Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Gescfiicfiten

tux boy- nA

Donnerstag, den 16. November1933

Thomas Mann   verteidigt sich

Eine Geschichte von Vater und Sohn

Vor wenigen Wochen beschäftigten wir uns mit der zwei­deutig- passiven Haltung der Schriftsteller Thomas Mann  , Döblin   und Schickele  , die ihre angekündigte Mitarbeit an der Emigrantenzeitschrift Die Sammlung" mit der Be­gründung widerriefen, die antifaschistische Tendenz dieser Zeitschrift sei ihnen nicht bekannt gewesen. Die drei ernteten daraufhin ein Beinahe- Lob der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums", die ihnen attestierte, sie seien keine geistigen Landesverräter". Die Wiener Arbeiterzeitung  ", die gleich uns Ihr Erstaunen über die eigenartige Vorsicht der bisher geistig freien Schriftsteller aussprach, erhält nun von Thomas Mann   einen Brief, in dem es u. a. heißt:

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. Sie erzählen die Geschichte meiner öffentlichen Ab­sage und der einiger andrer Schriftsteller an die von meinem Sohn geleitete Zeitschrift Die Sammlung" und folgern dar­aus die Tatsache unseres geistigen Todes. Für meine Person habe ich zu jenem Vorgang folgendes zu bemerken: So lange in Deutschland   die Sprache frei war, habe ich als ein Mann, der sein Vaterland liebt und es glücklich und geachtet sehen möchte, mich mit allen meinen Kräften für das eingesetzt, was ich für wünschenswert und richtig hielt. Sie in Wien  haben Proben davon: ich habe vor Wiener   Arbeitern nicht, wie Sie sagen, meinem Bekenntnis zur Demokratie ,, sogar Zugeständnisse sozialen Verständnisses angefügt, sondern meine Rede von damals war ein offenes Bekenntnis zum Sozialismus, wenn auch nicht die Erklärung einer Partei­zugehörigkeit. Seit acht Monaten lebe ich außerhalb der deutschen Reichsgrenzen. Der damit selbstverständlich ver­bundenen materiellen und ideellen Opfer will ich mich weder rühmen noch darüber klagen genug, daß sie gebracht werden mußten. Ueber den Wert einer Polemik, die nicht nach Deutschland   hineingelangt und dort tonlos bleibt, kann man verschieden urteilen. Sicher ist, daß meiner Natur die rein positive und produktive Art, dem höheren Deutschland   zu dienen, in diesem Augenblick näher liegt als die polemische, und damit hängt mein dringlicher Wunsch zusammen, mich, solange es möglich ist, von meinem inner­deutschen Publikum nicht trennen zu lassen. Das ist ein

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schäftigt. Es erscheint in Deutschland  , im S.- Fischer- Verlag, schäftigt. Es erscheint in Deutschland  , im S.- Fischer- Verlag, mit dem ich seit meinem Eintritt ins literarische Leben ver­bunden bin... Ich stand also vor der Frage, ob ich das Leben meines Werkes opfern, die Menschen, die in Deutsch  

land auf meine Stimme hören und insbesondere seit Jahren auf diese neue Arbeit von mir mit Anteilnahme warten, ent­täuschen und verlassen wollte, nur damit mein Name auf der Mitarbeiterliste einer Zeitschrift figuriere, deren erste Nummer gerade, wie ich wahrheitsgemäß erklären konnte, tatsächlich in ihrer Zusammenstellung taktische Fehler auf­wies und nicht dem Bilde entsprach, das ich mir von ihr ge­macht hatte. Diese Frage habe ich in der Ihnen bekannten Weise entschieden..."

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Daß Thomas Mann   für sein sozialistisches Geständnis in diesen Tagen deutscher   Sozialistenverfolgung noch einmal ausdrücklich einsteht, gereicht ihm zur Ehre. Ueber die Wirkungsmöglichkeit" in Deutschland   dürfte er sich jedoch gründlich täuschen. So kunstlästerlich das klingen mag: ein weitläufiges episches Werk" mehr oder minder kommt es darauf im ,, dritten Reiche" an? Und wenn die Veröffent­lichung eines solchen Werkes durch schweigende Duldung schändlichster Barbarei erkauft werden muß bliebe es dann nicht besser in der Schublade? Den Millionen, die im demokratisch- sozialistischen Lager mit Thomas Mann   für Freiheit, Menschenrecht und Menschenwürde fochten, geht es heute noch und heute mehr denn je um diese verlorenen Güter. Verfolgungen wehrlos preisgegeben, der Meinungs­freiheit beraubt, vor körperlichen Mißhandlungen nicht ge­schützt, warten sie ,, mit Anteilnahme", nein, mit brennendem Verlangen nicht auf einen Roman von Thomas Mann  , sondern auf ein offenes Wort im Namen der Menschlichkeit, auf ein offenes, scharfes Wort, das aus seinem Munde kom­mend, im Ausland weithin gehört würde und durch tausend Kanäle auch ins deutsche Gefängnis dränge.

Darum bleibt es dabei: Thomas Mann   handelt unrecht'

ideelles Interesse, das, wie leicht zu erweisen wäre, mit Pfeffermühle

grobem Opportunismus nicht das geringste zu tun hat. Es handelt sich tatsächlich und nachweislich nicht um den ,, Markt", wie eine unfreundlich derbe Psychologie es gern ausdrückt, sondern um geistige und künstlerische Wirkungs­möglichkeit,

Für mein gutes Recht, auch unter diesen Umständen, hielt ich es allerdings, einer außerhalb der deutschen  Grenzen erscheinenden literarischen Zeitschrift europäischen  Charakters, die erste Namen der Welt zu ihren Mitarbeitern zählt, auch meine gelegentliche Mitarbeit in Aussicht zu stellen.

Als ich mich aber überzeugen mußte, daß schon die bloße Ankündigung meines Namens, die unter normalen Um­ständen so unerheblich gewesen wäre, genügen würde, mir jede Wirkungsmöglichkeit in Deutschland   abzuschneiden, habe ich eine Handlung rückgängig gemacht, der ich von An­fang an wenig sachliche Bedeutung zugeschrieben hatte.

Sie wissen, daß in diesen Tagen ein neues Buch von mir erschienen ist, der erste Teil eines weitläufigen epischen Werkes, das mich seit einer ganzen Reihe von Jahren be­

Der goldene Haefner ziept ,, Ja"

Gerhart Hauptmann  

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Vorkämpfer für Gleichberechtigung

Gerhart Hauptmann   läßt sich keine Schändlichkeit ent­gehen. Er ist nicht mehr wie Lynkeus, dem Turme ver schworen, sondern der Hitler- Hellebarde, mit der seine Freunde und Helfer von Jahrzehnten aus Deutschland   gejagt

wurden.

So schrieb er denn zum 12. November auf Bestellung einen Artikel: Ich sage Ja!" Und sagt unter anderem:

Das deutsche   Volk ist aufgerufen, nun seinerseits zu

Erika Mann  , die Tochter

Unter der Leitung von Erika Mann   hat sich ein lite­rarisches Kabarett gebildet- Mitwirkende: Sybille Schloß  , Igor Pahen, Marie- Eve Kreis, Robert Trösch  , Valesca Hirsch, Therese Ghiese und Magnus Henning  , das sich zur Zeit auf einer Tournee durch die Schweiz  , befindet und Die Pfeffermühle  " heißt.

Wenn Thomas Mann   wirklich einen Fehler beging, als er - sicher im besten Glauben. sein Werk für das vom Nationalsozialismus versklavte Deutschland   zu retten, die Mitarbeit an der Zeitschrift seines Sohnes Klaus öffentlich ablehnte, Erika, die Tochter, macht es wieder gut.

Was sie und ihr Kreis zum Ausdruck bringt, das ist ein Stück von uns, von unserem Deutschland  , das wir nie ganz besessen und das wir noch zu erobern haben. Von unserm Deutschland   der Freiheit, des Geistes und der Humanität.

Wenn Marie- Eve Kreis ihre Parodien tanzt, Therese Ghiese als Frau H. ihres bißchen Erdenglücks nicht mehr

Inzucht als Ideal

Ein Prinz von Isenburg schreibt in der Industriellen Psychotechnik"( Heft 10): Im Leben der Völker finden wir zu Beginn ihres Eintritts in die Geschichte eine auf strengster Rassenzucht und Stammesinzucht aufgebaute Ver­fassung. Für viele politische und religiöse Führer war die Vorbedingung, daß sie aus Geschwisterehen hervorgegangen

sind. Man sah nichts Unsittliches in einer derartigen Ver­bindung, sie war ein Unterpfand und eine Gewähr für die besondere persönliche Tüchtigkeit eines solchen Sprößlings."

froh wird, weil sie schaudernd erkennt, daß alle gesellschaft­lichen Kräfte unserer Zeit nach kriegerischen Auseinander. setzungen tendieren, Giftgaswolken bereits den Horizont ver­dunkeln, wenn Erika Mann   ihr Gedicht ,, Märchenhaft" vor. trägt, die große hehre Vision von Frieden und Freundschaft unter den Menschen, dann geht über die Bühne ein Hauch von jener Welt, die wir aufbauen wollten, aber zu schützen vergaßen. Dann lebt und glüht noch der Funke, den wir einst gezündet und den wir zur Flamme entfachen müssen, das Unkraut auszubrennen, das unsere Heimaterde heute zu

verschlingen droht.

Ich habe einmal eine Gruppe verbannter italienischer Sozialisten in einer Massenversammlung in Paris   weinen sehen, als man ihr zu Ehren das alte Kampflied der italienischen Arbeiterklasse: Avanti Populo" anstimmte. Ich war nicht weniger ergriffen, als ich weit fort von dem, was ich einmal Heimat nennen durfte, jene Verse von Erika Mann   hörte:

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, Wissen Sie, was ich mir manchmal denke,

Denn man denkt sich schließlich manchmal was. Wenn ich manchmal meine Schritte lenke, Denk ich manchmal dies und manchmal das.

Zugegeben, denk ich, Du bist ärmlich, Zugegeben, Du bist arbeitslos. Zugegeben und du frierst erbärmlich, Zugegeben und Du hungerst bloß,

Aber denk ich, heute scheint die Sonne, Aber fühl ich, und Du bist verliebt, Aber weiß ich, es ist eine Wonne, Daß es Dich doch immerhin noch gibt. Wissen Sie, es ist doch recht erfreulich, Daß man ganz allein so denken kann, Ohne Denken wär die Welt ja greulich, Ne, da denk ich lieber gar nicht dran.

Zugegeben, denk ich statt dessen, Wenn ich so die reichen Leute seh, Zugegeben, denen schmeckt das Essen, Zugegeben, die tun sich nicht weh,

Aber denk ich, denn ich denke gerne, Einmal dreht die Erde sich total, Ob er nah ist oder ziemlich ferne, Dieser heitre Tag erscheint einmal.

Ja, ich tapeziere mir mein Köpfchen, So mit mehreren Gedanken voll, Manchmal nehm ich mich selbst beim Schöpfchen, Weiß nicht immer, was ich denken soll.

Zugegeben, denk ich: man hat Kräche Und man prügelt sich, wie nicht gescheit, Was weiß ich um Mädchen oder Zeche Oder nur so aus Parteilichkeit.

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Aber denk ich, man lebt doch gemeinsam, Aber fühl ich: Freunde, das tut gut,

Aber weiß ich, man ist doch nicht einsam, Aber sing ich, aber das gibt Mut."

Geht hin zu diesen jungen Menschen, wenn sie in die Oite Eurer Emigration kommen. Denn dort seid Ihr einmal für eine Stunde zu Hause. Alexander R.

Auch Stefan Zweig  

Briefe, die besser ungeschrieben... Stefan Zweig   schreibt aus London  :

,, Ich erhalte, weil auf Reisen, erst mit bedauerlicher Ver­spätung Kenntnis von Angriffen, die im Zusammenhang mit einem( wie ich nur durch diese Angriffe erfahre) im ,, Buch­händlerbörsenblatt" veröffentlichtem Brief gegen mich ge­richtet wurden. Dazu stelle ich fest, daß mein Schreiben sich keineswegs an die Oeffentlichkeit wandte, sondern an den Verlag, dem ich nahezu dreißig Jahre durch die Verwaltung meines gesamten literarischen Lebenswerkes verbunden bin; eine demonstrative Drucklegung hatte ich weder gewünscht noch vorausgesehen, obwohl ich selbstverständlich für den Inhalt einstehe. Richtig ist ferner, daß ich nicht nur in diesem Falle der ,, Sammlung", sondern seit langem grund. säglich ablehne, an gemeinsamen politisch- polemischen Mani­seit Monaten an einem Buch arbeite, das mir Gelegenheit gibt, meine Einstellung zum Problem der Politik und Humanität persönlich und für mich allein verantwortlich darzutun. Das Polemische ist niemals die Form gewesen, meine Gesinnung auszudrücken, es widerstrebt bis ins Tiefste meiner Natur. Aber wenn ich auch von allem Polemischen bewußt Abstand halte, so darf das für niemanden Anlaß sein, mir leichtfertig Tendenzen zu unterschieben, die in schroffem Widerspruch stünden zu meinem Leben und meiner Arbeit. Stefan Zweig  .

entscheiden, ob es den entscheidenden Beschluß seines Brief an einen Arbeiterdichter in Dachau   festationen teilzunehmen, und dies insbesondere, weil ich

Kanzlers in seiner Gesamtheit decken will und kann. Der erste Entschluß ist von großer Tragweite, die Bestätigung durch die Stimme des Volkes wird von noch größerer Tragweite sein. Ist sie vollzogen, so wird es nur noch eine einzige Brücke über das brodelnde europäische   Chaos zum Frieden geben: die Brücke heißt Gleichberechtigung".

Worin besteht die Gleichberechtigung? Jugoslawien  , Polen  , Tschechoslowakei  , Italien  , Frankreich   und England, als einzelne Individuen aufgefaßt, dazu Deutschland   ver stehen sich alle gleichermaßen als Bürger und als Gent­lemen im Besit gleicher bürgerlicher Rechte und völliger Gleichheit vor dem Gesets. Es ist klar, daß es für Deutsch­ land   unmöglich ist, ohne sich selber zu entwürdigen, auf diese für alle anderen Völker selbstverständlichen Grund­rechte zu verzichten.

Dieser Weltbürger und Gentleman! Er ficht mit edel ge schliffener Lanze für Deutschlands   Gleichberechtigung unter den Völkern, obwohl man dem deutschen   Volke unter Hauptmanns warmherziger Zustimmung die Gleichberechti­gung seiner Bürger im eigenen Lande gestohlen hat. Er wagt, von Deutschlands   Würde zu sprechen, obwohl Deutsch­ land   Dugende von Konzentrationslagern besitzt, dazu be­stimmt, Menschen zu entwürdigen, wenn man sie am Leben läßt.

Darf man sagen: Welch edler Geist wird hier zerstört?" Nicht einmal das Wer so etwas schreibt als deutscher Schriftsteller, als Wissend- Unterrichteter, hat nicht einmal den mildernden Umstand, gestörten Geistes zu sein,

Lieber Freund! Wir können uns nicht sprechen, Weil man Dich aus der Gemeinschaft strich, Um Dir Geist und Ehre zu zerbrechen, denn die mächtigen Feinde fürchten sich, Fürchten sich vor uns, die gar nichts haben Als der Wahrheit Wort und als das Recht, Das sie täglich töten und begraben, Das sich täglich aufzustehn erfrecht. Unsre Feinde fürchten die paar Worte, Die man nächtens für die Zukunft schrieb, und sie hoffen, daß Dein Herz verdorrte, Weil die Mörderfaust Dich niederhieb; Doch ich weiß, was sie auch immer machten, Was sie Dir an Schimpf und Qual verhängt: Du wirst diese Meute stumm verachten, Die, bewaffnet, zehn um einen drängt. Mitten unter Euch, wie Ihr im Lager, Hat sich als Genossin Euch gesellt: Mutter Deutschland  , aufgereckt und hager, Wundgeschlagen, aber nicht gefällt.

Sie wir Ihr erwartet eine Stunde, Sie wir Ihr ist von Empörung bleich, Sie wie Ihr weiß, daß sie einst gesunde, Sie wie Ihr harrt auf das Freie Reich! Sie wird eines Tages allen sichtbar Sich erheben und zum Aufruhr schrein, Dann ist der Bedränger Meute richtbar Und ihr Werk wird nie gewesen sein!

Wenzel Sladek,

Wenn also Stefan Zweigs   Erklärung wirklich nicht mit seinem Wissen in solch auffälliger Form veröffentlicht wurde, wenn wirklich ein böser Mensch, vielleicht irgendein Verlagsdirektor des Insel- Verlages, mit dem Stefan Zweig  nicht nur ,, durch die Verwaltung seines gesamten litera­rischen Lebenswerkes" verbunden ist, einen Privatbrief des Schriftstellers an die staatsgewaltigen Mächte der Kunst­knebelung und Geistvernichtung verräterisch ausgeliefert hat, ihn dadurch dem Vorwurf, schmählicher und über­flüssiger Kapitulation aussetzend dann müßte er diesen Mann anprangern, sich von ihm ganz offen und entschieden lossagen.

Aber wie sollte Stefan Zweig   das tun? Er steht ja auch nach dieser unvorhergesehenen Veröffentlichung für den demütigenden Inhalt seines Schreibens, indem er sich mag sein, auf dem Umweg über seinen Verleger der Will­kür des ,, dritten Reiches" unterwirft und der Vorzensur der Verkündiger des Ungeistes unterstellt, unentwegt. ein. Daß es nicht in dieser Form veröffentlicht werden sollte, ist nur eine schwächliche Entgegnung, wenn es darum geht, daß es niemals hätte geschrieben werden dürfen!