Deutsche   Stimmen

Feuilletonbeilage der Deutschen Freiheit" Samstag, den 14. Oftober 1933 *

Im Weimar   der Juden

Der Schatzhüter am Toten meer

.... Zu den Eigentümlichkeiten des Gefängniswesens ge­Sört die möglichst hermetische Absperrung von der Außen­welt... Jeben Monat ist einmal Briefschreiben oder De­fuch geftattet... Da mich im Dezember meine Schwester besuchte", b. b. in einer eigens für solche Swede hergestell ten Empfangszelle, durch awet Barrieren getrennt und auf dret Schritte Distans, ein paar Worte mit mir wechseln durfte, so tann ich in diesem Monat teine Briefe schreiben. Nur mit meinem Arbeitgeber ist mir ein freier Verkehr ge stattet, da hier die Notwendigkeit geschäftlicher Intimität, dort nur der Buxus familiärer Gefühlsseligkeit vorliegt... Es ist die erfte Pflicht eines Gefangenen, daß er tein Geld Befigt... Der Arbeitgeber tann und darf helfen. So bitte ich Ste benn, 15 Mart an die Gefängnisdirektion für mich an senden..."

Wer war der Arbeitgeber", ber tenen Brief empfing? Der Zonservative Marburger Philosophieprofessor Hermann Coben.

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vom

Wer war ber, Arbeitnehmer", der ihm schrieb? Der radi­tale Gostalist Kurt Eisner  . Er saß gerade November 1897 bis August 1898- wegen Majestätsbeleidt­gung, begangen in einem Zeitungsartikel an Wilhelm II.  , im Gefängnis Berlin  - Plößensee, Isolierstation 18, Belle 186. Die Verbindung zwischen dem milden Marburger Philo­Sophen und dem revolutionären Politiker hatte Imma­* uel Rant geschaffen, dem beide ergeben waren. Von ihm tt auch indirett wenigstens, in dem aitierten Schreiben die Rebet fanb es, neben vielen anderen, zwischen Jeru falem und bem Toten Meer, auf dem Delberg, in der Auto­graphensammlung der jüdischen National- Bibliothek.

Um aber sofort allen Federn, die nun nach Jerusalem  fchreiben wollen, um dieses und jenes zum Verkauf oder sum Tausch anzubieten, die Spize abzubrechen- man fennt doch die Herren Autographensammler: ba tommt nicht jeder htnan oder gar hinein. Dr. Schwadron, der Gründer und Verwalter der Sammlung, wacht eifersüchtig darüber, daß die rund breitausend Stück umfassende Kollektion in ihrem vorbestimmten Rahmen bleibt, der nur Autographen beden­tender jüdischer Persönlichkeiten zuläßt, und in ihrer Jfo­Itertheit in eisernen Schränken und festen Mappen, die dem Besucher zu öffnen kein Prinzip, sondern die Gewährung einer Gnade ist. Solche Schatzhüter lob ich mir....

Natürlich ist er flein wie der Mime Alberich  . Nur ftammt er nicht wie jener vom Rhein  , sondern aus einem Kleinen Dorf Galiziens  . Und schon dort war sein Leben ein Kampf um Briefe, schon aus der Weltabgeschiedenheit seiner Hetmat richtete er an viele Persönlichkeiten des öffentlichen Bebens die Bitte um Ueberlassung von Autographen. Wie hat ber Anabe geweint, als die bereits auf zweihundert Stück an­gewachsene Sammlung bei einer Brandkatastrophe vernich­tet wurde; wie hat der junge Mann gezittert, als der mit barter Energie zusammengebrachte Neuerwerb durch den galtatschen Russeneinfall zu Beginn des Weltkrieges bedroht war. Im Jahre 1927 schenkte Schwadron, von Haus aus eigentlich Chemiker, seine kostbare Sammlung der Jerusa lemer Jüdischen National- und Universitätsbibliothek. Seit bem arbeitet er, jest gewissermaßen amtlich, an ihrer Pflege und Erweiterung in der Hingabe der Leidenschaft und mit tünstlerischer Intuition, nicht nur von den Schriften, sondern auch von ihren Schreibern schwärmend; es geht ihm da wohl wie feinem großen Autographenfammelkollegen Goethe:" Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werben mir vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf etne magische Weise gegenwärtig."--

Und Schwabron wohnt ja nun auch wirklich im Weimar   der Juden! Das Juwel feiner Sammlung ist eingebettet in ein Meer der wissenschaftlichen Arbeit, das hier, in der Jerusa lemer Bibliothet, seit Jahren mit Eifer befahren und durch

Von Erich Mulik

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forscht wird: in tiefen Magazinen mit einem augenblicklichen, meist aus allen Teilen der Welt zusammengespendeten Bücherbestand von etwa 300 000 Bänden 8. St. werden be­sonders ausgebaut die Gebiete Kolonialpolitik und Aus­wanderungsbewegung"; im Infunabelzimmer, in dem von den 120 alten hebräischen Inkunabeln, die man fennt, etwa 70 vertreten sind und von denen die ältesten aus der Zeit von 1475 bis 1500 stammen; in den Arbeitsräumen des Bib liotheksdirektors Dr. Bergmann, bei dem sich zur Zeit die Spendenangebote mehr denn je häufen; in der großen musikalischen Sammlung, deren Pflege um so wichtiger ist,

** Ereignisse und Geschichten

Habgesang oder Angstgesang?

In Kiel   verkauft man für 2 Pfennig pro Stüd Postkarten mit folgender Probe neuer Lyrit aus dem dritten Reich: Deutsches Gebet

O, Herr, schick uns den Moses wieder, Damit er seine Glaubensbrüder

Wegführet ins gelobte Land.

Noch einmal laß das Meer sich teilen, Damit die hohen Wassersäulen Feststehn wie eine Felsenwand.

Wenn dann in einer Meeresrinne Die ganze Judenschaft ist drinne, O, Herr, dann mach die Klappe zu; Erfäufe sie mit Roß und Wagen, Erhör des Weltalls ernste Klagen, Dann haben alle Völker Ruh'.

als die Univerſität um die Schaffung einer( dringend notwen Schweinernes

digen) Abteilung für musikalische Erziehung bemüht ist; im reichofsortierten", wahrhaft polyglotten Zeitschriftenlese saal, in dem auch alle wichtigen deutschsprachigen Periodica vertreten sind, wie ja überhaupt die Jüdische Nationalbiblio­thet mit 100 000 Bänden die größte deutsche Bibliothek im Orient darstellt. Und jenseits der Straße steht, mit vielen wichtigen Disziplinen, die Universität, und in ihr lernen, mit aller wünschenswerten Disziplin, jüdische Studenten aus aller Welt.

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Aber mehr noch als Wissenschaft, eben auch den Atem von Kunst und Leben und allem ewig Menschlichen spürt man in den sorgsam gehüteten Autographen Dr. Schwadrons, aus denen Charaktere sprechen und gelebte Leben, in denen Weis­heit und Troß Form gewinnt, in denen Müdigkeit deutlich wird oder auch stählerner Wille, der die Weltgeschichte be­stimmte- laffen wir uns, nicht, wie wirs vorhatten, durch die Universitätshörsäle, sondern noch einmal durch die Ge­mäldegalerie der Seelen führen:

... Das ist ein Brief Heinrich Heines  ; der Dichter ist enttäuscht, daß auch sein Uebertritt zum Christentum ihm feinen Frieden brachte. Diese Handschrift kennen Sie ja: Karl Marg. Die Mendelsohn8; wissen sie, es ist immer sehr interessant ganze Familien zusammenzustellen, man fann da interessante Forschungen vornehmen. Natürlich hab ich auch die Handschriften alter Rabbiner und rabbini­scher Gelehrter, die großen jüdischen Politiker, Soldaten, Pazifisten, Großkaufleute, Industriellen, Juristen, Aerzte, Philosophen, Techniker, Schriftsteller, Schauspieler, Maler, - gleichgültig, ob sie sich zu ihrer jüdischen Herkunft bewußt bekannten oder nicht, gleichgültig, in welcher Sprache, an welchem Ort der Welt sie wirkten. Hier ist Jules Verne  , er war ein Ostjunde. Das ist ein Brief von Siegfried Marcus  , dem Erfinder des Automobils. Das ist ein Brief von Her mann Schwarz, dem Vorgänger Seppelins. Hier ist Heinrich Herz. Hier das Manuskript von Einsteins Relativitäts­theorie...

Einsteinautogramme find an sich nicht so selten und auf dem Markt" daher nicht so kostbar. Immer, wenn ein Bedürftiger sich an den Gelehrten mit der Bitte um Unterstüßung wandte, und wie oft geschah dies nicht in den lezten Jahren, dann übergab ihm Frau Einstein   irgend einen alten Brief oder einen alten Zettel ihres Mannes, den der Hilfesuchende zu Geld machen durfte und auch stets zu Geld verwandelte. Aber das Originalmanuskript der Relativitätstheorie

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Da wiegt man den etwa ein Pfund schweren Oktavband in der Hand und weiß doch, daß er Ungeheures wiegt.

Neue deutsche   Wissenschaft

Gedanken aus R. Walter Darres Abhandlung: Das Schwein als kriterium für nore bische Völker und Semiten", Verlag Lehmann, München  , 1933. Wäre eigentlich ganz abzudruden. Aus Plazmangel nur ein paar Schlager:

,, Selbst auf die Gefahr hin, mich in gewissen Kreisen sehr unbeliebt zu machen, kann ich nicht umhin, eine indische Sage zu erwähnen, welche den Tod Buddhas auf den Ge nuß von zu vielem Schweinefleisch zurückführt."( S. 4.)

" Die Venetianer gaben am Ausgang des 15. Jahr hunderts eine ansehnliche Summe dafür aus, in ihren Fak toreien unter den Arabern ein Schwein halten zu dürfen. Damit ärgerten sie einesteils die Ungläubigen, bewiesen andernteils dadurch aber auch den übrigen Christen die Macht des Löwen   von S. Marco."( S. 5/6.)

Das Schwein ist durchaus das Opfertier des nordischen Sonnengottes oder hängt wenigstens damit zusammen."( S. 6.)

" Die Lex Salica  " bietet eine eingehende Schweine­terminologie. Ueberhaupt sind alle die Hausschweine be­treffenden fachtechnischen Ausdrücke bei den Germanen fo vielseitig, so bis ins einzelne durchdacht und durchgearbeitet im Gebrauch der Geschlechter, daß unser heutiger Sprach­schatz darin völlig verarmt erscheint."( S. 7.)

Man kann Schweine zur Not einmal über ihnen un bekanntes Gelände treiben; wer es einmal hat tun müssen, bedankt sich für die Wiederholung."( S. 9.)

" Die nordischen Völker des Mittelmeerbeckens haben das Hausschwein als Leitraffe" besessen."( S. 14.)

Während das Hausschwein nur über die nordischen Völker die klare Auskunft gibt, daß sie Siedler gewesen sein müssen, beweisen die Semiten mit ihrer Ab­lehnung alles dessen, was mit dem Schwein zusammenhängt, ebenso klar ihr Nomaden tum."( S. 15.)

Das Hauptmerkmal der Wüste ist ihre Wasserlosigkeit, das Schwein aber beweist den Wasserreichtum einer Gegend." ( G. 18.)

Der Semite und das Schwein sind faunistische, also physiologische Antipoden."( S. 24.)

" So viel scheint mir flar zu sein, daß diejenigen, die den Vegetarismus in die nordische Be­megung tragen wollen, um die nordische Raise zu erneuern, ein Pferd beim Schwanze aufzuzäumen versuchen."( S. 33.),

Da sieht man mal hinein, versteht keinen Ton und weiß In der Schweiz  : Mischblut

doch, daß hier einige der Noten der großen unendlichen Welt­allsinfonie festgelegt sind.

Festgelegt auf dem Delberg bei Jerusalem  , zwischen dem Toten Meer   und der ewigen Stadt, zwischen Wüste und Welt. Behutsam legt Doktor Schwadron, des jüdischen Weimars wichtiger Wächter, das Glanzstück seiner Sammlung in den Eisenschrank zurüd.

Berninge sehen dich an

Wie die deutsche Sprache aufgenordet wird

In der Königsberger Hartungschen Bettung" ist über die Aufnordung der deutschen Sprache zu lesen:

Das unbequeme Wort Elettrizität stammt, wie man weiß, aus dem Griechischen, es ist abgeleitet von Elektron, dem griechischen Wort für Bernstein  , an dem zuerst elektrische Erscheinungen beobachtet wurden. Von Elektron gleich Bernstein   aus gelangen wir zu folgen­der Gleichung: Bernstein   gleich Elektrizitätsstein. Ziehen wir auf beiden Seiten der Gleichung Stein" ab, so er halten wir Bern   gleich Elektrizität.

Mit solcher Hegen- Algebra arbeitet man in der Wert statt der modernen Sprachschöpfung. Die Bern  " ist nicht etwa ein Scherzwort, sondern eine durchaus ernst gemeinte und auch ernst zu nehmende Verdeutschung des Wortes Elektrizität, vorgeschlagen von ernsten Mann, namens Karl Amon in der Zeitschrift des Deutschen Sprachvereins Die Muttersprache".

Hat man das erste spöttische Lächeln überwunden und #berdenkt man die Sache nach allen Seiten hin, so wird man finden, daß der Vorschlag gar nicht so übel ist.

Man kann ein 8eitwort bernen" für elektrisieren bilden und ein Eigenschaftswort bernig" für elektrisch, man er hält eine Bernbahn an Stelle der sprachlich und sachlich unrichtig gebildeten elektrischen Bahn, die eigentlich Elef trizitätsbahn heißen müßte, wie wir Wasserleitung und nicht wäfferige Leitung sagen. Es gibt Bernlicht, Bern­schalter, sogar für Elektrostahl Bernstahl, den man mit Bernwärme statt mit Elektrowärme schmilzt.

Eine Leitung, die unter Spannung steht, ist bernig eine Eisenbahn wird nicht mehr elektrifiziert, sondern verbernt. Macht man eine Leitung spannungslos, so wird sie ent bernt. Die Dynamomaschine, der Stromer­zeuger wird zum Bernzeug, der Elektromonteur zum Berner wie wir den Schloßmonteur Schlosser nennen und schließlich ergibt sich für die sehr umständliche Be­zeichnung elektrische Lokomotive der einfache Bernling, dem man den Dampfling für die Dampflokomotive an die Seite stellen kann.

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Dann werden wir also demnächst lesen: Der Redner, Reichspropagandaminister Pg. Dr. Göbbels  , bernte wie immer seine Zuhörer...

Der Neuen Züricher Zeitung" ging folgender Brief zu: Ich sehe, daß ein Teil der   Schweizer Deutschen   unsere Belange nicht versteht und nicht verstehen kann: Es handelt sich um eine Frage des Blutes, und die nicht reinraffig arischen Deutschschweizer   können sich mit bestem Willen nicht zurechtfinden. Das ist verständlich, da in der deutschen Schweiz   leider Mischblut nur zu häufig ist( überwiegend schwarze Haare und dunkle Augen). Es wird troß allebem auch die Schweiz   sich aufnorden, zunächst Nichtarier, dann auch Romanen allmählich außmerzen müssen."

Der Narrenbrief, der aus Berlin   fam, stammt von einem Manne mit dem rein arischen Namen: Konopatski.

Zeit- Notizen

Der Oberbibliothekar an der Universität Berlin, Profeffor Dr. Seinrich Löwe, wurde entlassen. Er wurde zum Leiter der Stadtbibliothek in Tel- Awiw ernannt.

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Der badische Innenminister hat für den Bereich des Lan des Baden den Bund Religiöser Sozialisten Deutschlands  aufgelöst und verboten.

Ein Vortragsabend des Dichters Joachim Ringelna, dez am Freitag in Hamburg   stattfinden sollte, ist von der Staatspolizei verboten worden.

Die bayerische Staatsbibliothek erwarb den für die Mufik geschichte hochbedeutsamen Nachlaß des Kapellmeisters Her mann Levi in München   und Bayreuth  ."( Sentralblatt für Bibliothekwesen, Heft 10.) Und das hat Streicher erlaubt!

Wo Freiheit ist, muß, mer öffentlich auftritt, fich auch öffentlich behandeln und verhandeln und mitunter wohl miß handeln lassen. Diese Stärke des Gemütes, diese Tugend muß er haben. Ernst Moriz Arndt