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Der Eroberer Dimitroff
Jm Aeußersten erst offenbaret sich
Des Mannes ganze Kraft. Verblassend weichen
Zurücke von ihm die Bedenken all,
die erdgeboren ihn zur Erde ziehn,
und aus dem Schiffbruch viel verschlungner Pläne
und aus den Trümmern seiner eitlen List
hebt sich der Geist in seine reine Größe.
In die Unendlichkeit, die in ihm schlummert, die Willensallmacht fehrt er wachsend ein, saugt zugedrückten Auges neue Kraft, neue Erfüllung aus sich selber, setzt
auf eine Karte seines Lebens Summe und sich entladend flammt er auf zur Tat die gleich dem Blizz in einem Augenblick der festgewordenen Dinge Antlig ändert.
Lassalle.
D. F. Als der nun fünfzigjährige Georg Dimitroff in Radomir geboren wurde, stand Bulgarien noch zwischen den Machtkämpfen des russischen Zaren und des türkischen Sultans. Die Versuche Rußlands , ein Großbulgarien von der Donau bis zum Schwarzen Meer, von den Albaner Bergen bis nach Saloniki zu schaffen, waren an Oesterreichs und Englands Widerstand gescheitert. Die russischen Sieger des Krieges von 1877 mußten im Berliner Frieden dulden, daß ihre Eroberungen stark reduziert wurden. Die für Großbulgarien bestimmte Provinz Ostrumelien blieb ganz bei der Türkei . Die Grenzen des Fürstentums durften nur bis aum Balkangebirge reichen. Der Rest blieb ein der Türkei tributäres Fürstentum.
Die schäumende Mariza hat das Blut vieler Freibeitskämpfer getrunken. In den letzten Jahrzehnten des vergangenen und in den ersten beiden Jahrsehnten dieses Jahrhunderts hat die Abschüttelung der Fremdherrschaft und der Wille zur Schaffung eines bulga rischen Staatswesens mit wirtschaftlich genügendem Raum die Geschichte des Landes beherrscht, bis im Weltkrieg dieser Kampf gegen Bulgarien entschieden wurde. Wer das Land nach dem Frieden von Neuilly bereiste, kann in Gesprächen mit Bulgaren aller Schichten feststellen, daß die nationale Frage als ungelöst gilt. Die Bildungsstufe ist hoch, insbesondere das Volksschulwesen gut entwickelt, und eine starte organisatorische Begabung vollbringt bedeutende Leistungen. Ein Vergleich etwa zwischen Belgrad und Sofia , zwischen altserbischen und bulgarischen Dörfern fällt unbedingt zugunsten Bulgariens aus. Außergewöhnlich ist das politische Interesse und die Kraft des politischen Tempera
ments.
In diesem Lande entwickelte sich trotz des Vorherrschens der nationalen Idee frühzeitig eine sozialdemokratische Partei. Ihr Gründer, der greise Safasoff, lebt und wirkt noch im bulgarischen Parlament. Ein feinsinniger gelehrter Autodidakt und ein geschliffener hochkultivierter Politiker älteren Stils. Dieser Sozialist Safasoff hatte vor mehr als dreißig Jahren einen ungestümen Schüler: Georg Dimitroff, einen Schriftsetzer. Er hatte in einer Druckerei gelernt, deren Chef bulgarischer Ministerpräsident am Ende des Weltkrieges war und im Jahre 1918 die Abdankung des Zaren Ferdinand entgegennahm.
Georg Dimitroff nahm die Laufbahn, die in den Vorfriegsjahren einem intelligenten über seine engen Berufsinteressen hinausstrebenden Arbeiter möglich war. Er wurde Führer der den Klassenkampf bejahenden Sozialisten. Ein Sekretär der in dem kleinen meist bäuerlichen Lande wenig entwicklungsfähigen Gewerkschaften. Es schien, daß sich sein Leben im Rahmen einer evolutionären Arbeiterbewegung mit stufenweise emporweisenden Erfolgen im gewerkschaftlichen und parlamentarischen Ringen abspielen werde. Da kamen sechs Jahre Krieg. Erster und zweiter Balkanfrieg und Weltkrieg. Georg Dimitroff hatte längst gelernt, marristisch zu denken. Er sah hinter den blutigen Nebeln die gewaltigen imperialistischen Kräfte Europas , deren Intereffen auf dem Balfan zusammenstießen. Das sah und wußte sein sozialdemokratischer Lehrer Safasoff auch. Im Münster au Basel, als die sozialistische Internationale im November 1912 einen letzten Versuch machte, die Völker zum Wider stand gegen ihre Schlächter aufzurufen, war er einer der Klarsten und weitsichtigsten Sprecher. Seine Rede war um so mutiger, als sich sein Land Bulgarien schon im Kriege befand. Safasoff war so der erste„ Landesverräter" der Internationale. Zwanzig Millionen Menschen wären nicht verstümmelt und zerrissen worden, hunderte Milliarden Werte wären nicht zerstört, wenn die Nurpatrioten aller Länder reif genug gewesen wären, die Stimmen aus dem Baseler Münster zu begreifen.
Der Weltkrieg hat Bulgarien in ein unerhörtes Elend gestürzt. Bei der unmittelbaren Nähe Rußlands war es begreiflich, daß die Idee der bolichemistischen Sowiets fich rasch im Lande ausbreitete. Die Bauern mit ihren sehr fleinen Adergütern und ihren gesunden Köpfen nahmen Lenins Gedanken begierig auf. Die Not und die soziale Verwirrung wurde gesteigert durch hunderttausende Flüchtlinge,
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Im Gerichtssaal aufgenommenes Bild
die sich nach dem Friedensschluß von Neuilly auf bulgarischen Boden retteten, weil sie in den abgetretenen Gebieten um ihr Leben fürchteten. In der amerikanisch anwachsenden Hauptstadt Sofia wurden die Schwierigkeiten gigantisch. Land und Volk wanden sich in revolutionären Zuckungen.
Einer der Aufstandsstrategen war der längst Kommunist gewordene Georg Dimitroff. Der Oberreichsanwalt und die Reichsrichter kreiden ihm das bös an, aber sie geben dem Bulgaren nicht die Gelegenheit, vor seinen Anklägern und der Welt darzulegen, welche furchtbaren Konvulsionen das Land im Jahre 1923 schütteln mußten. Die friedlichen Gehaltsempfänger in der roten Robe zeigen entrüstet auf den Revolutionär Dimitroff , der mit der Waffe gekämpft, aber nicht feige gemeuchelt hat wie hohe Zeugen des Reichsgerichts. Nichts wissen oder sagen aber diese deutschen Richter davon, daß grausame Verbrechen der Regierenden Bulgarien schändeten, ehe die Kommunisten ihren Aufstand wagten. Eine Hoffnungslose Erhebung. Wenn die deutsche Anklage dem Bulgaren die Beteiligung am Aufstand und die Strafe dafür vorhielt, hätte sie ihm auch erlauben müssen, seine Stel= lung zu den blutigen Vorgängen im Bulgarien des Jahres 1923 zu entwickeln. Es wäre wichtiger und aufschlußreicher als der Klatsch um Dimitroffs Liebesleben, den die Reichsrichter als pikante Einlage zu bieten hatten. Daß Dimitroff ein Mann ist, hatte die Welt in allen fünf Erdteilen ohne dies inzwischen erfahren. Mit einem einzigen Sage erledigte er die Serualforschungen des Reichsgerichts:„ Ich ersuche den Herrn Oberreichsanwalt ein für allemal davon Kenntnis zu nehmen, daß ich weder homosexuell noch im potent bin." Entsett fuhren alle heimlichen Zotenreißer hoch. Der Kerl bekannte sich zu seiner Erotik!
Aus Bulgarien brachte er nur seine Vorstrafen mit: 15 Jahre verschärften Gefängnis für die Vorbereitung eines Aufstandes und als Führers eines kommunistischen Aufstandes 20 Jahre verschärften Gefängnisses. Außerdem Verlust der bulgarischen Bürgerrechte. Daß Dimitroff nicht den Rest seines Lebens in einem der nicht gerade angenehmen bulgarischen Gefängnisse zubringen wollte, wird man verständlich finden. Er durchzog manches Land als emigrierter Schriftsteller. Auch die Sowjetrepublik, aber erst in Deutsch land entdeckten ihn geniale Polizisten und Reichsanwälte, die mit Scharfsinn erkannten, daß ihnen gerade Dimitroff noch fehlte, um an dessen geistiger und moralischer Inferiorität die Verbrecherseele des marristischen Untermenschentums zu demonstrieren. Zum rassischen Ruhme germanischen Redentums über slawische Verworfenheit.
Nicht drei Tage dauerte es und Aetherwellen funkten den Namen des unbekannten Soldaten der proletarischen Revolution als einen Helden um den ganzen Erdball. In hundert Sprachen suchen die Leser aller Zonen den Namen
Dimitroff in den Spalten der Zeitungen. Die uralte Ge schichte von Goliath und David wiederholt sich. Nur ist der Goliath unendlich mehr gerüstet und mächtiger als der biblische, und dem David sind nicht einmal Schleuder und Stein belassen. Ein unerhörtes Schauspiel hebt an: ein bulgarischer Emigrant, mittellos, einflußlos, ausgestoßen von seinem Vaterlande, kaum der deutschen Sprache mächtig, steht nach langer in Ketten verbrachter Haft vor dem deutschen Reichsgericht. In dieser Körperschaft tritt dem bleichen Mann, der seit vielen Wochen ganz auf sich allein gestellt ist, der mächtigste Diktaturapparat entgegen, den die Ge schichte vielleicht je gesehen hat. Die höchsten Würdenträger des Reichs, Herren über Leben und Tod von Millionen, kommen persönlich vor die Schranken. Ihr Haß bedroht den Angeklagten mit dem Henker, der ihrem Gebot untersteht. Alle materielle Gewalt ist auf ihrer Seite. Dimitroff , der marristische Materialist, verfügt nur über seinen Geist und seinen Willen, die aus der tiefen todbereiten Gläubigkeit einer geschlossenen Weltanschauung ihre Kräfte ziehen. Das ewige Wunder des geistigen Sieges über rohe Gewaltträger wiederholt sich. Mit zwei oder drei Fragen schlägt der an Karl Mary geschulte bulgarische Arbeiter den preußischen Goliath Göring vor die Stirn und das schimpfende Maul." Hinaus!" brüllen Minister und Richter vereint, aber sie retten sich und ihren Prozeß nicht mehr. In weniger als einer Minute hat Dimitroff das Urteil für die Weltgeschichte gesprochen, und mit welcher Würde! Geifernd und tobend und schimpfend stand der Präsident des Ministeriums vor ihm, aber nicht für eine Sekunde verließ den Mann aus dem geistigen Reiche des Sozialismus seine beherrschte Bildung. Nur die messerscharfe Frage des Siegers an den Fliehenden kam aus seinent Munde:„ Haben Sie Angst vor mir, Herr Minister?" Sie war der Anfang von Görings und seiner Mitverbrecher Ende. Sie wissen es noch nicht und glauben es nicht, aber es ist so.
Immer wieder versucht das höchste Gericht Deutschlands sich vor dem überlegenen Ankläger durch dessen Ausschluß zu retten. Jede neue Maßregelung aber erhöht Dimitroffs Ansehen in allen Völkern, auch bei den Deutschen . In keinem Parlament mit gerechtem Präsidium hätte Dimitroff mit der Sprache, die er vor Gericht führt, sich auch nur einen Ordnungsruf zugezogen. Seine Disziplin ist nicht minder bewundernswert wie sein Mut und seine Dialektik. Er weiß in jedem Augenblick genau, was er tut. Er kennt auch das Schicksal, dem zu entrinnen für ihn kaum möglich ist: Verschont ihn Görings Henker, so werden ihn Görings Mörder erledigen. Dafür hat Preußens Ministerpräsident sein Wort verpfändet und bei Untaten steht ein nationalsozialistischer
Führer zu seinem Wort.
Als Dimitroffs Schwester ihn in Gegenwart von Polizisten und anderen Zeugen für kurze Augenblicke sprechen konnte, antwortete er auf die Frage„ Wie fühlst du dich?": " Ich bin zwar körperlich sehr herunter. Aber wenn ich mich in einer Kampffituation befinde, fühle ich mich wohl."
So ist es, und so wird Dimitroff bis zum Ende Meister der Anklage bleiben. Ich bin Gläubiger, in diesem Prozeß und nicht Schuldner," hielt er dem Oberreichsanwalt entgegen. Dimitroff ist der Ankläger. Auch ungezählte Deutsche fühlen. es. Dieser eine Mann hat Millionen Deutsche in ihrem Vertrauen zum herrschenden Regime wankend gemacht. Er hat Millionen sozialistische Arbeiter seelisch ge= stärft. Wenn heute frei in den deutschen Betrieben und den proletarischen Gebieten abgestimmt werden könnte zwischen Hitler und Dimitroff , würde der Denker und Kämpfer den Schwäßer schlagen. Heute schon.
Dimitroff ist Kommunist. Wir sind es nicht, aber wir ehren und grüßen in ihm den großen Rebellen gegen die gesetzlosen Barbaren, die ihn und viele Millionen anderer in Fesseln halten. Er hat seine Aufgabe voll begriffen. Er weiß, daß jetzt eines notwendig ist: die Widerstandskräfte wachzurufen und wachzurütteln ohne Rücksicht auf persönliches Schicksal.„ Ob ich stehe oder falle, ist und bleibt dann einerlei." Es ist kaum wahrscheinlich, daß Dimitroffs historische Figur über diese Tage hinauswachsen wird. Er macht nur in diesem Prozeß Geschichte und wird so unabsehbar wirken. Mehr noch vielleicht, wenn er den Opfertod stirbt, als wenn ihm ein faum faßbares Glück die Freiheit wiedergäbe.
Göring und die dumpfen Gehirne, die mit ihm den Fluch tragen, im Blutdunst leben zu müssen, sinnen auf den Tag, da sie an diesem Dimitroff Rache nehmen und sein Leben auslöschen können. In ihrem Wahn glauben sie dann den Feind erledigt und die weltgeschichtliche Tragödie beendet zu haben. Dieser Irrtum wird sie physisch vernichten, wie Dimitroff fie geistig geschlagen hat:
Das große Schauspiel hat gepackt es kehrt mit einem Eisenbesen; doch ists, ihr Herr'n, der erste Akt des Riesendramas nur gewesen.
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