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Fretheil

Nummer 128-1. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 18. November 1933 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

noch nicht kriegsbereit

Seite 2

Schinderknechte des Reichskanzlers

Seite 3

Die Eintopf- Sonntage

Seite 4

Ballade Kaiser Neco

Seite 6

Hitlers Weg zum Krieg

Neue Schädigung Deutschlands durch das außenpolitische Falschspiel der deutschen Diktatur

Seit 24 Stunden steht die Welt außerhalb Deutschlands unter dem Eindruck eines in französische Hände gefallenen vertraulichen Dokumentes über die Ziele der deutschen Außenpolitik. Die deutsche Regierung hat sich zwar beeilt, ein Dementi gegen die Legende" loszulassen. Da sie aber nicht wagt, den Inhalt des vom Petit Parisien" ver­öffentlichten streng vertraulichen Schriftstückes der deutschen Deffentlichkeit mitzuteilen und bis zur Stunde die gesamte deutsche Presse den Pariser Veröffentlichungen vorsichtig aus dem Wege geht, klingt das Dementi nicht sehr glaubhaft. Außerdem wird die Reichsregierung auch schwer bestreiten können, daß die in dem Geheimdokument aufgestellten außen­politischen Ziele durchaus auf der Linie nationalsozialistischer Politik liegen, wie sie immer vertreten worden ist, ehe der Reichskanzler für gut befunden hat, seine wahren außen­politischen Absichten zu tarnen.

Der Petit Parisien" gibt an, daß es sich um In­struktionen handelt, die vom deutschen Propagandaministe­rium nach Amerika gegangen sind. Das ist um so glaub­würdiger, als gerade auf dem ganzen amerikanischen Konti­nent eine lebhafte Werbetätigkeit der Nationalsozialisten ein­fegt. Das Dokument gibt nur vertrauliche Instruktionen und Anleitungen, wie die Propaganda mit großer Vorsicht ge­handhabt werden soll.

Die außenpolitischen Ziele Deutschlands werden wie folgt umrissen:

1. Frankreich ist Deutschlands unversöhn: licher Gegner, wie Hitler in seinem Buche Mein Rampf" näher dargelegt hat.

Amtlich!

An alle Zeitungen des Saargebiets Die Regierungskommission teilt mit:

Im Anschluß an die im Amtsblatt des heutigen Tages beröffentlichte Verordnung betreffend Aenderung und Ergänzung des preußischen Gesetzes über die Handelskam­mern hält es die Regierungskommission für erforderlich, zur allgemeinen Information der Bevölkerung folgendes be­tanntzugeben:

Es ist von einem Teil des Landesrates wie auch von der Handelskammer Saarbrücken behauptet worden, daß die in Frage stehende Verordnung den Bestimmungen des Saar­statuts widerspreche, da die Handelskammer eine unter§ 28 fallende örtliche Vertretung" set. Hierzu ist zu bemerken: 1. Nach§ 440 des Friedensvertrages ist der französische und englische Text des Vertrages maßgebend. Die in Frage kommenden Stellen des§ 28 lauten:

a) im französischen Text: Assemblees locales", b) im englischen Text: local assemblies".

c) in der amtlichen deutschen Uebersetzung: örtliche Vertretungen".

2. Unter Assemblees locales"( local assemblies) können int Gegensatz zu der nicht vollauf zutreffend erscheinenden deutschen amtlichen Uebersetzung lediglich politische Ver­iammlungen, die ihren Sitz im Saargebiet haben, wie Kreistage, Bezirkstage, Stadtverordnetenversamm­Jungen. Gemeinderäte verstanden werden. Allein zu die­fen Versammlungen soll nach§ 28 das Wahlrecht unein­geschränkt ausgeübt werden, während andererseits zu politischen Versammlungen( Landtag, Reichstag usw.), die außerhalb des Saargebietes ihren Sitz haben, ein aktives Wahlrecht nicht ausgeübt werden darf. 3. Die unter 2. gegebene Interpretation ist bis jetzt all­gemein geteilt worden. Daher beschränkt sich die Regie­rungskommission darauf, auf folgende beispielsweise an­geführte Literatur hinzuweisen: Dokumente, betreffend Entstehung der Bestimmungen des Friedensvertrages, veröffentlicht im Weißbuch der Deutschen Regierung( of. G. 9-15). ferner auf Andres. Die Grundlage des Rechts im Saargebiet( S. 61 und 62) Priou. Le Territoire de la Sarre( S. 33), Coursier. Le Statut internationale du Ter­ritoire de la Sarre( 59 und 60) usw. Die Sandelstammer ist aber keine politische Versammlung im Sinne des§ 28, sondern eine Vertretung von Handel und Industrie. Sie wird auch nicht im Wege des allgemei­nen, in§ 28 allein für politische Versammlungen vor­gesehenen Wahlrechts gewählt, sondern lediglich durch Wähler ihres Interessenkreises a

Erhöhtes MIẞtrauen in Frankreich

2. Deutschland muß alles aufbieten, um die Be= ziehungen zwischen England und Frank: reich zu stören, da England der mächtigste und für Deutschland gefährlichste Verbündete Frankreichs ist.

3. Deutschland bemüht sich bereits, die politischen und militärischen Bündnisse Frankreichs zu stören.

4. Deutschland ist bemüht, die Konsolidierung der Verhältnisse auf dem Balkan zu ver= hindern.

5. Deutschland ist nicht gewillt, sich noch länger dem Ver­sailler Diktat zu beugen. Es beabsichtigt, eine Revi sion durch Verhandlungen zu erreichen, zieht aber auch andere Wege" in Betracht.

6. Nächstes Ziel ist die Rückgabe des Saar : gebietes. Das Reich hält trotz der Locarno - Verträge seine unveräußerlichen Rechte auf Elsaß- Lothringen auf recht.

7. Deutschland übt im Augenblick Polen gegenüber Zurückhaltung. Aber es gibt seine Forderungen gegen Polen nicht preis.

die Rüstungskonferenz, auch der Völkerbund ist in einer schweren Krise. Alies, was im letzten Jahrzehnt inter­national aufgebaut ist, steht vor der Gefahr des Zusammen­bruchs.

Brunnenvergiftung"

Das amtliche deutsche Dementi

Berlin , 16. Nov. Amtlich mitgetilt: Der Petit Parisien" außenpolitischen Ziele, die an alle Auslandsvertretungen veröffentlicht eine angebliche Instruktion über die deutschen angeblichen Instruktionen tragen so offensichtlich den Stempel von einer hiesigen Propagandastelle gegangen sein soll. Diese freier Erfindung, daß ein Dementi, wie es hiermit in aller Form und in jeder Richtung gegeben wird, für einen einiger­maßen kritischen Leser kaum erforderlich erscheint. Das Blatt ist offenbar auch seiner Sensationsmeldung wenig sicher, daß es seine Leser auf ein zu erwartendes Dementi schon vor­bereitet.

Es ist im übrigen zu bedauern, daß gerade angesichts der Entwicklung der letzten Tag ein weitverbreitetes französisches

8. Das Endziel der nationalsozialistischen Außenpolitik Blatt sich zu einer solchen Brunnenvergiftung hergibt. bleibt die Rückgewinnung aller Gebiete mit deutscher Minderheit.

9. Die direkte Rückgabe der früheren deutschen Kolonien ohne Einmischung des Völkerbundes bleibt ein festes Ziel.

10. Das Reich verlangt unbedingte Gleichberech= tigung in der Rüstung, ohne jede internationale Kontrolle.

Echt!

Paris , 17. November 1983.,

Der Petit Parifien" nimmt heute zu dem amtlichen deutschen Dementi Stellung, indem er erklärt, daß er auf das formellste" die Echtheit des Dokuments aufrechterhält. Er kündigt weitere Veröffentlichungen an.

Keines dieser Ziele bringt etwas Neues. Die Veröffent ,, Später auch Deutschland "

lichung wirkt nur deshalb so sensationell, weil sie in einem Augenblick erfolgt, der die deutsche Reichsregierung in Be­mühungen zeigt, sich mit Polen zu arrangieren und in un­mittelbare Verhandlungen mit Frankreich zu kommen. Die Bekanntgabe des Dokuments wird die Stimmung in Frank­ reich noch ernster gestalten, als sie in der letzten Kammer­debatte zum Ausdruck fam. Sowohl Paul- Boncour wie Sarraut haben in ihren Reden gewisse Andeutungen über die Möglichkeit von Verhandlungen mit Deutschland gemacht. Sie haben aber sehr offen auch ihr Mißtrauen gegenüber den gesprochen. Immer wieder haben die französischen Staats­Methoden und Absichten der jetzigen Reichsregierung aus­sische Verhandlungen nur im Rahmen der männer darauf hingewiesen, daß deutsch - franzö= internationalen Oeffentlichkeit werden können und in den Völkerbund ein münden müßten. Daß Frankreich recht hat, diese Vor­behalte zu machen, beweist das jetzt an die Oeffentlichkeit gezogene Dokument aufs neue. Auch ohne dessen Kenntnis

geführt

Genf , 17. Nov.( Schweiz . Dep.- Agtr.) In den Kreisen der Abrüstungskonferenz wurde am Donnerstag das Schreiben besprochen, das Präsident Henderson an alle an der Kon­schwierige Lage hinzuweisen. Tatsächlich ist zur Zeit in Genf ferenz beteiligten Mächte gerichtet hat, um sie auf die ein vollständiger Stillstand in den Beratungen eingetreten, und die Blicke sind nach Berlin und Paris gerichtet.

In den Kreisen der britischen und italienischen Delegation würden Verhandlungen zwischen Deutschland und Frank­ reich lebhaft begrüßt. Sollten diese jedoch in der nächsten Zeit nicht eingeleitet werden können, so würde, wie man in Völkerbundskreisen glaubt, der britische Ministerpräsident greifen, zu denen später auch Deutschland zwischen England, Frankreich und Italien er Macdonald möglicherweise die Initiative zu Besprechungen hinzugezogen würde. Sowohl auf italienischer wie auf britischer Seite bestehe Bereitwilligkeit, Deutschland in Zukunft bezüglich seiner Forderungen nach Gleichberech­tigung entgegenzukommen.

gehörte nicht viel Kombinationsgabe dazu, um die Linien der Die englischen Versuche

nationalsozialistischen Außenpolitik auch unter dem Schleim der jetzt beliebten pazifistischen Phrasen zu erkennen. Jeder Deutsche, der weiß und danach handelt, daß eine deutsch­französische Verständigung mit einer allgemeinen euro­ päischen Annäherung und Bereinigung verbunden sein muß, wird das unehrliche Spiel einer Regierung bekämpfen müssen, die Frankreich zu übertölpeln sucht und nur erreicht, daß die europäische Atmosphäre noch mehr vergiftet wird.

England macht zwar große Anstrengungen, die Abrüstungs­konferenz wieder in Gang zu setzen. Sir John Simon, der englische Außenminister und Paul- Boncour sind auf der Reise nach Genf . Gleichzeitg teilt das Reuter- Büro mit, daß in den bevorstehenden Genfer Besprechungen wahrscheinlich der Vorschlag erörtert werden wird, eine Zusammenkunft der Mächte des Viererpattes in Rom zu ver­Frankreich und Deutschland das Problem volle Gleich anstalten. Wie aber bei dem bergehohen Mißtrauen zwischen berechtigung für das Reich und gleichzeitig werden soll, ist nicht abzusehen. Es deutet alles darauf hin, Sicherheitsgarantien für Frankreich gelöst daß die Konferenz zum Scheitern verurteilt ist, besonders nachdem auch Italien sich mehr oder weniger auf die Stel­lung eines Beobachters beschränkt hat.

Wie eine soeben veröffentlichte Denkschrit der französischen Delegation für die Genfer Konferens zeigt, legt Frankreich nach wie vor den größten Wert auf allgemeine un= erwartete Rüstungskontrollen in jedem Lande. Da Frankreich diese Forderung mit einer" Probezeit" für Deutschland verbindet, ist kaum daran zu zweifeln, daß sich unübersteigbare Hindernisse für eine Konvention er­geben, der auch Deutschland beizutreten geneigt ist. Nicht nur

Meinungsverschiedenheiten in den vorgestrigen zwei sehr London , 17. Nov.( Eig. Bericht.) Die Gerüchte über die sich naturgemäß Differenzen über die Frage, wie die Ab­langen Kabinettssigungen sind stark übertrieben. Es ergaben rüstungskonferenz wieder in Gang gesetzt werden könne, und Sir John Simon bekam zu hören, welch große Verant­habe. Es fanden dann lebhafte telefonische Verhandlungen wortung er durch seine Taktik in Genf auf sich genommen nischen Gesandten in Bern statt, der den nach zwischen London , Paris , Genf und dem amerika= Amerika zurückgereisten amerikanischen Delegierten Nor= man Davis vertritt. Das Ergebnis ist, daß England bereit erscheint, Deutschland in der Frage der Gleichberech­sofort nach Paris , um Besprechungen mit Paul- Boncour auf­Pariser Gesprächen der Fall war. Sir John Simon reiste tigung mehr entgegenzukommen, als es nach den letzten zunehmen. Die Hoffnung, daß Frankreich zu einem größeren des Petit Parisien" werden als ein Anzeichen des ent­Entgegenkommen geneigt ist, ist gering. Die Enthüllungen schlossenen französischen Widerstandes gegen das englische Nachgeben aufgefaßt.

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beschlossen, in Opposition zu gehen. Die Samuel- Liberalen im englischen Unterhaus haben

Der Organisations: und Redaktionsausschuß der neuen sozialistischen Partei hat gestern abend beschlossen, dem am Partei den Namen Sozialistische Partei Frankreichs( Union 3. Dezember in Paris zusammentretenten Kongreß für die Jean Jaures ) vorzuschlagen. Zum Generalsekretär der Partei wurde der Abg. Deat vorgeschlagen.