Pariser Berichte
Pariser Spaziergang
Die Herren Députés fahren eingemummelt in die Morgenkälte nach Hause. Es friert, daß die Seen im Bois de Boulogne knacken und auf dem Kanal von Versailles , alles am Tage von Schlitschuhläufern schimmert. Und in den Vogesen sind gar 15 Grad unter Null. Ausgerechnet in solcher Frostnacht einem Ministerium, das wie in schöner Sommerzeit Chautemps heißt, das Gleichgewicht herstellen, das ist eine böse Schaufelarbeit.
50 Franken Steuern schluckt der Hektoliter Benzin aller Arten, und in diesem Citroen- und Renault - Lande mit dem ebenso gewaltigen Autopark wie einer entwickelten Autoindustrie mit Tausenden von Arbeitern, bedeutet das allerhand. Werden nun aber die vielen Taxis, die abends in Scharen sirenenhaft um einsam oder zweisam Wandernde kreisen, ihre Fuhren verteuern? Vermutlich nicht, denn Flüssigkeit mit höchstens 30 Prozent Alkohol für Motorpflüge, Transportwagen und Taxis bleiben frei. Wobei es ein offenes Geheimnis ist, daß man" abends nach Toresschluß einen Preis mit dem Taxenmann ,, fixen" kann, der wesentlich unter dem der Uhr liegt.
Bitter trifft insbesondere den Franzosen die neue Belastung des Apéritifs. Der Mittagsschluß und die Apéritifstunde mit dem Vermouth oder sonstwas à l'eau, das ist so ziemlich das Heiligste, was das gallische Herz nebst Magen treffen kann. Gibt es doch eine ganze Apotheke der Schnäpse, grün, rot, weiß, Pernod und Mynthe und Dubonnet Citron und wie sie sonst heißen, die der Deutsche nie ganz begreifen kann. Dafür war er wohl auch zu lange dem ostpreußischen Junker- Fusel ausgesetzt, der an vielem von dem ganzen Elend schuld ist.
Im allgemeinen ist das Leben in Paris ja im Verhältnis zu Berlin , Leipzig oder Hamburg billig. Man fährt wohlfeiler Métro und Omnibus, die Mieten sind nicht so teuer, die
Von der Rundreise des Generalsekretärs des Völkerbundes
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Frauen finden Blusen, Kleider und Wäsche, die ihr Entzücken durch Aussehen und ,, soede"-Preis hervorrufen, nur die Lebensmittelpreise sind leider erheblich. Es stimmt nicht fröhlich, daß der Präfekt nach den Beschlüssen der berühmten Nachtsitzung nun neu auf Fleisch, Fisch, Gemüse und Früchte draufhauen kann, aber Paris als Weltstadt wird ja da hoffentlich eine Sonderreglung erreichen.
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Eine andere Bestimmung, daß die ausländischen Arbeiter in allen Orten, wo in ihrem Berufe französische Arbeitslose sitzen, eine Sondersteuer zahlen müssen, erscheint uns im Zeichen der Krise begreiflich. Nur leider" trifft die Bestimmung die deutschen Emigranten, die gerne diese SonderFranken hinlegen möchten, noch nicht, weil bisher nur ganz wenige Spezialarbeiter in die französische Wirtschaft eingingen. Dagegen mehren sich die Fälle, in denen Deutsche einen eigenen Laden aufmachen. Es gibt heute schon nichtPelzgleichgeschaltete Fabriken verschiedener Waren, händler, Bäckerläden mit richtigen" Brötchen und Graubrot, Metzgereien mit Frankforder Dialekt und westfälischen Produkten, und Zeitungen gibt es auch genug. Bloß die Siedlung kommt nicht recht vorwärts schade, daß insbesondere auch für die im Matteotti- Comité vertretenen Facharbeiter noch immer kein Boden da ist im internationalen Verteidigungsplan. Im übrigen hilf Dir selbst während die Literaten am Braséro klug redeten, handelte nicht jener Kunstdoktor gescheiter, der akademischer Hausknecht in einer Kunstanstalt wurde?
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Und nun immer näher rückt Weihnachten, das erste Weihnachten der Emigration. Bei einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt- aber ach, der ist daheim in Bückeburg oder Weilburg oder in Berlin am Alex und draußen am Zickenplatz, hier gibt es gar keinen eigentlichen Weihnachtsmarkt, denn die Geschenke an Concierge, Briefträger und Kinder werden ja erst zu Neujahr verteilt. Uebrigens ist der erste Weihnachtsbaum, unter dem gesungen wurde, im französischen Straßburg errichtet, erst von da an hat sich die Sitte vor etwa zweihundert Jahren Norddeutschland erobert. Der Besucher von Paris kann unschwer feststellen, daß die Franzosen nicht solche Unsummen von Schokolade, Lebkuchen, Puppen und Flittergold einkaufen wie daheim die Deutschen . Auch der Emigrant wird sich dies Jahr bescheiden lernen, wenn von Notre Dame , der Kathedrale aller Kathedralen, die Glocken die Botschaft von dem herausrufen, der im Stall unter Hirten als Sohn einer armen Jüdin geboren wurde und in dessen Namen ein falsches Christentum heute mit schwersten Verbrechen die Welterlösung ver gessen machen möchte- Baptiste.
Das russische Politische Rote Kreuz alap b veranstaltet in Paris eine große Silvesterfeier in den Prachtsälen des ,, Salon Hoche"( 9, Avenue Hoch, Métro Etoile oder Courcelles) Konzert, Ball, Tombola, Büfett. Beginn 21.30 Uhr. Eintrittskarten an der Kasse.
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dig Zwei berühmte Komödiendichter als Hauptdarsteller eines neuen Bühnenwerkes
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Generalsekretär Avenol( links) bei dem französischen Außenminister Paul- Boncour
Nach dem Vorstoß Italiens in der Völkerbundsfrage und den sich daran schließenden lebhaften internationalen Erörterungen kommt der Reise des Völkerbunds- Generalsekre= tärs Avenol nach Paris und London besondere Bedeutung zu. Gleichzeitig wird Avenol mit Henderson, dem Präsidenten der Abrüstungskonferenz, Besprechungen über die Wiederaufnahme der Abrüstungsverhandlungen führen.
Ein köstlicher Witz
Wie das Chemnizer Naziorgan meldet, ist an einem Feiertag in einem Haus am Humboldtplaß eingebrochen und gestohlen worden. Eine alltägliche Sache! Aber auf die Hilferufe des Bestohlenen kamen vom nahen Jahnturnplaz nationalsozialistische Turner und nahmen die Verfolgung auf. Ueber den weiteren Verlauf der Affäre lassen wir das Naziorgan selbst sprechen:
" Die gestohlenen Gegenstände, Schmucksachen, Geld und ein Voltmeter, konnten den Einbrechern von den Verfolgern abgenommen werden. Während die Schmucksachen abgeliefert worden sind, hat sich derjenige Verfolger, der dem Einbrecher das Geld und den Voltmeter abgenommen hat, bisher nicht gemeldet und auch die Gegenstände nicht abgeliefert."
Hat er nicht? Aber wieso soll er denn auch? Was ein Nazi in der Hand hat, das hält er fest. Das ist sein gutes Recht, aufgebaut auf der Moral des neuen Reiches. Wer weiß denn, ob der Bestohlene nicht ein Marrist war? Und wie sagte doch Graf Helldorf vor Gericht:„ Alle Verbrecher sind Marristen!"
Der Fuhrmann Louis Cornebois, der bei der französischen Lotteriedirektion ein gefälschtes Los vorlegte und darauf anstandslos eine Million Franc ausgezahlt erhielt, wird zum Verhör transportiert. Der Unglückliche, ein biederer Fuhrmann, der niemals daran gedacht hatte, eine Fälschung vorzunehmen, war dem schlechten Scherz eines Friseurs zum Opfer gefallen, der das präparierte Los ihm zum Geschenk gemacht hatte.
Temperaturwechsel...
Zum 46. Geburtstag des Stabschefs Röhm erließ der Bauernführer Walter Darre eine Kundgebung, in welcher es u. a. hieß:
" Vor allem vergesse ich nie und mit mir das deutsche Bauerntum, daß damals trotz des ihn umsprißenden Giftes seiner Feinde und sonstiger Judasse der Stabschef die Seelengröße aufbrachte, ei skalt seine Pflicht zu tun und damit letzten Endes unserem Führer die Voraussetzungen für den Durchbruch der nationalen Revolution zu schaffen." Was doch für Wunder in Deutschland geschehen... Neue Verdienstmöglichkeiten!
Die Polizeiverwaltung von Zittau teilt mit, daß in der Stadt staatsfeindliche" Flugschriften verbreitet worden seien, und fügt hinzu:„ Wer Angaben zur Ermittlung der Täter machen kann, wird ersucht, fich in der Polizeiwache zu melden. Strengste Verschwiegenheit und eine angemessene Belohnung wird zugesichert." Hitler schafft Brot!
Links Sacha Guitry und rechts Tristan Bernard In dem Stück„ L'Anarchiste et le Bourreau"( Der Anarchist und der Henker) von Tristan Bernard spielt der Autor die Rolle des Anarchisten und Sacha Guitry , der berühmte französische Schauspieler und Komödiendichter, die Rolle des Henkers. Es ist das erstemal, daß Guitry in einem Stück mitspielt, das er nicht selbst geschrieben hat.
BRIEFKASTEN
N. N. Sie senden uns die illustrierte Beilage des„ Niederelbi schen Tageblattes". Diese Amtliche nationalsozialistische Tageszeitung für die Kreise Harburg , Stade , Bremervörde und Lüneburg " ist in Bild und Wort der Revancheidee gegen Frankreich gewidmet, Das Elsaß wird als„ verlornes unvergeдjenes
- Der Aufsatz schließt:
gessenes Land" angesprochen.
Heute können wir nur hoffen, daß auch diesem Lande, unserem Elsaß- Lothringen , einmal Gerechtigkeit widerfahren wird. Immer daran denken, immer davon sprechen!"
Was in diesem nationalsozialistischen Blatte steht, sind die wahren Gedanken und Absichten Hitlers . Was er den Diplomaten erzählt, ist gelogen.
Für den Gesamtinhalt verantwortlich: Johann Bis in Tud. weiler, für Inserate: Otto Kuhn in Saarbrüden Rotationsbrud und Verlag: Verlag der Volksstimme GmbH., Saarbrüden&, Schüßenstraße 5.
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