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Freitag, den 10. November 1933
Wo der Mensch zu denken anfängt,
hört der Soldat auf...")
Der Zug im Norden hat die Chausseestraße erreicht. Gegenüber der Maikäferfaserne marschieren die Massen auf. Dicht an die Häuser gedrückt, nehmen sie Aufstellung. Sie starren über die Straße zu den Fenstern der Mannschaftsstuben hoch.
Die Tore der Kaserne sind verschlossen, ihre Fenster mit eisernen Ketten gesichert. Es ist nicht ganz klar, ob die Ketten gegen die Demonstranten angebracht sind, oder ob die Soldaten verhindert werden sollen, die Kaserne zu verlassen.
Dann sieht man Gewehrläufe aufragen- aus den Kellerschächten, aus den Schießscharten der Tore. Und oben auf der Plattform sind Maschinengewehre aufgebaut.
Die Soldaten an den Fenstern haben Stahlhelme auf. Die Demonstranten winken,
Einige rufen hinüber:
" Kameraden..."
" Nicht schießen!"
" Wir wollen Frieden machen!"
" Schluß mit dem Krieg!"
Wenn ein Soldat seine Hand hebt und zurückwinkt, heben fich auf der Seite der Demonstranten Hunderte von Armen und Hochrufe werden ausgebracht.
Eine Gruppe mit Plakaten löst sich von der Menge und geht über den Damm, auf das äußerste Tor zu. Oben auf der Plattform fauert die Maschinengewehrbedienung. Der Schüße Eins" faßt die Griffe fester, der Schüße 3wet" beugt sich über den Ladestreifen und hebt ihn an die Su führung heran. Schüße Eins"," 3wei" und" Drei" sind fertig zum Feuern, wie es das Reglement von ihnen ver langt. Dabei sehen sie auf die andere Seite zu den Menschen hinüber, die diese kaum merkbare Bewegung gespürt haben und zurückweichen. Sie können nur enger aneinander rücken. Hinter sich haben sie die Häuser, und die Hausflure stehen schon gepfropft voll.
Vierhundert Schuß feuert das Gewehr in der Minute. Und drüben an der Mauer muß jeder Schuß ein Querschläger werden.
Der Befehl zum Schießen ist noch nicht da. Doch die Solbaten haben dieses furchtbare Kommando schon in den Ohren. Der Mann am Ladestreifen erinnert sich an die Front, an vorgehende Sturmabteilungen, die sein Maschinengewehr weggemäht hat; erinnert sich nach einer ähnlichen Situation, ein Ziel von derselben Hilflosigkeit hat er noch nicht gesehen. Er sieht den Wall weicher Leiber, für den es kein Entweichen gibt. Die Mündung ztelt mitten in die Masse hinein- Frauen, die gestern noch Gewehrpatronen herstellten, Männer, die gestern noch Granaten drehten, Feldgraue, die an der Front standen wie er, die dieselbe Wohnung, dasselbe Effen, dasselbe Schicksal haben....
Er hat den Fahneneid geschworen und trägt den Rock des Kaisers, des Kaisers, der einst sprach:
Wie eine feste Burg ragt Eure Kaserne in der nächsten Nähe des Schlosses auf, das ihr in erster Linie zu schützen
ftets bereit sein werdet. Ihr seid berufen, gewissermaßen als Leibwache, Tag und Nacht bereit zu sein, um für den König und sein Haus, wenn es gilt, Leben und Blut in die Schanze zu schlagen. Und wenn jemals wieder, wie 1848, das Ber liner Volk frech und unbotmäßig werden sollte, dann, davon bin ich überzeugt, werdet Ihr alle Unbotmäßigkeiten wider Euren föniglichen Herrn nachdrücklich in die Schranken zu rückverweisen."
Wo der Mensch zu denken anfängt, hört der Soldat auf. Und der Schüße Nummer 3wei" greift nach dem Gewehr, macht einige Handgriffe, mechanisch und egerziermäßig. Er haft den Patronengürtel aus der Zuführung und hält ihn unschlüssig in der Hand, denn einer plößlichen Eingebung folgend, wirft er ihn auf die Straße hinunter, vor die Füße der Frauen.
Der Gürtel zerspringt, die Patronen kollern übers Pflaster.
Die Bedienung begreift nicht, was geschehen ist. Der Soldat selbst ist von seiner Tat überrascht.
Die Demonstranten verharren noch in ihrer Starre. Da schreit eine Frau auf. Nach der überstandenen Angst schreit sie auf wie ein Tier. Und es geht durch die Menge, ein befreites Aufheulen pflanzt sich durch die ganze lange Front fort. Und alle setzen sich in Bewegung, über den Damm hinüber.
Der leere Raum vor der Kaserne ist nicht mehr da. Aus Nachbarhäusern werden Leitern gebracht. hat das organisiert, feiner vorher daran gedacht. Die Leitern Niemand weiß, wo die so schnell hergekommen sind. Keiner werden an die Fenster der Mannschaftsstuben gestellt. Zehntausend Menschen bewegen sich, zehntausend Paar Hände haben plöglich zu tun.
Fensterscheiben flirren.
Ketten werden gelöst.
Gewehre werden herausgereicht und unten entgegengenommen. Soldaten steigen durch die Fenster und springen auf die Straße hinunter.
,, Kameraden!"
„ Brüder..."
Die Menge strömt auf den Rasernenhof und verbrüdert sich mit den Soldaten. Die Maschinengewehrschüßen bringen ihre MG.3. Ein Lastauto fährt vor, noch ein zweites. Maschinengewehre Munition, Handwaffen werden von den Obleuten mit Beschlag belegt. Die Soldaten wählen Räte. Die vorgeschlagenen Vertreter werden ohne Diskussion angenommen. Mit Obleuten aus den Schwarzkopfbetrieben bilden sie den gemeinsamen Arbeiter- und Soldatenrat des Stadtviertels. Neue Marschparolen schwirren durch die Luft: ,, Jetzt weiter nach Moabit !" " Nach dem Zellengefängnis!" " Die Gefangenen herausholen!"
*) Aus dem Roman„ Der Kaiser ging, die Generäle blieben."
Monografie des nordischen Menschen
Einfach der Mensch schlechthin
Entstehung.
Der nordische Mensch ist der Mensch schlechthin. Er wurde auf Grund eines Spezialabkommens zwischen Wotan und der biblischen Paradiesverwaltung geschaffen. Seine Wiege stand im Teutoburger Walde, wo er durch die harte Schule der Eiszeit früh an spartanische Einfachheit gewöhnt wurde, sehr zum Unterschied von den durch die südliche Sonne Paläs stinas zu Trägheit und Ausschweifung erzogenen Halbaffen, die man bisher fälschlicherweise auch als Menschen bezeichnet hat. Aus einer Hafenkreuzung der Gimbern, Teutonen, Vandalen, Wifinger, Hafinger und G'friesen entwickelte sich nach und nach der Norde, wie wir ihn heute allenthalben zu bemerken gezwungen sind. Gleichgeschaltet mit dieser Entwicklung fann man den allmählichen Fortschritt vom altgermamischen Met bis zum bayrischen Vollbier verfolgen. Vorkommen.
Der nordische Mensch bevölkert das Gebiet von der Maas bis an die Memel, von dem Belt bis an den Brenner. ( Die Etsch ist aus außenpolitischen Gründen nicht mehr modern.) Die skandinavischen Völker haben sich ungeachtet ihrer geografischen Lage durch Anerkennung des Marxismus außerhalb des Nordtums gestellt.
Der Haupttummelplatz des nordischen Menschen ist das „ dritte Reich". Man trifft ihn dort in allen Aemtern, sowohl in den Niederungen als auch in den höheren und höchsten Regionen. Außer im arischen Großmutterland kommt er auch noch in den angrenzenden Landstrichen vor, wo er ein getarntes Dasein fristet und auf die Gleichschaltung wartet. Aussehen.
Der Norde ist infolge seines Stopfinhaltes strohblond und hat eine lichte Haut, damit er gegebenenfalls vor Scham erröten kann. Er ist großschnäuzig und für die geringere Breite seiner hellroten Lippen erstaunlich fußfähig. Das Fehlen aufgeworfener Nasenlöcher raubt ihm die Möglichkeit, schadenfroh zu grinsen, was bekanntlich im Verein mit genußsüchtigen Einschlürfen eines der Hauptmerkmale des Untermenschen ist. Seine heldische Gestalt ist stets von einer Uniform umgeben, die ihn vor allen Unbilden geistiger Witterung schützt.
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Die Nordin zeichnet sich vor allem durch ründliche Formen aus, die von einem blonden Zopf umrahmt- ein sanftes Ruhefiffen für den von der Schlacht heimkehrenden Helden abgeben. Ihr freier Blick ist entweder schamhaft zu Boden oder schwärmerisch empor zum Führer gerichtet. Das Gesicht ist oval; bei der nationalen Erhebung der Brustdrüse wird Halbfugel getragen.
Lebensgewohnheiten.
Der nordische Mensch tritt in Rudeln auf und nährt sich von Postenjagd und Fischerei im Trüben. Einzelne Eremplare, die sich durch Riesengehälter und Luxusautos von der Masse abheben, nennt man Führer.
Der Tagesablauf eines Durchschnittsnorden gestaltet sich ungefähr wie folgt: Auf den Ruf Deutschland , erwache!" schlägt er seine blauen Augen auf und erhebt sich national von seinem nördlichen Diwan. Mit dem Wasser, das die völkische Presse aus Hitlers Arbeitsbeschaffung macht, benest er seine arischen Glieder und gurgelt kräftig mit Münchner Bräu. Nachdem er sein Blondhaar mit dem Kamm, der den Nazis geschwollen ist, gefämmt hat, rasiert er sich mit dem Messer, von dem sonst das Judenblut sprißt. Er legt sodann sein braunes Hemd über die behaarte Heldenbrust und begibt sich zur Arbeitsstätte ins Konzentrationslager. Dort lebt sich sein deutscher Mannesmut mit Hilfe einer Nilpferdpeitsche an gefesselten Juden und Marristen aus. Nach getaner Arbeit verzehrt er sein Mittagmahl mit den für die nordische Rasse charakteristischen mahlenden Kaubewegungen. Nach mittags schlängelt er sich mit denunzierlichen Bewegungen von Posten zu Posten und behält dabei stets äußere Ruhe und die Hand in der Hosentasche, um nicht für einen Nichtnorden gehalten zu werden. Der Abend ist der Erbauung ge= widmet. Meist der Erbauung von Feuerwerksfronten. Die Nacht gehört ausschließlich der Zukunft des deutschen Volkes. Karo.
Zeit- Notizen
Ein Ehrenmann
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ist Herr Gerhard Schulze Pfälzer. Er hat, solange man damit Geschäfte machen konnte, die Republik gelobt. Heute schreibt er Bücher aus rein nationalsozialistischer Gegenwartsdeutung". Alles gut, nur nicht rein", sondern dreckig.
Notzucht und Rassenschändung
" Daß die Tötung der Leibesfrucht ohne weiteres gestattet wird, um die Folgen einer Notzucht oder einer offenbaren Rassenschändung abzuwenden, wird sicherlich in weiten reisen als ein beträchtlicher Fortschritt angesehen werden."( Deutsche Zeitschrift für Wohlfahrtspflege, Nr. 7).
Der ,, Kronprinz" als Nazi
wird von einem Carl Lange beschrieben, der seit 1911 dem fronprinzlichen Haus freundschaftlich nahesteht... die oft gestellte Frage nach der Einstellung zur Regierung und NSDAP . ist aus führlich behandelt."
Das ABC des dritten Reiches"
Prinz Auwi ist ein Hohenzoller, Aufbruch: Gleichwort für Maffenkoller. Das Braunhemd hebt den Mannesmut, Boykott ist oft als Dämpfer gut. Sent' sieht man viel Canoffa- Gänge, Der deutsche Christ kräht Haßgefänge. Im Dritten Deutschland ist's famos, Nur Dachau ist noch kein Davos . Profeffor Einstein ist geflohen, Erzbergers Mörder sind Heroen. Mit Feuerwerk wird nicht gespart, Die Flucht ist eine Todesart. Germanen sieht man rechts und links, Nur Göbbels stört als Rassensphing. Das Hakenkreuz ist Geßlers Hut, Heil Hitler!" heißt der Grußtribut. Im Inland schweigt's von Putschgelüften, Die Industrie wünscht aufzurüsten. Den Juden prügelt und beraubt man, Johst wird ernannt zum( Gerhart) Hauptmann. Der Stiefel tritt, der Anüppel haut, Der Kommunist ist nicht erbaut. Borm Reichsgericht tut Lubbe wurstig, Der Dr. Ley ist allzeit durftig. Der Landesbischof Müller heißt, Das Mundwert schafft es doch zumeist. Der Nazi fucht im Wehrsport Kraft, Was Nordnung ist, scheint schleierhaft. Der Osaf füß zum Anschluß lockt, Der Defterreicher schweigt und bockt. Braucht ein Programm denn die Partei? Der Pazifist ist vogelfrei!
Quick heißt der Tonfilm- Hitlerjunge, Quatsch trieft von mancher Führerzunge. Denk' an die Rasse, deutsche Mutter. Revanche braucht Kanonenfutter. SA., SS.- Volt, Gott erhalt's, Der Schlotbaron im Ruhrland zahlt's. Die Tarnung hält nicht immer dicht, Auch nackt schämt sich der Terror nicht. Wir sind Unadel dieser Erde, Die anderen: Untermenschen- Herde. Verfaffung ist ein Wisch, papieren, Boltskanzler soll man nicht genieren. Wilhelmus Rex empfahl fich stumm, Dem Geist von Weimar nimmt man's trumm. Sozialismus? O du Tor!
Ein X fürs U macht leicht sich vor.
Die Zinsknechtschaft ist nicht zu brechen, So manches Ziel bleibt Zweckversprechen.
D. Je.
Auf den Retcliffe gekommen
Sie nehmen den Schundromanfabrikanten ernst In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veröffentlicht ein Mann namens Sir John Retcliffe eine Riesenschlange von Sensationsromanen. Sie sind heute unlesbar geworden; nur ein paar Seiten hat man zu neuem künst lichem Leben erweckt; auf diesen paar Seiten wird geschildert, wie die Weisen von Zion auf dem Prager Judenfriedhof zu sammenfommen, um ihre Verschwörung zu organisieren. Die Nazis nehmen Retcliffes Romane ernst und tun so, als hielten sie diesen Mann wirklich für einen Engländer. So haben sie jetzt in einer neuen Auflage die Szene aus den Weisen von Zion wieder in Buchform herausgegeben. Der Engländer Sir John Retcliffe heißt aber in Wirklichkeit Hermann Ottomar Friedrich Goedsche ; Theodor Fontane hat ihn gut gekannt und hat alles über den dummen Bücherfabrikanten gesagt, was über ihn zu sagen ist. Die Nazis wissen das selbstverständlich nicht, weil sie von der wirklichen deutschen Literatur keine Ahnung haben. Aber weder Goediche noch Fontane hätten je gedacht, dok Sir John Retcliffe einmal eine politische Rolle spielen werde.
Bondi
Das muß man sich merken
Herr Bondi, der Verleger Georges, läßt im Börsenblatt folgendes Lob des Dichters aus Göbbels '„ Angriff" drucken: Was der Dichter kündete, den Heroismus einer neuen Zeit, ist in den jungen deutschen Herzen aufgegangen. Seine Strophen haben die Brücke von gestern in die Zukunft ge schlagen, über die die Soldaten der nationalsozialistischen Re volution in das„ dritte Neich" marschierten." Der gleiche Herr Bondi hat, knapp ehe der Osaf zur Macht kam, erklärt, daß das Verlagszeichen der Georgebücher, die Swashka, ein indisches Glückszeichen sei, und nicht mit dem Hakenfreuz verwechselt werden dürfe.
Hakenkreuz- Creme
,, Deutsche Frau, schminke dich für Hitler!"
In einem Werbebrief der Firma Elise Bod, Berlin , Paris , Neuyort, Prag , Wien heißt es:
3weifellos bestand auch in Deutschland Vorliebe für ausländische Erzeugnisse. Aber Irrtümer brechen heute über Nacht zusammen. Wir besinnen uns wieder, daß es nichts Besseres gibt, als deutsche Qualitätswaren... Wenn Amerika uns seine gewaltsamen Schönheitssalben zeigt, so stellen wir uns mit unseren deutschen Cremes eine Sproße höher auf der kosmetischen Ruhmesleiter. Wir brauchen in Deutschland keine kosmetischen Erzeugnisse fremder Länder."
Schmink- Autarkie, das ist der letzte Schret. Deutsche Frauen, übt euch in deutscher Kosmetik, und das Vaterland ist gerettet. So haben im neuen Deutschland " alle Werte ihre Umwandlung erfahren. Noch vor dem 30. Januar war das Schminken ein undeutsches Zeichen moralischen Verfalles, heute: eine nationale Tat!