Samstag, den 11. November 1933
1.
ein
Der diese Zeilen schreibt, war Hauptmanns Freund Leben hindurch. Hauptmann ist älter als ich, aber wir waren beide jung, als wir uns trafen. Wir sind den ganzen Weg des Daseins zusammengegangen bis heut. Nein: bis gestern. Ich war der Wächter seines Werts in Deutschland . Ich schritt und ritt mit ihm durch Dick und Dünn.( Auch durch Dünn.) Ich hieb nach links und nach rechts, wenn man ihn angriff. Ich schlug ihn selber, wenn er nachließ. Ich gab ihm Zuversicht, wenn er sich raffte. Sein Wiederaufstieg im Alter war mir ein Glück.
Und ich liebte, jenseits von allem Dramengeschreib, den Menschen, den Freund in der Stille, den Unverwechselbaren, den Seltenen, den Umleuchteten.
2.
Es gibt seit gestern feine Gemeinschaft zwischen mir und thm, nicht im Leben und nicht im Tod. Ich kenne diesen Feigling nicht. Dornen sollen wachsen, wo er noch hinschwankt. Und das Bewußtsein der Schande soll ihn würgen in jedem Augenblick.
Hauptmann, Gerhart, ist ehrlos geworden.
3.
Berlin , abends, im Sommer. Es war im Garten unfres Freundes, des Professors Johann Plesch, des Herzarztes. Einstein befand sich unter den Tischgästen, auch der edle deutsche Maler Slevogt , der die schönen, mattbunten Fresken in Pleschs Veranda schuf; noch zehn oder zwölf wesentliche Menschen sonst. Ich stand mit Hauptmann auf dem Rasen - und merkte( das sind jetzt zwei Jahre her), wie unsicher er politisch geworden war. Ich sprach zu ihm:„ Du wirst doch nicht etwa... Du bleibst für die Kerls ja doch der Dichter der„ Weber!" Hauptmann leugnete. Es war wieder seine unendlich liebenswerte Art, sich auszudrücken, die niemals einen Satz klar zu Ende bringt, aber durch das parsifalesfe, weltferne Wesen jeden Zuhörer bezaubert. Er stimmte mir zu. Ganz fest. Wir waren einig.
Plesch ist heute, geborgen von dem eflen Anblick des deutschen Zustands in England, Slevogt ist tot.( Er hütet die Fresten?) Und Hauptmann....
4.
Hauptmann schmeichelt dem Raubgesindel. Dieser Mensch, der sein Leben lang einen Dichter des Altruismus dargestellt hat, dienert vor dessen Todfeinden. Er fand... nicht nur kein Wort des Einspruchs gegen die barbarischste der Barbareien. Er will seine Wirtschaftseristenz nicht aufs Spiel setzen. Doch er duckt nicht nur: er wedelt. Etwas Unmensch liches vollzog sich vor seinen Augen. Seine nächsten Freunde waren Opfer. Er schwieg. So private Dinge zählen kaum; sie sind das Wenigste. Doch er konnte bei dem Ansehn, das er in der Welt genoß, dem Ansehn der Mörder einen Schlag versezen, dem Ansehn der Hausknechte, der Folterer, der Lügner, der Legalitätsbeteuerer, die vor seinen Augen Jagd auf seine Webersleute machten und Jagd auf Menschen, und Jagd auf Menschen, deren Schuld ihre Geburt war.
Der große Altruist schwieg. Ich kann nicht schweigen" hatte Leo Tolstoi seine späte Schrift benannt, ein Greis wie er, tapferer als er in einem Zeitpunkt, als in Thule die Geister sich schieden. Ja, der alte Russe rief noch an der Schwelle des Grabes:„ Ich kann nicht schweigen." Hauptmann.... fonnte.
5.
Er hat sich dann unmißverständlich den flobigen Gefäng niswärtern Deutschlands angefreundet. Er wußte genau, daß es ihr Trick ist, jede begangene Gemeinheit gleichzusetzen mit dem feierlichen Begriff„ Deutschland !" Er wußte genau, daß Volkserhebungen feineswegs mit Niedrigkeit verbunden sein müssen. Er hat aber mit dem letzten bißchen Kraft den Hakenkreuzlappen gehißt auf seinem Haus, aus Furcht, aus Vorteilsucht, aus schmieriger Schwäche. Hauptmann ist wurmstichig im Seelengrund. Mondfern von aufrechten Menschen wie Toscanini, wie Albert Einstein .
6.
Ich weiß, Hauptmann, was Du mir( mit schlechtem Gewiffen) sagen würdest:„ Eine gewaltige Boltserhebung..."
-
und so. Du belügft auch Dich. Es gibt, nochmals, Volksbewegungen, die anständig sind und außerdem ist es teine: sondern, wie Du genau weißt, eine Volksüberrumpelung durch plumpe Gewalthaber. Eine Knebelung, ein Gemisch menschlicher Rohheit mit grundsäglicher Lüge. Die Wiedergeburt von Rechtslosigkeit und Erbarmungslosigkeit. Du siehst Hauptmann, die Eigner eines Hyänenstalls- und hast Dich ihnen leise genähert. Du hattest nicht das Zeug, ihrem Angebot zu widerstehen, als sie, durch die versprochene Darstellung eines Deiner Stücke Dich lockten... behufs Höhung ihres von einer Welt bespieenen Namens. Du bist ihr zutreiber geworden. Ehrlos, ehrlos, ehrlos.
7.
Und es war doch so lange nicht her, daß Gerhart Haupt mann dem Republikaner Ebert, dem Präsidenten der deutschen Republik, im Rathaus von Breslau ( ich Esel hielt noch die Festrede) ergriffen die Hand geschüttelt hat- als Republikaner unter Republikanern; daß er den herzhaftesten Freundschaftsgruß mit Löbe getauscht hat, dem letzten oder vorlegten integren Reichstagspräsidenten der heute, nachdem er im Konzentrationslager Steine gefarrt, im Gefängnis hockt.
-
Hauptmann ging zu den Gegnern. Erlos , ehrlos, ehrlos. 8.
Der Kronprinz äußerte schon vor drei Jahren, zu Sarpt manns jüngsten Sohn Benvenuto( der hat es uns lächelnb erzählt):„ Sagen Sie Ihrem Herrn Vater," sprach der muntre Kaisersohn, er möchte sich entsprechend bereithalten, damit er nicht schief liegt, wenn wir ans Ruder kommen."
3war find wir" nicht ans Ruder gekommen. Doch er hielt sich bereit.
9.
Hauptmanns Lebensform war auf alle diese Erbärmlichkeiten von Einfluß Ich bin kein Unmensch und glaube nicht, daß nur der Wein ie Schuld trug; seit Jahren ist ihm das Dasein unmöglich ohne zwei Flaschen am Tag als Minimum. Er wähnt, daß er sonst zur Nachtzeit Fieber habe. Gott laß ihm die Ausrede- und ich habs ihm allemal ge= gönnt. Nein: mit demselben täglichen Maß an Rüdesheimer oder Macon war genau das Entgegengesetzte denkbar, ein ehrlicher Entschluß, ein menschliches Aufbegehren, ein mutiger Schritt.
Nicht der Wein: das Geld hat sein Tun beeinflußt. Schreckihm vorwerfe. Und ich schämte mich, wenn es das erstemal lich das zu sagen. Doch es ist nicht zum erstenmal, daß ich es jest wäre. Hauptmanns Geldbedarf ließ ihn Stücke, die nicht gar gewesen find, in aller Unfertigkeit auf den Markt werfen... und Romane schmieren, darin sein Genie nur fennbar blieb unter dem Schutt.
Geld kosten seine drei Wohnsitze: Agnetendorf in den Bergen, Hiddensee am Salzwasser, Rapallo in der Sonne. Geld kostet der Sohn, der mit dreißig Jahren die dritte
Frau hat. Geld kostet der ganze snobistische Train dieses
Weberenfels.
Der weltberühmte Dichter eines antikapitalistischen Dramas, wurde durch Geld zur Strecke gebracht.
10.
Was hat ihm alles irrende Handeln, alles würbelofe Nichthandeln genügt? Einen Quart.
Die Nazipreffe höhnt Hauptmanns Besuch bei den SA.Männern. Die Nazipresse schrieb lächelnd, es sei ein Anblick für Götter" gewesen, als der sozialistische Poet zum Hitlergruß den Arm erhob- das war bei einer Feier für Horst Wessel , für den Zuhälter, der von den Nazis zum Symbol gewählt ist. Ein Anblick für Götter" schrieben die Hitlerzeitungen wortgetreu. Und am Gerhart- HauptmannLyzeum wurde, troß allem, der Name Hauptmann gelöscht. Er ist auch in mir gelöscht.
Hier starb jemand vor seinem Tode, verachtet selbst von denen, die von allen verachtet sind. Das ist der Schluß. Sein Andenfen soll verscharrt sein unter Disteln; sein Bild begraben in Staub.
Christus vor dem Staatsanwalt
,, Weltfcemd" wer Kritik wagt
In dem vom Preußischen Justizminister Kerrl heraus gegebenenen amtlichen Organ Preußische Justia" macht Justizrat und Staatsanwaltschaftsrat Dr. Krug vom Justizministerium folgende Mitteilung:„ Eine Anzahl furhessischer Pfarrer hatte die Universität Marburg zu einem Gutachten darüber aufgefordert, ob die in dem Geset über die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten eingeführten Arierbestimmungen... nicht der christlichen Lehre widersprechen."
Alle Einwände schlägt dieser Nazi- Krug mit einem einzigen Saz nieder:„ Wenn man nicht schon vielwelt frembe& in deutschen Landen erlebt hätte, so würde man ein solches Gutachten kaum zu glauben wagen."
Wenn jetzt die furhessischen Pfarrer noch nicht den Mund halten, wird gegen sie, wie üblich, das Notwendige" veranlaẞt werden.
Religion ist das auch
Schauweckers Schau
Der Nazi- Dichter Franz Schauweder läßt sich in der Rheinisch- Westfälischen Zeitung" unter der Ueberschrift„ Die Wiedergeburt des deutschen Menschen aus dem Geiste des Weltkriegs" wie folgt vernehmen:„ Wir glauben, daß Deutschland von höherem Rang ist als jede andere Wirklich
keit in der Welt. Es ist eine Wirklichkeit des Glaubens, der sich verleiblichen will. Dieser Glaube drängt zur Macht." Und nun kommt die Definition dessen, was Religion ist: " Die Predigten Eckeharts sind Religion, und das Werk des preußischen Friedrich ist Religion. Die Edda ist Religion ist
und die Schlacht von Leuthen in Religion. Reli. gion sind die Fugen Johann Sebastian Bachs und der Die Völkerwanderung, der Hohenfriedberger Marsch. Dreißigjährige Krieg und der Weltkrieg, der ein deutscher Krieg gewesen ist, sind Aeußerungen dieser Religion."
Ueberall, wo sich Menschen morden, wo sie im Fanatismus gegeneinander tobten, wo die Fürsten ihre Intrigen mit dem Blute ihrer Völker bezahlten- dort ist die Religion dieser geistigen Führer und Wegbahner zum dritten Reich" veranfert. Seltsam, wie sie unter den Händen und den Federn dieser Glaubenshelden immer noch am Leben geblieben ist.
Altes Testament wid zensiert
Es verlautet, daß zwischen der evangelischen Kirche und den zuständigen Ministerien Beratungen über eine Neureglung des evangelischen Religionsunterrichtes stattfinden. Man erklärt schon jetzt mit Bestimmtheit, daß der Inhalt des alten Testaments nicht mehr im bisherigen Umfanae im Schulunterricht vorgebracht werden soll....
Vae Victis!
6
Weh dir, du„ Bolk der Dichter und der Denter"! Wie morsch und faul ist deines Geistes Mark! Du warfst dich hin dem Nackenhieb der Henter, und machtest fie durch deine Schwäche start! Weh dir, du Volk der friechenden Gelehrten! Nein, solch ein Volk gab es auf Erden keins: fie schmieden für die Brunft der Knechtschaft Gerten, und fälschen für die Macht das Einmaleins! Weh dir, du Volt der Büttel, statt der Richter! Sie reimen Heil auf Beil und richten scharf! Des Rechts der Freien glühende Vernichter- fie richten auf Befehl und nach Bedarf! Sie rangen dir die Fackel aus den Händen, die einst der Genius deiner Jugend trug. Du aber jubelft ihren geilen Bränden, und küsseft noch die Peitsche, die dich schlug.... Weh dir, Europa ! Deine reinen Brunnen, verseucht schon heimlich ihrer Knechtschaft Gift! Und deine Näte drücken schon den Hunnen, die Hand, die dich ins Mark des Daseins trifft! Aus Ezels Urzeit schleppen sie noch Ketten... Sind wir vor ihrem Rasen noch zu retten- oder ist diese Zeit die legte Zeit?
Auf Völker! Flammt empor! Gerechtigkeit! Im Blutrausch millionenfachen Mords- hört ihr den Taubenklang noch dieses Worts? Hans Mühleftein.
,, Lumpen"
Man schickt sie ins Konzentrationslager
Ein Runderlaß des Herrn Göring, der sich jetzt von seinen Strapazen als Zeuge im Reichstagsbrandprozeß erholt, be fiehlt folgendes: Alle Pumpen sind zu sammeln und an die Konzentrationslager abzuliefern." Dieser Erlaß dürfte im„ dritten Reich" zunächst große Bestürzung hervor gerufen haben. Was ist dem Herrn Ministerpräsidenten augestoßen, daß er plötzlich nicht die Marristen, sondern die Lumpen ins Konzentrationslager schickt? Hat das Bu sammentreffen mit Dimitroff Herrn Göring so sehr seelisch erschüttert, daß er plößlich alles im dritten Reich" auf den Kopf stellen und die Lumpen ins Konzentrationslager schicken will? Die Bestürzung wich erst, als man erfuhr, welche Lumpen gemeint seien: nicht die zweibeinigen, unte formierten und von Staats wegen versorgten, sondern e harmlosen Lumpen des Hadernsammlers. Alte Kleider, alte Schuhe, Abfälle aller Art, von braunen Herrschaften abo gelegte Uniformen und sonstige Feßen sollten an die Kon zentrationslager geschickt werden, als Kleider für die zehntausenden Sozialisten, die man ausgeraubt und eingesperrt hat... Wahrscheinlich wollten die Herrschaften mit diesen Lumpen die verhafteten Revolutionäre vor der Spießer öffentlichkeit herabsetzen. Ein alberner Versuch! Die von Lumpen abgelegten Lumpen sind ein Ehrenkleid, wenn sie in Konzentrationslagern getragen werden! Denn die auf rechte Gesinnung macht den Mann, ein Lump aber bleibt ein Lump. Erst recht, wenn er die Uniform der organisierten faschistischen Lumperei trägt.
Nazi- Vollkraft und katholisch Ein Aufstrebender empfiehlt sich
In der gleichgeschalteten Presse finden wir diese Anzeige: Wo fehlt die fesselnde Aufmachung der Zeitung? Wo fehlt der gewandte Reporter?
Der Leser wendet sich immer der interessanten Zeitung zu und bleibt ihr treu. Er zieht sie jeder andern vor, weil sie ihm die Ereignisse des Tagesgeschehens schneller und in fesselnderer Aufmachung nahebringt und ihm die nackten Tatsachenmeldungen mit erläuterndem Wort und Bild als eine angenehme und lehrreiche Kost vorsetzt. Eine solche Zeitung
mache ich auch heute noch in dem Weltverlag einer weftdeutschen Großstadt. Ganz besondere Verhältnisse, mit denen meine Arbeitsweise nichts zu tun hat, lassen mich Ausschau halten nach einer aufstrebenden nationalsozialistischen Zeitung, die ihre Stel lung ausbauen will. Seit 10 Jahren bin ich als Journalist im deutschen Westen und darüber hinaus in den Grenz gebieten bekannt. Ich bin 32 Jahre, katholisch und in der Bollkraft meiner Arbeitsfähigkeit. Ich suche den neuen Verleger. Angebote erbeten unter N T 27 an die Erpedition dieses Blattes.
Angesehene und lehrreiche Rost sind begehrter, als„ nadte" Tatsachenmeldungen. Dieser fleißige Katholik bietet alle Gewähr dafür, daß er die Göbbelsschen Zensurvorschriften aufs genaueste beachten und keinen Verbotsschaden verursachen wird. N T 27 wird d e n" neuen Verleger finden.
Zeit- Notizen
Gaskrieg tut not
Das Sammelwerk Gaskampfstoffe und Gaßvergiftungen" ift soeben im Laufe eines Jahres zum dritten Male aufgelegt worden. In zweiter Auflage erschien von Hans Rumpf „ Gasschuß" scwie das Werk„ Brandbomben". Demnächst erscheint: Heinrich Runke, Luftgefahr und Luftschup". Es wird besonders hervor gehoben, daß dieses Werk das Problem nach der politischen Seite hin" behandelt. Zu den bereits bekannten Firmen, die offen mit dem Gaskrieg zusammenhängende Apparate aller Arten anzeigen, gehören nun auch: G. K. Holzer, Feuerwehrgeräte, Beuthen , O. S.; Deutsche Gasglühlicht Auer- Gesellschaft m. b. G., Berlin , O 17; Drägerwerk Lübeck mit den Zweigstellen in Berlin 10, Lüzow Ufer 19 b, Essen- Ruhr, Kaupenstraße 42/42 a, Beuthen , D. S., Bahn. hofstraße 15.
-
Ein Bekehrter