Sinzige unabhängige Tageszeitung DeutschlandsNummer 55— 2. Jahrgang f Saarbrücken, Mittwoch, den 7. März 1934| Chefredakteur: M. B r a unAns dem Inha ltdteule'Ulaulwucf-,mccgen Adletso lautet ein besonders interessanter Bericht über dieinnerdeutsche Situation.Seite 3Aus Stücmes JUichSeite 5Moskau für WeltpaktAmerlhanisdi-russisdie ZusammenarbeitFurchtbares SdiiffsunglüdtFünfhundert Personen ertrunkendnb. London, S. März. Wie Reuter aus Kanton meldet,ist bei der Einfahrt in den Hasen ein Dampfer gesunken. Manbefürchtet, daß 399 Passagiere ertrunken sind. 350 Leichen sindbereits aus dem Hasenplatz aufgebahrt und zahlreiche grauenund Kinder irren durch die Reihen der Aufgebahrten, umihre vermißte» Angehörigen wiederzufinden.Moskau, 5. März 1934.Der amerikanische Borschlag einer internationalen Kon-kreuz und eines Welt-NichtangrissSpakts wird von den poli-Aschen Kreisen in Moskau warm begrüßt. Das erklärt sichzum Teil einfach aus den Beziehungen zwischen der Sowjet-Union und den Vereinigten Staaten. Die großen Hoffnun-gen, die man im Kreml aus die Entwicklung dieser Beziehun-gen setzt, sind die Ursache, daß jeder Vorschlag, der ausRenyork kommt, hier aus besondere Beachtung trifft. Im»orliegende« Fall freilich würde der Abschluß eines allge-«einen Nichtangriffspakts auch durchaus mit den Interessender Sowjet-Union zusammentreffen. Bekanntlich hat Mos-kau bereits mehrmals ergebnislos in Tokio die Unterzeich-nung eines derartigen Pakts angeregt.Das offiziöse Organ, die„Jsvestija", weist darauf hin, daßder 1929 abgeschlossene ttelloggpakt große Lücken enthält, dieder neue Bertrag auszufüllen hätte. Das bezieht sich beson-ders aus die Definition des Angreifers, einen bekanntlich vonder Sowjet-Diplomatie erfundenen Gedanken. Das Blattdetont, daß der ttelloggpakt den unterzeichnenden Mächtenkeinerlei Verpflichtung auserlegt. Auch nach französischerAuffassung ist dieses Fehlen von Sanktionen ein Fehler. Die„Jsvestija" schreibt:»Wir Kommunisten sind von der internationalen Presseoft beschuldigt worden, daß wir die internationalen Verträgenicht achten. Man hat uns Materialisten genannt, die un-fähig seien, andere als materialistische Beweggründe zukennen. Aber gerade wir messen internationale« Verträgenzur Festigung des Friedens große Bedeutung bei. Wir habendie höchste Achtung vor dem moralischen Urteil der össent»lichen Meinung über die Politik friedensbrecherischer Re-gierungen. Jede Verstärkung der Bürgschaften für denFrieden ist der Unterstützung der öffentlichen Meinung inSowjet-Rußland sicher."So weit die„Jsvestija".Aus dem Trümmerhausen der Abrüstungskonferenzsteigt also als neueste politische Ueber-raschung ein gemeinsamer amerikanisch,russischer Plan zur Befestigung der gegen-wärtigen Kräfteverteilung in der Welt her-auf. Wird es der internationalen Diplomatie tatsächlich gc-lingcn, aus dem Labyrinth der europäischen Mißverständ-nisse herauszufinden und im größeren Räume zu einemAusgleich der Spannungen zu gelangen? Man muß abwar-ten, ob dieser erste Versuch glückt. Vielleicht wird es lediglichden Hauptbeteiligten und Hauptverstrickten in Europa alsBorwand dienen, ihre jetzige Verlegenheit zu verhülle« undnochmals einen Ausschub ohne wirkliche Lösung der Problemezu erlangen. Für künstige Jahrzehnte aber zeichnet sich indem amerikanisch-russischen Plan zum erstenmal eineWeltpolitik ab, die sich auf neuen und größeren Feldern ab-spielt als die heutige, immer wieder nur auf Europa star»rende.Saar Terror in gesdilossenem zog!1Saarbrücken, 6. März.Die sogenannte„deutsche Front" im Saargebiet setzt ihreVersuche fort, durch eine praktisch öffentliche Stimmabgabedas Wahlgeheimnis bei der Abstimmung im Jahre 1935 zubeseitigen.Wie wir neuestens aus bester Quelle erfahren, besteht fol-gender Plan: Man will bei der Abstimmung alle diejenigen,die beabsichtigen, für die Rückgliederung zu stimmen, im ge-schlössen?« Zuge zum Abstimmungslokal marschiere« unddort geschlossen ihre Stimme abgeben zu lassen. Wer sich alsoam Absttmmungstage nicht öffentlich zur sogenannten„deutschen Front" bekennen will, ist damit öffentlich gekenn-zeichnet. Für diesen gemeinsamen Marsch am Abstimmungs-tage werden fetzt bereits Borbereitungen getroffen. Mitanderen Worten: es besteht die Absicht, die bewährtenMethoden der„Reichstagswahl" vom 12. Novemberauf den Abstimmungstag zu übertragen und schon jetzt dieAechtungsrezepte festzulegen.Nach dem katastrophalen Eindruck, den das von der so-genannten„deutschen Front" eingeleitete und von uns mehr-fach geschilderte private Plebiszit überall, auch im Auslandgemacht hat. bemühen die Veranstalter sich nunmehr, ihremUnternehmen eine harmlosere Deutung zu geben. In einerneuerlichen Bekanntmachung erklärt die„deutsche Front", siemache es sich zur Aufgabe. Sorge zu tragen, daß derCharakter der geheimen und unbeeinflußten Abstimmungihrerseits nicht im geringsten gefährdet wird... Die„deutsche Front" überläßt es dem freien Willen eines jedeneinzelnen, einen Antrag auf Aufnahme in ihre Gemeinschaftzu stellen. Tie lehnt es ab, irgendwelche Druckmittel odersonstige Arten der Werbung in Anspruch zu nehmen...Jede Dienststelle der„deutschen Front" bzw. jeder deutscheSaareinwohner, der den geringsten Versuch macht, auf Dritteeinen Druck auszuüben in besagter Richtung, wird rücksichts-los aus der„deutschen Front" entfernt. Desgleichen wirdaus der„deutschen Front" entfernt, wer Dritten gegenüberwegen ihrer Nichtzugehörigkeit zur„deutschen Front" auchnur die geringste Drohung ausspricht. Aus besagtenGründen ist auch das geschlossene Eintragen in Listen ver-Voten, sowie die private Bekanntgabe der Mitglieder oderNichtMitglieder der„deutschen Front".Das soll harmlos klingen. In Wirklichkeit haben dieseBeteuerungen so gut wie nichts zu bedeuten neben der ein-fachen Tatsache, daß die sogenannte„deutsche Front" ihreWerbeaktion durch Versendung von Aufnahmeformularenvon Haus zu Haus nicht abgebrochen hat. Sie setzt alsotatsächlich ihre Kampagne zur privatenUnterscheidung der S a a r e i n w o h n e r in„Deutsche" und„N i ch t b e u ts ch e" fort. Was das anBedrohung für den einzelnen bei der aufgepeitschten Stim-mung im Saargebiet bedeutet, wissen die Leiter der so-genannten„deutschen Front" ganz genau. In der gleichenBekanntmachung, die wir eben zitierten, spricht der Landes-leiter Pirro es auch ebenso unbefangen wie beutlich auS:Die„deutsche Front" ist der Auffassung, daß die Aufnahmeeines Deutschen in ihre Gemeinschaft einzig und allein vonseiner persönlichen Einstellung zum Deutschtum abhängig ist.Das heißt mit anderen Worten: Wer sich nicht zu demParteigebilde der„deutschen Front" bekennt, ist keinDeutscher. Es wird der sogenannten„deutschen Front" nichtmehr gelingen, den Nachweis des von ihr nunmehr offengeübten Terrors zu widerlegen.Und alles das vollzieht sich unter den sehenden Augen dcSVölkerbunds!"Oer Druck der christlichen GewerkschaftenSaarbrücken, den 5. März 1934.Der Konflikt zwischen den Nationalsozialisten und denbürgerlichen Gruppen innerhalb der sogenannten„deutschenFront" des Saargebietes ist noch nicht beigelegt. Ein-flußreiche nationalsozialistische Kräfte sind am Werk, die jetztstillgelegte NSDAP, unter Führung ihres abgesetzten Lei-ters Spaniol wieder zur Tätigkeit zu bringen.Aus der Vorgeschichte des Konflikts, der für die soziolo-gische Rolle und die geistige Entwicklung der NSDAP, auchaußerhalb des Saargebietes interessant ist, erfährt man nochfolgende Einzelheiten:Die Abberufung Spaniols wurde befürwortet von demVizekanzler von Papen, dem Beauftragten der Reichs-regierung für Saarfragen, und dem Großindustriellen Her-mann Röchling. Hierbei spielte nicht nur sachliche undpersönliche Verärgerung der Genannten mit. die sich vonSpaniol zur Seite gedrängt fühlten. Man hoffte auch, mitSpaniols Absetzung katholische Kreise freundlich zu stimmen.Der Führer der christlichen Gewerkschaften des Saargebietes,Kiefer, erklärte in Berlin, wenn Spaniol nicht abberufenwerde, könne er sich für die Haltung der christlichen Arbeiter-schaft bei der Abstimmung 1933 nicht verbürgen. Mit Hilfeseines unmittelbaren Borgesetzten, Dr. L e y, des Führersder„deutschen Arbeitsfront", gelang es Kiefer, auch Hitler-und Göring umzustimmen, die Spaniol ursprünglich hattenKalten wollen.Müllers..StabschefDas gibt es jetzt in der evangelischen Kirche!Berlin, 6. März. Der Reichsbischof hat kürzlich in seinerEigenschaft als Landeöbischof der Evangelische,, Kirche derAltpreußischen Union(feine Befugnisse als LandeSbischof sindunterdessen durch das am Samstag veröffentlichte Kirchen-gesetz aus die Reichskirche übergegangen) eine Reihe vonPerfonalveränderungen verfügt. So hat er Bischof Dr.Oberheid zum Chef seines Stabes er-n a n nt...Nazi-Bischof In HamborgPastor TügelHamburg» 5. März. In der Sitzung der hamburgischenSynode, die im Bürgerschastssaal des Rathauses stattfand,wurde heute Oberkirchenrat Pastor Franz Tügel zumLandesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche imHamburgischen Staat berufen. Nach Eröffnung der Synodeund einem Gebet brachte der Tnnodalpräsident Prof. D.Fabian die Notwendigkeit der Verbundenheit von Staat undKirche»um Ausdruck. Er verlas außer dem Abschiedsgesuchvon Pastor Schösset ein Schreiben von Pastor Dr. Junge,in dem dieser von der Auflösung der Gruppe„Evangelium und Kirche" Kenntnis gab. Hierdurchhabe, so führte D. Fabian aus, auch im Leven der Kirche dasparlamentarische Gruppensystem aus freiem Entschluß seinEnde genommen, und die Landeskirche würde in die im„dritten Reich" üblichen Formen eingegliedert. Unter demlebhaften Beifall der Anwesenden berief D. Fabian dannPastor Tügel zum LandeSbischof, der die Wahl sofortannahm und in einem Begrüßungswort etwa folgendes aus-führte: Was sich seit der vor einem Jahr in Hamburg er-folgten Machtübernahme des Senats an Volk und Staatvollzog, das müsse sich schicksalhaft auch an der Kirche und inder Kirche vollziehen. Die Evangelische Kirche im„drittenReich" sucht eine neue Lebenshaltung gegenüber dem Staat,die mit Kameradschaft zu kennzeichnen sei. In der Aus-einandersetzung mit denen, die weltanschaulich andere Wegegehen möchten, wolle er nicht gegen sie, sondern um siekämpfen.Vle lange lisieEntlassene GeistlicheDie nachgesuchte Entlassung au? dem Dienste der all-gemeinen Verwaltung der Evangelischen Kirche der Alt-preußischen Union unter Zubilligung von Ruhegehalt wurdeerteilt: Dem weltlichen Vizepräsidenten des EvangelischenOberkirchenrats D. Ernst H u n d t, dem hauptamtlichenMitglieds des Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen,Oberkirchenrat Kurhain in Magdeburg, dem Hauptamt-lichen geistlichen Mitglied des Konsistoriums der ProvinzOstpreußen, Oberkirchenrat D. Schaumann in Königs-berg i. P., dem nebenamtlichen Mitglied desselben Konsisto-riums, Kirchenrat L a u d i e n in Königsberg, den Nebenamt-lichen Mitgliedern des Konsistoriums der Mark Branden-bürg, Kirchenräten Albert Coulon und D. Dr. Lutherin Berlin, dem nebenamtlichen geistlichen Mitglied de? Kon-sistoriums der Kirchenpvovinz Schlesien, Oberkirchenrat D.M i e l k e in Stettin, dem nebenamtlichen geistlichen Mit-glied des Konsistoriums der Kirchenprovinz Grenzmark,Kirchenrat E r n st B o h n in Krojanke, dem hauptamtlichengeistlichen Mitglied des Konsistoriums der KirchenprovinzSchlesien, Oberkirchenrat Schulz in Breslau, dem neben-amtlichen geistlichen Mitglied des Konsistoriums der Kirchen-Provinz Sachsen, Geh. K.-Rat D. Dr. E g e r in Halle a. d.Saale, dem nebenamtlichen geistlichen Mitgliede des evange-lischen Konsistoriums der Rheinprovinz, Kirchenrat D.Pfennigdorf in-Bonn.In Dresden wurde ein junger Mann, der sich„in siiten-widriger Weise ausgeführt hatte", von einem uniformiertenPolizeibeamten festgenommen und zwecks Feststellung seinerPersonalien nach der Polizeiwache transportiert. Auf derBrücke machte er sich aber los und flüchtete. Der Beamte,der ihn vor einem Fluchtversuch nachdrücklich gewarnt hatte,machte, nachdem ein nochmaliger Anruf erfolglos blieb, vonsetner Schußwaffe Gebrauch und traf den Flüchtling. DieVerletzung erwies sich als t ö d l i ch.Am Montagabend wurden in ihrer Wohnung in Berlin-Moabit die Ehefrau Weihe und ihre tfl und 8 Jahre altenTöchter ermordet aufgefunden. Der Täter ist wahrscheinlichder Ehemann, der flüchtig ist.