Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschien Freifiett" Ereignisse und Geschichten

Samstag, den 9. Dezember 1933

Erste Hilfe für die Aermsten!

Thee Sippenkartei wird aus Staatsmitteln fotokopiect.

Nun wird das Volk allmählich doch durch Hitler und die Seinen gerettet. Nicht gerade durch Brot und Arbeit. Nein, die braunen Machthaber haben bessere Qualität, geistige Nahrung und Anbruch der Nation auf Lager. Sie retten für jeden einzelnen Volksgenossen die Familiengeschichte. Die Essener National- Zeitung" gibt es mit gradezu hymnischen Worten kund und zu wissen:

,, Im Zuge der geschichtlichen Großtaten des National­sozialismus wird daher einmal eine spätere Zeit diese neuen: das Entwirren und Wiederanknüpfen der Millio­nen Fäden der abgerissenen deutschen Familiengeschichte durch den Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern Dr. Achim Gercke  , der in zehnjähriger mühseliger Kleinarbeit die verschütteten Quellen des deutschen Blutstromes wieder zum lebenden Sprudeln brachte. Und diese spätere Zeit wird daneben­stellen, die Tat des Preußischen Kultusministeriums, seine Hilfe zur Rettung der deutschen Familiengeschichte da­durch, daß es für die Verwirklichung einer ebenso geni­alen wie wegweisenden Idee die ersten Mittel zur Ver­fügung stellte.

Denkmäler von unermeßlichem Wert. Eine geschichtliche Tat für die Geschichte. Mit den modernsten technischen Hilfsmitteln soll der Gefahr der Vernichtung dieser Ur­kunden und Urkundenbücher zuleibe gegangen werden, ohne die Eigentumsfrage der Kirche anzutasten und ihr ewiges Recht an dem Besity dieser Dokumente. Die in Gefahr befindlichen vergilbten Papiere im ganzen Reich sollen fotokopiert werden! Es soll mit dieser großzügigen Maßnahme gleichzeitig die Auswertung dieser Dokumente durchgeführt werden: Schaffung einer Sippenkartei für ganz Deutschland  , durch die den Aermsten der Armen endlich das vermittelt werden soll, was bisher nur den Wohlhabenden möglich war die Kenntnis über Ahnen und rassische Herkunft und damit die Vertiefung der Gewißheit, daß auch sie lebendiges Glied der großen Blutsgemeinschaft unseres Volkes sind."

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Wir dürfen also getrost neben das deutsche   Eintopf. gericht die Sippenkartei stellen. Grabt aus. Ihr flinken Pro­leten in Stadt und Land! Eure Papiere werden fotokopiert! Ihr dürft Euch sättigen in dem Bewußtsein, daß Großvater und Großmutter Euch die Blutsgemeinschaft vererbt haben.

Das alles kostet zwar Geld. Aber, so sagt das Essener Blatt, angesichts einer solch wahrhaft völkischen Tat wird man die Kosten nicht scheuen dürfen. Wenns nicht anders

Zur Verfügung stellte im Interesse der Erhaltung jener Dokumente, die die Geschichte vom Kommen und Gehen des deutschen Blutes am sichtbarsten überliefern, die über die äußere und innere Entwicklung der Geschichte von Familien und Gemeinden den besten, oft einzigen Aufschluß geben: die alten deutschen Kirchenbücher. gemeinschafts- Opfertag".

Brief aus Deutschland  

Ihr, liebe Freunde, dürft die Zeitung lesen, sie kommt zu Euch mit alter Pünktlichkeit und schön gesetzt, als wäre nichts gewesen und lebte Deutschland   nicht in einer Zeit, die die Kalender, die ihr habt, nicht kennen, weil außerhalb des Reichs sie keiner kennt und innerhalb sie keiner darf benennen, wenn er nicht will, daß man sein Haus verbrennt.

Ihr habt Euch längst gewöhnt der fetten Lettern, mit denen man die deutsche   Schande lobt und keiner wird mehr rot bei Zeitungsblättern, in denen frech der neue Wahnsinn tobt. Uns flüstert man bei Nacht die Zeitung zu; in kleinsten Lettern müssen sie sie setzen.. Der Kolporteur hats eilig: ,, Nimm! und laufe Du! Ihr wißt es nicht, wie sie uns täglich hetzen. Ihr wißt es nicht, die ihr da draußen seid! Was hat sich schon für Euch so viel verändert? Von Blut ist täglich unser Blatt gerändert, uns zeigt der Henker mit dem Beil die Zeit. Ihr draußen könnt sie niemals ganz verstehen, weil Ihr nicht spürt, wie uns das Herz verbrennt. Ihr könnt in Werkstatt und Fabriken gehen doch wir?

Wir sind auf einem anderen Kontinent!

Wenzel Sladek.

geht, wird eine neue Wohlfahrtsumlage eingerichtet: Bluts. Ein Toter wird mißbraucht

Shaw beim dritten Reich"?

Sein Uebersetzer Siegfried Teebitsch äußert sich Shaw ist ein glühender Verehrer Mussolinis"

Das neueste Stück Bernard Shaws ,, On the Rocks", das eben in London   seine Uraufführung erlebte, findet bereits die lebhaftesten Kommentare.

Von verschiedenen Seiten wird gegen Bernard Shaw   vor­gebracht, daß dieses Stück ein Bekenntnis zum National­sozialismus sei. Man stützt sich auf eine Reihe von Aus­sprüchen, die in dem Stück vorkommen, wie etwa Besser ein einziger Diktator, als ein kleiner dreckiger Diktator in jeder Gasse" oder mit Bezug auf Guy Fawkes  , der im 17. Jahrhundert hingerichtet wurde, weil er das englische Parla­ment in die Luft sprengen wollte: Der einzige Mann, der wirklich etwas von Parlamentarismus verstanden hat, war Guy Fawkes  - man wird ihm in Westmünster sicher noch ein Denkmal setzen" und ähnliche. Das Stück schließt mit Rufen der Menge: ,, England erwache!" worauf die Hauptgestalt des Stückes, der Ministerpräsident Sir Arthur Chavender, er­klärt: ,, Wenn es nur endlich erwachte...!"

Eine Wiener Zeitung   hat sich in diesem Zusammenhang an den deutschen Uebersetzer Bernard Shaws  , Siegfried Trebitsch  , gewendet, der folgendes erklärt:

,, An das Stück knüpfen sich nun dieselben Mißverständ­nisse, wie seinerzeit an den ,, Kaiser von Amerika  ". Shaw  hat immer schon gepredigt, daß ihm jedes Regierungssystem recht ist, wenn es von einem genialen Menschen getragen wird. Man kann Shaws politisches Bekenntnis einfach formulieren: Es ist der Glaube an das Genie." Kurz: Ein genialer Bolschewik ist ihm lieber als ein unfähiger König, ein genialer König lieber als ein unfähiger Demokrat, ein genialer Demokrat lieber als ein unfähiger Faschist und ein genialer Faschist lieber als... nun kann die Reihe wieder

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vorne beginnen. Er erklärte mir einmal: In einem Zirkus wird man einen virtuosen Jongleur etwa, ohne nach seiner politischen Einstellung oder Konfession zu fragen, zweifellos lieber sehen, als einen, dem die Kugeln ununter­brochen aus der Hand fallen.

Aus dem Stück geht aber nirgends hervor, daß Bernard Shaw   Hitler für ein Genie hält. Seiner ganzen Vergangen. heit und Veranlagung nach kann man einen Bernhard Shaw, zu dessen intimsten Freunden Juden gehören und der sich wiederholt über die Judenverfolgungen in Deutschland   lustig gemacht hat. wohl schwer eine plötzliche Umschwenkung zum Nazitum imputieren.

Wenn man sein neuestes Stück politisch ausschroten will, könnte man sagen, daß die Demokratie darin nicht gut weg­kommt aber nicht deswegen, weil Shaw sich an und für sich gegen die Demokratie wendet, sondern weil sie in den letzten Zeiten seiner Meinung nach keine überragenden

,, Stefan- George- Preis"

Aus Anlaß des Todes Stefan Georges   hat der Minister für Volksaufklärung und Propaganda bestimmt, daß der vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda   all­jährlich am 1. Mai für das beste Buch des vergangenen Jahres zur Verteilung kommende Preis in Höhe von 12 000 RM. die Bezeichnung ,, Stefan- George- P eis" führt.

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Bei Lebzeiten des großen Dichters sind alle Bemühungen, thn für die Sache des ,, dritten Reichs" zu gewinnen, fehlge schlagen. Stefan George   lehnte es ab, Mitglied der gleichge schalteten Akademie unter dem Browning- Johst zu werden. Er antwortete auf alle Aufforderungen, sich in Manifesten zu Hitler   und den Seinen zu bekennen, nie. Göbbels   schrieb sich aus Propagandagründen die Finger wund, um ihn vor seinen Triumphwagen zu stellen. Obwohl sich Göbbels   darauf berief, daß er als Schüler Gundolfs( der Gundelfinger hieß und gar nicht rasserein war) sozusagen zum engen ,, Kreise" der Vertrauten des Dichters gehöre. George warf die Briefe in den Papierkorb.

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Jetzt, wo er sich nicht mehr wehren kann, wird er Göbbels   geehrt". Dem sitt ein klassisches Wort Gundolfs wie angegossen: Was den Kreis" betrifft, so wird er wie jedes Fremdartige heut schon viel mißbraucht von Gaunern und Gecken."

Geister hervorgebracht hat. Hingegen ist Shaw ein glühen. Manigk beuclaubt

der Verehrer Mussolinis, nicht, weil er in Mussolini   den Faschisten sieht, sondern weil er ihn für ein Genie hält. Und ebenso hat Shaw wiederholt seine Anerkennung für Lenin   bekundet und die großen und interessanten An­strengungen in Sowjetrußland beifällig betrachtet. Seit fünf Jahren macht er sich über den Völkerbund als eine un­produktive Vereinigung lustig. Dies muß man alles in Be­tracht ziehen, ehe man aus dem neuen Stück Schlußfolge. rungen politischer Art ziehen will.

Aber gerade in diesem Stück steht Shaw ganz und gar über allen Parteien, denen er allen Gerechtigkeit widerfahren läßt."

Abschied von der Berufsschule

Wo wäre Kerschensteiner heute?

Der Ausbau des Berufsschulwesens gehört zu den ver­dienstvollsten Leistungen der sozialistischen   Schulpolitik der Nachkriegszeit. Aus der dürftigen Fortbildungsschule ent­stand ein fachlich außerordentlich weitgehend gegliedertes System des Berufsschulwesens. Erreichten wir es doch in Berlin  , daß mehr als 75 Prozent aller Schulentlassenen durch die Berufsschule erfaßt wurden. Auch diese Entwick­lung findet durch die Naziregierung eine jähe Unterbre­chung. Schon immer waren die Handwerkskammern Gegner der Berufsschulen, entzogen sie doch die Lehrlinge sechs Stunden der Ausbeutung durch den Meister.

Es war ganz selbstverständlich, daß der Widerstand gegen die Berufsschule jetzt verstärkt einsetzen würde. Eine Reihe von Handwerkskammern haben bereits Resolutionen be­schlossen und Vorstellungen erhoben. In Regierungskreisen berät man, wie man den berechtigten" Forderungen des Mittelstandes entgegenkommen könne. Inzwischen aber setzt bereits der stille Boykott ein, und in manchen Gegen­

weiterung der Schulpflicht. Je mehr die Lebensarbeit auf allen Gebieten technische, geistige wie moralische An­

Aus Marburg   wird uns geschrieben:

Vom Minister für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung wurde Ministerialrat Dr. Schnoering als Untersuchungs­kommissar nach Marburg   entsandt. Professor Alfred Manigk  , gegen den, wie gemeldet, Protestkundgebungen der Studentenschaft stattgefunden hatten, bleibt bis auf weiteres beaurlaubt. Die Studentenjohlerei gegen den Ge­lehrten, der es wagte, den deutschen Ursprung der herrschen­den Staatstheorie anzugreifen, hat also prompt Erfolg gehabt.

Abraham und Esau  

Professor Abraham Esau  , Ordinarius der Technischen Physik an der Universität Jena, ist auch für das Studienjahr 1933/34 zum Rektor der Hochschule ernannt worden. Ein Mann mit solchem Namen in Deutschland  ! Wie intensiv muß die vorgesette Behörde seinen Stammbaum durchsucht haben, ehe sie sich entschloß, seine arische Abstammung zu bezeugen!

sprüche stellt, je mehr die politische Verfassung Verant Zeit- Notizen

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wortung auf jeden einzelnen Bürger legt desto unver antwortlicher ist es, den Jugendlichen ohne jeden, oder nur mit einem kümmerlichen Schuß dem Chaos der Lebensgemeinschaft gerade in jenen Jahren zu über­lassen, in denen er im stärksten Gärungsprozeß steht, in denen die Autonomie des Charakters sich einzustellen beginnt."

Die Gesellschaft für soziale Reform ist aufgelöst. Verant. wortung ist auf den einzelnen Bürger nicht mehr gelegt, er hat einfach der Autorität, die von oben kommt, zu parieren, und der große Pädagoge Kerscheinsteiner ist zu seinem Glücke tot. Sonst wäre er schon längst in Dachau  ,

den Deutschlands   schicken die Meister ihre Lehrlinge über Johst  - tief bewegt

haupt nicht mehr in die Berufsschule. Diese reaktionären Herrschaften wissen ganz genau, daß ihnen von der Nazi­regierung keine Schwierigkeiten gemacht werden. Sie kennen den Vorgang, der sich seinerzeit in Thüringen   ab­spielte, als Herr Frick thüringischer Kultusminister wurde. Damals wurde in Thüringen   die Berufsschulpflicht verringert und die Berufsmittelschule völlig aufgehoben.

Wozu braucht man noch in Hitler- Deutschland Berufs­schulen? Nationalsozialistische Jugendschulen, Hitler­kasernen und schließlich Arbeitslager, das genügt schon zum Strammstehen, Heil- Hitler- schreien und zur Arbeits­sklaverei.

Einstmals dachte man allerdings anders. Im Jahre 1928 führte Kerschensteiner in der Gesellschaft für soziale Re­form folgendes aus:

,, Die Größe der Umwälzung im wirtschaftlichen, sozia­len und staatsbürgerlichen Leben drängt zu einer Er­

Agitation an einem Grabe

In einem Kölner Verlag erschien: Karin Göring, das Hohelied der Liebe. Ein lyrisches Epos von Hans Schwaab zur Verherrlichung der opferbereiten Frau unseres Ministers Hermann Göring  ." Der Hans Johst   sagt zu dem Buch: Das dichterische Denkmal, das Sie Karin Göring in Ihren Versen gesetzt haben, hat mich über ein bloßes Interesse hinaus be­wegt." Und der Verlag sagt: ,, Das Werkchen ist gerade jetzt doppelt aktuell, nachdem die Vorgänge der vorigen Woche am Grabe Karin Görings in Schweden   alle Verehrer dieser stillen Dulderin tief erschütterten." Natürlich sind weder der Johst   noch der Schwaab ,, über ein Interesse hinaus be­wegt", sondern es sind Interessen, die sie bewegen und auch das gehört zum Material, an dem einmal der Psychiater diese Zeit studieren wird,

Die Ura- Linda- Chronik

ist die neueste Entdeckung des konfusen Hermann Wirth  . Sie geht bis in das Jahr 2193 v. Chr. zurück. Leider haben niederländische Philologen um die Mitte des vorigen Jahr. hunderts nachgewiesen, daß diese Chronik eine Fälschung ist. Wer wagt das in der deutschen Wissenschaft zu wieder­holen?

Anmeldepflicht sämtlicher Leihbüchereibetriebe

Zu dem Reichskulturkammergesetz vom 22. September sind unter dem 1. November Ausführungsbestimmungen er­schienen. Aus diesen geht hervor, daß nur diejenigen Per­sonen das Leihbüchereigewerbe im Haupt- und Nebenberuf ausüben dürfen, die Mitglieder des Fachvereins Die deutschen Leihbüchereien EV." sind. Aus diesem Grunde muß jeder, der in irgendeiner Form das Ausleihen von Büchern gewerbsmäßig betreibt, sein Geschäft anmelden. Mitglied des genannten Vereins können nur Arier werden. Am rechten Ort

Der wegen seines betont nationalen Bekenntnisses zwangs­weise pensionierte frühere Rektor der Wiener Universität  , Professor Gleispach, ist am Montagabend nach Berlin   abge. reist, wo er an der Universität als Strafrechtslehrer wirken wird.

Einem Juden zu begegnen ist eine Wohltat, gesegt, daß man unter Deutschen   lebt. Die Gescheutheit der Juden hindert sie, auf unsere Weise närrisch zu werden, z. B. ,, national", Friedrich Nietzsche  ,