Stürzt Stavisky Frankreichs Regierung?

Jagd auf den Hochstapler- Politische Krisc

Paris  , 8. Januar. Der Betrüger Stavisky soll sich, wie " Matin" berichtet, am 1. und 2. Januar in einer Billa   der tiefverschneiten Ortschaft Servoz( Savoyent aufgehalten baben und am 3. Januar weitergereist sein. Man glaube, ihn heute dingfest machen zu können.

Paris  , 8. Januar. Als politische Lösung des Krachs von Bayonne   oder richtiger gesagt der Affäre Stavisty mill ein großer Teil der Presse für heute den Rücktritt des Kolonialministers Dalimier ankündigen können, der nach dem heute nachmittag zusammentretenden Kabinetterat offiziell werden dürfte. Echo de Paris" meint, daß Minister­präsident Chautemps   als Nachfolger wieder einen radifalen Abgeordneten berufen werde. Aber auch die Möglichkeit eines Gesamtrüdtritts der Regierung wird nicht von der Hand gewiesen und sogar vom Petit Parifien" für wahrscheinlich gehalten. In diesem Falle. erklärt das offiziöse Blatt in Uebereinstimmung mit dem Excelsior", würde Chautemps noch heute abend sein neues Kabinett bilden und mit ihm morgen vor das Parlament treten. Falls Herriot   sich zum Eintritt in die neue Regierung bereit erklären sollte, würde Paul- Boncour   ihm cvtl. das Außenministerium überlassen und selber das Justizminifte­rium übernehmen, während dem bisherigen Justizminister Raynaldy das Kolonialressort übertragen würde.

Die Presse fordert Ministerprident bute mp3 auf, unbeirrbar streng gegen die Schuldigen vorzugehen. Nach der Oustric- und Lagny- Affäre haben wir, so schreib die radikale Concorde", kein Vertrauen mehr zu gewiñen hohen De­amten des Landes. Herr Ministerpräsident, mir fordern Sie auf, durch ein energisches Enigreifen ein Land zu beruhigen, in dem die ungerechtigkeit stets der Reim für Revolutionen war. Die Schuldigen, erklärt das Deuvre", und zwar alle Schuldigen müssen verfolgt und bestraft werden. Die poli­tischen Manöver find zu durchkreuzen. Die radikale Zeitung Republique" verlangt schleunige Verabschiedung eines be sonderen Gesetzes zum Schuße der kleinen Sparer. Auch Ere Nouvelle", die sich auf den Standpunkt Herriots stedt, daß die gerichtliche Untersuchung ihren Weg gehen müsse und nicht auf das politische Gebiet hinübergezerrt werden dürfe, schreibt: Es besteht eine Krise, die viel ernster ist als alles andere: die Krise der Moral. Genug der Skandale!.

Die Rechtspreffe bleibt skeptisch und möchte wie Echo de Paris" in der Verhaftung des radikalen Abgeordneten vnd Bürgermeisters von Bayonne  , Garat  , nur ein Aushänge­schild" erblicken, das sich die Regierung für die bevorstehen den politischen Verhandlungen verschafft habe.

Paris  , 8. Januar. Am Dienstag tritt das Parlament zu feiner ordentlichen Tagung zusammen. Die Sigung ber Kammer wird sich auf die Wahl des Büros beschränken Die Wiederwahl des Kammerpräsidenten Boniffon steht außer 8weifel. Die eigentliche parlamentarische Arbeit beginnt am Donnerstag. Die Interpellationen über die Affäre Stavisfy und die Eisenbahnkatastrophe von Lagny werden voraus­fichtlich in aller Kürze behandelt werden. Mit der Beratung des Ausgabehaushalts hofft man, Mitte Januar beginnen it fönnen. Der Senat wird am Dienstag nur eine formale Sibung bahalten und fein Büro am Donnerstag wählen. Die Wahl des bisherigen Präsidenten Jeanneney gilt als sicher.

Auch der Polizeipräsident?

Die Gäste des Betrügers

Paris  , 8. Jan. Die Untersuchung des Bayonner Finanz­standals bringt immer neue Ueberraschungen. Großes Auf­sehen erregte am Sonntagabend die dringende Zurückbe­rufung des Pariser   Polizeipräfekten Chiappe aus Florenz  , wo er einen furzen Erholungsurlaub verbringt. Die neusozialistische Abendzeitung Appel" stellt die Be hauptung auf, daß es erwiesen erscheine, daß der Polizei­präfeft noch vor wenigen Tagen Gast des Betrügers Stavisty war. Das Blatt rechnet mit der Möglichkeit eines baldigen Rücktritts des langjährigen Pariser  Polizeipräfekten.

Die Liberte" meldet, daß bei der Bank von Frankreich seit langem eine Auskunftskarte von Stavisty vorhanden sei, die die Bemerkung trage, daß Stavisfy eine übel be= leumundete Persönlichkeit sei, mit der feine Geschäfte getätigt werden dürften. Das Blatt meint, dem Finanzministerium hätte diese Auskunft unbedingt bekannt sein müssen. Es er­hebt scharfe Vorwürfe gegen Finanzminister Bonnet- per­sönlich, der mit den Leitern der Großbanken über die - Bayonner Staßenscheine gesprochen und ihnen die Ueber­nahme empfohlen haben soll.

Auch gegen den Unterrichtsminister de Monzie, dem auch das französische   Theaterwesen untersteht, werden schwere Vorwürfe laut; der Minister bestreitet je­doch, mit dem Betrüger Stavisfy je etwas zu tun gehabt zu haben.

,, Alex"

Auch auf deutsche Rechnung?

Die 200 oder 300 Millionen, die sich der vorbestrafte Gauner Stavisky durch die falschen Bons der Sparkasse von Bayonne   erlistet hat, stellen ihn auf eine Reihe mit den größten Betrügern aller Zeiten, mit einem Oustrie, mit Madame Humbert. Zugleich aber war dieser Abenteurer auch politischer Geschäftemacher, trat als solcher in die Fuß­tapfen der Tscherwonzenfälscher.

Man erfährt bei der Fahndung nach dem flüchtigen Ber brecher in welchem Stil ein Hochstapler und politischer Ber­treter von heute lebt..

Staviskn lebte in Claridge, einem der allerfeinsten und teuersten Hotels von Paris  , in den Champs Elyiees. Er bewohnte dort eine Vierzimmerwohnung. Seine Frau, eine auffallend hübsche und elegante Frau, die besonderen Lurus trieb, ist mit den zwei Kindern ebenfalls verschwunden. Die Familie hatte mehrere Dienstboten und eine Gouver nante. Stavisky, der mit seinen Freunden ein paftonterter Besucher der Nachtbars. der boites de nuit war, ließ sich häufia in den eleganten Strandbädern und Kasinos in Ge­sellschaft anderer schöner Frauen, Schauspielerinnen usw. fehen. Rita Georg  , der Stern des von Stavisky fon­trollierten Empire- Theaters, das zusammengebrochen iſt, beteuert allerdings, den Meister nicht zu kennen... Das Tollste ist, daß Stavisky, der sich zweimal gerichtlich zu verantworten hatte( wegen Hehleret, Betrugs und Aus­gabe ungedeckter Scheds) und der vom Juli 1926 bis Juli

1927 in Untersuchungshaft saß, sich jahrelang dem Richter spruch mit Hilfe ärztlicher Krankheitsatteste entzog. Als schließlich alles nicht mehr half, ließ er sich für verrückt er­tlären. Sein ärztlicher Freund und Hauptberater wurde zum Mitarbeiter einer Zeitung ernannt, die der vielseitige Rumäne subventionierte.

Staviskys Betrugssystem beruhte darauf, daß die Bons der Kreditinstitute und Sparkassen in Frankreich   be­sonders sicher sind. Die von ihm bei allen möglichen öffent lichen Kassen verwerteten Bons von Bayonne   trugen die vorschriftsmäßigen zwei Unterschriften; die des( ver­hafteten) Mittäters Tissier und die des vertrauensseligen zweiten Beamten. Tiffier hat dem Verbrecher noch vor dessen Flucht für über 10 Millionen Diamanten, die er in Bayonne  versetzt hatte, ohne Rückzahlung des Pfandbetrages aus­

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den politischen Arbeitern des Stavisky beschäftigte. M. Irrigoyen, ein bastischer Riese von 1,90 Meter Körper­länge, erklärte wörtlich: Ich erfuhr, daß M. Alex bulgarische Werte in Amerika   durch Vermittlung Deutschlands  . ver handelt hatte. Ich roch den Braten und merfie, daß ich es mit einen Abenteurer großen Ausmaßes zu tun hatte, der in dunkle Geschäfte, Spionage und Gegenfpionage verwickelt ist, die im Festungsgraben von Bincennes enden fönnten."

Wir verbinden mit dieser Feststellung die Andeutung, die über die Beziehung Staviskys zur Pariser Bolonte" an einem neuen Pariser   Mittagsblatt führt und fragen erneut nach den Geldquellen gewisser Propagandareisen.

Wir schließen: Es wäre gut, wenn sich die Untersuchung durch die Behörden und die Kammer gerade dem au Ben­

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gehändigt. Um die Kaffen zu täuschen, hatte Stavisfy ein Zirkular anfertigen lassen, in denen er auf die staatliche Garantieleistung und besondere Sicherheit der Bons von Sparkassen hinwies. Er unterließ auch nicht zu erwähnen, daß die Deffentlichen Sparkassen 1789, im großen Jahr, in Frankreich   errichtet seien.

Zu seinem Wiederauftauchen in der Deffentlichkeit nach feiner Haftzeit verhalf ihm ein neuer Name. Er hieß als Generaldirektor einer feudalen Grundstücksgesellschaft, deren eines Vorstandsmitglied ein früherer General war, Monfieur Alexandre. Sein Personalregister war frei von Vor­strafen.

Unter dem Namen von Aler" spielte er auch im Kasino von Biarriß, und zwar manchmal um fantaft en bis zu einer halben Million Franken. Einmal hatte man ihm seine Identitätspapiere im Kasino abverlangt. Es wurde ihm verboten, unter dem Namen Sacha Stavisky zu spielen. Aber unter dem Namen Alex wurde es ihm auf Anweisung von Paris   erlaubt.

Der Fall wird jetzt dadurch politisch, daß verschiedene Interpellationen in der Kammer bevorstehen. Die eine bringt der unabhängige Priser Abgeordnete Dom mange ein, eine zweite die Sozialisten, eine dritte der rechts­stehende bastische Abgeordnete begaray( derselbe, der fürzlich direkte Verhandlungen mit Hitler   wollte) usw. Auch der französische   Ministerrat hat sich bereits mit dem Fall beschäftigt.

Stavisky scheint sich dem politischen Geschäft insbe­fondere in letter Zeit mit Singabe gewidmet zu haben. Er war im Begriff, einen neuen Schwindel in Sachen Ankaufs der Guthaben der ungarischen Optanten ins Werk

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zu setzen Er wollte hierfür wieder die Hilfe des öffentlichen Kredits in Anspruch nehmen und hatte Prospette ver­teilen lassen, in denen u. a. ein Auszug aus dem Frie= densvertrag von Trianon abgedruckt war, indem er darauf hinwies, daß der Kurs der Papiere durch eine Invention der Garantiemächte steigen würde. Hierfür wollte er 500 Millionen Obligationen ausgeben. Eine Annonce über dieses Schwindelgeschäft fiel vor etwa drei Wochen der Polizei auf, die den Gründer vorlud, der darauf­hin diesen Teil seiner Trianon- Pläne fallen ließ.

II

Für uns von besonderem Interesse ist der Teil eines Journal"-Interviews mit dem sehr umfichtigen und tat­fräftigen Bürgermeister von Biarris, der sich mit

Pariser   Straßenkalender

Unsere Andeutungen, daß der Hochstapler Stavisky Spio­nage trieb und auch auf deutsche Rechnung arbeitete, wird bestätigt durch Erklärungen des Bürgermeisters Irigoyen von Biarrit.

Der bekannte deutsche Filmschauspieler Wolfgang Zilzer  ist in Paris   eingetroffen.

Auf dem dieser Tage eröffneten Salon de l'Ecole française erregt u. a. ein wunderbares impressionistisches Pariser   Bild Nach einem Regenschauer auf dem Faubourg Saint- Antoine von Gaston Coruil Bewunderung.

Die Strafen für die Verstümmler des Deroulède- Denkmals wurden in der Berufungsinstanz erhöht. Der Haupttäter Ler­retour erhielt 18 statt 12 Monate Gefängnis, der Gehilfe Daunay 8 statt 6.

Die Meldung, daß Hitler einen Kampf Schmelings mit Levinsky, weil dieser Jude ist, verboten hat, macht in Pariser  Sportkreisen großen Eindruck. Man fragt sich, was geschehen würde, wenn sich zum Beispiel unter den französischen   Ka­valleristen, die auf Einladung der Reichswehr   zum erstenmal das Reiterturnier in Berlin   mitmachen, der ein oder andere Nichtvollblüter befände.

Wir verweisen nochmals auf den neuen französischen  

Sprachkursus für Ausländer. Meldungen ab 8. Januar im Gewerkschaftshaus, 211, rue Lafayette.

Pariser   Straßenwit zur Stavisky- Affäre und dem Krach des von Stavisky kontrollierten Empire- Theaters:

politischen Untergrunde dieses Standals zuwenden würde. Denn, so scheint uns, hier ist ein faschistischer Morast, der die Dämpfe der ausgetrockneten pontinischen Sümpfe wirkungsvoll ersetzt.

Stavisky droht

Paris  , 8. Januar. Zum Stavisfy Skandal bemerkt die royalistische Action Francaise, man behaupte, daß Minister­präsident Chautemps   am Samstag den Besuch eines Ver­bindungsmannes Stavistys erhalten habe. Es handele fich um einen bekannten Rechtsanwalt und Politiker, der mit dem Direktor der Volonte  " Dubarry eng befreundet set. Stavisky habe Chautemps mitteilen lassen, er sei bereit, sich gegen gewisse Garantien den Gerichten zu stellen, aber er habe gleichzeitig durchblicken lassen, daß er im Besitz einer Liste sei, die nicht weniger als 180 Namen enthalte.

Die Stadtsparkasse von Bayonne  , mit deren Obligationen die Fälschungen betrieben wurden. Unten links: Der Abgeordnete Joseph Garat, Bürgermeister von Bayonne  und Präsident des Verwaltungsrates der Credit Munci eine der Hauptfiguren des großen Finanzstandals

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,, Was, das Empire" auch zu Ende?" Ja das reinste Waterloo."

Ein kleiner Sprachkurs für die Grippe

Angesichts der saisonmäßigen Grippe- Epidemie ist es viel­leicht angebracht, deutschen   Flüchtlingen ein paar Winke für die Apotheke oder Herboristerie( das ist etwa eine Droguerie") zu geben.

Um Lindenblütentee zu bestellen, sagt man einfach tilleul oder tisane de tilleul, Kamillentee heißt tisane de camomilles. Aspérin hat natürlich im Französischen den gleichen Namen: Aspérine, und Umschläge sind compresses.

Sehr beliebt in Frankreich   als Vorbeugungsmittel du lait chaud au rhum. Man bekommt dieses heiße Hausmittel in jeder Wirtschaft.

Wasserstoffsuperoxyd heißt de l'eau oxygenée, zum Gur­geln( gargariser).

ララ

Watte heißt coton hydrophile, Heftpflaster taffetas ang­lais, Salbe ist pomade. Eucalyptusos essence d'Eucalyptus, Hamburger oder Leute von der Waterkant" wird es freuen, daß ein Hauptverordnungsmittel der französischen  Aerzte gegen die Grippe starker Grog ist, und zwar 1 halbes Glas Rum auf ein Glas Wasser, also Halb und Halb( ,, n bee­ten nördlich"), wie der Hamburger sagt. Sogar auf den Grippe- Medikamenten steht gedruckt, daß sie am besten in starkem Grog genommen werden.

Sehr verbreitet ist bei jeder Erkältungskrankheit das Schröpfen", französisch: appliquer des ventouses. Wenn je­mand die Grippe hat, so heißt das: il est grippé, und den Arzt redet man einfach: Dokteur" an( nicht: Mousieur le Docteur),