metallpfannen, die sich von den in Südafrifa und am Colorado gebräuchlichen Werkzeugen nicht wesentlich unterscheiden. Man glaubt hier die sagenhaften und in den bekannten Büchern Rider Huggards erwähnten Goldminen des Königs Salomo entdeckt zu haben.
Ein tausendjähriger Baum
Es gibt also wirklich eine tausendjährige Eiche! Dieser riesenhafte Baum steht in der Nähe des Dorfes Heidenburg in der Rheinprovinz . Der Riese gabelt sich in der Höhe, und jede Gabelung weist die Dicke eines gewöhnlichen Eichenstammes auf. Es handelt sich bei diesem Ur- Baum um eine wirklich tausendjährige Eiche, die bereits in einer Ehronik
Sontamara.
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ROMAN VON IGNAZIO SILONE Dann nahm der Freund des Volkes wieder das Wort: „ Gerade heute früh habe ich den neuen Arbeitervertrag für die Landarbeiter unserer Provinz bekommen... das war ein furchtbarer, ein unerwarteter Schlag für mich... Left!" Ich nahm eine Zeitung, die Don Circostanza mir hinhielt und las einige mit Rotstift angestrichene Stellen: „ Der Lohn für Landarbeiter erster Kategorie( Männer von 19 bis 60 Jahren) ist um 40 Prozent heruntergesetzt.
Der so abgebaute Lohn erfährt bei Jugendlichen von 17 bis 18 Jahren( zweite Kategorie) eine neue Reduktion um 20 Prozent und eine weitere von 45 Prozent bei Frauen und Kindern( dritte Kategorie)."
" Ist das nicht furchtbar? Sagt, ist das nicht entsetzlich?" unterbrach mich der Volksfreund.
Ich fuhr zu lesen fort:
" Landwirtschaftliche Meliorations und Grundarbeiten, An- und Umpflanzen von Weinbergen, Olivenhainen und Obstgärten, Dunganlagen, Auffüllungen, Reinigungen, Grabarbeiten, Rodungen, Straßenanlagen usw., unterstehen einem besonderen Reglement; sie fallen unter die Rubrik der Notstandsarbeiten und werden, wie oben angeführt, geringer entlohnt. Diese Reduktion darf 25 Prozent nicht übersteigen." Ist das nicht unglaublich? Was hat sich das Gesetz zwischen Herr und Knecht einzudrängen?.... Wo bleibt da unsere Freiheit?..."
Dort sind ja unsere drei Tüten... Wir nehmen sie und alles ist in Ordnung."
Berardo wollte die seine einstecken. Aber der andere hielt ihn zurück.
„ Wie?..." begann er zu schreien und wechselte Tonfall und Aussehen. In meinem Hause Gewalt?.... In meinem Hause Gewalt?.... In meinem Hause?..."
,, Das ist keine Gewalt," sagte ich.„ Wir haben um einen festgesetzten Lohn eine festgesetzte Arbeit getan. Da ist es nicht schwer, die Rechnung zu wachen....
Von Wafter Jacob
schicksal gestaltete; er brauchte fein Festspielhaus zu bauen, weil er tros allen Widersachern und allen Kämpfen für die ganze Welt schrieb; über sein Ethos und über sein Werk und über sein Leben brauchte feine Literatur entstehen, es trug alles den Stempel der Selbstverständlichkeit. Und die Liebe des Volkes, der gerade mit ihm und an ihm erwachenden Nation, trug ihn ebenso wie die Anerkennung Europas
empor.
Franz Werfel hat in unseren Tagen seinen Roman „ Verdi", der„ Der Roman der Over" ist, geschrieben. Er hat dichterisch frei versucht, ein Abbild dieses Genies zu geben. Es ist ihm gelungen, mit diesem Roman wie mit der Herausgabe der Verdi- Briefe, der schönsten mit, die je ein Künstler schrieb, mit der Anbahnung jener Bewegung schließlich, die als„ Verdi- Renaissance" mit der szenischen Wiedergeburt der Werke aus früher und mittlerer Schaffens= epoche des Meisters heute die deutschsprachige Opernbühne beherrscht. Mag vieles in Werfels Roman historisch anfechtbar sein so behauptete ein Kenner wie Adolf Weißmann , und aus der Kenntnis der Svätwerke glauben wir es ihm, daß Verdi niemals in dem Maße, wie Werfel es schildert,
an Wagner gelitten" bat, maa man an den Werfelschen Terterneuerungen dies und jenes auszusehen haben, ihm bleibt das Verdienst, den Menschen Verdi für den Nichtitaliener erst entdeckt zu haben. Ist es nicht ein Lichtblick auf diesem wahnsinnigen Planeten, daß im dritten, dem freudlosesten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, Italien Wagner begeistert in seine Spielpläne aufnimmt, während der Norden Verdi neu entdeckt"? Danfen wir für unser Teil Franz Werfel , daß er unserer armen Zeit diesen Schatz neu gezeigt und genießen gelehrt hat.
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Diesen letzten Sproß großer, gesangsgebundener Opernform, der dieses troß allem schönste Wunderwerk, das Oper heißt, neben den himmel- und höllenstürmenden Taten eines Wagner in unsere Zeit hinübergetragen hat. Diesen volks- und erdgebundenen Weltbüraer, dieses ewig Klang und Stimme spendende Genie der Einfachheit, der Schlicht. heit, der Güte, dieses Märchen einer Wirklichkeit- Verdi.
von 1315 als„ Dicke Eych" erwähnt und genau beschrieben wird. Schon damals zählte die Eiche ein Alter von mehreren hundert Jahren. Trotz ihres Alters macht die Eiche durchaus teinen absterbenden Eindruck, wenn sie auch schon so manche mit Zement geheilte Wunde aufweist.
Der Schmetterling als Flugkünstler
Heilstätte
Bon Marcel Pellich
Und wieder wurde einer hier begraben, Ganz heimlich, fremd und unbekannt. Doch wußten wir bald alle, wieviel starben; Sie sicherten wie Wasser in den Sand. Man lebte hin und dachte an die andern, Die ferne find, gesund wohlgebaut.
Der eine hustete und feuchte so beim Sprechen, Er hatte immer schlechter ausgeschaut.
Dann war er fort. Die Sonne weckte Sehnsucht Nach ferner, schönerer Natur.
Wir schritten müde auf und ab auf Gängen, Dann hielten alle wieder Liegefur.
So ging es weiter. Stunden wurden Jahre Der Seele, Monate ein furzer Tag, Und wenn wir in die fremde Welt gestoßen wurden, So war uns dies der schwerste Lebensschlag.
Nafirfiaftes..Meistersingen"
Eine westfälische Stadt soll demnächst der Schauplatz eines Gesangwettbewerbes mit recht seltsamer Preisverteilung sein. Den besten Sängern aus nicht weniger als 24 verschiedenen Vereinen wird man keine Vasen oder Bronzestatuetten übergeben, sondern mehrere fette Schweine und sogar ein Rindvieh! Allerdings hat sich der Vorsitzende des Sängergaues gegen diese Art von„ nahrhaftem Meisterfingen" gewendet und ihn als kulturelle Verhöhnung gegeißelt. Höchstwahrscheinlich wird der Wettbewerb doch nicht in der beabsichtigten Form stattfinden.
Das schwimmende Denkmal"
Auf originelle Weise hat die Stadt Zürich einen Lebens. retter geehrt. Dieser, ein ungarischer Student, hatte unter eigener Lebensgefahr ein junges Mädchen den Fluten des Züricher Sees entrissen. Als ihm der Magistrat in Aner tennung seiner tapferen Tat ein Geldgeschenk anbot, lehnte es der bescheidene junge Mann ab. Daraufhin beschlossen die Stadtväter eine Ehrung besonderer Art. Sie setzten am Schauplatz der Rettungstat einen Schwan aus, an dessen linfem Bein ein silberner Reifen mit dem eingravierten Namen des ungarischen Studenten befestigt wurde. Als schwimmendes Denkmal" erinnert er nun an den mutigen Ungarn .
Man ist im allgemeinen geneigt, die Schmetterlinge als Ladien nicht verlernen
schlechte Flieger zu betrachten, weil man sie meist nur naschend von Blume zu Blume fliegen sieht. Ein Naturfreund hat jedoch fürzlich eine beträchtliche Flugleistung des Schmetterlings beobachtet. Ein Boot, das mit etwa zwölf Kilometer Stundengeschwindigkeit über den Bodensee fuhr, wurde von zwei Kohlweißlingen eine lange Strecke begleitet und dabei mehrmals spielend überholt. Der eine Schmetterling, der anscheinend müde geworden war, ließ sich auf die Wasserfläche nieder, ruhte sich ein Weilchen aus und flog dann wieder weiter. Die Beobachtung ergab mit aller Deutlichkeit, daß der Schmetterling auch breite Wasserflächen, wie den Bodensee an der breitesten Stelle, bequem und in verhältnismäßig furzer Flugzeit zu überfliegen vermag.
,, Und das Gesetz?" schrie der Volksfreund. Wo bleibt das Gesetz?.... Wißt ihr denn nicht, was dem bevorsteht, der gegen solche Geseze verstößt? Ihr seid Ignoranten, ihr wiẞt das nicht, aber ich weiß es...
Ich will nicht wegen euch auf die Galeere... Gesetz ist Gesez, man muß es achten."
„ Moses Gebot lautet: du sollst nicht stehlen," sagte ich. „ Hent gebietet nicht Moses, sondern Mussolini ," antwortete Don Circostanza... Ich bin nicht dazu da, das Gesetz zu umgehen... Wenn ihr euch nicht gütlich fügt, bleiben mir nur die Carabinieri."
Don Circostanza war in größter Aufregung. Er rannte wütend durch sein Zimmer und rollte blitzende Augen. „ Niemals habe ich das von euch erwartet," polterte er weiter ,,, nach all dem Guten, das ich euch getan.. Mein ganzes Leben hab ich dem Volk geopfert.. Was wollt ihr noch? Wollt ihr meinen Untergang? Warum wollt ihr meinen Ruin? Sagt mir ganz offen, warum wollt ihr ihn?..."
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Schließlich beruhigte er sich, ging an den Schreibtisch, nahm Berardos Tüte und zog 85 Lire heraus. Dann nahm er ein Blatt Papier und einen Bleistift und begann zu rechnen: „ Nach dem Gesetz müssen wir im ganzen 40 Prozent abziehen... Das macht 34 Lire... Bleiben 51 Lire... Von diesem Betrag müssen wir nach dem Gesez als Notstandsarbeit 25 Prozent abziehen...
Das macht 13 Lire... Bletben für Berardo 38 Lire... Lieber, liebster Berardo, es tut mir leid, aber die Schuld tragen die Faschisten."
Dann nahm Don Circostanza meine Düte und zog 78 Lire heraus. Er begann wieder zu rechnen:
„ Nach dem Gesez, fangen wir mit dem Abzug von 40 Proz. an... Das macht 32 Lire... Bleiben 46 Lire... Jetzt ziehen wir die 25 Prozent als Notstandsarbeit ab... Das macht 12 Vire ... Bleiben 34 Lire..."
Das gleiche Manöver wiederholte er mit Scarpones Tüte. In einer Anwandlung von Freigiebigkeit rief dann Don Circostanza die Magd und bot uns Wein an.
Wir waren dumm genug, ihn zu trinken.
Am gleichen Vormittag wurden Baldovino Sciarappa und seine Frau von Donna Bizzola in die Stadt gerufen. Baldo
,, Stell' dir vor, wie schrecklich! Vor einem Monat hab ich Gerhard einen Korb gegeben... und seit der Zeit trinkt er!" " Ist es möglich! Nein, das heißt aber wirklich, eine Feier allzusehr ausdehnen!" („ Brummbär")
Frau Schröder sonnt sich in ihrem neuen Reichtum. ..und denken Sie," prahlt sie ihrer schlechtgestellten Bekannten gegenüber ,,, mein Mann spielt doch jetzt Orgel..."
„ Ach ja," seufzt die andere,„ wenns Geschäft nicht besser wird, muß mein Mann schließlich auch noch damit rumziehn!" ( Plate Makers Criterion")
Ach," seufzt die Filmdiva, das Eheleben ist mir so über!" " Du kannst dich jederzeit scheiden lassen." „ Ach, das ist mir auch schon so über!"
( Life")
vino hatte ein Stückchen Land von Don Carlo Magna gepachtet und einige Tage vorher die Pacht bezahlt. Aber Donna Zizzola hatte die Zahlung nicht genügt, weil die Frau Baldovinos im vergangenen Jahr außer dem Betrag noch vierundzwanzig Eier als Geschenk mitgebracht hatte und auf Grund des Gewohnheitsrechtes nahm Donna Zizzola an, daß sie nun fünftighin jedes Jahr mit der Pachtsumme die vierundzwanzig Eier bekommen müßte.
Dicht bei der Haustüre des Volksfreundes trafen wir auf Baldovino Sciarappa, der seine Frau mitten auf der Straße blutig schlug. Sie waren eben bei Donna Zizzola gewesen und hatten schließlich auf Grund des Gewohnheitsrechtes das Geschenk von vierundzwanzig Eiern jährlich als Zuschlag zur Pachtsumme anerkennen müssen... Das Geschenk war ur sprünglich von Baldovino ausgegangen, aber die Frau hatte es hingebracht und dabei nicht ausdrücklich erklärt, daß es sich um eine einmalige und besondere Gabe handelte... Also war es im Grunde ihre Schuld. Von nun an würde Donna Bizzola für das laufende Jahr, für das folgende, für die folgenden Jahre, bis Baldovino das Zeitliche segnete, und nach seinem Tode, bis sein Sohn ins Jenseits abberufen würde, auf Grund des Gewohnheitsrechtes die vierund zwanzig Eier zu der Pachtsumme beanspruchen fönnen.
Eines war uns allmählich klar: jeden Tag erschienen nene Gesetze zugunsten der Herren, aber unter den alten wurden nur die den Cafoni günstigen verboten.
Einmal wurde das Gewohnheitsrecht unterdrückt und es wäre doch so eine gute Gewohnheit gewesen, den Cafoni den verabredeten Lohn zu zahlen, aber ein andermal blieb das schlechte Gewohnheitsrecht und es war eine schlechte Gewohn heit, Geschenke obligatorisch zu machen. Nach altem Brauch besaß Donna Zizzola einen Holzring zum Messen der Eier, die ihr die Pächter schenkten und sie verweigerte regelmäßig die Annahme derjenigen, die wegen ihrer Kleinheit durch den Ring schlüpften. Nun muß gesagt werden, daß der Ring aus einer Zeit stammte, in der die Hühner viel größere Gier legten und es kam immer häufiger vor, daß Donna Zizzola fleine Gier zurückwies und verlangte, daß sie durch größere ersetzt wurden. Was konnten aber die Cafoni dafür, wenn die Hühner keine große Eier mehr legen wollten?...
( Fortlegung folgt.)
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