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Freiheit
Einzige unabhängige deutsche Tageszeitung
INSERATEN- ANNAHME für Frankreich ( ausschließlich Elsaß- Lothringen ): Publicité Metl , Paris ( 3e) 51, rue de Turbigo( Ecke rue Réaumur. Metro: Arts- et- Métiers). Telephon: Archives 84-95, 84-96, 84-97 Chefredakteur: M. Braun
Nummer 68-2. Jahrgang Saarbrücken - Paris , Donnerstag, 22. März 1934
Aus dem Inhalt
50 Arbeiter verunglückt
Um Sicherheit und Sanktionen
Seite 2
Aufstand der Gescheiterten
Seite 3
Wie Ljapidewsky gecettet wurde
Seite 4
Die Mack im Jaumel
Seite 7
Friedensbriefe Gestern und fente
zwischen Nordamerika und Japan
Washington, 21. März. In Washington und Tokio wurde gleichzeitig ein Briefwechsel zwischen dem japa nischen Außenminister und dem Staatssekretär für Auswärtiges Hull veröffentlicht, in dem beide Staatsmänner dringend wünschten, daß die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gefördert würden.
In dem rein persönlichen Brief, der am 21. Februar Staatssekretär Hull von Saito übergeben worden ist, sagte Hirota, er hoffe, daß die Freundschaft zwischen den beiden Ländern fortdauere. Zwischen den Vereinigten
Staaten und Japan bestehe im Welthandel feine Konkurrenz.
vielmehr sei jeder Staat ein guter Kunde des anderen. Er sei der Ansicht, daß zwischen den beiden Staaten keine Frage bestehe, die grundsäßlich unlösbar sei. Japan , das wolle er besonders betonen, wolle mit allen Staaten in Frieden und
Harmonie leben und beabsichtige nicht, einen Streit mit irgend einer anderen Macht zu entfesseln.
In dem Antwortschreiben des Staatssekretärs Hull vom 3. März heißt es u. a., er schäße die Aeußerungen Hirotas, die von freundschaftlichem Getste zeugten. sehr hoch und sei zu weitestgehender Zusammenarbeit zum Zwecke einer Förderung der freundschaftlichen Beziehungen Japans zu anderen Ländern durchaus bereit. Amerika begrüße es, daß Japans Friedenswillen betont worden sei, und er hoffe, daß alle am Fernen Osten interessierten Länder alle dort bestehenden oder auftauchenden Probleme in diesem
Geiste betrachteten und zu lösen versuchten. Durch Vermittlung von Botschafter Saito werde er gern Vorschläge entgegennehmen, die darauf hinzielten, Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung von Freundschaft und Frieden zwischen allen Nationen zu ergreifen.
Auf ein Jahrhundert vertagt
Das Scheitern der„ Idee" des Nationalsozialismus
Der Betrug, der hüllt sich täuschend ein in große Worte und in der Sprache rednerischen Schmuck." Das gilt für die Flut von nationalsozialistischen Reden, die seit Tagen wieder über uns niedergehen.„ General" Göring hat zu einem Vertreter der französischen Zeitung„ Le Jour" gesprochen und seine Bekehrung vom Kriegsgott zum Der korrupte ReichsjustizFriedensengel versichert. minister und Reichsjuftigkommissar Dr. Frank hat über alle deutschen Sender den deutschen Rechtsstaat" gefeiert. Der Propagandaminister Dr. Göbbels in Berlin , der Reichsführer der SS. Himmler , der alleroberste Stabschef Röhm und der Reichskanzler selbst haben in München ,, Revolutionsappell" mit flammenden Reden abgehalten. Allen diesen Reden ist eine Stimmung der Unficherheit gemeinsam, die bis vor kurzem bei den Nationalfozialisten nicht zu spüren war. Die Kluft zwischen Jbee und Wirklichkeit ist tief aufgerissen. Es wird immer schwieriger, die enttäuschten Anhänger zu beruhigen. Lassen wir zum Beweis den Mann mit den
mit Maschinengewehren zum Schweigen gebracht wird. Es wird dann auf den Augenblick warten, da die Regierung eine internationale Krise erlebt.
,, Demokratie"
Nicht bezweifeln kann man, daß wir in Deutschland wieder auf einem festen Ideenboden stehen. Die Stärke des Nationalsozialismus ist es, daß er zwei verschiedene Anfichten über ein und denselben Gegenstand nicht fennt.
Das Ausland wirft uns vor, daß in Deutschland die Demokratie vernichtet sei. Mittlerweile haben wir aber als einzige Regierung den Mut gehabt, das Volk dreimal in einem Jahre an die Wahlurne zu rufen.
... wäre es besser gewesen, der Nationalsozialismus wäre nicht gekommen
Das, was vor uns steht, ist schwerer als das, was hinter uns liegt. Wenn wir nicht die Kraft haben, das Reich zu sichern, daß wir es einmal beruhigt in die Hände unserer Nachfahren legen können, wäre es besser gewesen, der Nationalsozialismus wäre nicht gekommen.
schlauen Formulierungen, Herrn Dr. Göbbels , sprechen: Ein Jahr und seine Jahrhunderte
Idee ,, an sich" und Tempo
Deshalb gibt es für die Bewegung auch niemals einen Abstrich von der Idee an sich. Es kann sich höchstens um die Frage handeln, in welchem Tempo und in welchem Umfang in einer bestimmten Lage die Idee in das reale Leben übersetzt werden kann. Die Idee an sich ist unversehrt und unantastbar. Mit Abstrichen verLöre sie sofort ihren revolutionären Charakter. Weil wir recht haben, hat die Opposition Unrecht
Da wir Nationalsozialisten überzeugt sind, daß wir recht haben, können wir auch neben uns feinen ande= ren dulden, der behauptet, er hätte recht. Denn wenn er auch recht hat, muß er Nationalsozialist sein, oder aber er ist nicht Nationalsozialist; dann hat er auch nicht recht.
Die Deutschen lieben es, über die Regierung zu schimpfen. An sich ist das nicht tragisch zu nehmen; denn wenn es hari auf hart geht. stehen sie doch immer wieder in Reih und Glied.
Die Angst vor der Katastrophe
Aber ein Volk tritt nicht hinter die Regierung, wenn es
Wir werden den Nationalsozialismus nicht erleben
Aus der sonst ganz inhaltlosen Rede des Reichskanzlers auf dem„ Revolutionsappell" heben wir zwei Stellen hervor.
Der Phraseur
An was sich Jahrhunderte nicht wagten, woran ein halbes Jahrtausend scheiterte, was Generationen versuchten und was ihnen nicht gelang, das haben wir in einem Jahr geschaffen."
Und was ist geschaffen? Das wird leider nicht gesagt. Bielleicht meint er die Reichseinheit, aber die Grenzpfähle im Innern Deutschlands stehen noch und die Länder regierungen sind und bleiben im Amt.
Der Geknickte
Man wird dabei nicht Nationalsozialist in einem Jahr, sondern es sind viele Jahre notwendig, und Generationen werden wohl vorübergehen, bis wir das Siegeszeichen unseres Reiches eingegraben haben in alle Herzen. Und dann erst ist die nationalsozialistische Revolution gelungen und das deutsche Volf endgültig gerettet.
,, Wehrwoche"
Die Reichswehr als militärisches Propaganda- Institut
Im„ Heimat- Boten", Landes- Chronik des Schwarzwälder Boten aus Württemberg , Baden und Hohenzollern , lesen wir: Ludwigsburg , 18. März. Die Stadt Ludwigsburg hatte am Sonntag, einem der Haupttage der vom Standortkommando Ludwigsburg veranstalteten Wehrwoche, einen Massenbesuch aufzuweisen, wie sie ihn in den Jahren nach dem Kriege faum mehr erlebt haben dürfte. Wohl 15.000 bis 20000 Menschen aus der Landeshauptstadt und der ganzen Umgebung batten sich als Besucher der großen militärischen Vorführungen teils im Schloßgarten einge
funden, teils umfäumten sie die umliegenden Straßen und Pläge als Zaungäste, da es infolge Plazmangels unmöglich war, sie alle in den Schloßgarten einzulassen. Das Interesse an dieser Veranstaltung ging über die fühnsten Hoffnungen der militärischen Leiter hinaus. Auch der Wettergott hatte ein gnädiges Einsehen, so daß sich die Vorführungen ohne den prophezeiten Regen abwickeln konnten. Vor dem Mitteltraft des Schlosses befand sich die Ehrentrübine, auf der
Fortsetzung siehe 2. Seite
Mancher wird es nicht ohne ein bißchen Wehmut vernehmen: Tante Voß beschließt ihre langen und zuletzt nicht mehr glanzvollen Tage.
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ist Größeres seit einem Jahr zu Bruch gegangen als die ,, Vossische Zeitung", diese geistige Hausapotheke in Ullsteins Nachrichten und Unterhaltungsfabrik. Unendlich mehr als dieses Blatt, das seit einem Jahr den fremden Eroberern mit einer Bereitwilligkeit diente, die eine Beschimpfung seiner eigenen Vergangenheit war. Und doch gistriert es anders als andere Betriebsunfälle der Gleichgeschalteten. Ein Stück deutscher Geistesgeschichte endet. Die Vossische Zeitung" will im Jahre 1704 entstanden sein. Sie wäre also älter als das preußische Königtum und hätte es um 15 Jahre überlebt. Die Zahl 1704 war an der Spite jeder Ausgabe zu lesen. Natürlich steckte ein wenig flunkernde Koketterie in diesem mehr als zweihundertjährigen Zeitungskopf, der sich gewissermaßen eine AllongePerücke von ehrwürdigem Grau übergestülpt hatte. Die moderne ,, Vossische Zeitung" hatte mit der ehemaligen Kgl. Privilegierten Zeitung für Staats- und Gelehrte- Sachen so
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wenig zu tun, wie etwa Hitlers ,, Völkischer Beobachter", der an der Spitze jeder Ausgabe mehr als 40 Jahre alt zu sein be. hauptet, mit dem vergessenen ,, Münchener Beobachter". Dennoch war so etwas wie eine verpflichtende Vergangenheit da. An der alten klg. Privilegierten hatte Lessing mitgearbeitet. Gotthold Ephraim , der Aufklärer, Humanist, Frei maurer , Tyrannenfeind kurz, das kolossalste Konzentrationslager wäre ihm heute sicher. Ein Typ, der zu seiner Zeit ganz anders wirkte, aber beim Rückblick aus dieser wüsten Epoche in Lessings Nähe rückt, war Theodor Fontane . Er arbeitete hundert Jahre später an der Voß. Sie war damals ein königstreues und konservatives Blatt, und Fontane war bekanntlich aus bürgerlicher Haltung heraus konservativ. Aber diese Art von preußischen Königstreuen des 19. Jahrhunderts schwärmte nicht nur für Thron und Altar, sondern auch für Verstand und Bildung. Und hätte nie Irrsinn mit Genie verwechselt, was dem Jahrgang 1933 der Voß vorbehalten blieb.
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Die Vossische Zeitung" war erst 1913 an Ullstein über. gegangen. Der Ullstein- Konzern war schon damals eine Anstalt für geistige Massenkonfektion und er ist es in den folgenden Jahren geblieben. Unerhört virtuos wurde das gemacht. Ein Stück dieser Virtuosität war auch die Zugehörigkeit der scheinbar ganz anders gearteten Vossischen Zeitung". Man wollte zeigen. daß man alles konnte, sogar ein Kulturblatt machen. An der Voß haben nicht nur glänzende Journalisten, sondern auch Menschen von geistigem Rang, der über journalistisches Können hinausragte, gearbeitet. Trotzdem auch diesem Kulturblatt sah man die Konfek tionsarbeit der Fabrik Ullstein noch irgendwie an den Knopflöchern an. Die Voß war seit Jahr und Tag ein Zuschußbetrieb, der die Brüder Ullstein viel Geld kostete. Man hat gesagt, sie hielten sich das feine Blatt, wie andere reiche Leute ein Rennpferd hielten. Das war ein Irrtum. Vor einigen Jahren sprach einmal ein Feuilletonredakteur der Voß im Zeitungswissenschaftlichen Institut einer süddeutschen Universität. In der Diskussion wurde er gefragt, warum eigentlich die Vossische Zeitung" alle UllsteinBücher lobe. Ja, warum wohl? Aus dem gleichen Grunde, aus dem sie Ullstein- Fahrpläne empfahl, seine Schnittmuster anpries, auf seine Gesellschaftsreisen aufmerksam machte und jeden Donnerstag schrieb: Berliner Illustrirte heute neu. Solange diese wichtigsten Geschäftszweige blühten, verdiente auch die ,, Vossische Zeitung" ihr Geld. Ihr Einfluß auf das kaufkräftige Berliner Publikum war den Zuschuß wert.
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Vor einigen Jahren flog aus dem Blatt ein Filmkritiker hinaus, weil er sich weigerte, einen schlechten Film zu loben. Damals prägte ein Gewaltiger des Hauses, das Wort: Film sei soviel wie Stiefelwichse. Darüber schreibe man keine Kritik, sondern man mache eben Reklame dafür.
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Auch das ,, dritte Reich" ist dem Hause Ullstein Stiefelwichse gewesen. Die Redakteure viele waren schon vorher gegangen mögen sich ihr Teil gedacht haben. Aber sie machten Reklame. Nun ist auch das aus. Argus.
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Feders Warenhäuser.
Berlin , 20. März. Der„ Ueberblick", das Organ des Reichsverbandes der Groß- und Mittelbetriebe im Einzelhandel, veröffentlicht eine bedeutsame Aeußerung von Staatssekretär Feder zur Warenhausfrage, die kürzlich anläßlich eines Vortrages vor der Zentrale der Hausfrauenvereine GroßBerlins gefallen ist. Danach führte der Staatssekretär aus: Nach der Reinigung des Warenhauses werde allerdings der Nationalsozialismus seine Hand halten müssen über die Organisationsform des Warenhauses, über die noch nicht das letzte Wort gesprochen sei. Die Nachteile hätten sich daraus ergeben, daß der Jude sich zwischen Erzeuger und Verbraucher eingeschlichen und so einen unnatürlichen Zustand geschaffen habe."