DAS BUNTE BLATT

NUMMER 101- 1. JAHRGANG

Zwanzig

TAGLICHE UNTERHALTUNGS- BEILAGE

Jahre Panamakanal

Genau vor zwanzig Jahren wurden die letzten Spaten: ftiche an dem riesigen Panamakanal getan. Damit war ein Bauwert vollendet, das ungeheure Opfer gefoftet und während seiner Entstehung mehrfach in sensationeller Weise die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ges zogen hatte.

Als vor 420 Jahren der Spanier Balboa mit 1500 Last­trägern und einer kleinen Truppe von der Küste des Atlan­ tischen Ozeans   zum erstenmal bis zu den Ufern des Pazifik vordrang, brauchte er für seinen mühsamen Weg mitten durch den Urwald dreiundzwanzig Tage. Dramatische Szenen, so berichtet die Historie, haben sich abgespielt, als die fühnen Spanier den Stillen Ozean vor sich sahen. Das mitgeführte Banner der Heiligen Jungfrau wurde mit dem Meeres­wasser besprengt. Jeder watete in die Fluten und trank eine Handvoll. Und Balboa, der stolze, furchtlose Balboa, konnte fich nicht der Tränen erwehren.

Balboa wird hingerichtet

Nicht lange, und der große Spanier wurde wegen einer Liebesaffäre hingerichtet. Spanien   entledigte sich damit eines seiner größten Söhne. Er ist es gewesen, der nach seiner glücklichen Ueberquerung der Landenge den Plan zu einer Verbindung der beiden Ozeane durch einen großen Kanal ins Auge faßte. Sein Tod verhinderte die Ausführung. Auch nachher noch war die Verwirklichung seiner Anregung näher, als man denken sollte. Erst Philipp II  , machte allen Erörte­rungen darüber ein Ende, als er den Plan für gottlos er­flärte.

Lesseps   will den ,, gottlosen" Kanal bauen

Erst vor fünfundfünfzig Jahren griff man das Problem wieder auf. Es war Ferdinand de Lesseps  , der die Pläne für den Kanal angefertigt hatte. Es entstand damals ein wilder Taumel, jeder erkannte die Notwendigkeit des Kanals, jeder

Ein Postpaket reist um die Welt

Ein Telegramm meldet, daß ein Postpaket in nicht ganz zwei Wochen den Weg um die halbe Erdkugel zurüd­gelegt hat. Es ist dies wahrscheinlich nicht einmal ein Rekord, denn die Flugpost hat sicher schon in der Beförderung, etwa von England nach Australien   oder nach Japan  , schnellere Postbeförderungen durchgeführt. Dennoch ist diese neue Post­verbindung bemerkenswert, denn sie ist zwischen Gebieten hergestellt worden, von denen man sonst glaubt, daß sie mit den üblichen Verkehrsmitteln nur schwer erreicht werden fönnen.

Der Vizegouverneur der kanadischen Provinz Britisch­Kolumbien sandte ein Paket an den Gouverneur der Kenya  - Kolonie in Britisch Ostafrika  . Dieses Paket erreichte bereits nach dreizehn Tagen über eine Ent­fernung von etwa 18 000 Kilometer fein Ziel. Aufgegeben in der Stadt Vancouver   am 23. August, benützte die Sen­dung zunächst die Eisenbahn bis Seattle  . Die Weiter­beförderung von dort erfolgte mit der amerikanischen   Luft­post entlang der Küste des Stillen Ozeans bis San Fran­zisko. Von dort aus ging es über die transkontinentale Strecke nach Neuyork, wo am 25. August der Dampfer " Europa  " mit der übrigen Post das für Afrika   bestimmte Paket übernahm. In der Nacht vom 28. zum 29. August murde das Katapultflugzeug mit der an Bord befindlichen

Fontamara

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ROMAN VON IGNAZIO SILONE  

Normalerweise genügte der Ertrag der von uns gepach­teten und der anderen größeren Grundstücke zur Bezahlung von Steuern und Pachtzinsen, während die Früchte der be­wässerten Felder unsere Nahrung für den Winter be­deuteten: Maisbrot und Gemüsesuppen. Der Raub des Wassers verdammte uns zu einem Winter ohne Brot und ohne Minestra. War das menschenmöglich? Es schien un­möglich. Keiner von uns versuchte auch nur, es sich auszu­malen. Aber an wen sich da noch wenden?

Das Rätsel der zehn Lustri, das nach dem Nätsel der zwei Dreiviertel aufgetaucht war, hatte jedes Vertrauen zwischen uns und der ehrenwerten Gesellschaft" untergraben. In beiden Fällen waren wir von dem gleichen Mann, dem wir immer die Vertretung unserer Interessen anvertraut hatten, nach allen Regeln der Kunst hereingelegt worden. Wir konnten uns auf niemand mehr verlassen. An wen sich da noch wenden?

Man kann sich schwer vorstellen, was das für uns be­deutete. Ein Cafone ist sich immer wehrlos und verloren vorgekommen, wie ein Wurm auf der Erdoberfläche, wenn es ihm nicht gelungen war, sich einem Herrn" zu unter­stellen und den Eintritt in eine Clientela( Schuzhörigkeit) zu erringen, an deren Spitze der Herr" stand, an den er sich in jedem schwierigen Fall wenden konnte: um Schutz gegen feindselige Mitglieder anderer Clientelen, um Arbeit, wegen Auswanderung, um einen furzen Urlaubsschein für den Sohn beim Militär, um Rat bei Erbangelegenheiten, in Ehefragen und ähnlichen Fällen. Daher hatte jeder Ca­fone stets versucht, sich an ein Mitglied der bevorrechteten Klasse anzulehnen, am liebsten an einen Advokaten. Dieser stützte sich wieder auf einen Kollegen, der beim Unter­präfekten Einfluß hatte; und der wiederum fand beim Prä­ fekten   Unterstüßung; und so weiter bis zur Regierung in

wollte in den Besitz einer Panama  - Aktie gelangen. Sehr bald war das erforderliche Kapital beisammen.

Aber de Lesseps hatte sich verrechnet. Er wollte ohne Schleusen, nur durch Erdbewegung den Kanal ausschachten, indem er dem natürlichen Lauf des Schagresflusses folgte. Er bedachte dabei nicht, daß der Wasserstand des Pazifik dreißig Zentimeter über dem des Atlantik liegt. Nach zehn Jahren erfolgte denn auch der ungeheure Zusammenbruch des gesamten Panamaunternehmens.

Er war allerdings nicht ausschließlich de Lesseps Schuld. Die Aktiengesellschaft hatte sich außer mangelhaften Vor­bereitungen auch Bestechungen und schwindelhafte Provi­sienen zuschulden kommen lassen. Daher spricht man noch heute von einem Panama  ", wenn es irgendwo stinkt". Les­ seps   hat bekanntlich den Suezkanal gebaut.

Nach diesem großen Fehlschlag nahmen sich die Amerikaner des Kanalbaus an. In großen Schleusen mußten sie die hohen Bergketten überwinden. Der Schagresfluß wurde ge­staut und in dem Gatunsee der größte Stausee der Welt geschaffen. Mehr als dreieinhalb Kilometer Felsgestein mußte weggesprengt werden. Zehntausende von Arbeitern schafften zehn Jahre lang an dem großen Werk.

Unter jeder Eisenbahnschwelle ein Toter?

Viele Todesopfer hat das menschenmörderische Klima ge­fordert. Wer nicht den Strapazen in der stechenden Sonnen­glut erlag, den raffte die tüdische Malaria hinweg. Es wird behauptet, die Zahl der Toten sei so groß gewesen, daß man unter jeder Schwelle der Eisenbahnlinie von Colon nach Panama   einen Arbeiter hätte begraben können. Die Kosten find ebenfalls enorm gewesen. Schon bei dem Zusammen­bruch hatten die Franzosen sechshundert Millionen Schilling und die Amerikaner 2,4 milliarden Mark investiert. Aber das Geschäft hat sich zuletzt doch gelohnt. Der große Kanal ist für die Schiffahrt unentbehrlich und wird selbst heute nech zu der Zeit der Wirtschaftskrise täglich mindestens von schn Schiffen befahren.

DIENSTAG, DEN 17. OKTOBER 1933

Laß nachten, Herr!

Bon Oskar Maria Graf  

Noch einmal will der Tag sich selber Amen sagen und zieht rund um den Himmel eine hohe Wand. Noch einmal glänzt, was Staub ist, Mühsal und Versagen. und fällt ins Dämmern wie ein wesenloser Tand. Was ist nun alles dies, das uns so wichtig schien? Ein Hauch geschah und nun ists gestern. Und morgen?- Morgen flingt so kühn!

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Und steht auf einmal rundherum, genau so fern und ebenso gewesen.

Wir stehen wehrlos vor dem Riesenberg der Zeit, von dem fich hart die Stundensteine lösen und abwärtsrollen ins verkohlte Nichts. Laß nachten, Herr! Die Seele schreit aus der Verdammung dieses hoffnungslosen Weltgerichts.

Morris   Hillquit

Aus Neuyork fommt die traurige Nachricht, daß einer ber angesehensten und international bekanntesten Führer der amerikanischen   Arbeiterschaft, Morris Hill quit, nach längerem schweren Leiden gestorben ist.

Hillquit war russischer Abstammung; er ist am 1. August 1870 als Sohn eines Lehrers in Riga   geboren, aber schon mit sechzehn Jahren wanderte er nach Amerika   aus. Dort wid­mete er sich juristischen Studien und wurde einer der an­gesehensten und gesuchtesten Anwälte Neuyorks. Von An fang an wirkte er in der amerikanischen   sozialistischen   Partet. Sett 1900 gehörte er ihrem Parteivorstand an, seit 1904 war er der internationale Sekretär der Partei und hat als solcher an nahezu allen internationalen Kongressen der Vor­und Nachkriegszeit teilgenommen.

Bei der Spaltung der amerikanischen   Bewegung nach dem Krieg blieb Hillquit dem Sozialismus treu und führte die Partet erst zum Anschluß an die Wiener Internationale Arbeitsgemeinschaft und dann in die wiedervereinigte So zialistische Arbetter- Internationale. Auf den Kongressen ber

Poft nach Southampton   abgeschossen und erreichte am Internationale ist er als Wortführer der amerikanischen

30. August das in London   nach Kapstadt   startende englische  Flugzeug, um am 5. September, also nach dreizehntägiger Reise, das Ziel Nairobi   zu erreichen. Günstige Anschlüsse vorausgesetzt, hätte die kürzeste Laufzeit dieser Sendung per Eisenbahn und Schiff 32 Tage betragen.

Ein Schloß für sieben Lire

Auf einer Berghöhe bei Cuneo   an der italienisch französischen   Grenze von Piemont steht das aus dem drei­zehnten Jahrhundert stammende Schloß Montemale. Dieses alte Schloß ist, wie Turiner   Zeitungen berichten, für sie­zehn Lire zu kaufen. Vor ungefähr zwanzig Jahren ließ der Besitzer, Marquis von Saluzzo  , da ihm die Steuern zu hoch waren, das Dach vom Schloß fortnehmen. Wind und Regen hatten seitdem freten Eingang und machten das Schloß zu einer Ruine. Da der Marquis von Saluzza   einer Bank in Cuneo   40 000 Lire schuldete und er keine Anstalten machte, zu bezahlen, ließ die Bank kürzlich das Schloß ver­steigern, um zu ihrem Geld zu kommen. Das Land wurde auf 10 000 Lire geschäßt, das Schloß nur auf zehn Lire. Da sich aber kein Liebhaber fand, wurde eine neue Versteigerung anberaumt und die Tage auf nur sieben Lire festgesetzt. Aber auch zu diesem Preis hat sich noch kein Käufer gefunden.

Rom  . Das Netz all dieser Camorren schuf dann das, was ge­bildete Menschen den Staat" nennen.

Niemals hätte ein Fontamarese gewagt, ohne Don Cir­costanzas Begleitung ein öffentliches Gebäude zu betreten, um zum Beispiel einen Geburtsschein zu holen. Man hätte ihn dort mit Fußtritten hinausgeworfen. Generale Bal­dissera erzählte oft, wie die Fontamaresen in den ersten Zeiten der Eisenbahnlinie Rom  - Pescara   außer mit dem Geld für das Billett, noch mit einem Empfehlungsschreiben von Don Circostanza auf den Bahnhof gingen. Denn die Eisenbahn gehörte dem Staat, und hat dieser den Cafoni gegenüber je eine Verpflichtung gehabt? Das Reisen wurde immer alltäglicher, die Züge immer voller, so daß die Ge= wohnheit, mit Empfehlungsbriefen am Billettschalter zu er scheinen, sich verlor und die Cafoni selbst bis nach Rom  reisten, ohne darüber vorher mit Don Circostanza berat­schlagt zu haben. Aber bei allem andern wäre sich ein Cafone ohne den Schutz eines feinen Mannes wie ein Fisch auf dem Trockenen vorgekommen.

So zu leben schien uns ganz selbstverständlich, aber die Alten erinnerten sich an andere Zeiten. Früher, da gab es bei uns drei oder vier Großgrundbesizer, den Bischof inbegriffen, die alle besaßen und alles selbst lenkten auf Grund zweier oder dreier allen bekannter, höchst einfacher Gesetze. Dann tamen die Piemontesen: jeden Tag erließen sie ein neues Geseb, jeden Tag gründeten sie ein neues Büro und um sich da zurechtzufinden, brauchte es Juristen. Dem Wortlaut nach verloren die Grundbesitzer ihre Rechte und alle wurden vor dem Gesetz gleich. Aber um dieses an­zuwenden, auszunüßen, zu umgehen oder es in Schändlich­teiten zu verwandeln, dazu brauchte man Advokaten. Als ich ein Kind war, gab es in unserer Hauptstadt zwei Rechtsan­wälte, die zugleich Notare waren. Jetzt gibt es deren acht und dazu noch vier Notare, ohne die Schwindler, die alle Streitereien erst schaffen. Um zu leben, sind eine Menge Ad­vokaten gezwungen, jede Woche neue Intrigen zu erfinden, Streit heraufzubeschwören und fleine Prozesse auf die lange Bank zu schieben. Meinungsverschiedenheiten, die früher gut lich beigelegt wurden, dauern heute mit Hilfe der Anwälte Jahre, kosten das Blaue vom Himmel und hinterlassen als Nachspiel Haß und Groll. Die Beziehungen der Familien untereinander werden durch die Advokaten auch immer

Delegation und auch als Kongreßvorsitzender hervorgetreten; auf dem internationalen Kongreß von Brüssel erstattete er ein Referat über die wirtschaftliche Lage. Hillquitt ist auch als Schriftsteller bekannt geworden. Sein Buch über die Ge­schichte des amerikanischen   Sozialismus ist in deutscher Sprache in der Internationalen Bücherei erschienen.

Mit Hillquit verliert nicht nur die amerikanische, sondern die internationale sozialistische Bewegung eine hervorragende Gestalt. Er scheidet von der amerikanischen   Arbeiterklasse gerade in dem Augenblick, in dem fie, durch besondere Ume stände begünstigt, sich anschickt, einen Aufstieg zu nehmen, an dessen mühevoller Vorbereitung ihm ein geschichtliches Verdienst zufällt.

Ladien nicht verfernen

Mutter: Hat sich der Doktor endlich einmal ausge­sprochen."- Zochter:" Nein, Wama. Es kommt nie­mals zum Aussprechen, immer nur zu Ausreden!"

A.: Sag mal, bist du immer noch schwankend in deinem Entschluß, deine Verlobung zu lösen? B.: Ja, ich war in der Tat unentschlossen, aber nun steht mein Entschluß doch fest, sie nicht zu heiraten." A.: Wie kam denn das mit einem Male?" B. Ich habe gestern zufällig gesehen, wie sie Teppiche klopft. Mir ist da ganz angst und bange geworden."

häßlicher. Sie mischen sich in alles. Ihre Gebärden, ihr Ton­fall, ihre Art sich zu kleiden, zu grüßen, zu trinken, zu effen, sind ausstudiert, um die Cafoni einzufangen. Der größte Ehrgeiz eines Gafoni ist, einen Rechtsanwalt zum Paten au haben; daher kann man am Firmungstag in der Kathedrale der Hauptstadt jeden Rechtsanwalt von rund zehn Cafoni­Kindern umringt sehen, die von ihren festlich aufgepusten Müttern begleitet sind. Die Advokaten waren deshalb auch die unentbehrlichsten Ehrengäste bei großen Familienfesten, besonders beim Hochzeitsschmaus, wo sie stets rechts von der Braut saßen.

Jede Clientela arbeitete übrigens rücksichtslos gegen die andere. Jede versuchte das Bürgermeisteramt oder den Podesta, den Amtsrichter, den Hauptmann der Carabinieri, den Unterpräfekten, den königlichen Staatsanwalt oder den Abgeordneten zu stellen. Die Kassen der Gemeinde oder der frommen Werke waren das Ziel ihrer Träume; diese Aemter wurden an die eigenen Parteigänger verteilt, die Steuern willkürlich veranlagt, die Arbeiten für die Gemeinde an sich - wenn es einmal gerissen und die Wahllisten wimmelten

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zu einer Wahl kam- von Toten und Abwesenden. Auf diese Weise gelang es einer Clientela oft, sich eines ganzen Dorfes zu bemächtigen. So war Fontamara stets Don Circostanza gefolgt. Collarmele gehorchte. Don Cucca­vascio, Ortona Don Ciccone, Bisegna Don Tarandella, San Benedetto Don Pomponio. Amtsrichter, Carabinieri und Beamte fonnten wechseln, die Neuangekommenen aber muß ten sich der herrschenden Clientela unterwerfen oder ab­ziehen.

Die Konflikte der Herren" wurden zu Konflikten der Dörfer. Es genügt, an den Krieg zwischen Pescina   und San Benedetto von 1913 zu erinnern, einen Krieg der Herren, den die Cafoni mit allen Mitteln führten, mit Vergiftung des Wassers, Vernichtung der Weinberge, Anzünden ber Kornspeicher und Schießereien; ein Krieg, den die Regie­rung in Rom   nur mit großer Mühe beilegen konnte, indem sie ein Infanterieregiment und einige hundert Mann Kavallerie sandte. Der Krieg endete, aber der Haß zwischen den Cafoni hörte nicht auf.

( Fortfeßung folgt.)