Pentjake

Fretheil

Nummer 77-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 4. April 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Dee ,, Selbstmord

des Abgeordneten Marum Kampfrede des Beclinec Bischofs

Seite 2

Gericht über Reichskanzler Hitler Die Mitgliedszahlen dec Deutschen Arbeitsfcont

Seite 3

Seite 4

Seite 7

Stalins Weg nach Genl

Die Berliner Granate Gestern und freute

Verwundung des SA - Gruppenführers Ernst Der Täter ein monarchistischer Offizier Berlin , 3. April. ( Eig. Bericht.)

Der Polizeipräsident hat die Belohnung für die Auf­flärung des Sprengstoffanschlags, der am 21. März um 18.45 Uhr an der Bordschwelle der Michelpromenade vor dem Hause Unter den Linden 76 erfolgt ist, von 5000 Mark auf 30 000 Marf erhöht. Diese Summe ist ganz außergewöhn­lich. Selbst für die Aufklärung des Reichstagsbrandes waren nur 20 000 Mark angesetzt worden. Um den Anschlag selbst legen die Behörden geheimnisvolles Dunkel. Nach den Methoden der Göbbelsschen Propaganda und dem Ton der Kanzlerrede hätte man erwarten sollen, daß die öffentliche Meinung dahin beeinflußt worden wäre, daß ein schändliches Attentat der Marxisten vorliege. Davon aber verlautet nichts; ja es herrscht in der Presse offensichtlich befohlenes Schweigen. Das Auffällige ist, daß es sich bei dem Sprengstoffförper um eine ganz moderne Stielhandgranate handelt, wie sie noch jetzt bei der Reichswehr und der Polizei in Gebrauch find. Die eifrig arbeitende Sonderkommission des Polizei­präsidiums richtet daher ihre Untersuchung vor= wiegend auf politische Rechtsfreise, insbe sondere auf ehemalige oder noch aktive Offiziere. Die Behörde verschweigt, was das Rätsel noch geheimnisvoller macht, bis zur Stunde den Namen des Fahr­gastes, der verletzt worden ist, meint aber begütigend:" Ins­besondere hat der Anschlag offensichtlich nicht dem Fahrgast der durch die Explosion geschädigten Autodroschke gegolten." Offensichtlich war die Handgranate aber durchaus bestimmt für den Herrn Gruppenführer von Berlin- Brandenburg, den Pg. Karl Ernst , denn er ist, wie alle Welt in Berlin be­hauptet und glaubt, der geheimnisvolle Fahrgast gewesen. Diese Tatsache gibt dem Attentat auch eine politische Erklä­rung und eine hochpolitische Bedeutung. Man erinnert sich, daß am 27. Januar eine Raisergeburtstagsfeier monar­chistischer Offiziere durch SA. - Leute gestört worden ist, wobei es zu Schlägereien zwischen Offizieren und Braunen fam. Der Ueberfall auf die Offiziersversammlung ist nach der Meinung von Offizieren auf den direkten Befehl des Gruppenführers Ernst zurückzuführen. Das Auftreten und die in Vergangenheit und Gegenwart sehr umstrittene Per­sönlichkeit des Gruppenführers Ernst von Berlin- Branden­burg hat den Gegensatz zwischen den SA. - Führern und dem Offizierkorps gerade in der Reichswehr so verschärft, daß die Versetzung des Gruppenführers Ernst erfolgen soll. Der Stellvertreter des Führers, Reichsminister Heß, hat diese Spannungen zum Anlaß genommen, um jüngst in einem fleinen Kreis von der Möglichkeit eines Rechtsputsches zu sprechen und die dauernden Mahnungen von Heß und Göbbels an die alte Garde liegen auf derselben Linie.

Pg. Karl Ernst , der als Gruppenführer etwa Generals­rang in der Braunen Armee einnimmt, ist ein fennzeichnen­

des Beispiel dafür, was die Entgleisten und die Empor­kömmlinge, zu denen auch der Reichskanzler gehört, dem Selbstbewußtsein, der Tradition und der Solidarität des Offiziersforps zumuten. Karl Ernst steht im dreißigsten Lebensjahr. Er hat von 1918 bis 1921 mit fümmerlichem Er­folg eine kaufmännische Lehre bestanden, dann aber in zahl­reichen Berufen vagabundiert, ohne in einem auszuhalten oder irgend etwas an nur durchschnittlicher Leistungskra zu zeigen. Er war Handelungsgehilfe, Sekretär, Hilfssport­lehrer, Heimleiter, Verwalter usw. in rascher Folge. Erst als er sich im Jahre 1923, knapp 19 Jahre alt, der Demagogie und dem Landsknechttum Hitlers zuwendete, hatte er gewisse Erfolge. Zwischendurch versuchte er es auch mit dem Studium, brachte es aber nur zu drei Semestern an der Hochschule für Politik in Berlin . Seit dem Jahr 1932 gehört er mit Heines und anderen gescheiterten Eristenzen dem Deutschen Reichs­tag an. Er avancierte zum Gruppenführer von Berlin­Brandenburg, wo er nicht zuletzt auch durch seine luxuriöse Lebensführung Anstoß erregte.

Wahrscheinlich hat sich der Haß monarchistischer Offiziere gegen Ernst als einen Typ dieser Sorte Führer des neuen Deutschland entladen.

Im Zusammenhang mit dem Attentat wird viel über die allgemeine Stimmung in der Reichswehr gesprochen. So wenig die über dre militärischen Kräfteverhältnisse sehr wenig die über die militärischen Kräfteverhältnisse sehr nüchtern denkenden Reichswehroffiziere reiferen Alters auf einen baldigen Krieg hinarbeiten und daher die Verständi­gungspolitik Hitlers gegenüber dem Westen begreifen und billigen, so sehr sind sie Gegner des deutsch - polnischen Ver­trages, den sie als unflug, nußlos und unwürdig empfinden. Auch in der Bevölkerung der östlichen Gebiete Preußens, insbesondere in der Jugend, ist die Unzufriedenheit mit dem schwächlichen außenpolitischen Kurs des Reichsfanzlers groß. Undurchsichtig ist die Rolle des Erfronprinzen, der sich zwar in SA. - Uniform mit dem Hoheitsabzeichen der Partei foto­grafieren läßt, aber innerlich keineswegs zu dem System und seinen führenden Trägern gehört. Er arbeitet mit den kon­ſervativen Schichten zusammen, die, gestützt auf das Bauern­tum, auf den Mittelstand und Teile der Arbeiterschaft auf eine Monarchie als dem kleineren Uebel hinsteuert. Diese Gruppen haben wiederholt auch schon versucht, mit Ver­tretern der früheren freien Gewerkschaften, des Reichs­banners und der Sozialdemokratie Fühlung zu bekommen. Auch Industrielle, Wirtschaftskreise und Finanzleute werden für diese Bewegung interessiert. Es ist das der Gedanke eines Volkskaisertums, das sich auf die Reichswehr , die Polizei, die Bürokratie und breite Voltsteile stüßen will. Die illegale Arbeit gegen den Faschismus, unser grundsätzlicher Kampf für die deutsche sozialistische Revolution hat mit diesen monarchistischen Treibereien natürlich nichts zu tun

Die Gerüchte um Severing

Ein seltener Gedenktag ist, von vielen kaum bemerkt, vorbeigegangen. Es war der 1. April.

Manche feiern ihn noch als den Geburtstag des berühm­testen deutschen Staatsmannes, obwohl andere dieses Datum gern auf den 20. April verschieben möchten. Denn am 1. wurde nur Bismarck , am 20. dagegen Hitler geboren.

Sehr viele erinnern sich daran, daß an diesem 1. April in Deutschland der glorreiche Boykott gegen die Juden statt­gefunden hat. Wenn die Opfer und die Henker längst dahin­gegangen sein werden, wird die Geschichte dieses schmähliche Datum noch festhalten. Als Warnung, wie ein großes Volk sich selbst beleidigte, indem es der Vergewaltigung einer wehrlosen Minderheit durch eine bewaffnete Minderheit zusah. Denn es war eine Minderheit, der Unrecht geschah, und auch nur eine Minderheit, die es beging das sei gleichfalls nicht vergessen.

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Noch eine dritte Erinnerung hat dieser Tag wachgerufen. Es waren diesmal gerade zehn Jahre her, daß das Münchener Volksgericht die Führer des sogenannten Hitler - Putsches, den heutigen Herrn Reichskanzler an der Spitze, wegen Hoch­verrats für ein paar Monate auf Festung schickte und damit praktisch freisprach. In siegreichem Kampf gegen die gelten­den Gesetze hat damals die deutsche Rechtsprechung den Grundstein zum ,, dritten Reich" gelegt. Wie richtig sie da­mit von ihrem Standpunkt aus gehandelt hat, geht aus der Tatsache hervor, daß der für die Durchführung dieses Urteils verantwortliche Mann heute Justizminister im Kabinett Hitler ist. Die Weltgeschichte hat eben Humor; sie beweist das an ihren Figuren.

Die nationalsozialistische Presse hat des Gedenktages ge­dacht, aber mit jener Kürze, die durch positive Unwissenheit in Verbindung mit einer dunklen Ahnung der Zusammen­hänge zu erklären ist. Es ist indessen ein Unrecht der ver­antwortlichen Stellen, sowohl der damals freisprechenden wie der damals freigesprochenen, daß die Oeffentlichkeit an diesem Tage nicht besser über die Verdienste des Ministers Franz Gürtner um die Laufbahn des heutigen Herrn Reichs­kanzlers unterrichtet wurde.

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Der heutige Herr Reichskanzler hatte Hochverrat began­gen; die Mindeststrafe waren fünf Jahre Festung. Daß er mehr als diese Mindeststrafe erhalten würde, war geschlossen; soweit war auf die deutsche Rechtsprechung schon damals Verlaß. Das Urteil ging aber noch weiter. Es spach zwar fünf Jahre Festung aus, stellte jedoch zugleich nach neun Monaten Bewährungsfrist in Aussicht.

Aber es kommt noch besser. Der heutige Herr Reichskanzler hatte an jenem Tage keineswegs zum ersten Male vor Gericht gestanden. Er hatte schon einmal drei Monate Gefängnis be­kommen, weil er eine Versammlung mit seinem Stoßtrupp gesprengt hatte; auch hierbei waren ihm durch Bewährungs­frist vorläufig zwei Monate geschenkt worden. Schließlich schwebte noch ein Verfahren der Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Landfriedensbruchs, begangen bei einer anderen Gelegenheit.

Wenn dieses Verfahren durchgeführt wurde, dann sah es Von einer für den heutigen Herrn Reichskanzler übel aus. Bewährungsfrist konnte bei einem Manne, bei dem sich die politischen Straftaten derart häuften, dann nicht mehr gut die Rede sein. Er hätte also, wohl oder übel, seine vollen fünf Jahre Festung absigen müssen. An diesem Punkt nun hat der damalige bayrische und heutige Reichsjustizminister sich um das Vaterland wohl verdient gemacht. Er ließ näm­lich den Staatsanwalt anweisen. jenes ältere Verfahren ein­

,, Het Volk": Karl Severing hat keine Broschüre zustellen, weil es zu unbedeutend sei. Hitler hatte damals geschrieben und bleibt Sozialdemokrat

Vor etwa vierzehn Tagen wurde durch die in Paris er­scheinende Korrespondenz Jnpreß" und bürgerliche Blätter die Mitteilung verbreitet, daß Rarl Severing, der frühere sozialdemokratische Preußische Minister des Innern in einer Broschüre Mein Weg zu Hitler " ein Bekenntnis zu Hitler abgelegt habe. Unser holländisches Bruderblatt et Volt" in Amsterdam bringt in seiner Ausgabe vom 28. März fol­gende Mitteilung:

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Unser Berliner Korrespondent teilt uns zu der Sensa tionsmeldung über Severing mit, daß Severing noch immer ein guter Sozialdemokrat ist und daß er nicht daran benft, Nationalsozialist zu werden. Er hat teine Broschüre geschrieben und es ist ihm in der legten Zeit sehr zweifelhaft geworden, ob es zu der Herausgabe feiner Erinnerungen" tommen wird, da diese Erinne für das dritte Reich" viel weniger sensationell sein werden als der Verlag Ullstein erwartet hat." Zu dieser Aeußerung des Berliner Korrespondenten des " Het Bolk" können wir noch einiges ergänzend hinzufügen, was eigene Nachforschungen inzwischen ergeben haben. Danach ist der Vertrag zwischen Severing und Ull­stein bereits zu einer Zeit abgeschloffen worden, als Severing noch Minister war. Severing beabsichtigte damals Erinne­rungen über seinen Werdegang zu schreiben, die bis zu der Zeit reichen sollten, in der er mit zentralen amtlichen

Funktionen beauftragt wurde. Das ist etwa das Jahr 1918. Eine Schilderung seiner Tätigkeit in den letzten Jahren war ebensowenig beabsichtigt wie eine Betrachtung über die gegen­wärtigen politischen Verhältnisse. Ein Manuskript der Severingschen Erinnerungen liegt bisher nicht vor.

Von Bedeutung ist auch, wie der Prager Sozialdemokrat" mitteilt, daß der Verlag Ullstein auf Anfrage erklärt hat, daß ein Buch Severings bei ihm nicht erschienen ist. Er könne nicht sagen, ob und wann es erscheinen werde. Die Meldung hatte behauptet, die Broschüre Severings sei be­reits erschienen.

Inzwischen verbreitet auch das Deutsche Nachrichten- Büro Auszüge" aus der angeblichen Broschüre. Verdächtig sind die Auszüge" schon deshalb, weil immer nur dieselben zwei oder drei Säße aus der angeblichen Broschüre wiederkehren. Wäre die Broschüre wirklich vorhanden, müßte sie doch eine etwas reichere Ausbeute liefern.

Wir werden an unsrer Uebung festhalten, uns an der Dis­famierung früher führender Antifaschisten immer nur dann zu beteiligen, wenn wirklich urkundliche Beweise vorliegen.

Die Korrespondenz Inpreß" fragen wir öffentlich und verlangen öffentliche Antwort, auf welche Grundlagen hin sie die Behauptungen über Karl Severing in die Welt ge= sezt hat.

nämlich nur mit ein paar tausend Bewaffneten die Stadt München zerniert und die Regierung bedroht. Wegen dieser Kleinigkeit wurde er nunmehr nicht weiter behelligt, die Be­währungsfrist trat in Kraft, nach einem Jahr war Hitler wieder auf dem Plan, die Sache ging von neuem los und endete da, wo sie heute ist. Man stelle sich einmal vor, wie die Weltgeschichte wohl verlaufen wäre, wenn Hitler bis 1929 auf der Festung gesessen hätte.

Aber wofür hatten wir schließlich eine Republik mit diesen Richtern und diesen Ministern? Sonderbar ist eigentlich nur, daß Hitler zu ihrem Sturz überhaupt vierzehn Jahre ge­braucht hat. Argus.

Ruhr im Konzentrationslager

Wien , 31. März. Das Amtliche österreichische Korrespon denzbüro teilt folgendes mit:

Im Anhaltelager Wöllersdorf sind in der letzten Zeit Ruhrertranfungen vorgekommen. Die Krankheit wurde durch einen Bazillenträger von außen eingeschleppt. Die Erkrankungen beschränken sich ausschließlich auf ein einziges Wohnobjekt, das außerhalb des eigentlichen Lager­gebiets liegt und von diesem völlig isoliert ist. Sämtliche 45 Angehaltenen aus diesem Objekt wurden zur ärztlichen Be­handlung resp. Beobachtung in Spitalspflege übergeben. So­weit bei ihnen überhaupt zweifelsfrei Ruhr festgestellt werden fonnte, handelt es sich nach Auskunft des Spitals durchweg um Erkrankungen leichter Art. Ein großer Teil der ins Spital Eingelieferten wurde bereits wieder geheilt entlassen."