Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit" Ereignisse und Ges diicfiten

Das bunte Kleid

Von Thomas Mann  

Wir veröffentlichen ein Kapitel aus dem zweiten Band des Joseph- Romans von Thomas Mann  , der bei S. Fischer( Berlin  ) demnächst erscheint. Nicht, wie vorgesehen, zu den Erntearbeitern, sondern schon zur Nacht des Frühjahrsvollmondes kehrten die Lea­Söhne Hals über Kopf von den Weiden Schekems nach Hebron   zurück. Sie kamen angeblich, um das Pesach- Schaf mit dem Vater zu essen und mit ihm den Mond zu beob­achten, in Wirklichkeit aber, weil sie eine aufregende, alle Brüder nahe angehende Nachricht empfangen hatten, von deren Wahrheit sie sich unbedingt sofort an Ort und Stelle mit eigenen Augen überzeugen mußten, ob nun etwas daran zu ändern war oder nicht. Die Sache war dermaßen wichtig und erschreckend, daß die Söhne der Mägde nichts Eiligeres zu tun gehabt hatten, als einen der Ihren abzuordnen und ihm die viertägige Reise von Hebron   nach Schekem zuzu­muten, nur damit er den Fernen die Kunde bringe. Selbst­verständlich hatte man Naphtali  , den Geläufigen, mit der Botschaft betraut. Im Grunde war es, die Schnelligkeit an­gehend, ganz gleichgültig, wer reist. Auch Naphtali   ritt zu Esel, und ob ein Paar langer oder kurzer Beine an den Seiten des Esels herunterhing, machte, genau genommen, nic.ts aus: der Weg nahm jedenfalls ungefähr vier Tage in Anspruch. Aber Naphtali, Bilhas   Sohn, war es nun einmal, mit dessen Person die Vorstellung der Geläufigkeit ver­bunden war; die Rolle des Boten war nach feststehender Uebereinkunft die seine; und da auch seine Zunge geläufig war, so traf schon zu, daß wenigstens im letzten Augenblick die Brüder durch ihn den Sachverhalt etwas schneller er­fahren würden als durch einen anderen.

Was war geschehen? Jaakob hatte dem Joseph ein Ge­schenk gemacht.

Das war nichts Neues. Dem ,, Lamm", dem, Reis", dem ,, Himmelsknaben", dem, Sohn der Jungfrau", oder wie die eigensinnig gefühlvollen väterlichen Bezeichnungen für den Steineleser nun lauteten, war von jeher unter der Hand an Sondergaben und zärtlichen Aufmerksamkeiten, an Lecke­reien, hübschen Töpferstücken, Huldsteinen, Purpurschnüren, Skarabäen dies und jenes zugekommen, was dann die Brü der mit finsteren Brauen in seinem lässigen Besitz sahen und um was sie sich verkürzt fanden; an Ungerechtigkeit, eine grundsägliche und fast lehrhaft betonte Ungerechtigkeit, hatten sie Muße gehabt, sich zu gewöhnen. Dies aber war ein Geschenk von aufschreckender Art und eines, wie zu befürchten stand, entscheidenden Sinnes; es bedeutete einen Stoß vor den Kopf für sie alle.

Hier ist der Hergang. Es war Zeltwetter, die Spätregen waren in Gange gekommen. Jaakob hatte sich nachmittags in sein ,, härenes Haus" zurückgezogen, dessen verfilztes Ge­webe, schwarz, mit Ziegenhaar, über neun feste Stangen ge­spannt und mit starken Seilen an den gerammten Pflöcken befestigt, vollkommenen und sicheren Schutz vor der Segens­nässe bot. Es war das größte der ziemlich weit verteilten Siedlung, und als reicher Mann, der darauf hielt, den Frauen ein eigenes Obdach zu bieten, bewohnte der Herr es allein, obgleich es durch ein an den mittleren Pfählen von vorn nach hinten durchgezogenes Gehänge in zwei Räume geteilt war. Der eine diente als Privatmagazin und Vorratskammer: Kamelsättel und-taschen, unbenutzte Teppiche in gerolltem und zusammengelegtem Zustande, Handmühlen und anderes Gerät lagen umher, und Schläuche mit Getreide, Butter, Trinkwasser und aus eingeweichten Datteln gekeltertem Palmwein waren aufgehängt.

Die andere Abteilung war der Wohnraum des Gesegneten und zeigte im Verhältnis zu der halbbeduinisch lockeren Lebensform, an der er festhielt, viel Wohnlichkeit. Jaakob brauchte diese. Seine Ablehnung weichlicher Bindung durchs Städtische hinderte nicht, daß er einiges Behagens bedurfte, wenn er sich zu Betrachtung und denkerischer Gottesarbeit

Freitag, den 16. März 1934

019119) Fragen an einen Kapitalisten

vor der Welt in sein Eigenstes zurückzog. Auf der Vorder­seite in Manneshöhe offen, war das Gemach am Boden mit Filz und darüber noch mit Teppichen in Buntwirkarbeit warm bedeckt, von denen andere sogar die Wandgehänge über­kleideten. Ein Bettlager, mit Decken und Kissen belegt, aus Zedernholz, stand auf erzenen Füßen im Hintergrunde. Mehrere Tonlampen auf verzierten Untersätzen, flache Scha­len mit kurzen Schnauzen für die Dochte, brannten hier im­mer, denn armselig und einem Gesegneten nicht anständig wäre es gewesen, im Dunklen zu schlafen, und auch bei Tage unterhielt die Bedienung immer das Oel, damit nicht eine Redensart, die schlimmen Untersinn hatte, auch nur im eigentlichen Sinn anwendbar würde und man nicht sagen könne, Jaakobs Lampe sei erloschen. Bemalte Henkelkrüge

aus Kalkstein standen auf dem flachen Deckel einer Truhe aus Sykomorenholz, deren Wände mit blau glasierten Ton­einlagen geschmückt waren. Der Deckel einer anderen, ge­schnitten und beschriebenen Truhe auf hohen Beinen da­gegen war gewölbt. Es fehlte nicht an einem glühenden Kohlenbecken im Winkel, da Jaakob zum Frösteln neigte. Stuhlhocker waren vorhanden, dienten aber selten zum Sitzen, sondern vielmehr zum Abstellen von Gebrauchsdingen: ein kleiner Räucherturm stand auf einem, aus dessen fenster­

artigen Oeffnungen feine, nach Zimt, Styraxgummi und Gal­

Wenn du stolz durch Vestibüle wandelst, Wenn du selbstbewußt dein Scheckbuch ziehst, Wenn du im Privatkontor verhandelst Oder in ein Luxusbad entfliehst.

Wenn du eine Limousine steuerst, Wenn im Frack du vor dem Spiegel stehst Wenn du mit Champagner dich befeuerst Oder zu der, teuren" Freundin gehst.

Stören da nicht manchmal die Gedanken An der armen Brüder Erdenleid, An die Schwestern, die vor Hunger wanken, Deine satte Selbstzufriedenheit?

Fühlst du nicht, daß deine Prunkgemächer Eine dunkle Räuberhöhle sind? Zitterst du nicht manchmal vor dem Rächer Oder bist du wirklich taub und blind?

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Du bist einer von den frechen Dieben, Die ein Schurkenstaat vor Strafe schützt, Die ein ,, Recht", das sie sich selbst geschrieben, Wirkungsvoll beim Stehlen unterstützt.

Die mit Polizisten und Soldaten Gegen die beraubten Opfer zielen Und vor Gott  , den täglich sie verraten, Henchlori schönen Kirchen knien.

banum duftende Rauchwolken hervorkräuselten: ein anderer trug einen Gegenstand, der von der Wohlhabenheit des Be­sitzers zeugte: ein wertvolles kunstgewerbliches Gerät phöni­zischer Herkunft, golden, eine flache Schale auf zierlichem Das ist der mensch"

Untergestell, das dort, wo man es mit der Hand umfaßte, eine musizierende Frauenfigur zeigte.

Jaakob selbst saß mit Joseph in der Nähe des Eingangs auf Polstern an einem niedrigen Taburett, auf dessen gra­vierter Bronzeplatte das Brettspiel aufgeschlagen war. Er hatte den Sohn zu diesem Zeitvertreib, bei dem früher Rahel seine Gegenspielerin gewesen war, zu sich gerufen. Draußen rauschte auf Oelbäume, Busch und Stein der Regen nieder, der nach Gottes Gnade dem Korn des Tales die Feuchtigkeit verlieh, die es brauchte, um die Sonne des Frühsommers bis zum Schnitt zu ertragen. Der Wind klapperte leicht mit den Holzringen am Zeltdach, an denen die Spannseile befestigt Holzringen am Zeltdach, an denen die Spannseile befestigt

waren.

Joseph ließ den Vater im Spiele gewinnen. Er war absicht­lich ins Feld ,, Böser Blick  " geraten und dadurch so in Rück­stand und Nachteil gekommen, daß Jaakob, zu seiner ange­nehmen Ueberraschung denn er hatte mit großer Unauf­merksamkeit gespielt ihn schließlich schlug. Er gestand seine Zerstreutheit ein, und daß das Glück mehr Anteil an

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diesem Ende gehabt habe als sein Scharfsinn.

,, Wärest du nicht so zeitig zu Falle gekommen, Kind," sagte er ,,, so hätte ich notwendig unterliegen müssen, denn meine Gedanken schweiften ab, und ich habe schwere Fehler begangen, du aber hast sinnreich gezogen und nichts ver­säumt, dein Mißgeschick wieder gutzumachen. Deine Art zu spielen erinnert sehr an Mamis, die mich so oft in die Enge trieb. Sowohl ihre Art, beim Nachdenken den kleinen Fin­ger zu beißen, wie auch gewisse Listen und Kunstgriffe, die sie liebte, erkenne ich zu meiner Rührung bei dir wieder."

,, Was hilft's?" antwortete Joseph und reckte sich, indem er den Kopf zurücklegte, einen Arm zur Seite streckte und den anderen zur Schulter bog. ,, Der Ausgang spricht gegen mich. Da das Väterchen obsiegte bei zerstreuten Gedanken, wie wäre es dem Kind erst ergangen, hätte es deine volle Auf­merksamkeit gegen sich gehabt? Der Gang wäre rasch zu Ende gewesen."

Jaakob lächelte. ,, Meine Erfahrung," sagte er, ,, ist die ältere und meine Schule die beste, denn schon als Knabe habe ich mit Jizchak gespielt, deinem Großvater meinerseits, und später gar oft mit Laban, deinem Großvater von seiten der Lieblichen, im Lande Naharajim, jenseits der Wasser, der ebenfals ein Spieler von zäher Ueberlegung war."

Roman von Andrée Malraux

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Horatio.

Ein Dichter des jungen Frankreich   hat die offizielle Be stätigung seines Werks und verdienten leuchtenden Ruhm gefunden: Andrée Malraux, dessen Roman ,, La condition humaine" mit dem Prix Goncourt  ", der bedeutendsten französischen   Literaturauszeichnung, gekrönt wurde. La condition humaine" ,, Das ist der Mensch", erscheint im April 1934 im Europa- Verlag, Zürich  , der damit der zeit­genössischen deutschen Lesergemeinde ein Werk in die Hände gibt, in dem für die französische   Literatur erst malig der großartige Versuch gewagt und eindeutig ent­schieden wird, Analyse und Tat, bisher als entgegengesetzte Pole gewertet, in einem Atem zu bannen. Malraux   zeigt mit aller notwendigen Klarheit, daß eine gutgewählte Handlung, spannend, und bis zum erregenden Ende geführt, die geistige Wahrheit am tiefsten enthüllt. La condition humaine" spielt in Shanghai   im Frühjahr 1927, zur Zeit der proleta­rischen Aufstände in ,, jenem Volk der Geschwüre, der Tuber­kulose und des Hungers". Wesentlicher als dieser Hinter­grund, der bewegt ist wie ein Film, ist die Art, wie jede Figur, die an seinem Geschehen teilnimmt, in dieses eintritt. Keine und keines ist nicht wichtig genug, ganz gleich, ob es sich um den mitleidlosen Terroristen Tschen oder um den berauschten Theoretiker Gisoẞ handelt. Es bleibt schwer, Malraux   zu erklären: er ist Revolutionär, und doch bewegt er zuerst und am innigsten als Dichter. Mit wie viel Zart­heit ist die Liebe Kyos zu May gleichsam in duftigen Aquarell­tönen gemalt; wie herbinnig ersteht Katows Händedruck an dem Kameranden, den er tötet, um ihn zu retten. Malraux  analysiert; aber sein Genie trägt ihn fort zu Synthesen und Mythen; er ist skeptisch, und besingt doch die Tat, die Herausforderung, letzten Endes den Glauben. Sein Werk möchte man als die Erneuerung des tragischen Willens, oder als die kritische Tragödie des Willens betrachten, geschrieben von einem Vertreter des geistigen Frankreich  , den kennen und schätzen zu lernen erregendes Zeiterlebnis sein wird. Albert Ehrismann  

später gar oft mit Laban, deinem Großvater von seiten der Johst als Auslandspropagandist

Klage des Lorbeerbaums

Ich zornsinge wie der sterbende Schwan

Meine Wutklage in diese Nacht,

Welche, statt Sonnenlichts, die brutale Macht Ausbreiten und Wahrheit verdrängt durch Wahn. War ich edler Lorbeerbaum

Nicht des Ruhmes grünster Traum?

In Schweinefressen

Habt ihr mich vergessen.

Mit meinen Blättern habt ihr Stirnen gekrönt, Deren jede den Ruhm verhöhnt.

Europa  , blödes Tirol, worin ich verwildre! Wie muß ich seufzen, wenn ich euch schildre, Welche Häupter ich hier ziere,

Deren Schädel, gefüllt mit alldeutschem Biere, Nie andern Appeal erlebt als den von Sex

Ich bin( wie der Jude) asiatisches Gewächs,

Aber( wie mit dem Juden?) wär's heut mit mir ex?

Müssen meine Ruhmestage verbleichen? Lieber diente ich nur gegen Fliegenplage Oder balsamierte nur Leichen,

Als daß der German Harthaupt und Hannsheinzalraune Mich mißbrauchen zum heis'ren Klang ihrer Ruhmes­posaune;

Als daß ein Benn mich binde an seinen eitelen Schwanz, Und die Johste mich schwenken in ihrem dummen Tanz. Meinen bittren Duft, meine ätherischen Oele Verbrauch' ich in der Hitlerschen Trauerhöhle, In der der relativistische Ruhm

Rassisch durchsudelt das Menschentum.

Zur Klosettbürste habt ihr meine Zweige gewunden,

Für ar'sche Marsyasse, von Apoll   geschunden.

Aber ich bin kein genordeter Arier,

Bin Asiate, südlicher- Vegetarier

Mit Geistesekel vor eurem berühmt strammen Fleisch, Das ihr umwertet zum Geist mit Lügengekreisch. Mitten in eure stinkigen Ruhmesflammen Brause ich: Ruhm, Juda und Geist gehören zusammen. Ruhm krönt mit Lorbeer keinen Antisemiten. Pöbelruhm verwechselt ihr mit Ruhm, sterbliche Banditen. Juda gebar eure tiefste Kultur,

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Und eure Barbarei heilt Juda nur­

Was ist euer Kant- und wenn ihr mich steinigt- Als Moses, durch Marcus, den Juden, gereinigt! Ernst Marcus   rektifiziert( alles andre ist Stuẞ) Den jüdisch- christlichen Spiritus.

Der Lorbeer winkt Kant durch Juda und Marcus erst jeto, Und eure Arierkultur war nur schmutziges Intermezzo. Dann erst ist gesorgt, daß der Lorbeerbaum in den Himmel wachse,

Zum Sternenruhmbaum erblüh', um den( besser als um Ygdrasil) als Achse

Die Erde rotiert in der Sonne   Strahlen,

Und

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statt eures albernen Ruhmes Prahlen Mein Lorbeer die Menschheit krönt vom Pescheräh bis zum Germanen,

Der im Judentum sucht seines Geistes Ahnen:

Es wölbt sich der Kultur triomphalis arcus Von Moses über Spinoza   zu Kant- Marcus,

Oh nordischer Christenmensch, du sollst mich nicht länger benutzen,

Um meinen Kranz mit gemeiner Stirn zu beschmutzen! Ich zornsinge( wie der sterbende Schwan)

Meine Wutklage in diese Nacht,

Welche, statt Sonnenlichts, die brutale Macht Ausbreitet und Wahrheit verdrängt durch Wahn.

Mynona  

Der entlassene Dramaturg des Staatstheaters Hanns Johot hielt in Kopenhagen   und Stockholm   Vorträge über ,, Deutsche Dichtung", worüber der Völkische Beobachter" sich be­richten läßt: Gerade, weil er sich dessen bewußt sei, daß die Unkenntnis des Auslandes, auch heute noch die kultur. politischen Repräsentanten des neuen Deutschlands   als un­geschlachte Grobiane und rücksichtslose Antisemiten be trachte, die statt mit dem Füllfederhalter zu schreiben ein germanisches Schwert in nur rote Tinte tauchten, müsse und wolle er Hanns Johst   zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses alles vermeiden, was diesem Verständnis hinderlich wäre."

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Von diesem Grundsatz ausgehend, hat der Nazipropagandist Johst es für zweckmäßig gehalten, die berüchtigte Pogrom­szene aus seinen ,, Propheten" nicht vorzulesen.

Zeit- Notizen

Scheiterhaufen in Oesterreich  

Die Arbeiterbüchereien Wiens werden zur Zeit von allen ,, marxistischen  " Büchern gereinigt". Rassen- Strafrecht

Auf der Jahresversammlung der Württembergischen Ver einigung für polizeiwissenschaftliche Fortbildung" erklärte der Kriminalrat Dr. Schmid, daß das neue Strafrecht be­deutungsvolle Bestimmungen zur Reinhaltung der deutschen. Blutsgemeinschaft enthalten werde, die die geschlechtliche Verbindung mit rassefremden Elementen verbieten.

Der Name

Die gleichgeschalteten Hunde beschlossen, einen Vergnü­gungs- und Sportklub zu gründen, hauptsächlich für Rasen­spiele. Auch Fußball sollte gepflegt werden nach einer neuen Spielregel, bei der es nicht auf die Zahl der Tore, sondern auf die der( dreibeinigen) Ecken ankommt. Nur über den Namen des Vereins konnte man sich lange nicht einigen, und es wurde viel hin- und hergebellt. Schließlich wurde ein Vorschlag gemacht, der augenblicklich durchging. Der neue Verein heißt: Kraft durch Räude".

Mucki,