Deutsche Stimmen. Beilage zur Deutschen Greifieit" Ereignisse und Geschichten

Hitler als Bariton

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Sonntag- Montag, den 17, und 18. Dezember 1933

Ein Chocweck über den Führer mit der Dominante ,, H"

Nein, es konnte nicht ausbleiben. Es mußte kommen. Und nun ist es da. Ein großes Chorwerk über den Führer" und seinen Sieg. Komponiert hat es Richard Trunk von der Kölner Musikhochschule, gedichtet Baldur von Schirach . Ge­sungen wurde es vom Kölner Männer- Gesangverein, jener Gemeinschaft sangesfroher Kölner Bürger, die sich jüngst fröhlich gleichschalteten und von altersher noch eine güldene Kaiserkette als Preis eines großen Wettsingens besitzen.

Sie sangen im Kölner Gürzenich Trunks Chorzyklus: Feier der neuen Front". Aber damit man uns nicht der Böswilligkeit zeiht, lassen wir den Bericht der ,, Kölnischen Kölnisch Zeitung"( 10. Dezember) im Wortlaut folgen:-

..In dem ersten Stück, Hitler des dem Führer gewid­meten Werks versucht Trunk so etwas wie eine Art Tónsymbolik durch Einführung einer fünften Stimme im Bariton, die mit besonderem Nachdruck spricht, der im vierstimmigen Satz Gefolgschaft geleistet wird und die sich mit ihr verschmilzt. Besonders rhythmisch geprägt ist der imitierende Mittelsatz und das Bekenntnis an Deutschland landet im höchsten klanglichen Glanz auf der Dominante H. Des Führes Wächter', im E- Dur- Morgenlicht, trifft glücklich die Art alter Wächterweisen, und das melodisch weiche, liedvolle, 0 Land' mit seiner harmonischen Steigerung bringt die einfachste und glücklichste Ein­gebung des Komponisten. Im Horst- Wessel - Schluß ist der hier begründete Effekt des Marschrhythmus und die Vor­stellung einer näherkommenden braunen Schar( Kame­raden alle') künstlerisch und kunstvoll verwandt, ebenso wie die kurze Zitierung des Horst- Wessel- Liedes in der höher rückenden D- Dur- Gipfelung. Kaum nötig zu sagen, daß der Männer- Gesang- Verein dieses prachtvolle Chor­werk, dessen Schluß wiederholt werden mußte, unter seinem Dirigenten Trunk vollendet und mit nicht zu über­bietender Hingabe sang... Das Schönste der zweiten Abendhälfte boten die Volkslieder, u. a..In einem kühlen Grunde. Wie das dieser zahlreiche Chor mit einer Fein­heit und Zurückhaltung in Ton und Ausdruck sang, ließ er die Chorkultur eines Josef Schwartz wieder aufleben. Eine Klangsteigerung brachten noch durch Orgel und

Blasorchester ein Werk von Paul Graener ( Der Retter ist nah), das wegen seiner eigenartigen Umschreibung des Deutschlandliedes fesselt, und der schwungvolle Chor Trunks Mein Deutschland erwacht auf die Verse von Josef Klefisch."

Es muß unvorstellbar schön gewesen sein. Aber wir können einige ernste Bedenken nicht unterdrücken. Wir halten es für einen schweren Verstoß gegen die nationale Disziplin und Rangordnung, daß der Führer" hier als fünfte Stimme im Bariton zum Wort kommt. Mit diesem Mißgriff vermag uns auch der höchste Glanz auf der Dominante H" nicht zu versöhnen, in der sich mehrere hundert Männerkehlen zur Konzentration ihres Führers: ,, Heiliger Hitler , bitt' für uns" vereinigten.

Die Vorstellung einer näherkommenden braunen Schar, in Gesang ausgedrückt, ist nicht ohne Plastik. Uns fehlt aber etwas. Es ist das Furioso der Taten der braunen Scharen. Welch zischend- klatschende Töne könnten das Unisono der Peitschenhiebe, welch sanftes Pianissimo das klagende Ge­wimmer der Mißhandelten gestaltend verkünden! Und auf der Flucht erschossen: kraftvoll ließen sich alle in der höher rückenden Dur- Gipfelung mit der fünften Stimme des Führers vereinen...

Der musikalischen Fantansie sind keine Grenzen gesetzt. Dieser Trunk voll süßer Labe dürfte den durstigen Kölner Männergesangvereinsmannen gut munden. Freilich, Deutsch­ land ist in ihnen, trotz des Schlußchors, etwas spät ,, erwacht". Im Herbst 1932 nahmen sie mit großer Mehrheit einen Beschluß an, der sich für die sofortige Absetzung ihres Dirigenten Trunk erklärte. Warum? Sie, die guten Katho­liken und Zentrumsleute, nahmen Anstoß daran, daß sich

Der König von Dänemark

Der König von Dänemark hat dieser Tage Zu seinem Volke im Rundfunk gesprochen. Er behandelte keine politisché Frage, Sondern von kommenden Feiertagswochen, Von Weihnachten und Silvester und so, Sprach er sehr herzlich per Radio.

Er sagte zu seinen Landeskindern, Die ihr Dasein in fremden Ländern fristen, Und die persönliche Umstände hindern, Die Sehnsucht zu stillen nach heimischen Küsten Ein frohes Fest, prosit Neujahr und so, Wünsche er ihnen per Radio.

Der Kanzler von Deutschland hat dieser Tage Auf andere Art im Rundfunk gesprochen. Er grölte, er habe in seiner Lage

Das Recht, mit der Faust auf den Tisch zu pochen! Er sei der Führer Europas und so, Schrie er hysterisch per Radio.

Er sagte, er müsse mal wieder funken, Daß alle die Deutschen in fremden Ländern ,, Die Emigranten, die Strolche, Halunken Man leider versäumt habe aufzubändern! Am liebsten henkte er sie und so, Noch heute expreß per Radio.

Zwei Mikrofone, zwei Männer, zwei Welten! d Wer beide hörte, der muß sich fragen: Was kann man gegen das Land an den Belten, Was gegen den dänischen König sagen? Man wird oft ein wenig schamrot und so, Sigt man als Deutscher am Radio. Der rote Hana,

,, Verband deutscher Lehreremigranten

Trunk in einem öffentlichen Aufruf zu Hitler bekannt hatte. Die Lehcec sammeln sich Heute machen sie das wieder gut. Heute singen sie mit hellodernder Leidenschaft seine Chöre. Sie kriechen ihrem glücklich wieder zurückeroberten..Führer" Trunk in den.... ., Kameraden alle!" Im Leben, im Sterben, beim Gesang, beim Wein aufrechte Degen Kölscher Nibelungentreue. Andreas Howald.

Umbruch des deutschen Menschen

Bruch ist Trumpf im ,, dritten Reich". Aufbruch der Nation, Eidbruch bei Anbruch des neuen Deutschland , Ausbruch der SA. - Leidenschaften mit anschließendem Knochenbruch im Konzentrationslager, Einbruch in die Nachbarstaaten und Abbruch der Beziehungen zum Völkerbund. In diesem Reigen fehlte nur noch der Umbruch des deutschen Menschen zum germanischen Zuchtideal und Edeljasager. Nun war in deutschen Zeitungen zu lesen, daß alles Bisherige nur ein bescheidener Anfang gewesen sei, einschließlich aller Ergüsse über die nordische Halluzi- Nation und das Rassemerkmal­eins. Das Entscheidende auf diesem Gebiet kommt erst. Man gedenkt in Führerkreisen die Produktion des nordischen Menschen nach Maß baldigst aufzunehmen. Das Ministerium für Ackerbau und Viehzucht arbeitet bereits im Einverneh­men mit dem Menschenkennerdezernat der Geheimen Staats­polizei unter Hinzuziehung der Fachschaft entschieden rechtsgerichteter Rasseologen" an dem bedeutsamen Ent­wurf. Der nationalsozialistische Mensch ist unterwegs. Sein Lebenslaufreglement steht schon fest.

1. Periode: Vom Mutterleib zur Hitler- Jugend

Jeder Gan errichtet ein Zuchthaus, in dem die rassische Aufzucht betrieben wird. Aus dem ,, Bund deutscher Mäd­ chen " werden die Geeignetsten durch Prüfung mit Rasse­zirkel und Ahnenwünschelrute ausgesucht und von SA. in das Zuchthaus eingeliefert. Zur Paarung werden ausschließ­lich Gauleiter zugelassen. Die entstehenden Gauleitersprossen werden mit dem Lied ,, Die Windeln frei den braunen Ba­taillonen" auf dieser schönen Welt begrüßt und der Reihe nach mit den Namen Adolf, Bdolf, Cdolf usw. belegt. Als Nahrung dient Hitler- Grüßpapperl, wodurch sich das Baby langsam an das Führerpapperl gewöhnt.

Die ersten Gehversuche werden schon mit Exerzierübungen verbunden. Die Saugflasche in der Linken, die Streupuder­dose in der Rechten, marschieren die Kleinchen in Doppel­reihen zum Eintopferlgericht. Anfangs lernt der Säugling nur die zwei wichtigsten Wörter: Heil Hitler. Dann wird ihm

beizeiten das Krümmen des Kreuzes beigebracht. Denn was ein richtiges Hakenkreuzchen werden will...

Sorgfältig werden alle Einflüsse der Außenwelt vom Hitler- Baby ferngehalten. Nur einwandfrei nationales Spiel­zeug-SA.- Zinnsoldaten, aufgebundene Teddybären, quiet­schende Gummimarxisten darf das kindliche Gemüt er­freuen. Mit drei Jahren bekommt das Kind eine Uniform und mit fünf Jahren tritt es bereits der Hitler- Jugend bei, um Wehrsport zu betreiben.

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In der Schule werden alle einschlägigen Fächer gelehrt. Zum Beispiel Heldenkunde, Geographie der zu erobernden Gebiete, Abrechnen mit den Marxisten, Wahlgeometrie, Gift­gaschemie, Abschreiben und Lesen von Hitlers ,, Mein Kampf". 2. Periode: Vom Hitler - Jungen zum Leistungsaristokraten Mit vierzehn Jahren kommt der Hitler - Junge zu einem einjährigen Ausbildungskurs ins Konzentrationslager. Hier lernt er an den vorhandenen Modellen den Gebrauch der Nilpferdpeitsche und den gesellschaftlichen Umgang mit Staatsfeinden. Nach dieser Nervenstählkur wird er einem Lager des Freiwilligen Arbeitsdienstes zugewiesen, wo er mit dem derzeitigen Stand der deutschen Abrüstungstechnik ver­traut gemacht wird. Von dort führt der direkte Weg in eine Fabrik, die ihn als Leistungsaristokraten beschäftigt. Hier darf er bei unbegrenzter Arbeitszeit und heruntergeschalte­ten Löhnen am Aufbau der Nation mitarbeiten. Wenn er

Aus Deutschland durch den Hitler - Terror vertriebene Lehrer haben sich zu einem Verband deutscher Lehrer Emigranten zusammengeschlossen. Diese Vereinigung soll alle diejenigen emigrierten Lehrer umfassen, die ihre Aufgabe darin sehen, neben der selbstverständlichen Teilnahme am allgemeinen antifaschistischen Kampf sich besonders auf die Arbeit für die Schule eines befreiten Vaterlandes zu rüsten. Alle Fragen der Schulorganisation, der Verbindung zwischen Produktion und Ausbildung und Erziehung, der sozialisti­ schen Erziehungsgrundsäge und ihrer Praxis müssen studiert und beantwortet werden. Eine wichtige Aufgabe ist die Beobachtung aller ideologischen, pädagogischen, soziologischen Vorgänge in der faschistischen Schule. Zur Teilnahme an dieser Arbeit sind alle emigrierten antifaschistischen Lehrer eingeladen. Zuschriften. Anfragen, Anmeldungen an: Union des instituteurs allemands emigrés, Strasbourg- Robertsau, 18. route de la Wancenau.

Heine und Insel- Verlag

Ein gleichgeschalteter Verlag

Im Weihnachtskatalog des Insel- Verlages fehlen ebenso wie im Insel- Almanach für 1934 alle Werke, die dem augen­blicklichen Regime unangenehm sind. So fehlt der Antinazi­Roman des Freiherrn Otto von der Taube: ,, Das Opferfest ", ferner alle Schriften von Stefan Zweig , Martin Buber und mit Ausnahme des Tristan- Romans von Bédier alle Fran­zosen. Daß unter den Gesamtausgaben die Werke Heines nicht genannt werden, ist bereits selbstverständlich. Aber die Reinigung geht soweit, daß in der Insel- Bücherei der Band Trakl fehlt, wahrscheinlich, weil der in Galizien als Soldat durch Selbstmord zugrunde gegangene Dichter Gegner des Krieges war. Wer also Inselbücher kauft, hilft einem Nazi!

stempeln gehen muß, bleibt ihm der Titel eines Arbeits- Ludwig, nicht Wehrkreis

losenaristokraten gesichert.

3. Periode: Vom Friedensarbeiter zum Heldentod

In der Blüte seines Mannesalters überrascht ihn der heim­tückische Feind bei einem friedlichen Spaziergang im Schützengraben. Er darf den Heldentod auskosten und ist dadurch vor dem Sterben an Altersschwäche, Arterienver­kalkung und vor anderen pazifistischen Todesarten bewahrt. Da übrigens ständig siehe 1. Periode für Nachwuchs gesorgt wird, fällt der Abfall, vom Standpunkt der Nation betrachtet, nicht ins Gewicht. Karo.

Hitler- Kirche und Geschäft

Der Herr Reichsbischof empfiehlt unter der Korrespon denznummer R. B. 818 ein Lutherbuch des Atlantis- Ver­lages, der dem Bierbrauersohn Hürlimann aus Zürich gehört. Der Reichsbischof als Reklamemacher ist, wenn man ihn als eine religiöse Einrichtung betrachten soll, immerhin etwas Merkwürdiges. Aber wir wollen dennoch dankbar sein, denn bisher wußten wir nur vom Wehrkreispfarrer Müller, jetzt aber wissen wir, daß dieser Müller mit dem Vornamen nicht Wehrkreis, sondern Ludwig heißt.

Neue Bücher

Wilhelm Herzog ,, Der Kampf einer Republik."( Die Affäre Dreyfus.) Dokumente und Tatsachen. Mit 95 Abbildungen, zeitgenössischen Karikaturen und faksi­milierten Dokumenten. Europa- Verlag, Zürich . Ganz­leinen 9,50 Fr.

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Wiederum die Affäre" Dreyfus ! so ist man zunächst versucht zu sagen, wenn man das tausend Seiten starke Buch Wilhelm Herzogs zur Hand nimmt. Hat unsere Zeit nicht andere, größere Sorgen? Ist die mit allen Mitteln der Gewalt und brutaler Unterdrückung herrschende Diktatur in Län­dern Europas nicht unendlich viel furchtbarer als jener nun schon drei Jahrzehnte zurückliegende Fall eines Justizver­brechens? Man lese das Buch Herzogs und man wird die Verbindung mit der lebendigen Gegenwart vielfach her­gestellt sehen.

Denn mit großem Geschick zeigt Herzog in seiner Zu­sammenstellung, daß nicht der Fall des jüdischen Haupt­manns Dreyfus das Zentralproblem all der Kämpfe jener stürmischen Jahre in Frankreich war, die das Fundament der französischen Republik mehr als einmal zu erschüttern schienen. Der Anlaß zu den Auseinandersetzungen war die aber ein Zola , ein Jaurès, ein Clémen­ Affäre" Dreyfus ceau und viele andere kämpften mit dem Einsatz ihrer

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ganzen Persönlichkeit für die Freiheit, die Wahrheit, für das Recht für die Republik gegen all die Gewalten, deren Macht wir auch in unsern Tagen schaudernd erleben: Gegen den Nationalismus, gegen den Militarismus, gegen die Re­aktion auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiet.

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Und wenn wir die diesem Buch Idas mit der Zeichnung der Personen, die in diesem Ringen unermüdliche Warner und Führer sind Reden, Ar­beigefügten Dokumente tikel und Briefe lesen, dann könnte man glauben, sie seien heute geschrieben. So gleich sind auch heute noch die Fronten wie damals, als die politisch und geistig Großen Frankreichs mit unermüdlicher Leidenschaft, mit flammender Beredsamkeit den Kampf für die Freiheit führten, mit dem unbeugsamen Willen zum Recht, zur Gerechtigkeit gegen die Verhetzung, die keine Mittel der Lüge, der Fälschung scheut, um die Massen zu betören und zu gewinnen.

Herzog zeigt uns überzeugend den glühenden Willen dieser großen Franzosen, die Ideale der Menschenrechte zu ver­teidigen gegen alle Widersacher. Er legt dar, wie der Kampf sich an der ,, Affäre" nur entzündete und wie er dann weit über seinen Anlaß hinauswuchs zu dem Kampf der Freiheit gegen die Reaktion. Dieses Buch ist keine Betrachtung einer Vergangenheit. Es ist unmittelbar bezogen auf das Heute. Darin liegt sein Wert und wohl auch sein Sinn.

Wenn das Feuer, das in jenen Kämpfen, in den Reden und

Artikeln loderte, auch heute noch zündet und Flammen schlagen läßt, dann hat das Buch seinen Beitrag für die Gegenwart geleistet.

Thomas Mann schreibt über Herzogs Buch: ,,... Ich lese das Buch mit einer Erschütterung, die es meiner deutsch­bürgerlich unpolitischen Jugend nicht bereitet hätte. Eben darin glaube ich mich stellvertretend für Millionen Deutsche : Die Sache auch Deines Volkes, Deines Landes, Deines menschlichen Gewissens wird verhandelt... Die ewige Sym­bolik, das Allgültige liegt in der grandiosen Geschichte selbst; sie braucht nur erzählt, so groß und mit dem Herzen erzählt zu werden, wie Herzog es tut...".

Ich kann mir nicht helfen, es ist meine tiefste Ueber­zeugung: der allgemeine Charakter der Deutschen seit langer Zeit ist Dummheit und Niederträchtigkeit. Das ist die Schöpfung unserer Fürsten und Edelleute, der Ertrag des Seume. Privilegienwesens.

Unter Bismarck : Der größte Teil des Bürgertums ging, alle früheren Ideale verleugnend, zur Religion des Säbels" über. Beethoven wurde durch Militärmusik überwunden Kurt Eisner .