Freiheit

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 129-1. Jahrgang Saarbrücken  , Sonntag Montag, 19./20. Nov. 1933 Chefredakteur: M. Braun

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Publ. Metzl, Paris  , rue Turbigo Nr. 23

Der Eroberer Dimitroff

Jm Aeußersten erst offenbaret sich

Des Mannes ganze Kraft. Verblassend weichen

Zurücke von ihm die Bedenken all,

die erdgeboren ihn zur Erde ziehn,

und aus dem Schiffbruch viel verschlungner Pläne

und aus den Trümmern seiner eitlen List

hebt sich der Geist in seine reine Größe.

In die Unendlichkeit, die in ihm schlummert, die Willensallmacht fehrt er wachsend ein, saugt zugedrückten Auges neue Kraft, neue Erfüllung aus sich selber, setzt

auf eine Karte seines Lebens Summe und sich entladend flammt er auf zur Tat die gleich dem Blizz in einem Augenblick der festgewordenen Dinge Antlig ändert.

Lassalle.

D. F. Als der nun fünfzigjährige Georg Dimitroff in Radomir geboren wurde, stand Bulgarien   noch zwischen den Machtkämpfen des russischen Zaren und des türkischen   Sul­tans. Die Versuche Rußlands  , ein Großbulgarien von der Donau   bis zum Schwarzen Meer, von den Albaner Bergen bis nach Saloniki zu schaffen, waren an Oesterreichs   und Englands Widerstand gescheitert. Die russischen Sieger des Krieges von 1877 mußten im Berliner Frieden dulden, daß ihre Eroberungen stark reduziert wurden. Die für Groß­bulgarien bestimmte Provinz Ostrumelien blieb ganz bei der Türkei  . Die Grenzen des Fürstentums durften nur bis aum Balkangebirge   reichen. Der Rest blieb ein der Türkei  tributäres Fürstentum.

Die schäumende Mariza hat das Blut vieler Frei­beitskämpfer getrunken. In den letzten Jahrzehnten des vergangenen und in den ersten beiden Jahr­sehnten dieses Jahrhunderts hat die Abschüttelung der Fremdherrschaft und der Wille zur Schaffung eines bulga rischen Staatswesens mit wirtschaftlich genügendem Raum die Geschichte des Landes beherrscht, bis im Weltkrieg dieser Kampf gegen Bulgarien   entschieden wurde. Wer das Land nach dem Frieden von Neuilly   bereiste, kann in Gesprächen mit Bulgaren   aller Schichten feststellen, daß die nationale Frage als ungelöst gilt. Die Bildungsstufe ist hoch, ins­besondere das Volksschulwesen gut entwickelt, und eine starte organisatorische Begabung vollbringt bedeutende Lei­stungen. Ein Vergleich etwa zwischen Belgrad   und Sofia  , zwischen altserbischen und bulgarischen Dörfern fällt unbe­dingt zugunsten Bulgariens   aus. Außergewöhnlich ist das politische Interesse und die Kraft des politischen Tempera­

ments.

In diesem Lande entwickelte sich trotz des Vorherrschens der nationalen Idee frühzeitig eine sozialdemokratische Par­tei. Ihr Gründer, der greise Safasoff, lebt und wirkt noch im bulgarischen Parlament. Ein feinsinniger gelehrter Auto­didakt und ein geschliffener hochkultivierter Politiker älteren Stils. Dieser Sozialist Safasoff hatte vor mehr als dreißig Jahren einen ungestümen Schüler: Georg Dimitroff, einen Schriftsetzer. Er hatte in einer Druckerei gelernt, deren Chef bulgarischer Ministerpräsident am Ende des Weltkrieges war und im Jahre 1918 die Abdankung des Zaren Ferdinand entgegennahm.

Georg Dimitroff nahm die Laufbahn, die in den Vor­friegsjahren einem intelligenten über seine engen Berufs­interessen hinausstrebenden Arbeiter möglich war. Er wurde Führer der den Klassenkampf bejahenden Sozialisten. Ein Sekretär der in dem kleinen meist bäuerlichen Lande wenig entwicklungsfähigen Gewerkschaften. Es schien, daß sich sein Leben im Rahmen einer evolutionären Arbeiterbewegung mit stufenweise emporweisenden Erfolgen im gewerkschaft­lichen und parlamentarischen Ringen abspielen werde. Da kamen sechs Jahre Krieg. Erster und zweiter Balkan­frieg und Weltkrieg. Georg Dimitroff hatte längst gelernt, marristisch zu denken. Er sah hinter den blutigen Nebeln die gewaltigen imperialistischen Kräfte Europas  , deren Inter­effen auf dem Balfan zusammenstießen. Das sah und wußte sein sozialdemokratischer Lehrer Safasoff auch. Im Münster au Basel, als die sozialistische Internationale im November 1912 einen letzten Versuch machte, die Völker zum Wider stand gegen ihre Schlächter aufzurufen, war er einer der Klarsten und weitsichtigsten Sprecher. Seine Rede war um so mutiger, als sich sein Land Bulgarien   schon im Kriege be­fand. Safasoff war so der erste Landesverräter" der Inter­nationale. Zwanzig Millionen Menschen wären nicht ver­stümmelt und zerrissen worden, hunderte Milliarden Werte wären nicht zerstört, wenn die Nurpatrioten aller Länder reif genug gewesen wären, die Stimmen aus dem Baseler Münster zu begreifen.

Der Weltkrieg hat Bulgarien   in ein unerhörtes Elend gestürzt. Bei der unmittelbaren Nähe Rußlands   war es begreiflich, daß die Idee der bolichemistischen Sowiets fich rasch im Lande ausbreitete. Die Bauern mit ihren sehr fleinen Adergütern und ihren gesunden Köpfen nahmen Lenins   Gedanken begierig auf. Die Not und die soziale Ver­wirrung wurde gesteigert durch hunderttausende Flüchtlinge,

darb

Im Gerichtssaal aufgenommenes Bild

die sich nach dem Friedensschluß von Neuilly   auf bulgarischen Boden retteten, weil sie in den abgetretenen Gebieten um ihr Leben fürchteten. In der amerikanisch anwachsenden Hauptstadt Sofia   wurden die Schwierigkeiten gigantisch. Land und Volk wanden sich in revolutionären Zuckungen.

Einer der Aufstandsstrategen war der längst Kommunist gewordene Georg Dimitroff. Der Oberreichsanwalt und die Reichsrichter kreiden ihm das bös an, aber sie geben dem Bulgaren   nicht die Gelegenheit, vor seinen Anklägern und der Welt darzulegen, welche furchtbaren Konvulsionen das Land im Jahre 1923 schütteln mußten. Die friedlichen Ge­haltsempfänger in der roten Robe zeigen entrüstet auf den Revolutionär Dimitroff  , der mit der Waffe gekämpft, aber nicht feige gemeuchelt hat wie hohe Zeugen des Reichsgerichts. Nichts wissen oder sagen aber diese deutschen   Richter davon, daß grausame Verbrechen der Regierenden Bulgarien   schän­deten, ehe die Kommunisten ihren Aufstand wagten. Eine Hoffnungslose Erhebung. Wenn die deutsche   Anklage dem Bulgaren   die Beteiligung am Aufstand und die Strafe da­für vorhielt, hätte sie ihm auch erlauben müssen, seine Stel= lung zu den blutigen Vorgängen im Bulgarien des Jahres 1923 zu entwickeln. Es wäre wichtiger und aufschlußreicher als der Klatsch um Dimitroffs Liebesleben, den die Reichs­richter als pikante Einlage zu bieten hatten. Daß Dimitroff  ein Mann ist, hatte die Welt in allen fünf Erdteilen ohne dies inzwischen erfahren. Mit einem einzigen Sage er­ledigte er die Serualforschungen des Reichsgerichts: Ich er­suche den Herrn Oberreichsanwalt ein für allemal davon Kenntnis zu nehmen, daß ich weder homosexuell noch im potent bin." Entsett fuhren alle heimlichen Zotenreißer hoch. Der Kerl bekannte sich zu seiner Erotik!

Aus Bulgarien   brachte er nur seine Vorstrafen mit: 15 Jahre verschärften Gefängnis für die Vorbereitung eines Aufstandes und als Führers eines kommunistischen   Auf­standes 20 Jahre verschärften Gefängnisses. Außerdem Ver­lust der bulgarischen Bürgerrechte. Daß Dimitroff   nicht den Rest seines Lebens in einem der nicht gerade angenehmen bulgarischen Gefängnisse zubringen wollte, wird man ver­ständlich finden. Er durchzog manches Land als emigrierter Schriftsteller. Auch die Sowjetrepublik, aber erst in Deutsch­ land   entdeckten ihn geniale Polizisten und Reichsanwälte, die mit Scharfsinn erkannten, daß ihnen gerade Dimitroff   noch fehlte, um an dessen geistiger und moralischer Inferiorität die Verbrecherseele des marristischen Untermenschentums zu demonstrieren. Zum rassischen Ruhme germanischen Reden­tums über slawische Verworfenheit.

Nicht drei Tage dauerte es und Aetherwellen funkten den Namen des unbekannten Soldaten der proletarischen Revo­lution als einen Helden um den ganzen Erdball. In hun­dert Sprachen suchen die Leser aller Zonen den Namen

Dimitroff   in den Spalten der Zeitungen. Die uralte Ge schichte von Goliath und David wiederholt sich. Nur ist der Goliath unendlich mehr gerüstet und mächtiger als der biblische, und dem David sind nicht einmal Schleuder und Stein belassen. Ein unerhörtes Schauspiel hebt an: ein bul­garischer Emigrant, mittellos, einflußlos, ausgestoßen von seinem Vaterlande, kaum der deutschen Sprache mächtig, steht nach langer in Ketten verbrachter Haft vor dem deutschen  Reichsgericht. In dieser Körperschaft tritt dem bleichen Mann, der seit vielen Wochen ganz auf sich allein gestellt ist, der mächtigste Diktaturapparat entgegen, den die Ge schichte vielleicht je gesehen hat. Die höchsten Würdenträger des Reichs, Herren über Leben und Tod von Millionen, kommen persönlich vor die Schranken. Ihr Haß bedroht den Angeklagten mit dem Henker, der ihrem Gebot untersteht. Alle materielle Gewalt ist auf ihrer Seite. Dimitroff  , der marristische Materialist, verfügt nur über seinen Geist und seinen Willen, die aus der tiefen todbereiten Gläubigkeit einer geschlossenen Weltanschauung ihre Kräfte ziehen. Das ewige Wunder des geistigen Sieges über rohe Gewaltträger wiederholt sich. Mit zwei oder drei Fragen schlägt der an Karl Mary geschulte bulgarische Arbeiter den preußischen Goliath Göring vor die Stirn und das schimpfende Maul." Hinaus!" brüllen Minister und Richter vereint, aber sie retten sich und ihren Prozeß nicht mehr. In weniger als einer Minute hat Dimitroff   das Urteil für die Weltgeschichte gesprochen, und mit welcher Würde! Geifernd und tobend und schimpfend stand der Präsident des Ministeriums vor ihm, aber nicht für eine Sekunde verließ den Mann aus dem geistigen Reiche des Sozialismus seine beherrschte Bildung. Nur die messerscharfe Frage des Siegers an den Fliehenden kam aus seinent Munde: Haben Sie Angst vor mir, Herr Minister?" Sie war der Anfang von Görings und seiner Mitverbrecher Ende. Sie wissen es noch nicht und glauben es nicht, aber es ist so.

Immer wieder versucht das höchste Gericht Deutschlands  sich vor dem überlegenen Ankläger durch dessen Ausschluß zu retten. Jede neue Maßregelung aber erhöht Dimitroffs An­sehen in allen Völkern, auch bei den Deutschen  . In keinem Parlament mit gerechtem Präsidium hätte Dimitroff   mit der Sprache, die er vor Gericht führt, sich auch nur einen Ord­nungsruf zugezogen. Seine Disziplin ist nicht minder be­wundernswert wie sein Mut und seine Dialektik. Er weiß in jedem Augenblick genau, was er tut. Er kennt auch das Schicksal, dem zu entrinnen für ihn kaum möglich ist: Ver­schont ihn Görings Henker, so werden ihn Görings Mörder erledigen. Dafür hat Preußens Ministerpräsident sein Wort verpfändet und bei Untaten steht ein nationalsozialistischer

Führer zu seinem Wort.

Als Dimitroffs Schwester ihn in Gegenwart von Poli­zisten und anderen Zeugen für kurze Augenblicke sprechen konnte, antwortete er auf die Frage Wie fühlst du dich?": " Ich bin zwar körperlich sehr herunter. Aber wenn ich mich in einer Kampffituation befinde, fühle ich mich wohl."

So ist es, und so wird Dimitroff   bis zum Ende Meister der Anklage bleiben. Ich bin Gläubiger, in diesem Prozeß und nicht Schuldner," hielt er dem Oberreichsanwalt ent­gegen. Dimitroff   ist der Ankläger. Auch ungezählte Deutsche fühlen. es. Dieser eine Mann hat Millionen Deutsche   in ihrem Vertrauen zum herrschenden Regime wankend ge­macht. Er hat Millionen sozialistische Arbeiter seelisch ge= stärft. Wenn heute frei in den deutschen   Betrieben und den proletarischen Gebieten abgestimmt werden könnte zwischen Hitler   und Dimitroff  , würde der Denker und Kämpfer den Schwäßer schlagen. Heute schon.

Dimitroff   ist Kommunist. Wir sind es nicht, aber wir ehren und grüßen in ihm den großen Rebellen gegen die gesetz­losen Barbaren, die ihn und viele Millionen anderer in Fesseln halten. Er hat seine Aufgabe voll begriffen. Er weiß, daß jetzt eines notwendig ist: die Widerstandskräfte wachzu­rufen und wachzurütteln ohne Rücksicht auf persönliches Schicksal. Ob ich stehe oder falle, ist und bleibt dann einerlei." Es ist kaum wahrscheinlich, daß Dimitroffs historische Figur über diese Tage hinauswachsen wird. Er macht nur in diesem Prozeß Geschichte und wird so unabseh­bar wirken. Mehr noch vielleicht, wenn er den Opfertod stirbt, als wenn ihm ein faum faßbares Glück die Freiheit wieder­gäbe.

Göring   und die dumpfen Gehirne, die mit ihm den Fluch tragen, im Blutdunst leben zu müssen, sinnen auf den Tag, da sie an diesem Dimitroff   Rache nehmen und sein Leben auslöschen können. In ihrem Wahn glauben sie dann den Feind erledigt und die weltgeschichtliche Tragödie beendet zu haben. Dieser Irrtum wird sie physisch vernichten, wie Dimitroff   fie geistig geschlagen hat:

Das große Schauspiel hat gepackt es kehrt mit einem Eisenbesen; doch ists, ihr Herr'n, der erste Akt des Riesendramas nur gewesen.

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