Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschien Freifieit" Ereignisse und Geschiciten

Samstag, den 3. Februar 1934 en 3. F

21322032010101010w2 13 ń nil

Ich will die Hände

der falschen Freunde nie mehr berühren"

Heinrich Mann   an Gechact Seger  

Wir haben schon berichtet, daß im Verlag Graphia", Karlsbad  , das Buch Oranienburg" von Gerhart Seger   erscheint, in dem der Verfasser, ehemaliger sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter, seine Erleb­nisse in diesem Konzentrationslager und die schauerlichen Zustände in dieser vertausendfachten Schreckenskammer schildert. Heinrich Mann   hat zu diesem Buche dieses Vor­wort geschrieben:

Sehr geehrter Herr Gerhart Seger  !

Sie sind einem der übelsten Orte der Welt entronnen, ich will Sie vor allem beglückwünschen und Ihnen meine Teil­nahme aussprechen an Ihrer heutigen Rettung wie an Ihrem vergangenen Leid.

Sie haben im Konzentrationslager Oranienburg   körperlich und seelisch gelitten, und alles wurde Ihnen zugefügt von Wesen mit Menschengesicht, denen Sie nichts Böses getan haben, denen Sie vielmehr, nach Ihrer Gesinnung und Ihren Kräften, ein besseres Leben hatte bereiten wollen. Vielleicht noch trauriger war es, als Sie sogar unter Ihren Leidens­gefährten, den Opfern derselben Peiniger, noch Feinden, ja Verrätern begegneten. Das müssen beschämende. erdrückende Erfahrungen gewesen sein für jemand, der, wie Sie, ein ge­wisses Maß von Vertrauen gesetzt hatte in die Gattung Mensch, in die Gesellschaft der Deutschen  . Ich fürchte sehr, daß Sie, nach sechs Monaten Oranienburg  , anders in die Welt blicken als vorher und daß Ihre Hoffnungen, dieser Gattung, dieser Gesellschaft wäre zu helfen, arg herabgestimmt sind.

Unser aller Hoffnungen haben gelitten, auch wenn wir dem Grauen eines solchen Lagers rechtzeitig ausgewichen sind. Das Jahr 1933 hat jeden von uns um mehr als nur dieses Jahr älter gemacht, es hat auch einen zweiflerischen Sinn schwerer enttäuscht als seine ganze vorige Lehrzeit. Es wäre schon furchtbar genug, wenn in einem Lande, das wir für das unsere hielten, feindliche Orte, wie der von Ihnen verlassene, bestehen, wenn sie von den Regierungen aufrecht erhalten und von der Nation geduldet werden. Aber das ist noch nicht alles. Auch außerhalb der Konzentrationslager häuft sich im ganzen Lande eine unvorstellbare Masse von Unrecht und Abscheulichkeit. den Ausschweifungen wider­licher Triebe. Ueberall mißbrauchen schlechte Gewalthaber ihre unverdiente Macht, und Unterdrückte beugen sich ihnen angstvoll. Ein ganzes Volk wird in Schrecken erhalten, es wird durch Schrecken entsittlicht und verbraucht. Die Un­sittlichkeit derer, die es beherrschen, liegt offen zu Tage: das sind Schwindler, Lügner, Mörder an Leibern und Seelen, es sind stumpfe oder freche Verächter der Menschennatur, auch ihrer eigenen. Indessen ist es schließlich genau so erniedri­gend, Unrecht zu dulden, wie Unrecht zu tun. Deutschland  duldet es ohne Gegenwehr.

Dies Volk läßt das durchaus Schlechte über sich ergehen ohne einen Versuch des Widerstandes. Es wagt nichts, son­dern duckt sich. Andere sagen von ihm ohne Achtung, daß es sich zum Martyrium nicht berufen fühle. Aber allein mit Ergebung ist es nicht getan für ein Volk, das seine Freiheit einmal aufgegeben hat. Immer mit Schrecken und schlechtem Gewissen hat es sich dennoch verleiten lassen, allmählich die­selbe Geisteshaltung anzunehmen, die seine neuen Herren gleich fertig mitgebracht hatten. Die Grausamkeiten an Schwächeren haben um sich gegriffen, die Ausnutzung unver­antwortlicher Vorteile ist Uebung geworden im Bereich der Einzelnen, nach dem Muster, das der Staat und seine Nutz­nießer aufstellten. Erpressungen. Denunziationen, die gnaden­losesten und erbärmlichsten Mittel zur Vernichtung von Un­

bequemen alles, wovon ehemals das Gesetz und mensch­liche Scheu noch den innerlich Unanständigen zurückhalten, es ist jetzt freigegeben für den ganzen Umfang der mensch­lichen Beziehungen, es ist erlaubt und erlernt, ist alltäglich und gilt sogar für ein Kennzeichen der echten Volksgenossen. Entschuldigungen findet jeder Private in dem Zustand der Oeffentlichkeit, und Rechtfertigungen werden geliefert von den Propagandisten des Regimes. Wozu gäbe es den national­sozialistischen Fanatismus! Eben, damit man die eigene Feig­heit und Schwäche beschönigen, dabei aber geistig und sitt­lich so hemmungslos verwahrlosen kann, wie nur je durch Fanatismus.

Uebrigens war Fanatismus immer vereinbar mit voll­endeter Ungläubigkeit. Auch dieser nationalistische ist gesättigt mit Henchelei, er ist die Art, wie Menschen ohne innere Art und Verpflichtung sich daraus eine Waffe machen, daß sie zur gemeinen Menge gehören und aufgehen in der Gemeinheit. Was vorgeht, ist der Versuch einer erniedrigten Nation, sich für erhoben auszugeben, und erwacht will sie scheinen, während soeben tiefe Nacht über sie hereingebrochen ist. Den Blicken enthüllt sich ein Taumel der verkommenen Leidenschaften, gleichzeitig aber ertönen Reden über einen Vernunftstaumel", der überwunden und vorbei sei. Es ist allerdings am die Vernunft geschehn, aber die Unvernunft ist deshalb noch nicht ehrlich. Zergliedernde Erkenntnisse, die man schon längst hätte haben können und auch hatte. werden nicht wirklich rückgängig gemacht, wenn man sie plötzlich für eine heroische Ungebrochenheit erklärt. ,, Arier", in deren eigenen Lehrbüchern steht. daß es keine gibt, be­gründen vergebens ihre Ueberhebung über Mitmenschen mit einem ungeglaubten Wort. Zuletzt weiß man durchaufl, waff man tut und wohin man treibt. In Katastrophen natürlich, und sie müssen so ungeheuer sein wie die vorhergegangene Selbstaufgabe.

Wir können nur abwarten, bis der schwere und harte Ord­nungsruf, den das Schicksal einer so weit abgewichenen Na­tion nicht ersparen wird, erfolgt ist und die Besinnung ein­gesetzt hat. Eine Frage: möchten Sie vorher zurückkehren? Ich meine, zurückkehren unter verbürgter Gefahrlosigkeit, wenn es denkbar wäre, und mit freiem Geleit sozusagen? Ich selbst dann nicht. Das Land, an dem auch ich mit meinem Dasein beteiligt gewesen bin, bedrückt und quält mich schon aus der Ferne genug, seine unmittelbare Gegenwart ertrüge ich nicht, und ich kenne die Verzweiflung mancher, die sie ertragen müssen. Ich will nicht Menschen wiedersehen, die sich dazu verstanden haben, das alles mitzumachen, es auch noch zu verherrlichen, es zu idealisieren. Sich und anderen täuschen sie eine neue großartige Geisteshaltung vor, aber nur die nackte Gewalt war ihr Anlaß. Nur das armselige Interesse und die schimpfliche Auflösung ihres Gewissens ver­bergen sich hinter all den Ausreden. Idealisten, die in der Atemnähe von Konzentrationslagern wohnen, sind von jeder geistig Ehrlose gewesen; und die geistige Ehrlosgikeit ist der Anfang jeder andern. Sie haben Ehren und Pnesionen von der Republik   empfangen und nehmen dasselbe und noch mehr von dem Regime, das ihre Kameraden martert oder austreibt, sie aber blühen, gedeihen und singen das Lob ihrer Ernährer.

Ich will die Hände der falschen Freunde nie wieder be­rühren, will an Gestalten, die mich, aber zuerst sich selbst verraten haben, nie mehr auch nur das leerste Wort richten müssen. Ich muß es auch nicht, und Sie, Herr Gerhart Seger  , müssen es ebensowenig. Dies Gute hat die Verbannung, so bitter sie uns sonst schmeckt.

Wie weinen zu wenig

In einer nationalsozialistischen deutschen Frauenzeitung klagt eine Frau ihr Leid. Es ist herzzerreißend, was sie zu berichten weiß:

..Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: wir weinen im Grunde genommen viel zu wenig. Es ist geradezu ein Jammer, daß das herzhafte Weinen im Laufe der Jahre so aus der Mode gekommen ist. Man hat uns die Japaner und nachher die Amerikaner ais leuchtendes Vorbild hin­gestellt und uns das ewige Lächeln ans Herz gelegt. Das Lächeln gilt als Beweis guter Kinderstuben und noch anderer guter Eigenschaften... Aber das Weinen. das gesunde, herzhafte Weinen, hat man eigentlich verlernt." Ueber zwei Spalten ergießt sich die tränenreiche Klage. Selbst die hellenischen Helden Achilles  , der,.liebe Ajax  " und der kühne Irrfahrer Odysseus  , durften bei passenden Ge­legenheiten ihren Tränenstrom fließen lassen und die ..kühnen Krieger und Könige der Geschichte schämten sich ihrer Tränen nicht".

Nur die arme deutsche   Hitlerike soll es sich weiter ge­fallen lassen, daß das ,, Weinen so aus der Mode gekommen" ist. Das Weinen, das eine seelische Aeußerung von höch­

"

.

Heinrich Mann  .

261 3! 150

stem Niveau" ist und in dem vor allem die..Seele, die deut­sche Seele, mitschwingt"....

Unendlich viel Leid ist seit Anbruch des dritten Reiches" über deutsche   Frauen gekommen. Unendlich viele Tränen sind seit der..nationalen Erhebung von deutschen Frauen geweint worden. So viele Tränen, daß ihre Quelle versiegt ist und daß die gequälten Frauen keine Tränen mehr fan­den. Sie sind verhärtet und verschlossen. Sie verzichten auf diese..seelische Aeußerung von höchstem Niveau", weil sie keine Seele mehr haben dürfen. Sie sind zu stolz, ihre Wun­den bloßzulegen, und sie lesen solche Ergüsse mit der ohn­mächtigen Empörung dessen, dem zum Schmerz auch noch der Hohn wird. Sie lernen lächeln über zusammengebissenen Zähnen und mit brennenden Augen. Weil in ihnen der Mut lebt, an das Morgen zu glauben und weil sie in sich die Kraft spüren, auszuharren bis zu dem Tage, der das Ende dieses Verkrampftseins bringt. Vielleicht werden sie dann wieder Tränen finden. Tränen der Erlösung und Befreiung. Und vielleicht werden dann auch die wieder weinen lernen, die heute so bewegt darüber klagen, daß sie es ver lernt haben...

muß jeder gelesen haben!" reien wird so soeben durch Erlaß mehrere Landesunter­

Wir wiesen unlängst darauf hin, daß den Velegern die Bücheranpreisungen führender Nazis verboten wurden. Aber

die Herren scheren sich nicht darum; da ist ein Buch erschienen: Deutsche   Fliegerei, Ein Appell an Deutschlands  Jugend, hgg. von dem HJ.  - Führer Gerhard Zirwas, Staffel­führer der Danzig- Flieger". Aus dem Inhalt: Wahlspruch von dem Reichsluftfahrtminister H. Göring  . Ziel und Weg der Sportfliegerei, Fliegen als Beruf, Kriegsflieger und Jugend. Hitlerjugendgruppen sind auf das Buch hinge­wiesen, werden sich mit ihm beschäftigen welcher Hitler­junge interessiert sich nicht für Fliegen? Schulbüche

richtsbehörden zur Anschaffung empfohlen,..." Und schließ lich bekommt man faksimiliert folgendes: ,, Das Buch Deutsche Fliegerei von meinem Kameraden Gerhard Zirwas muß jeder deutsche   Junge gelesen haben. Solche Bücher sind besser und notwendiger als lange Romane. Baldur von Schirach  ." Das Buch kostet 3,50 Reichsmark. Wieviel bekommt der Schirach für die fabel­hafte Reklame? Die Auslandabteilung- Reichsleitung" der NSDAP  . empfiehlt das Buch des gleichgeschalteten Josef Ponten   Im Wolgaland". Es halten sich also weder die ..Führer" noch die Parteistellen selbst an das Verbot. Re­klamen zu unterlassen.

no93

,, Kinder hageen zum Skelett..."

Ein deutscher Dichter über das Hitler- Elend

Das Dasein der deutschen   Massen nach einem Jahr Hitler muß grauenhaft sein. Das folgende Gedicht des national­sozialistischen Schriftstellers Richard Euringer   bricht aus diesem Entsetzen wie ein wilder Anklageschrei. Ahnungslos hat ihn Göbbels Angriff" vom 24. Januar auf Seite 4 ver. öffentlicht.

Wir haben die Macht; jawohl, die Macht. Aber noch ist's nicht vollbracht.

Frost bleibt Frost, Schnee bleibt Schnee. Und der Hunger tut immer noch weh. Nicht beim Glas Bier, und nicht im Gedicht auch nicht beim Eintopfgericht-, aber in den Elendsquartieren,

wo zähneklappernd Menschen frieren, und Mütter hocken in eiskalten Zimmern, und Würmer um was Warmes wimmern, wo Mannleut heulen am Hals der Frauen und aus den Fingern Pläne kauen: Not, Not Not!

Kinder, und kein Brot, Herd, und kein Brand. Mensch, bleib bei Verstand.

Wir sind nicht Kommunisten, nein, aber Nazis wollen wir sein. Christen, nicht im Vorkriegsstil,

da mal vom Tisch ein Brosamen fiel: ..Und nun bettelt andre an.

Wir hier haben genug getan."

Wer? Wer hat genug getan? Herrgott, der Winter fängt erst an. Gott sei's getrommelt und gepfiffen: wir haben's noch nicht mal begriffen; Kinder hagern zum Skelett,

sechs Menschen kriechen in ein Bett, mit leeren Därmen sich zu wärmen, sich vor Erbarmen zu umarmen, und in Vergessen zu begraben, daß sie nichts gegessen haben.

-

Mord und Totschlag sie haben's gedroht, da war Deutschland   von Sozis rot. Heut' hilft Hitler  . Kopf hoch, Mann. Der Sozialismus fängt erst an.

Nein, wir kommen nicht, zu kneifen. Endlich laßt's uns nur begreifen. An Herz und Händen faßt euch an: Wir haben nicht genug getan.

m ID HA

zum zum Tod:

Für Volk und Führer, bis Dem letzten Volksgenossen Brot!

Wahrhaftig, das ist ein Jubiläumsgedicht zum 30. Januar, wie Hitler   es sich wahrscheinlich nicht bestellt hat. Das Er­gebnis eines Jahres barbarischer Triumphe ist: Not, Not, Not. Der Groll frißt sich immer tiefer in die Massen, sie wollen die ewigen Siegesgesänge der dankbaren und be­friedigten Postenjäger nicht mehr hören, selbst Göbbels   mus ihnen bereits gelegentlich die Wahrheit sagen. Und die volle Wahrheit hört jeder, der Ohren hat, aus den mühsam gestammelten dünnen Hurrareimen am Schluß des Ge­dichts die Herren haben bereits: Angst, Angst, Angst...

-

Immer wieder:

Verboten wurden laut Kriminalpolizeiblatt 1761/62 fol­gende Druckschriften: Heraldo de Madrid"( Madrid  ); Ga­zetta Gornicza"( Karwin); Hofer, Offener Brief an alle Deutschen   und ihre Führer"; Werbeschrift der Concordia­

59

Lebensversicherungsbank, A.-G., Köln  : Bauern und Reichs­erbhofgesetz"; Kirchsteiger: Das Beichtsiegel", Wien  , Anzen­gruberverlag; H. Brennerburg. Vererbung erhöhter Intelli­genz auf die werdende neue Generation", Volksverlag, Ber­ lin  ; F. Rickel, Der Vertrag von Versailles. Das Dokument deutscher   Schande", Altona  , Verlag unbekannt; 3. Juni, Flugblatt Die Rote Fahne  ";" Gos ludu"( Hindenburg­Zabrze, Polen  ); Walka"( Posen); De Fabrieksarbeider ( Amsterdam  ). Die Beschlagnahme der Broschüre Der Judenstaat von Theodor Herzl  , Wien  , Verlag R. Löwit, ist mit 16. Januar 1934 aufgehoben( II D 1853/33, Berlin  , Geh. StaPA.).

39

Zeit- Notizen

wo­

Deutsche Pressefreiheit. Vom Reichsverband der Deutschen Presse   und dem Reichsverband Deutscher Schriftsteller   wird mitgeteilt: Es bestehen keine gesetzlichen Vorschriften, nach die Schriftleiter verpflichtet sind, nur Manuskripte vou Mitgliedern des RDP. und RDS. zu veröffentlichen. Jeder Schriftleiter ist in seiner Entscheidung über die Aufnahme oder Nichtaufnahme eines Artikels frei. Entscheidet er sich für die Aufnahme eines Artikels, so trägt er für ihn die Verantwortung nach§ 20 des Schriftleitergesetzes."

Martern aller Art. E. S. Mittler und Sohn publiziert: ..Sanitäts- ABC", 30 Abbildungen, 3 farbige Tafeln. 1 Mk.- ..Unter Zugrundelegung der Sanitätsvorschriften der Armee, ergänzt durch neuzeitliche Erfahrungen, wird vor allem die Verbandlehre, alle Arten von Verletzungen( Hieb-, Schnitt, Stich-, Schuß-, Quetsch- und Rißwunden, Knochenbrüche, Wundlaufen und Wundreiten), Unglücksfälle, Kampfgas­vergiftungen behandelt..."

Bedeutung eines Gesetzes. Mehrere Verleger haben sich zusammengetan, um den Deutschen   eine Ausgabe des Ge setzes zur Ordnung der nationalen Arbeit" liefern zu können. Die Ankündigung sagt schlicht und gut: Die außerordent liche Bedeutung des Gesetzes ist schon daraus ersichtlich, daß es fast die gesamte arbeitsrechtliche Gesetzgebung der Nach­kriegszeit aufhebt".