Freiheit

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Nummer 150-1. Jahrgang

Saarbrücken , Freitag, 15. Dezember 1933 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Dec Ring um Deutschland

Seite 2

,, Stunde der Abrechnung" Seite 3

Schacht verhöhnt

Deutschlands Gläubiger

Seite 4

Das Ende der Prohibition Pässe für Flüchtlinge

Seite 5

Deutsche Fälscherzentrale gestellt!

Großer politischer Prozeß gegen das gefälschte Protokoll über die angeblichen Kriegspläne der Internationale

Noch immer sind die dokumentarischen Veröffentlichungen des Petit Parisien" über die Vergiftung der Welt: öffentlichkeit durch vom Reichspropagandaministerium be stochene Journalisten nicht widerlegt. Die ertappten Berliner haben zwar von Fälschung geredet, aber nicht geringsten Be­weis gegen die Echtheit jener Beröffentlichung beigebracht. Statt dessen haben sie die Verleumdung in die Welt gesetzt, der Petit Parisien" habe von emigrierten deutschen Chef= redakteuren" sich gefälschtes Material in die Hand drücken laffen.

Für einen Gegenschlag haben sich der deutsche Reichslügen: minister und die Geheime Staatspolizei mit ihrem mein: eidigen Chef die Saarbrüder Zeitung" ausgesucht. Wir dürfen wohl annehmen, daß sie damit zugleich ihre Rache an der Volksstimme" und der Deutschen Freiheit" in Saar : brücken nehmen wollten. Es wurde behauptet, während der Internationalen Sozialistischen Konferenz im August in Paris habe eine Kommissionssitzung unter dem Vorsitz Otto Bauers und unter Beteiligung von Wels, Breit= scheid und Höltermann stattgefunden, in der die Deutschen für den bewaffneten Aufstand, für den Präventivkrieg und für den Einmarsch von im Auslande zu bildenden militärischen Formationen nach Deutschland eingetreten seien. Das Saarbrücker Blatt hat trot unseres sortigen Widerspruchs seine Erklärungen aufrecht erhalten. Das war recht unvor: fichtig, denn nun wird es möglich sein, dieses Fälscherkomplott vor Gericht aufzudeden. Der frühere Reichsbannerführer Karl Höltermann , der in dem gefälschten Protokoll am meisten verleumdet wird, ist in Saarbrücken eingetroffen und hat schon Klage gegen die Saarbrüder Zeitung" einge: reicht. Es war besonders staatspolizeilich, also dumm, ihn in das gefälschte Protokoll aufzunehmen, da er an teiner Sigung der Sozialistischen Internationale teilgenommen hat und während der Kon: ferenz überhaupt nicht in Paris oder in Frankreich gewesen ist.

Energische Dementis liegen außerdem schon vor von dem Vorsitzenden der Sozialdemokratie Otto Wels und von dem Vorsitzenden der früheren sozialdemokratischen Reichs­tagsfraktion Dr. Rudolf Breitscheid, anßerdem von dem Sekretär der Sozialistischen Arbeiterinternationale Dr. Friedrich Adler.

Die Saarbrücker Zeitung " hat sich nicht damit begnügt, die ihr von berufsmäßigen Fälschern eines meineidigen Ministers in die Hand gedrückten Fälschungen als Grundlage für eine Fememordhezze zu veröffentlichen, sondern auch auß eigenem noch den drei deutschen Politikern die ganze Ehr­losigkeit ihrer Gesinnung" zu bestätigen. Es find also breite Grundlagen für einen großen politischen Prozeß vorhonden, der inmitten des umfämpften Saargebietes der Welt offen baren wird, wie die jetzige deutsche Staatsführung und ihre Preffemente arbeiten. Es ist selbstverständlich, daß die Saar­ brücker Zeitung " auch nicht den Schatten eines Beweises für ihre ungeheuerlichen Behauptungen in der Hand hält. Ihre Sintermänner und die Redakteure, die sich wider besseres Wissen zu dieser üblen Tat herbeigelassen haben, glaubten ungestraft verleumden zu können, da sie Emigranten für wehrlos hielten. Darin sollen sie sich gründlich getäuscht haben.

Die Fälschung ist um so gewissenloser und einfältiger, als die Beschlüsse der Internationalen Konferenz der SAJ. in

rung mit den Befreiungskriegen kapitaliſtiſcher Regie: Grotesk"

rungen! Kennen wir nicht alle das Manifest der deutschen Fürsten von 1870, daß sie in den Krieg ziehen nicht gegen das französische Volk, sondern gegen den französischen Kaiser? Sie haben den Krieg nach Sedan , nach dem 4. Sep­tember, fortgesetzt, bis sie das französische Volk selbst zu Boden geworfen hatten. Und mit der umgekehrten Front hat sich dasselbe wiederholt nach 1914, der geführt worden ist, um die Welt sicher zu machen für die Demokratie" er hat mit Friedensdiktaten geendet, deren letztes Resultat die Diktatur Hitlers ist!

Diese Warnung halte ich darum für unge= mein wichtig. Wir wollen feinen Krieg und lassen uns für keinen Krieg tapita: listischer Regierungen einspannen, auch nicht unter dem Vorwande, daß er zur Be= freiung von Völkern geführt werde"

Das ist wohl dentlich genug. Dabei handelt es sich nicht etwa nur um die Meinung des österreichischen Führers Otto Bauer und einzelner Gruppen der Internationale, sondern

die Konferenz hat sich dem Referat Bauers durch eine Refolus

tion angeschlossen, in der es u. a. heißt:

Die Konferenz nimmt die gemeinsame Refolution des

Internationalen Gewerkschaftsbundes und der Sozialisti­schen Arbeiter- Internationale hinsichtlich des Kampfes gegen den Krieg an. Sie anerkennt für Deutsch : land wie für alle Länder den Anspruch auf Gleichheit der Rechte und Pflichten, aber sie widersetzt sich jeder Wiederaufrüstung des friegerischen Apparates, der das deutsche Volt niederhält.

Die SAJ. ruft zum Kampfe gegen die durch den Sieg des Faschismus vervielfachte

Kriegsgefahr. Die Arbeiter der demokratischen Län= der dürfen sich zum Kriege auch nicht unter dem Vorwande

verlocken lassen, daß der Krieg im Intereſſe der Befreiung der Völker vom Faschismus geführt werde; die Völker haben erfahren, daß ein Krieg, als Freiheitskrieg gegen despotische Gewalten geführt, mit imperialistischen Friedensdiktaten endete, die in den besiegten Nationen den Nationalismus gestärkt und dadurch die Wiederaufrichtung noch schlimmerer despotischer Gewalten herbeigeführt haben."

Diese Entschließung ist so flar und legt unseren politischen Willen so eindeutig fest, daß kein Fälscherdokument, und sei es noch so nieberträchtig verlogen, irgendwie mit Erfolg gegen uns arbeiten könnte.

Die Saarbrüder Zeitung" hat ihre Verleumdungen mit dem ungeheuerlichen Anwurf geschlossen: Es sind nicht nur von tödlichem Haß erfüllte Deutschfeinde, sondern Friedens­störer, die gewiffenlos genug find, ein 60- Millionenvolf in Unheil stürzen zu wollen, nur um ihren Racheðurst befrie: digen zu können."

Mit diesem Unflat vergleiche man die Würde und die Kraft und die für Deutschland Gerechtigkeit fordernde Ent: schließung, der die deutschen Delegierten Siegfried Auf­ häuser , Karl Böchel , Erich Ollenhauer , Friedrich Stampfer , Otto Wels zugestimmt haben. Die Ver: leumder werden uns nicht ausweichen können. Die Fälscher und ihre Hintermänner werden sich verantworten müssen.

Baris und die Rede des Berichterstatters( nicht Borsigenben) Dr. Rudolf Breitscheid

Otto Bauer gedruckt vorliegen und jedermann zugäng lich find( Zürich 1933, Verlag Sozialistische Arbeiter: Internationale).

Wie u. a. auf Seite 17 des gedruckten Protokolls zu lesen ist, hat sich Otto Bauer nicht für, sondern gegen einen " Befreiungskrieg" gewandt. Er sagte nämlich u. a.: Wider die Illusion des ,, Befreiungskrieges"

Vor allem erscheint mir außerordentlich wichtig im gegen. wärtigen Augenblick die Warnung, daß sich die Arbeiters schaft der demokratischen Länder zu einer Politik des Strieges auch nicht durch den Vorwand der Herrschenden perleiten lassen, daß der Krieg zur Befreiung des deutschen oder des italienischen oder irgend eines anderen Bolkes som Faschismus geführt werde. Wir haben unsere Erfaha

schreibt uns: 90 no

Wie ich aus der französischen Presse ersehe, veröffentlicht die Saarbrücker Zeitung " ein geheimes Dokument", das, wie sie sagt, die Debatten und die Resolutionen des Kon= gresses der Zweiten Internationale, der im August in Paris stattfand, enthalten soll. Es handelt sich hier. wie ich mit allem Nachdruck feststelle, um einen plumpen Nazi­schwindel. Es existiert fein geheimes Doku­ment der Konferenz. Die Verlogenheit der von der " Saarbrücker Zeitung " verbreiteten Meldung ergibt sich schon aus folgendem: Ich selbst war zu der Konferenz über­haupt nicht delegiert, sondern nur gelegentlich bei den Verhandlungen als Gaft anwesend. Höltermann war zu der Zeit, als die Konferenz tagte, über­haupt nicht in Paris , während das gefälschte Nazi- ,, Doku­ment" von hewDelegierten" Wels, Höltermann und Breit scheid spricht."

Der sozialistische Populaire" schreibt u. a.:

" Dort soll von der Vorbereitung eines Einfalles in Deutsch­ land durch im Ausland organisierte sozialistische Abteilungen die Rede gewesen sein. Dieser Vorschlag soll von den deut­ schen Sozialdemokraten Wels, Breitscheid und Höltermann gemacht worden sein. Wir erinnern nur daran, daß der sehr ausführliche Bericht über die Konferenz in der Ausgabe des Populaire" vom 22. bis 27. August veröffentlicht worden ist. Die gefaßten Beschlüsse sind im Populaire" vom 27. bis 28. August gleichfalls veröffentlicht worden. Man braucht sie nur nachzulesen, um zu erkennen, in welchem Maße das Dokument" der saarländischen Zet= tung grotest ist. Eine Bemerkung sei uns noch ge­stattet. Breitscheid hat an den Arbeiten der Konferenz nicht teilgenommen und auf ihr nicht gesprochen. Was Höltermann anbetrifft, war er überhaupt nicht in Paris . Wenn man hälschungen fabriziert, muß man zum wenigsten derart flagrante Irra tümer vermeiden."

Darf das

Ausland intervenieren?

Von Paul Fauconnet ,

Professor der Soziologie an der philosophischen Fakultät der Pariser Sorbonne

Vor vierzig Jahren hat Frankreich eine Erfahrung gemacht, auf die man sich heute mit Fug und Recht be­rufen kann. Ich spreche von der Affäre Dreyfus. Ein französisches Gericht hatte einen französischen Offizier wegen Hochperrats verurteilt. Dieses Gericht hatte einen Juſtizirrtum begangen. Es waren Franzosen , die zuerst hatten, daß hier ein Justizmord vorliege. Die Mehrzahl das unbestimmte Gefühl, später die unbedingte Sicherheit der Franzosen aber wollte diesen Justizirrtum nicht zu­geben. Ihr Patriotismus widerstrebte diesem Eingeständ­nis. Mehrere Jahre leidenschaftlichen Kampfes waren notwendig, um durchzusetzen, daß der Prozeß wieder auf­genommen und das an einem Unschuldigen begangene Unrecht wieder gutgemacht wurde.

Die ,, Affäre" hatte alsbald das Interesse der Allgemein­heit erweckt. Von Zeit zu Zeit nimmt sich die zivilisierte Menschheit einer Gewissensfrage, eines Problems, der Sittlichkeit an. Das sind symbolische Fälle, typische Pro­bleme, denen gegenüber kein Mensch gleichgültig bleiben könnte.

Jm Auslande hatte die Allgemeinheit rascher als in Frankreich erkannt, daß ein Justizirrtum begangen wor den sei. Die Meinung des Auslandes sah damals in ihrer überwiegenden Mehrheit so klar wie eine französische Minderheit, während die Mehrheit der Franzosen sich durch das Schlagwort von der rechtskräftig erledigten Sache"( res judicata) noch täuschen ließ.

Waren die Ausländer, die in der Affäre klar sahen und auch ihre Meinung zum Ausdruck brachten, Feinde Frankreichs ? Hat die französische Minderheit, als sie sich auf die Meinung des Auslandes berief, die Interessen Frankreichs verraten? Nicht im mindesten. Die franzö fischen Dreyfusards kämpften für die Ehre ihres Landes, als sie die Menschenrechte verteidigten; es schien ihnen unmöglich, daß die französische Justiz gerecht sein könnte, ohne der menschlichen Gerechtigkeit Genüge zu tun.

Diese Kämpfer für das Menschenrecht haben auch zu gegeben, ohne dabei ein Gefühl der Erniedrigung zu emp finden, daß die ausländische Meinung sie unterstütze. Die Ausländer aber, die zu der Mehrheit der Franzosen frei­mütig sagten: Ihr irrt," sind Freunde Frankreichs ge­wesen. Diese Kämpfer haben auch begriffen, daß die aus ländische Meinung, wenn sie klarer blicken konnte als die französische Meinung, dies deshalb vermochte, weil sie weiter entfernt, weniger von Leidenschaften bewegt, folglich unparteiischer war.

Zur Zeit der Dreyfusaffäre studierte ich in Berlin . Jch habe unzählige Male mit Deutschen in aller Oeffentlich keit über die Affäre diskutiert. Als Deutsche , von der