Pariser Berichte

Pariser Straßenkalender

Der Pariser   Serumarzt Dr. Jules Héricourt erhielt den großen Preis von Monaco   mit 100 000 Franken in der Aka­demie der Medizin. Zahlreiche andere Preise wurden für Be­kämpfung der Tuberkulose, Diabetes usw. vergeben. aber für Bewahrung der Bevölkerung im chemischen Kriege gab es im kriegerischen" Frankreich  -nur Preise in der Höhe von 133 Franken 33 Centimes an zwei Aerzte.

Im Pariser   Stadtrat wurde ein Antrag angenommen, die Volksschulen auch am Sonntag zu heizen, damit sie Montags durchgewärmt sind.

Die Polizei- Autos in Paris   werden demnächst mit Radio­

Empfängern ausgestattet werden, nachdem seit mehreren Jahren günstige Erfahrungen mit vier Radio- Autos gemacht

wurden.

Im Prozeß Violette Nozières, der in der zweiten Januar hälfte verhandelt werden soll. änderte der Sachverständige

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Dr. Kohn- Abrest in sensationeller Weise sein Gutachten. Der Pariser Theaterbrief

Sachverständige Abrest hatte erst erklärt, daß die Menge von 6 Gramm Veronal nicht genüge, um einen Menschen zu töten. In einem gemeinsamen Ergänzungsgutachten mit dem Irrenarzt Dr. Paul gibt der Toxologe jetzt zu, daß doch ein alter verbrauchter Mann, wie der Vater Nozières, davon sterben könne.

Paul Raynal  , der Verfasser des Grabmals des unbe­kannten Soldaten" und der..Marneschlacht", die in deutscher Sprache in Basel   uraufgeführt wurde, ist von seinem Land­sitz zu einem Besuche in Paris   eingetroffen.

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Der Schlüsselroman- und die Schlüssellöcher

Man entsinnt sich noch der Geschichte von dem Reiter am Meer", der die Gemüter einer Kleinstadt der Bretagne  erregt hatte. Die zwei Töchter des verstorbenen Bürger­meisters hatten gegen die Verfasserin geklagt.

Nach Einholung eines Gutachtens hat jetzt die 3. Pariser  Zivilkammer gegen den Roman entschieden. Keine Person sei frei erfunden. Erfunden sei hingegen, daß der Bürger­meister nach einem üppigen Mahle beim Baden vom Schlag gerührt wurde, während er in Wirklichkeit bei der Rettung einer jungen Ertrunkenen unterging.

Aber, sagte das Gericht, die Geschichte gebe immerhin nur einen beschränkten Bericht an, und mit 3000 Franken Zahlung an die Töchter des Bürgermeisters, Tilgung der vier beanstandenen Textstellen und Veröffentlichungen des Ur­teil in drei Blättern ist der Schaden wieder gutzumachen.

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Die letzten beiden Wochen haben erneut einen äußerst überzeugenden Beweis für Vielfältigkeit und Qualität des Pariser Theaters geliefert, denen der Fremde, und insbe­sondere der Gast aus Zentraleuropa   oder Rußland  , nur allzu oft ein geringschätziges Mißtrauen entgegenzubringen sucht. Gewiß, das Pariser Theater ist in vieler Hinsicht erheblich konservativer und traditionstreuer als etwa das deutsche; es schleppt dabei auch manche Dinge mit sich. durch deren Ab­streifung es zweifellos nur gewinnen könnte. und scheint sich dieser oder jener Errungenschaft des Fortschritts mit fast überraschender Gleichgültigkeit zu verschließen. Das ändert aber nichts an der Pflicht zur Anerkennung einer erheblichen, oft geradezu bewunderswerten Leistung. bei der Akzent allerdings weit mehr auf Dichter und Schauspieler als auf dem Bühnenbildner und dem Regisseur ruht.

Ein Spiel des Zufalls hat es gefügt, daß Reinhardts Pariser  Debut mit drei Premieren zusammenfiel, die auch auf eine sehr seriöse regieliche Würdigung Anspruch erheben dürfen: Le Messager"( Der Bote) von Henry Bernstein   im Théatre du Gymnase", Pétrus" von Marcel Achard   in der, Comédie­Champs- Elxsées" und Shakespeares Coriolan  " in der ,, Comédie- Française  ".

Die Kunst Henry Bernsteins wird durch ihn selbst und viele französische   Kritiker als eine Art ,, non plus ultra" des zeitgenössischen dramatischen Schaffens betrachtet; die Be­sprechungen seiner neuen Werke sprengen gelegentlich sogar die Spalten der Theaterrubriken und zieren die Titelseiten der Pariser   Blätter. Es muß aber dennoch gesagt werden, daß Bernsteins Bühnen wirken nicht unerheblich überschätzt wird, und daß es, trotz sehr beachtlicher Beherrschung des ,, Métiers in Sprache, Handlungsgestaltung und Charakte­risierungsfähigkeit als imponierendes Ueberbleibsel aus einer überwundenen Stilepoche betrachtet werden muß.

Sein jüngstes Werk,..Le Messager", interessiert daher auch in erster Linie durch die Wiedergabe, denn an der Spitze einer erlesenen Interpretenserie steht Gaby Morlay  , deren Be­deutung man zwar übertreibt, wenn man sie als französisches Aequivalent Elisabeth Bergners auszugeben sucht, obwohl ihr subtiles Talent hoch über den Durchschnitt hinausragt. Den deutschen   Besucher dieser Bernsteinaufführung wird außerdem noch die stoffliche Aehnlichkeit mit Leonhard Franks ,, Karl und Anna" frappieren, denn der tragische Konflikt ist bei beiden Autoren auf eine fast völlig gleiche Weise geschürzt worden. Es wäre natürlich ebenso unsinnig, hieraus für einen Autor vom Range Bernsteins einen Pla­giatsvorwurf begründen zu wollen, als wenn man die Schluß­szene des Rassendramas von Ferdinand Bruckner   als be­wußte Kopie des entsprechenden Auftritts im Feigling" von H. R.Lenormand abzutun wagte. Da die Anklänge zwischen Bernstein und Frank jedoch durch die französische  Presse ebenfalls festgeste t worden sind, die das Franksche

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Werk aus einer Uebertragung durch Jean- Richard Bloch   und einer Wiedergabe durch das Ensemble Gaston Batys kennen gelernt hat, besteht die Möglichkeit, daß der äußerst kitlige und zur Polemik überaus bereite französische   Autor uns über die mangelnde Ehrerbietung, die aus einer solchen Kon­statierung spricht, noch eine entsprechende Zurechtweisung" erteilt.

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Die Geschichte des Fotografen Petrus   und seines an­spruchslosen Glückes, die uns Marcel Achard   in seinem jüngsten Bühnenwerk erzählt, weist alle Vorzüge und Schwächen des anziehenden Talentes auf, das den sympa­thischen Autor des ,, Jean de la Lune" schon zu beträchtlichen Erfolgen geführt hat. In der Comédie- Champs- Elysées" hat Louis Jouvet   dem Werkchen eine auserlesene Inszenierung mitgegeben, die zu der Publikumswirkung des Pétrus" das Ihrige beitragen dürfte. Immerhin sollte ein Bühnendichter von Achards Qualitäten sich seine Aufgabe nicht allzu leicht machen. denn mit charmanten Details bestreitet man schwer lich auf die Dauer die Erfordernisse des Theaters.

Ich hatte die Absicht der Domédie- Française", sich an ,, Coriolan zu wagen, vor ihrer Durchführung nicht überaus glücklich gefunden. Mit umso größerer Freude verzeichne ich jetzt einen der schönsten und verdientesten Triumphe, die die ,, Maison de Moliére" seit mehreren Jahren gefeiert hat; daß dieser sich gerade im Dienste an Shakespeare   hat vollziehen dürfen, ist umso erfreulicher, als das Verständnis für das Werk des großen britischen Dramatikers im heutigen Frank­ reich   noch wesentlicher Förderung bedarf. Eine außerordent­lich glückliche Neuübertragung des gewaltigen Dramas durch Louis- René Piauchaud war dieser Inszenierung zugrunde ge­legt worden, die Emile Fabre  , des Hauses Generaldirektor, selbst geleitet hatte. Shakespearisch und römisch zugleich, wurde die Wiedergabe des Coriolan  " zu einem Theaterer­lehnis von außerordentlicher Wucht und Tiefenwirkung, für das dem Regisseur wie dem Hauptdarsteller, dem grandioses René Alexandre  , der aufrichtigste Dank gebührt. Ich hatte ,, Coriolan  " bisher zweimal in Leipzig  , unter Max Marter­ steig  , mit Bruno Decarli   und im Lessingtheater   zu Berlin  , unter Erich Engel  , mit Fritz Kortner   gesehen und bin in beiden Fällen von der Größe dieses Werkes nicht annähernd so gepackt worden wie jetzt in Paris  . Vor einer Gesamt leistung solchen Formats wäre es kleinlich, auf einzelnet. Regieirrtümern und einzelnen Fehlbesetzungen zu insistieren Kein Wunder, daß das Publikum tobenden Beifall spende und daß die Pariser   Kritik die jüngste Großtat ihres Natio naltheaters im Dienste an den höchsten Aufgaben det Bühnenkunst umso begeisterter rühmt. als ein weltbekannter fremder Regisseur die Eroberung" des gastfreien franzö sischen Theatermarktes mit allzu billigen Mitteln versucht hatte. Hans- Adalbert v. Maltzah

Theodor Plivier   liest

Unter dem Protektorate von André Violis, Jean Richard Bloch   und André Malraux   laden der Schutzverband deut­scher Schriftsteller und die Deutsche Liga für Menschenrechte zu einem Vortragsabend ein, an dem Theodor Plivier   aus einem unveröffentlichten Roman und aus..Des Kaisers Kulis" lesen wird; außerdem wird ein Sprechchor aus dem Drama ,, Des Kaisers Kulis" zur Aufführung kommen.

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