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Freiheit

Nummer 61-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 14. März 1934 Chefredakteur: M. Braun

Jangobull- W- mo

Aus dem Inhalt

Dreifache Hinrichtung in Beclin

Seite 2

Neue Flottenmusterungen

Seite 2

Europäische Gedanken

Seite 3

Die Saar als Frankreichs   Fland

Seite 3

Seite 4

Chamberlains fragt Deutschland  

Seite 7

Unruhe in den Betrieben

Spanien  : Streik oder Revolution?

Der Massenkampf für Arbeiterrechte

Tiefe Gegensätze

Die Arbeitgeber versuchen sich ihren Verpflichtungen zu entziehen und zahlen, vor allem auf dem Lande, Löhne ganz nach Belieben, soweit nicht die Gewerkschaften sie zu diftatorisches Regiment gegenüber den Arbeitern. Die Kauf­fraft sinft und die Lebensmittelteuerung nimmt zu. Auch die bürgerliche Presse hat die wachsende wirtschaftliche und soziale Berseßung und den Autoritätsverlust der Regierung nicht bestreiten können. In dieser Situation hat der Ministerpräsident Berrour vor einigen Wochen den Innen­minister Martinez Barrio   und den Finanzminister und Demagoge geltende Salazar Alonso   und Finanz­Para entlassen. Innenminister wurde der als Arbeiterfeind minister der bisherige Gouverneur der Bank von Spanien  Maracco. Diese Schwenkung des Kabinetts nach rechts hat das Mißtrauen der Arbeitermassen noch gesteigert. Die Buchdrucker gerieten in Erregung, als bekannt wurde, daß die Regierung faschistische Spizel in Buchdruckerei­Streifbruch organisieren sollten. betriebe entsandt hatte, die dort zersetzend wirken und den

Madrid  , 13. März. Die seit Monaten über Spanien   Tariflöhnen zwingen. Die Guts herren führen ein rein lagerude Erregung, die sich in Teilstreiks äußerte, hat am Montag zu einer ersten großen Entladung geführt: der seit Tagen erwartete Generalstreit ist in Madrid   aus­gebrochen. Der Ministerpräsident Lerrour hat bis in die legten Stunden beruhigende Erklärungen abgegeben, jedoch die Ausbreitung der Aktion weder durch seine dämpfenden Reden noch durch Drohungen und Verbote aushalten können. Roch in den letzten Tagen hat er den syndikalistischen Gewerkschaftsbund aufgelöst, der etwa eine Million Mitglieder zählt und sehr radikal sich betätigt. Der Minister: präsident hat ferner den Präsidenten der sozia: listischen Jugend verhaftet und das Verbands: haus der sozialistischen   Jugend geschlossen. Seit über einer Woche sind die Bauarbeiter im Streit. Da durch das Ruhen der Arbeit die Tunnelbauten für den unter:

irdischen Zentralbahnhof durch Grundwasserströmungen in

die Gefahr des Einsturzes gerieten und insbesondere auch ein Teil der Pradopromenade, an der die berühmte Gemäldes galerie liegt, einzustürzen droht, hat die Regierung Vers handlungen zwischen Unternehmern und Arbeitern geführt. Obwohl die Arbeiter sich bereit erklären, die drängenden Notstandsarbeiten zu verrichten, falls die Regierung ihnen die Löhne garantiere, sind die Verhandlungen in den frühen Morgenstunden des Montag gescheitert. Die Regierung ließ darauf sowohl die Vertreter der Unternehmer wie die der Arbeiterverbände ins Gefängnis werfen.

Diese starke Gefte der Regierung Zerrour hat die Lage nur verschärft. Zu dem Streit der Bauarbeiter ist nun der Massenstreit der Metallarbeiter, der Druder und aller übrigen Angehörigen der graphischen Ge: werkschaft hinzugekommen. Die Presse der Rechten hatte verkündet, daß sie erscheinen werde, da sie über hinreichend nichtorganisiertes Personal verfüge. Jedoch konnte im Laufe des Montag nur die katholische El Debate" erscheinen. Außerdem kam das sozialistische Blatt Socialista  " heraus, für das sich als dem Kampfblatt der Bewegung das organi: fierte Personal zur Verfügung gestellt hat.

In den Straßen der Hauptstadt, zumal in den Vororten ift starke Unruhe zu spüren. Die Passanten werden auf Waffen untersucht und zahlreiche Verhaftungen sind vor­

Der Regierungsfront ftell sich eine breite Arbeiterfront gegenüber, die eine Einheitsfront zu werden trachtet. Seit der Niederlage bei den Parlamentswahlen im November ist die Idee der Arbeitereinbeits­front in Spanien   starf in den Vorgergrund getreten. Ihr Propagandist ist Largo Caballero  , der frühere Ar­beitsminister, Führer der sozialistischen   Partei und General­sekretär der Gewerkschaften. Er vertritt den Standpunkt, daß man mit der Demokratie in Spanien   während zweieinhalb Jahren Republik   für das Arbeitervolt nichts erreicht habe und das gemeinsame Ziel der Arbeiter aller Richtungen die Sozialrevolution zu fein habe. Der Führer der Syndikalisten, Angel Peatana, einige Vertreter der Linkskommunisten und Trokkiften streben dem gleichen Ziele zu. Einige Streifs erbrachten den Beweis für die Möglichkeit der Einheitsfront.

Man darf sagen, daß die Sozialistische Partei trotz der gegenteiligen Saltung des reformistischen Flügels der Ge­werkschaften den Standpunkt einnimmt, im geeigneten Augenblid gemaltiam die politische Macht zu ergreifen und die Sozialrevolution auf dem Wege der Diktatur durchzuführen. Ob dieser Zeitpunkt jetzt gekommen ist, dürfte allerdings auch den revo­lutionären Führern der Bewegung zweifelhaft sein. Es iſt möglich, daß die Regierung den revolutionären Charakter der Bewegung übertreibt, um sich die Basis zu den er­sehnten Verfassungsänderungen durch einen Staatsstreich zu schaffen.

Gestern und heute

Kein Mensch kann zwei Herren dienen. Und kein Staat zwei Prinzipien.

Es ist merkwürdig, daß die Diktaturen unserer Tage diese alte Wahrheit immer wieder vergessen. Solange ihre Führer noch nicht an der Macht sind, pflegen sie sich gern auf das Wort Homers   zu berufen, daß ,, einer nur Herr" sein könne. Sind sie aber einmal ,, dran", dann suchen sie alle Welt davon zu überzeugen, daß es in ihrem Lande 26 oder 45 oder 66 Millionen Herren gebe je nach Einwohnerzahl. Denn dann herrscht auf einmal der ,, Wille des Volkes". Glücklicherweise ist dieser Wille stets derselbe wie der der Diktatoren.

Ein wunderschönes Beispiel dafür ist das sogenannte ,, Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit  ". Seine Durch­führungsbestimmungen liegen jetzt vor. Nun wissen wir end­lich, wie das große Rätsel des Ausgleichs zwischen dem Führerprinzip des Unternehmers und dem Mitredenwollen der Arbeiterschaft gelöst worden ist. Und da ergibt sich etwas Ueberraschendes: die Mehrheit" hat scheinbar ein Wort mitzureden.

Was ist Mehrheit? Wir holen uns die Antwort aus der Quelle alles heute in Deutschland   geltenden Staatsrechts: Mehrheit ist die Verkörperung von Feigheit, Lüge und Dummheit. Wir dürfen sicher sein, daß niemand in Deutsch­ land   widersprechen wird. Denn diese Worte sprach Adolf Hitler  . Trotzdem

Trogdem ruft Adolf Hitler   immer wieder angeblich die Mehrheit zu Hilfe. Er tut es beim Volksentscheid von 40 Millionen; er tut es jetzt auch im kleinsten Betrieb.

Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit   sah ur­sprünglich vor, daß der Unternehmer im Einvernehmen" mit dem Betriebszellenobmann, also mit dem Obernazi" der Belegschaft, einen Vertrauensrat berufe. Der soll den alten Betriebsrat ersetzen. Die neue Durchführungs­verordnung schreibt jetzt plöglich vor, daß zwar der Ver­trauensrat zunächst berufen wird. Dann aber, und das ist das Neue, hat die Belegschaft in geheimer Wahl darüber ab­zustimmen, ob sie die Vertrauensmänner des Unternehmers will.

genommen worden. Die Regierung beseidnet Kampfmittel der Regierung wählen, aber sie kann sich keinen nach eigenem Ermessen

listische Revolution als Sensationsmacherei von Feinden des Regimes. Sie habe nicht den Willen, die gesamte sozialistische Partei zu unterdrücken, sei aber ebenso entschlossen, den sozialistischen   Gruppen, die sich gegen die Gesetze erhöhen, ohne Zögern und mit allen Machts mitteln entgegenzutreten. Trog der demonstrativ zur Schau getragenen Festigkeit der Regierung ist die Lage in ganz Spanien   sehr unruhig und nervös. Aus zahlreichen Provinz orten werder Zusammenstöße gemeldet, so aus Barce: Iona, Tararona und Tarrasa  . In Madrid   selbst find bisher nur wenige Gewalthaben vorgekommen. Kraft: wagen und Straßenbahnwagen wurden von Streifenden mit Steinen beworfen. An mehreren Stellen wurden Lebens: mittelläden geplündert und ein offener Markt wurde auf­geräumt. Demonstrationszüge der Arbeiter sind bisher durch die Polizei ohne nennenswerte Anstrengung aufgelöst worden. Die Garnison ist in Alarmzustand, brauchte bisher nicht herangezogen zu werden.

Zwel Fronten

Regierung und Arbeitermassen

Madrid, 13. März. Die Regierung bemüht sich, da ihr Zet­tungen mit einer einzigen Ausnahme nicht zur Verfügung stehen, die Bevölkerung durch Rundfunk zu beeinflussen und ihr klarzumachen, daß es sich bei dem Massenstreif um eine staatsfeindliche Aktion handele. Daran ist soviel richtig, daß hinter den Lohnstreitigkeiten, die den letzten Anstoß zur Streitbewegung gaben, schwere politische und so= ziale Gegensäße stehen. Wenn die Regierung Ler­rour so schnell abgewirtschaftet hat, so deshalb, weil sie die wirtschaftlichen und sozialen Spannungen nicht zu meistern versteht. Der Kern ihres Programms bestand und besteht darin, die sozialen Errungenschaften der Revolution, die durch die konstituierenden Cortes in die Gesetzgebung auf­genommen worden sind, wieder rückaänging zu machen. Es wurden sogar arbeiterfreundliche Bestimmungen außer Kraft gesetzt, die noch der Diktator Primo de Rivera   erlassen hatte.

Diktatorische Maßnahmen

Madrid  , 12. März. Nach dem Gesetz zum Schutz der öffent­lichen Ordnung kann die Regierung nach der Verkündigung des Alarmzustandes folgende Maßnahmen ergreifen: A u 3= weisung von Ausländern, die die öffentliche Sicher heit gefährden; Eingriffe in Industrie und Handel: 8ensur der Zeitungen und Drud= schriften; Einschränkung oder Verbot des Verkehrs in den Straßen; Verbot von Versammlungen und Kundgebungen; Verbot, Fabriken oder Geschäfte zu schließen; Eingriffe in Verbände und Gewerf= schaften; Streifverbote; Einsetzung von Aus= nahmegerichten; Geldstrafen von 10 000 bis 20 000 Pesetas; Absehung von Beamten und Auflösung der Beamtenverbände; Verbot von Zusammenrottungen; Verhaftung ohne Angabe von Gründen; zwangs= weiser Wechsel des Wohn- oder Haftortes; Aufhebung des Vereins- und Gewerkschafts­rechts.

Kriegsschiff gekentert

113 Mann umgekommen?

DNB. London  , 13. März. Wie Reuter aus Tokio  meldet, befürchtet man, daß von der Bejagung des gefenter: ten Zerstörers Tomotsurs" in Stärke von 118 Offizieren und Mannschaften tatsächlich niemand mehr am Leben ist. Der Zerstörer trieb bei Eintreffen der Hilfsschiffe fieloben in der See. Ein Teil der Mannschaft befand sich lebend im Schiffsraum, da auf Klopffignale noch geantwortet wurde. Am Montagabend verstummten die Zeichen, obwohl die Rettungsmannschaften Luft in den Schiffsraum pumpten. Das Wrack wurde in die Bucht von Sasebo   geschleppt, wo man versuchen will, die Toten und die etwa noch am Leben Gebliebenen zu bergen. 0

Unternehmers immerhin ablehnen. Dann kann, wenn er will, der, Treu­händer", also der Staat eingreifen. Er kann selbst einen Vertrauensrat bestellen, er kann es auch unterlassen; dann gibt es eben keinen Vertrauensrat...

Das ist, wie man sieht, nicht viel. Immerhin: Abstimmung, geheime Wahl- und ,, die Verkörperung von Lüge, Feigheit und Dummheit entscheidet". So steht es natürlich nicht im Gesetz; dort heißt es kürzer ,, Mehrheit".

In der Tat hat diese Mehrheit praktisch soviel zu sagen wie etwa die Mehrheit im Vorkriegsreichstag, nämlich nichts. Aber das sagt sie kraftvoll.

Das neue Gesetz hat seine Bedeutung als Ausschlag des Stimmungsmanometers. Moderne Großbetriebe sind in Deutschland   immer noch eine dem Nationalsozialismus inner­lich fremde Welt. Es ist die Welt einer ewig aufsässigen Arbeiterdemokratie. Hier muß zumindest so getan werden, als ob es noch demokratische Entscheidungen gäbe. Sieht man sich die Bestimmungen genau an, dann erkennt man sofort: keine Entscheidung erlangt praktische Wirksamkeit, die sich gegen den Willen der Führung" richtet. Die Mehr­heit kann dagegen genau so viel tun, wie ein Mann, den man mit zusammengebundenen Händen und Füßen ins Wasser wirft und von dem man sagt: wenn er ein Kerl ist, wird er schon schwimmen.

,, Lüge, Feigheit und Dummheit", sagt der Herr Reichs­kanzler. In der Tat, eine Volksmehrheit, die von oben so erfolgreich angelogen, irregeführt und eingeschüchtert wird, das ist die einzige Sorte Mehrheit, die der Faschismus sich vorstellen kann; weil es die einzige ist, mit der er regieren vermag. An dem Tage, an dem die Mehrheit sich wieder Wahrheit, Einsicht und Selbstvertrauen erzwingt an dem Tage ist es mit dem Faschismus zu Ende.

Und dieser Tag kommt bestimmt.

ZIL

-

Argas.