Aufstand der Gescheiterten

no

Kapitel aus: ,, Revolte und Revolution" von Georg Decker

In Kürze erscheint im Verlag Graphia", Karlsbad , eine 36 Seiten umfassende Schrift von Georg Decker : Revolte und Revolution- Der Weg zur Freiheit." Wir werden auf diese ungewöhnliche Publi­tation in Kürze eingehend zurückommen. Heute ver: öffentlichen wir daraus das Vorwort und ein be: sonders bemerkenswertes Kapitel: Der Aufstand der Gescheiterten."

Das Vorwort

Wer leuchten will, muß brennen!

Auch wenn das Blut siedet, muß der Kopf fühl bleiben. Keiner, der eine geschichtliche Entwicklung, von der er selbst betroffen wird, verstehen will, darf diesen Grundsaz vergessen. Man darf aber auch nicht in den entgegengesetzten Fehler verfallen und sich einbilden, daß die ganze Erkennt nis vom fühlen Kopf allein kommen fann. Auch das Gefühl ist eine unentbehrliche Quelle der Erkenntnis.

Falsch ist die Vorstellung, daß man weder lieben noch haffen soll, um verstehen zu können. Namentlich in den Zeiten großer Ausbrüche der Massen gibt es ohne Liebe und Haß, ohne Miterleben dieser oder jener Art feine Möglichkeit, das menschliche Verhalten zu begreifen. Ohne Leidenschaft kann man nicht die Zeit erfassen, in der die menschlichen Leidenschaften alle Grenzen sprengen und den

Wahnsinn zum obersten Prinzip des Handelns zu erheben

scheinen.

Süten wir uns vor jener zu rationellen Einstellung, die uns jahrelang am richtigen Verstehen dessen, was geschah, hinderte! Wir haben gute Analysen gehabt, die uns die Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen aufzeigten und ihre politische Einstellung aufflärten. Keine Analyse vermochte aber uns eine Vorstellung davon zu geben, bis zu welcher Hitze die menschlichen Leidenschaften fochten.

Dies aussprechen heißt nicht, einer Geringschätzung des analytischen Denkens Ausdruck geben. Das analytische Denken darf jedoch eines nie übersehen: Damit die entschei­denden Handlungen entstehen können, müssen sich die Ge­danfen in leidenschaftliche Gefühle verwandeln und sich zu einem mächtigen Willen formen. Das Geheimnis" des nationalsozialistischen Erfolges bestand darin, daß der Nationalsozialismus die Leidenschaften zu schüren und den Willen der Massen zu formen verstand, wie keine andere Partei oder Bewegung.

Es genügte nicht, die Voraussetzungen der Unzu friedenheit der Massen festzustellen, die mit Recht aus den materiellen Bedingungen ihres Daseins abgeleitet werden. Darüber hinaus bedurfte es einer Erfassung der besonderen pinchologischen Atmosphäre, die in Deutschland entstand. Und diese Atmosphäre fonnte man entweder durch Mitgefühl oder durch haẞerfüllte Ablehnung, am besten durch beide zu sammen, auf jeden Fall aber nur durch das leidenschaftliche Erleben erfassen. Es genügt jetzt nicht, die Voraussetzungen der schon vorhandenen und stark verbreiteten unzufrieden­heit zu prüfen, sondern es muß der Weg gefunden werden, diese Unzufriedenheit in politische Leidenschaft und einen fanatischen politischen Willen umzuwandeln.

Suchen wir nach diesem Weg, so gelangen wir unvermeidlich an den Punkt, von dem ab uns die Analyse der materiellen Voraussetzungen und die Erkenntnis der verletzten Inter­effen nicht weiter führen können. Es wird sich nämlich Herausstellen, daß das Ziel des Kampfes für die Kämpfenden als des höchsten Einsatzes wert erscheinen muß, so daß sie nicht mehr berechnen, was sie zu gewinnen oder zu verlieren haben, sondern aus ihrer Leidenschaft heraus bereit sind: zu siegen oder alles zu verlieren- alles, das heißt auch das Leben selbst. Es kann sich also nur um die Dinge handeln, die als höhere Werte empfunden werden. Und solche Werte fönnen nicht konstruiert, von bestimmten Voraus­setzungen logisch abgeleitet werden. Sie können nur in der Seele des gequälten, erniedrigten Menschen gefunden, fönnen nur aus dem verletzten Stolz, aus der mißbrauchten Liebe, aus den tiefsten und innigsten menschlichen Regungen geboren werden. Das Volf, dessen Haupteigenschaft jetzt die Charakterlofigkeit zu sein scheint, soll durch die Schule gehen, in der die charaktervollen Persönlichkeiten massenweise ent­stchen sollen. Im Volke der Untertanen soll der Geist der inneren Freiheit erweckt werden. Wir, die wir uns in den Dienst der kommenden deutschen Revolution stellen, haben die Aufgabe, dem deutschen Volke auf dem Leidensweg durch diese Schule voranzuleuchten. Wer aber leuchten will, muß selber brennen!

Aufstand der Gescheiterten

Nicht jedermann, der materielle Not leidet. hat aus diesem Grunde das Gefühl, gescheitert zu sein. Dieses Gefühl setzt vielmehr voraus, daß man glaubt, eine Erfolg aus; sicht gehabt zu haben, die einem durch Unglück oder durch das Dazwischentreten eines anderen geraubt worden ist. Mögen die meisten Arbeiter mit ihrer materiellen Lage noch so unzufrieden sein, sie haben keinen Grund, sich als ge­scheiterte Existenzen zu betrachten, sie tun das auch nicht. Die meisten von ihnen wissen ganz genau, daß sie nie eine Chance, Unternehmer zu werden, gehabt haben, und sie betrachten sich auch nicht als verhinderte Unternehmer. Infolgedessen führt die Entwicklung des proletarischen Bewußtseins von den Refsentiments jedes einzelnen Proletariers gegen seinen Unternehmer, als Schuldigen an seinem Elend, zur Kampf­einstellung gegen die Ordnung, durch die die proletarische Lage bestimmt wird. Um so häufiger begegnet man dem Ge­fühl des Gescheitertseins in jenen Berufen und sozialen Gruppen, in denen der Erfolg des einzelnen durch den Kon­kurrenzkampf bestimmt wird. Dort fühlt sich häufig derjenige als gescheitert, der in seinem Beruf nicht so hoch wie die anderen kommen konnte. Namentlich in den Zeiten, da in verschiedenen sozialen Gruppen eine starke Ueberbesetzung vorbonden und der Konkurrenzkampf besonders scharf ist,

nimmt die Zahl derjenigen zu, die sich als gescheitert fühlen. Auch ganze Gesellschaftsschichten können sich als gescheitert fühlen, wenn sie sich durch die Entwicklung im Vergleich zu anderen zurückgeset sehen. Und schließlich kann in den brei­testen Schichten des Volkes das Gefühl entstehen, als Volf in seiner Gesamtheit gescheitert zu sein, wenn man glaubt, daß dem Volke die Chance des Erfolges in der Welt ent­gangen sei. Dieses Gefühl wird dann vor allem von den jenigen Personen und denjenigen Schichten getragen, die sich auch sonst als gescheitert fühlen. Sie betrachten dann ihr Schicksal als Schicksal des Volkes, sie führen ihr Schicksal sowie das Schicksal des Volkes auf die gleichen Ursachen zurück und suchen nach den gleichen Schuldigen. Zumal der Gescheiterte überhaupt die Neigung bejizt, nicht sich selbst für sein Schicksal verantwortlich zu machen, sondern die Uebel­täter zu suchen, die sein Unglück verschuldet haben.

Nach dem Kriege waren in Deutschland alle Voraus­seßungen dafür da, daß die Zahl der Gescheiterten außer­ordentlich wuchs. Dem verringerten Umfang der wirtschaft­lichen Betätigung stand eine vermehrte Zahl der Erwerbs­ tätigen und Erwerbsuchenden gegenüber. Der Konfurrenz­fampf verschärfte sich, die Zahl der Erfolgreichen wurde ver­hältnismäßig viel geringer. Erscheinungen der Ueberbe­setzung zeigten sich fast auf allen Gebieten, fast in allen Be­rufen. Wesentliche Verschiebungen waren in der Lage ganzer Gesellschaftsschichten eingetreten, und die gewohnte Rang­ordnung wurde durch die Verschiebung zerstört. Es war namentlich der Mittelstand, der eben seinen mittleren Stand zwischen den Oberschichten und den kleinen Leuten"

verloren gehen sah. Aber auch unter den kleineren Leuten"

sahen die selbständigen Gewerbetreibenden im Handel und im Handwerk, wie sich der Abstand zwischen ihrer Lage und der der Arbeitnehmer verringerte; sie fühlten sich zurückge­setzt, während die Arbeiterschaft ihnen als bevorzugt erschien. Der gesellschaftliche Aufstieg der Arbeiterschaft, die sich zur tragenden Kraft des Staates entwickelte und deren Einfluß auf die Staatsmacht unvergleichbar größer war als im alten Reiche, erschien denjenigen Schichten, die den Anspruch zu haben glaubten, in ieder Beziehung über der Arbeiterschaft zu stehen, als eine Bedrohung ihrer Existenzgrundlagen, eine Verlegung der angeborenen oder wohlerworbenen Rechte. Alles in Deutschland hatte aufgehört standesgemäß" zu sein. Das Berechtigungswesen wurde durchbrochen. Arbeiter wurden zu Beamten ernannt, manche wurden Minister und ein Sattlergeselle war sogar Oberhaupt des neuen Staates. Der Gedanke, daß diese Emporkömmlinge eine fachliche Be­rechtigung für ihren Aufstieg haben können, war unerträg­lich. Nein, nur das Parteibuch" fonnte das Geheimnis des

Erfolges sein, die Bonzenwirtschaft" war das!

In den beiden letzten Jahrzehnten vor dem Krieg, in der Zeit der stürmischen Entwicklung und der siegreichen Er­pansion des deutschen Kapitalismus in der Welt hatte sich in Deutschland auch die Lage der Mittelschichten gehoben. Sie hatten ihren Anteil am grandiosen wirtschaftlichen Auf­schwung gehabt. Daß dies nur eine vorübergehende, durch besonders günstige Umstände bedingte Erscheinung war, das wußten sie nicht, sie sahen nach der Ueberwindung der ver­gangenen Krisenzeit hoffnungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft. Ohne den Krieg wäre der Abstieg nicht so steil und nicht so tief gewesen. Der Krieg war eine Katastrophe. Hier scheiterte das Volk, das im Begriff zu sein schien, die ganze Welt zu erobern. Und aus dem Krieg entstand der neue Staat, in dem die alte Rangordnung der Gesellschaft er­schüttert und so offensichtlich verlebt wurde. Nicht nur waren so und so viele gesicherte Existenzen zerschlagen, sondern es wurde für breite Schichten überhaupt die Möglichkeit einer gesicherten Existenz, namentlich auch für die heranwachsende Generation die Möglichkeit einer gesicherten Laufbahn in Frage gestellt. Das war die Verflechtung, aus der in Deutsch­ land eine ganz besondere psychologische Atmosphäre entstand, die durch den Aufschwung nach der Stabilisierung vorüber­gehend entspannt, dann aber bis zum Explosionspunkt ge­trieben wurde.

Die Verschlechterung der materiellen Rage allein kann uns diese psychologische Atmosphäre nicht erklären: sie war eben durch den leidenschaftlichen Haß der Gescheiterten" gegen die Schuldigen" erzeugt. Denn der Gescheiterte pflegt nach dem Suldigen an seinem Scheitern zu suchen. Er hat das Be­dürfnis, die Verantwortung für sein Schicksal von sich selbst auf die anderen abzuwälzen, nicht aber auf die objektiven, in der Entwicklung liegenden Gründe, denn die Anerkennung solcher Gründe würde zugleich die Anerkennung der Unver­meidlichkeit und Hoffnungslosigkeit seines Schicksals be­deuten. Nein, die Schuldigen müssen da sein, und wenn sie unschädlich gemacht werden, dann wird auch das ganze Uebel vorbei sein! Da sich die Juden im Konkurrenzfampf in be­stimmten Berufen und auf bestimmten Gebieten als unbe­ftritten überlegen erwiesen haben, so gehören sie ebenso un­bestritten zu den Schuldigen. Da der Aufstieg der Arbeiter­klasse durch die marristische Arbeiterbewegung bewirkt wurde, so sind alle Marristen schuldig und sind alle Schuldigen Marristen". So erhielt die Leidenschaft der Gescheiterten, trotz aller Verschiedenartigkeit ihrer Lage, ihrer beruflichen und Gruppeninteressen, eine einheitliche Richtung. Eine für einen bestimmten Zeitabschnitt endgültige Form wurde diesem Herenkessel der Leidenschaften durch das eigenartige Erleben des Krieges und seiner Nachwirkungen gegeben.

Schon vor mehreren Jahren stellten verschiedene Beobach­ter mit Erstaunen fest, daß man in Deutschland die Wahr­heit über den Krieg und über die Niederlage völlig zu ver­gessen schien, daß die Mehrheit des deutschen Volkes gar nicht das Gefühl hatte, den größten Krieg der Weltgeschichte ver­loren zu haben. Jedermann verspürte selbstverständlich die Folgen des verlorenen Krieges, wie jeder Gescheiterte die Folgen seines Mißerfolges spürt. Man wollte aber nicht diese Folgen auf ihren richtigen Grund: auf die Niederlage, zurück­führen. Wiederum wie die meisten Gescheiterten den Miß erfolg nicht auf seine richtigen Gründe zurückführen wollen so hatte man die Niederlage des Krieges einfach wegge­dacht. Das deutsche Volf hatte keinen Krieg verloren, sondern wäre nach einem siegreichen Kriege betrogen und verraten worden. Eine solche groteske Verdrehung von völlig ein­

-

deutigen geschichtlichen Tatsachen konnte allein aus der psychologischen Unerträglichkeit des Gedankens, geschlagen zu sein nicht entstehen. Es war aber ein Tatbestand vorhanden, der diese Verdrehung ermöglichte. Das deutsche Volk hat dent Krieg auf seinem eigenen Boden nicht erlebt. Der Krieg wurde in der Hauptsache auf belgischem, französischem oder russischem Boden geführt. Es waren nicht die deutschen , sondern die belgischen, französischen und russischen Städte und Dörfer massenweise zertrümmert, belgische, französische und russische Felder verwüstet. Auch in der Zeit, als der Versailler Frieden erzwungen wurde, war Deutschland nur an seiner Peripherie von den feindlichen Truppen besetzt. Für den Zwang, unter dem das besiegte und völlig er­schöpfte Deutschland damals stand, fehlte eine für jedermann sichtbare Verkörperung, die sich im Bewußtsein aller Deutschen für die Dauer eingeprägt hätte. Für die Fran= zosen war z. B. die Niederlage von 1870/71 in der Tatsache den verkörpert, daß ein großer Teil des Landes von Deutschen besetzt wurde und daß die Sieger im Herzen Frankreichs , in unmittelbarer Nähe von Paris , monatelang saßen, daß sogar das Deutsche Kaiserreich in Versailles pro­flamiert wurde. 1919 hat Potsdam feine französischen Truppen gesehen. War das nicht eine befreiende Offenbarung, daß das deutsche Volk gar nicht geschlagen, daß seine allen Mähten der Welt überlegene Kraft gar nicht gebrochen wurde? Und wie sich ein Bankrotteur dadurch tröstet, daß er einen gemeinen Lumpen" findet, der seine Pleite verschuldet haben soll, so suchte man nach den gemeinen Lumpen", die einen großartigen Sieg des deutschen Volkes in eine fürchter­liche Niederlage verwandelt hätten.

Freilich ist ein solcher Selbstbetrug nur bei einem Volfe möglich. dem das Gefühl der eigenen Verantwortung für sein Schicksal völlig fremd ist. So war aber das deutsche Volk, das durch den Verlauf seiner Geschichte an der Ent­wicklung dieses Geistes der Verantwortung für sein Geschick verhindert wurde. Es blieb das von oben bevormundete Volk, das Volk der Untertanen. Und es rebellierte in seiner Mehrheit, nachdem es zum Selbstregieren berufen worden war, um sich wieder in die Lage der Untertanen zu begeben. Das Volk sollte von der Verantwortung für sein Unglück befreit werden. Also sollen die Verräter schuldig gewesen sein, die nicht als zum Volf gehörig betrachtet werden dürfen, die nicht national" sind. Aus dieser Psychologie entflammte der Haß gegen die Novemberverbrecher", die als schuldig betrachtet wurden: am Frieden, der den Sieg in die Niederlage verfälschte, und an der Neugestaltung des Staates, die man für den übrigen Teil des Unglücks ver­antwortlich machte. In dieser Form entstand die Einheit des Außenpolitischen und des Innenpolitischen. Der innere Feind verkörperte in sich auch die feindliche Außenwelt. Diesen inneren Feind vernichten hieß für Deutschland auch nach außen hin wiederum eine Machtstellung schaffen, der feine Macht in der Welt widerstehen kann. Der Haß gegen. diesen inneren Feind wurde wirklich" total". Die Volts­verräter" wurden für jeden einzelnen Mißerfolg, für jede persönliche Enttäuschung verantwortlich gemacht. Welch ein befreiendes Gefühl. Man brauchte nicht mehr an seiner eigenen Tüchtigkeit zu zweifeln, wenn etwas nicht klappte: Die Juden und die Marristen" oder das System" waren schuld! Man brauchte nicht die Ueberlegenheit der anderen anzuerkennen: sie hatten den Erfolg, weil sie Juden oder " Marristen" waren und durch die organisierte Gemeinheit der Volksverräter gefördert wurden. Und was für ein herr­licher Blick in die Zukunft: ist diese Pest einmal ausgerottet, dann steht in Deutschland dem Wohlstande und der Ver­geltung für den nur durch Verrat verlorenen Krieg nichts mehr im Wege. Vor allem aber alle, die früher unter dem Gefühl ihrer Unfähigkeit und Minderwertigkeit gelitten hatten, erhielten die Möglichkeit, sich im Haß gegen die sachlich und moralisch Ueberlegenen, gegen alle, die etwas geleistet haben, auszutoben.

Für diesen Aufstand der Gescheiterten hat sich in Adolf Hitler ein berufener Führer gefunden. Hitler war ein typischer gescheiterter Mensch. Nicht etwa wegen der Tatsache an sich, daß er Anstreicher war, sondern weil er nur An­streicher geworden war, nachdem er auf die bescheidene, aber sichere Laufbahn eines kleinen Beamten verzichtet hatte, und vor allem, weil er nur Anstreicher war, während er sich für einen großen Künstler hielt. Sein Pressechef Otto Dietrich behauptet jetzt in seinem Buch Mit Hitler in die Macht": " In seinem tiefsten Wesen ist Adolf Hitler eine künstlerische Natur. Wäre er nicht zur politischen Führung der deutschen Nation berufen, dann hätte er sich sicherlich als Künstler durchgesetzt." Für diese Annahme fehlt aber jeder Anhalts­punkt. Alles, was von angeblicher künstlerischer Begabung Hitlers als Maler oder Architekt erzählt wird, besteht aus geheimnisvollen Andeutungen über unbekannte Entwürfe. Diese Entwürfe existieren aber nicht oder sind offensichtlich völlig unbedeutend. Sonst hätte sie die nationalsozialistische Reklame schon längst in Millionen von Abdrucken in der ganzen Welt verbreitet. Hitler ist eben kein Künstler ge­worden, weil er dazu unfähig war. Aus dem Unwillen oder Unvermögen, das einzusehen, ergab sich bei ihm die typische Mentalität des Gescheiterten. Natürlich sei es die Schuld der anderen gewesen, ja die Schuld der Zeit. Nahezu naiv spricht das sein Pressechef aus: Wenn jede Zeit die Kunst und die Künstler hat, die sie verdient, dann kann es nicht wunder­nehmen, daß die hinter uns liegende, nunmehr abgeschlossene Epoche eine Zeit kultureller Erniedrigung, eines künst­lerischen Niederganges auf allen Gebieten gewesen ist. Kaum iemand hat wohl diesen Zustand mehr empfunden als Adolf Hitler ." Hitler hat also deshalb kein Künstler werden können, weil die Zeit keinen solchen Künstler wie ihn verdient hätte. Nicht allein die große rhetorische Begabung von Hitler hat so viele Seelen für ihn gewonnen, sondern er war durch seine außerordentlich stark ausgeprägte Mentalität eines gescheiterten Menschen besonders geeignet, ein Sprachrohr aller Gescheiterten zu werden. Er hat wirklich ihnen aus

der Seele" gesprochen, er war von Haß erfüllt, den sie alle hatten, er flüchtete mit ihnen zusammen aus der so er­niedrigenden Wahrheit in die Lüge von der Schuld der feind­lichen Kräfte und in die sadistischen Träume von der kom­menden Stunde der Vergeltung, wo die Köpfe rollen werden.

·