Friede oder Barbarei?

Eine Zensur- Komödie

die

Jutatus est voo

Der Observer" und Deutschland von 1919 bis 1933

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Das hervorragende Londoner Blatt Observer ", dessen Herausgeber, J. L. Garvin , einer der geachtetften eng lifchen politischen Schriftsteller ist, wurde in Deutschland verboten. Es darf ab 20. Oktober wieder erscheinen. Hören wir, was er über das Verbot und zugleich über Hitlers Deutschland schreibt:

Man hat das Gefühl, als ob ein Storpion unter jedem Stein läge", so sagte einmal der Philo­soph Erasmus von der Tyrannei Heinrichs VIII. Heute haben wir aktuelle Beispiele. Das Spigel- Deutschland von heute ist kein einladender Aufenthaltsort mehr. Deutschland lebt in dauernder Erregung, aber es ist nicht glücklich. Zweifel und schlimme Vorahnungen stehen drohend hinter all den bombastischen Festlichkeiten. Herrn Hitlers frei fchende Feierlichkeit hat niemals Humor gekannt, nicht mal den der Fronie. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich grund­legend von Cromwell und Lincoln-, von Bismarck gar nicht zu reden, der trotz seiner Eisernheit" ein Falstaff geblieben ist. Aber die unbewußten Humoristen sind manchmal die besten.

Der Observer" ist einer der treuesten Freunde gewesen, die das deutsche Volt jemals gehabt hat. Als die Deutschen in der tiefsten Tiefe ihres Elendes waren, und die Zahl ihrer Freunde sehr gering war, haben wir uns für sie eingesetzt. Jetzt ist der Observer" als einzige Zeitung in Berlin verboten wonden. Das ist die eine Seite des Spaffes, aber es gibt noch eine andere. Die Art und Weise des Verbotes nämlich macht diese kleine Angelegenheit zu einer unbezahlbaren Komödie.

1.

Es fing vor 14 Tagen an, als die Polizet ganz am burg durchraste, um den Observer" au finden, damit diese schredliche Zeitung in der Versenkung verschwinde. Jezt find wir offiziell bis zum 20. Oftober verboten, bis zum nächsten( heutigen. Die Red.) Freitag also. Die Wahl dieses Datums ist ein arisches Geheimnis, aber das Ende ist nicht abzusehen. Wir stehen unter seitweiser Gr tommunikation. Wenn wir unsere Meinungen be­richtigen können, wird die Polizei uns wieder erlauben. Wenn nicht, trifft uns ein neuer Bannstrahl. Wir werden dann in aller Form und für alle Zeiten exkommuniziert

werden.

Der Fall liegt so, daß eine britische Zeitung über eine der wichtigsten Fragen, die augenblick die Welt inter­effieren, sich nach der Laune einer fremden Zensur rich­ten soll. Für alles Geld in der Welt können wir das mit Berlaub nicht tun.

Man möge die Begriffe nicht verwechseln. Es gibt hier eine reinliche Scheidung der Ausgangspunkte. In ihrem eigenen Lande tun die Nazis, was sie wollen; das ist thre Sache. Auf britischem Boden sagen wir, was wir zu lagen haben, das ist unsere Sache. Die Nazis mögen nicht versuchen, aus diesen beiden Dingen einen unanständigen Kuddel- Muddel zu machen. Sie mögen den Observer" ver­bieten, aber sich hüten vor der absurden Idee, daß das vor­läufige Verbot bis zum 20. Oktober ihnen die Möglichkeit eines trüben Handels geben könnte. Ihre eigene Presse haben sie vollkommen versklavt. Durch die letzten Maß­nahmen werden die deutschen Journalisten in Gehorsam er­aogen und in Unterwürfigkeit gedrillt. Sie mögen ihren Hakenkreuz- Terror für sich behalten. Die Nazis führen das Wort Macht" dauernd so groß im Munde. Aus unserm Munde mögen sie gleich machtvoll die Versicherung nehmen, daß die Freiheit der englisch sprechenden Presse beiderseits des Atlantischen Ozeans der machtigste aller Faftoren, die Bismard die Imponderablten der Weltnannte, bleiben

wird.

Wir behandeln den vorliegenden Fall nicht deswegen, weil es sich um eine besondere Zeitung handelt, sondern weil dieser Fall geeignet ist, einmal zu zeigen, was für die Er. haltung des Friedens auf dem Spiele steht. Während des Weltkrieges war Herr Bernhard Shaw, der zweifellos anders denkt als wir, Kronzeuge für die Tat­sache, daß unsere Zeitung selbst in der Zeit der schlimmsten Konflikte, obwohl sie an den Sieg glaubten, trotzdem in der anständigsten Weise über das deutsche Volt geschrieben hat. Nach dem Siege in einer Zeit, in der die Volksleiden­schaften am schwersten zu bekämpfen waren, unternahm es der Observer", eine heftige Rampagne gegen die Auswüchse des Versailler Vertrages zu führen. Das ist eeine Tatsache, bie feststeht und deren Richtigkeit jeder nachprüfen kann. Von dieser Zeit an bis zum Tage von Brünings Sturz- dem traurigsten Tag seiner Art feit Bismards Verabschiedung hat diese Zeitung, soweit wir uns erinnern können, die großzügigste Sympathie für alle die Schwierigkeiten an den Tag gelegt, mit denen das deutsche Bolt zu kämpfen hatte.

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Bir kämpften gegen die Ruhrbesehung, wir fämpften für die Befreiung des Rhein­landes. wir fämpften für die Herabfeßung der Reparationen und dann für die Er laffung der Kriegsschulden.

Wir befürworteten die territoriale Revision der Verträge feineswegs aus Gefühlsgründen, sondern aus der sicheren Ueberzeugung heraus, daß sie ein Friedenspfand bedeutet. Wir erklärten von Anfang an, daß ohne größere Anstren gungen zur Erzielung geistiger Abrüstung das ganze Ge schwätz und Getue über die mechanische Abrüstung ohne Erfolg bleiben würde. Wir seßten uns so heftig wie nur irgend jemand für die Entwaffnung ein. Wenn wir auch über die Methoden der Abrüftung unsere eigenen Ansichten

hatten.

1919

8.

So und nicht anders haben wir zu Deutschland geftanden - und Taufende von guten Deutschen wiffen es und haben es bestätigt: Angefangen von der Kampagne im Frühling gegen die Schnißer des Friedenswerkes über die Unter­ftützung von Stresemanns flugem Regime bis zu Brünings Sturz haben wir uns immer gegen die einde des Friedens­wertes gewandt. Dieser geistig hochstehende und ernsthafte

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Staatsmann hat vom guten Willen und vom Vertrauen der Welt in furzer Zeit mehr gewonnen, als irgendeiner seiner Vorgänger in einer ganzen Generation. Die französische Meinung begann sich gründlich zu ändern. Das wirkliche Friedenswerk war auf dem besten Wege. Mit noch einem oder zwei Jahren Brüningscher Geduld nicht passiver, sondern stetig vorwärts treibender Prägung wäre die Frage des europäischen Wiederaufbaues und der Völker­versöhnung einen enormen Schritt vorangekommen. Aber dann gewann Herr von Papen mit anderen Intriganten das ehrwürdige Ohr des Marschalls von Hindenburg , Brüning, der beste Kanzler seit Bismarc," wurde gestürzt durch die verblendeten Junker und Plutokraten, die glaubten, für sich zu arbeiten in Wirklichkeit aber der Revolution die Tore öffneten und so durch ihre Dummheit ganz Deutschland in Brand steckten.

Die Nazis triumphieren, weil betrogene Reaktionäre es ihnen ermöglicht hatten, die Staatsmaschine zu lenken. Dieser Triumph war und ist bis auf den heutigen Tag von einer Art, die in di= rektem Gegensatz zu allen moralischen Grundlagen des Friedens in Europa und in der Welt steht, und die es nötig macht, die bisherigen Auffassungen von Abrüstung und Re­vision den neuen Tatsachen anzupassen.

Die Seele der Hitlerbewegung war von Anfang an die Gewalt. Bismarck hat sich sein ganzes Leben lang über die Empfindungsstumpfheit des politischen Temperaments des Durchschnittsdeutschen beklagt.

Und das gerade, was er fürchtete, hat heute ganz Deutsch­ land überflutet. Es hat vom deutschen Volk Besitz ergriffen, und das deutsche Volk ist heute von ihm besessen.

Als der Terror, der die Seele des Hitlerismus ist, in der Hitlerrevolution ausbrach, hatte das verschiedene Wirkun gen. Der Hakenkreuzterror zertrampelte nicht allein die Freiheit und das Recht zur Kritik im Reich, sondern er zog auch den bisherigen besten Freunden Deutschlands den Boden unter den Füßen weg. Er erklärte die geistigen Tra­ditionen Bismards, Stresemanns und Brünings in Acht und Bann, er vernichtete das Friedenswert von vierzehn Jahren. Er setzte die ganze Frage der Abrüstung, soweit sie im Glauben an den Frieden und mit dem Zweck des Friedens geführt wird, aufs Spiel. Durch seine Ideen und Thesen verbreitete er Unruhe um sich, er tötete geradezu das Problem der Revision des Versailler Ver= trages und nahm uns für lange Zeit jede Hoffnung. Es spielt keine Rolle, ob ein betrogenes Volk sich von Illusio nen einfangen läßt, es handelt sich um Tatsachen und die müssen gesagt werden.

4.

Die Nazis haben den Observer" verboten, weil er ihre Philosophie in ihrem Ausgangspunkt an­greift. Ihr Glaubensbekenntnis eines Nero­Barbarismus basiert aufeiner Unmenge von naiven und scharlatanhaften Voraussetzun gen. Es ist ein ganzer Haufen von Lügen- Lügen über Rasse, Geschichte, Natur, Frauen, Kinder, Leben, Gott . Wenn dieses Glaubensbekenntnis angenommen und verbreitet würde, gäbe es für die Zukunft der Menschen keine Hoffnung mehr. Warum? Weil die Verteidigung des Friedensgeistes vollkommen und absolut ausgerottet wird in dieser düpier­ten und betrogenen Nation. Und weil die organisierte Ver­herrlichung des Krieges an sich an seine Stelle gesetzt worden ist.

Jeder, der die Nazipropaganda studiert hat, weiß, daß sie die vollkommenste und fanatischste Kriegsphilosophie in sich birgt, die Europa jemals gekannt hat. Krieg zu welchem 3wed? Krieg für den pangermanischen Mytos einer recht­mäßig dominierenden Raffe, deren Bestimmung es ist, sich

auszubreiten...

Die Nazis haben Krieg im Sinn. Für diesen Swed? Krieg für den pangermanischen Mythos einer recht­Eugeniks werden als der Schlüssel der Gesellschaft betrach tet. Erziehung und Drill müssen den Kriegsgeist in Kriegs­leiber hineinpflanzen. Die ganze Nation soll eine einaige Uebungsschule für den rieg mer. den. Ein ganzes Volk soll aufgezogen werden als Schlachtvieh für den Krieg. Ein germanischer Gott, der über dieses ganze System herrscht, muß befriedigt werden durch sich ständig erneuernde Blutbäder, muß sich ergözzen am geheiligten Blut seiner siegreichen Teutonen, wie an dem ruchlosen Blute ihrer Feinde.

Ein erfahrener Korrespondent schreibt an den Manchester Guardian". Er spricht von unwiderlegbaren Tatsachen" und weiß dafür Worte zu finden, die durch den Manchester Guardian" noch unterstrichen werden. Er schreibt: Ich habe niemals eine so bemerkenswerte Ueber

Lord Beaverbrook - Verlangt Rheinlandbesetzung

London , 20. Oktober. ( Eig. Bericht.) Lord Beaverbrook , neben Lord Rothermeere der größte Zeitungsfönig Englands, ist schon seit einiger Zeit, nachdem er zunächst den Nationalsozialismus durch dick und dünn verteidigt hatte, unter die Feinde Hitlers gegangen. Selbstverständlich hat sein ganzer Pressekonzern anf seinen Wint hin diese Schwenkung mitgemacht und übers trifft nunmehr an Schärfe gegen Hitler selbst die großen englischen Zeitungsfeinde der neudeutschen Bar barei, wie Manchester Guardian" und andere. Auf einer großen Londoner Versammlung hat jezt Lord Beaverbrook erklärt,

daß die Hitlerdeutschen auf dem linten Rheinufer rüsten, daß sie Befestigungs: werke anlegen und sich einen Dred um die Bestimmungen über die entmilitarisierte 3one fümmern.

Zweifellos träfen fie in der entmilitarisierten Zone nicht aur Verteidigungs-, sondern auch Angriffsvorbereitungen.

Von J. L. Garvin

einstimmung der Meinungen zwischen Men. schen der verschiedensten Nationalitäten und der verschiedensten Weltanschauungen gefunden, wie unter den Auslandsforres spondenten, die gegenwärtig in Berlin sind. Wir sind in der Tat Zeuge eines Phänoms, das in der Welt ohne Beispiel steht, und das wahrscheinlich auch kein Beispiel in der Geschichte hat. Ich war mehr als acht Jahre nicht in Deutschland gewesen, als ich jetzt im August wieder hier eintraf. Nie in meinem Leben habe ich ein Land so voll kommen verändert oder ein Volk so vollkommen demoralis siert vorgefunden."

Demoralisiert durch den Hakenkreuz- Terror, durch die Be­spizzelung, durch die Leichtgläubigkeit und die Unsicherheit, die entsteht, wenn die Presse gezwungen wird, so viel zu verbergen und nichts kritisieren darf.

5.

Was hat es für einen Zweck, diese bedauernswerten Tat sachen zu entstellen. Was hat es für einen Zweck, so zu reden, als ob die tote deutsche Republik und das unselige Nazireich ein und dasselbe wären? Was hat es für einen Sinn, welche Logik ist es, zu verneinen, daß für alle Nachbarn Deutschlands das Problem der Ab­rüstung sich fundamental geändert hat? Wo­durch geändert? Durch die militärische Explosion der Nazi­revolution, durch die enthusiastische Anbetung des Kriegs­ideals, durch ihr offenes Bekenntnis zu schrankenloser Un­humanität, Brutalität und Furchtbarkeit". Durch den ganzen fanatischen Egoismus dieses neuen

Nationalismus.

Ueber das, was in Genf geschehen kann oder nicht geschehen kann, enthalten wir uns heute jeder Meinung. Wenn die Besprechungen zu Ende sein werden, wird man mehr sagen können. Wir haben keinen Glauben an Wortformulierungen, die tiefgehende Differenzen im Innern über­tünchen und Risse verkleistern sollen. Es muß reiner Wein eingeschenkt werden. Das höchst e Ziel der ganzen Nazibewegung ist nicht Frie den, sondern Macht. Nicht Frieden, den sie in der Idee ablehnen und den sie ohne Bedenken zertrümmern würden, wenn sie sich in ihrem Spiel sicher wüßten. Nein: In den kommenden Jahren soll die Macht wieder erobert werden und dann soll sie eines Tages gebraucht werden, sei es als Druckmittel, sei es um einen Konflikt herbeizuführen, je nachdem es ihnen im Augenblick passend erscheinen wird. Das ist der tiefste Grund dieses Problems.

6.

Die wirkliche Schwierigkeit in Genf besteht darin, daß feine Einigung möglich erscheint, ohne eine gewisse Neuauf­rüstung und infolgedessen nicht ohne Zugeständnisse an das Nazireich. Deutschland wird aufrüsten, mehr oder weniger. In jedem Fall, ob man es ihm zuge­steht oder nicht, und es ist für die französische, britische oder jede andere Regierung eine sehr schwerwiegende Prinzipien frage, ob man, um die Zustimmung zur Rüstungskontrolle zu erringen, dieser deutschen Aufrüstung zustimmen will. Aber Formulierungen und Konventionen allein werden nicht helfen, werden im Gegenteil nur Enttäuschung bringen, so lange nicht gewisse geistigen Auffassungen in Europa sich grundlegend ändern.

Durch die Verwerfung des Friedensgeistes eines Strefe mann und Brüning ist hier allerdings ein großer Rücks schritt zu verzeichnen, der noch verstärkt wird durch die herausfordernde Heftigkeit der ganzen Hakenkreuz- Be­wegung. Belgien , das diese Terrorwellen bis an seine Grenze schlagen sieht, hat sich infolgedessen zu weiteren Schutzmaßnahmen der Landesverteidigung entschlossen.

Was würde man dazu sagen, wenn das französische Volk Lieder singen würde für einen Krieg mit Deutschland ? Eines der bevorzugtesten Lieder der Nazibande aber ist: Sieg reich wollen wir Frankreich schlagen." Herr Lloyd Georg ist anscheinend in Gefahr, ein Schafhirt zu werden, der Fair play für den Wolf" fordert...

7.

Wir hoffen zuversichtlich, daß, falls Genf mit einem Bruch enden sollte, die britische Regierung sich vor vor eiligen Erklärungen und Bindungen hüten wird. Ein völliger Bruch wird eine ganz neue Situation schaffen und stellt meitreichende, ganz neue Perspektiven für Abrüstung und Diplomatie auf.

Da wir die Sicherheit des Menschenleben 3 schäzen, darfes dem Neo- Barbarismus gegen über keine Weichheit geben. Weil er den wirklichen Friedensgeist bekämpft und ebenso falsch wie betörend für den Kriegskult wirbt.

Wörtlich forderte dann Beaverbrook : Jetzt hat Frankv reich das Recht, an die Mithilfe Englands an appellieren." Jetzt sei der Zeitpunkt eingetreten, wo die Sanktionen ergriffen werden müßten, die gegen die fortwährenden schweren Verstöße Hitlerdeutschlands und seine andauernde Aufrüftung ergriffen werden müßten: Die Belegung der entmilitarisierten Zone!

London , 20. Oktober. ( Eig. Bericht.) News Chronicle" veröffentlicht einen Artikel seines deutschen Korrespondenten, des bekannten englischen Jour noliften A. J. Cummings, über den Geisteszustand des dritten Reiches". Das Nazi- Deutschland," schreibt er, bes trachtet mit ungestörter Miene die Aussicht auf einen neuen Weltkrieg für diefen Krieg bereitet es sich vor, für diesen Krieg will es gerüstet sein." Der Verfasser bemerkt, daß das Reich im Augenblick den Frieden wünscht, um seine Militärmacht wieder herzustellen, die Enmpathien Italiens zu gewinnen, England von Franks reich und Polen von Rukland zu lösen. Die beiden Punkte, über die heute alle Dentichen sich einig feien, fei die Wieders gewinnung der früheren Kolonie Deutsch Osts Afrika und die Vernichtung des polnischen & orridors.