Duster

Freiheit

Nummer 79-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, den 6. April 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Die Times zuc Sanktionsfrage

,, Tscheljuskin" Tragödie

26

Seite 2

Seite 8

Herrgott und Eisernes Kreuz

Seite 3

Katastrophensignale

der Reichsbank

Oesterreichs Verfassung

Seite 4

Seite 7

Mobilmachung der deutschen Bischöfe

Die österlichen Hirtenbriefe an die braunen Antichristen

Jest erst wird bekannt, daß alle österlichen Hirtenbriefe der deutschen Bischöfe eine Kampfansage an die in Deutsch land herrschenden nationalsozialistischen Ideen waren. Der firchliche Kurialstil hat sehr viel Farben auf seiner Palette. Wer die Mahnunge nund Warnungen der Bischöfe mit Ge­nauigkeit liest, der kommt zu der Auffassung, daß hier ein von Nom gebilligter Generalfeldzugsplan der deutschen Bischöfe gegen die antikatholische Propaganda des dritten Reiches" durchgeführt wird. Die Einheitlichkeit des Vorgehens der deutschen Bischöfe läßt den Schluß zu, daß sie den Kampf und den Konflikt für unvermeidlich halten.

Aufsehen muß es erregen, daß derjenige unter den deut­schen Bischöfen, der bisher als Wegbahner des National fozialismus im Ratholizismus galt und zu allererst seinen Frieden mit ihm geschlossen hat, eine besonders scharfe öfter­liche Predigt hielt. Es ist der Erzbischof von Freiburg , Dr. Gröber. Man liest da:

Mit Schmerzen stelle ich fest, daß in unserem Vaterlande Männer behaupten, daß die Zukunft des deutschen Volkes nur unter der Bedingung möglich ist, daß dieses aus seiner bisherigen Grundlage, nämlich dem Christentum, heraus­geriffen werde. Sie wollen das heutige deutsche Volk an das alte germanische Volt fesseln, und zwar nicht nur durch die Raffe und das Blut, sondern auch durch den Glauben. Aus Liebe zu unserem Volt, seid und bleibt treue Kathos lifen! Die großen Männer unseres Volkes wollten keinen Kulturkampf; denen aber, welche mit einem solchen Ges: danken spielen, sage ich: Ihr werdet uns gewapp= net finden, wenn Ihr den Glauben aus -unserem Herzen reißen wollt."

,, Den Märtyrern gleich"

Noch viel deutlicher ist der Bischof von Münster . Sein österlicher Hirtenbrief, der von allen Kanzeln seiner großen Diözese verlesen wurde, steht an dokumentarischer Beweisfraft dicht neben den Rundgebungen des Rardinals Faulhaber Gegenstand seiner Anklagen ist das neue Hei­dentum. Aber nicht nur dies. Er wendet sich gegen die­jenigen, die das moralische Gesetz im Menschen zerstörten. Er meint darunter jene Auffassung, die nur das als Sittlich= feit erkläre, was die Rasse fordere. Hier werde die Rasse über die Sittlichkeit gestellt, das Blut über das Gesetz. Das sei eine Frrlehre.

Unter Berufung auf päpstliche Rundgebungen sagt der Bischof weiter, daß solche Auffassung die brutale Gewalt fördere, die jedes Recht mit Füßen trete. Man dürfe sich nicht täuschen

unter chriftlichem Namen verberge und auf solche Weise sogar mehr die Religion gefährde.

irreführen könnte. Mit heiliger Freude wollen wir, wenn Gott es zuläßt, den Märtyrern gleich Nach st e I- Iungen und Verfolgungen tragen." Zu dieser fühnen Sprache erhebt sich diese österliche Botschaft am Schluffe. Sind die deutschen Bischöfe wirklich auf alles gefaßt? Sind sie bereit, die Märtyrerfrone um des Glaubens willen im Kampfe gegen die Antichristen zu tragen? Es scheint, daß bereits die nächsten Wochen darüber Klarheit schaffen werden.

Gestern und heute

Es ist schon eine Reihe von Wochen her, als sich in Berlin ein staatspolitischer Akt vollzog, der durch die beteiligten Persönlichkeiten und die Kräfte, die hinter ihnen standen, Bedeutung gewann. Auf Grund der Bestimmungen des Kon­kordats nahm der preußische Ministerpräsident Göring dem neuen Bischof der katholischen Diözese Berlin , Dr. Bares, die sehr beachtet. Aber ein Bild bleibt in Erinnerung: Göring sah den Bischof bitterböse an! Dr. Bares stand im Rufe, nichts weniger als ein Freund des ,, dritten Reiches" zu sein.

Der evangelische Kirchenkrach Treueverpflichtung ab. Man hat damals diesen Vorgang nicht

Aufgelöst!

Effen, 4. April. Das evangelische Bistum Münster hat die Presbyterien der Reynoldi- Gemeinde und der Petri- Nico­lai- Gemeinde in Dortmund aufgelöst, weil diese sich geweigert haben, die vom evangelischen Bistum Münster er­fälischen Provinzialsynode anzunehmen. In der offiziellen lassene Verfügung über die Neubildung der gesetzlichen west­ausdrücklich erklärt wird, mit Genehmigung der Geheimen Verlautbarung des evangelischen Bistums Münster , die, wie Staatspolizei veröffentlicht werde, heißt es weiterhin, daß die beiden Presbyterien sich einem Verein verpflichtet haben, der sich zwar noch als sogenannte Bekenntnissynode bezeichnet, tatsächlich aber außerhalb der Geseze und Ord­nungen der Deutschen Evangelischen Kirche steht".

Der Pfarrer aus Köpenick

Ein Vorstoß des Reichsbischofs gegen die aufsässige Kirchen­gemeinde Dahlem

Berlin , 4. April. In dem Kampf um die protestantische Kirche ist wieder eine neue Wendung zu verzeichnen. Der Reichsbischof Müller hat den Pfarrer Scharfenberg von Köpenick als Sonderfommissar" der Kirchengemeinde Ber­lin- Dahlem eingesezt. In Dahlem predigt bisher nach wie vor der Führer des formell aufgelösten oppositionellen Januar vom Reichsbischof abgesetzt worden ist. Seine Ge­Pfarrernotbundes Dr. Niemöller, obwohl er bereits im meinde besteht indes darauf, daß es ihre Sache sei, men sie als Pfarrer haben wolle; sie bestreitet der Kirchenregierung das Recht, Pfarrer Niemöller selbstherrlich abzusetzen. Der Reichsbischof Müller hat die Gemeinde vergeblich in einem Briefe ersucht, Dr. Niemöller zu entfernen. In Dahlem wird jetzt darüber beraten, wie man sich gegenübr einem even­tuellen Versuch, Dr. Niemöller mit Gewalt zu entfernen, ver­halten solle. Auf jeden Fall wird der Schritt des Reichs­bischofs als unvereinbar mit dem Geist der Versöhnlichkeit betrachtet, von de mer noch fürzlich in seiner Karfreitags­Botschaft sprach.

laffen, wenn sich dieses neue Heidentum manchmal fogar Kirchendiktatur über Berlin Die evangelischen Kirchengemeinden unter Zwang

Dieser Angriff gegen das Christentum, wie wir ihn in der heutigen Zeit an unserem Volfe erleben, übertrifft an vernichtender Gewalt in unserem Volke all das, was wir von früheren Zeiten her wissen. Dabei wird es mit der verführerischen Abficht verbunden, es solle dazu dienen, dem religiös gespaltenen deutschen Volke endlich einen gemeinsamen Glauben zu geben. Mit Befremden muß man auch feststellen, daß eine Reihe von Gedanken und Borstellungen, die von der bolichewistischen Gottlosens bewegung in den Menschen gewedt wurden, jetzt unter nationalem Borzeichen wieder auftauchen."

Man sieht, daß der Bischof von Münster dicht daran ist, den religiösen Mantel fallen zu lassen und ganz offen kämpferisch­politisch zu werden. Seine Polemik gegen die Vergottung der nordischen Rasse, wo man das Christentum als Sklaven­religion und seine erhabene Sittenlehre als eine Sflaven­moral bezeichne, ist nicht minder kraftvoll und entschieden. Ganz deutlich wird auf Rosenberg angespielt: Mit der ihnen eigenen dunklen Sprache reden Sie von einem neuen Mythos und der Notwendigkeit einer neuen Religion. Es handelt sich also um eine grundsätzliche und traditionelle Ab­lehnung aller Geheimnisse des Christentums, um auf dem Boden von Blut und Rasse eine neue Religion mit natio­nalen Sinnbildern und Vorbildern zu schaffen."

Der Bischof von Münster ist taktisch flug genug, um zu

sagen, daß solche Lehren eine offene Ablehnung gegen den Willen der Reichsregierung darstellten. Ihr Führer, so fagt der Bischof, habe in feierlicher Stunde erklärt, daß die Lehren des Christentums die Grundlage für den Neubau des Deut­schen Reiches sein sollen. Da aber der Führer, wie auch der Bischof weiß, Allmacht in allen politischen und weltanschau­lichen Fragen befißt, so ist dieser Vorbehalt des Bischofs von Münster nichts anderes als eine Herausforderung, die un­mittelbar an Hitlers Adresse gerichtet ist.

dnb. Berlin ,. April. Das geistliche Ministerium der deutschen evangelischen Kirche hat ein Gesetz über die Bildung eines Verbandes der evangelischen Kirchengemeinden im Bistum Berlin" beschlossen. Die Leitung des Verbandes, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes ist, übernimmt der Bischof von Berlin , dem sechs vom Reichsbischof er­nannte Mitglieder, darunter vier weltliche, zur Seite stehen. Das neue Kirchengesez, das am 1. April in Kraft getreten ist, beschließt, wie von kirchenamtlicher Seite er­klärt wird, ein Kapitel der Berliner Kirchengeschichte. Jahr­zehntelange Bemühungen, eine einheitliche kirchliche Füh rung für die Reichshauptstadt zu schaffen, scheiterten an dem unfruchtbaren parlamentarischen System, das das Leben in den Kirchengemeinden hemmte. Bisher versuchte jede Kirchen­gemeinde in den Außenbezirken auf eigene Weise ihre Auf­gaben zu lösen. Die finanzielle Lage der Gemeinden der Innenstadt wurde durch die zunehmende Abwanderung der Bevölkerung in die Vororte immer schwieriger. Der Ver­band hat die große Aufgabe, mit vereinten Kräften die firch­lichen Notstände im Gebiet Großberlins in Angriff zu nehmen.

Severings Dementi

Ein deutliches Nein!

Die Westfälischen Neuesten Nachrichten" in Bielefeld haben sich telefonisch bei Rarl Severing erkundigt, ob es richtig sei, daß er eine Broschüre geschrieben habe Mein Weg zu Hitler ". Severing hat dem Blatt eine Erklärung übergeben, die sich inhaltlich mit dem schon gestern von uns veröffentlichten Dementi deckt, das uns über Kopen­

Eine Täuschung der Hölle ist im Gange, die auch die Guten hagen zugegangen war

Am Karfreitag hat Bischof Dr. Bares seinem guten Ruf alle Ehre gemacht. In der Hedwigkathedrale, jener schönen Kirche am Berliner Schloßviertel mit unvergeßbar schönen und feierlichen Linien, hat er seine erste große Predigt vor den Katholiken Berlins gehalten. Rings um die Kirche standen, wie die gleichgeschaltete Presse bemerkt, zwanzig­tausend Hörer. Sie und die andern, die in allen katholischen Kirchen der Reichshauptstadt die Rede des Bischofs aus dem Lautsprecher vernahmen, waren Zeugen einer kämpferischen Christenpredigi.

Sie liegt jetzt im Wortlaut vor. Man findet sie in der, Ger­ mania ". Es liegt eine gewisse Ironie darin, daß die Zeitung des Herrn von Papen eine Predigt abdrucken muß, die in allen entscheidenden Stellen die Politik dieses Blattes widerlegt:

Ein Streben( nämlich Christus zu folgen), das falsch betrieben, blasphemisch betrieben, die Menschheit in alle Irrtümer gebracht hat, von der Erbsünde angefangen, hindurch durch die Irrtümer des Polytheismus bis zum Irr­tum des Pantheismus, bis hin zu den Irrtümern unserer Tage, in denen sich der Mensch selbst zum Gott macht....

,, Literatur, dickleibige und dünne Bücher, aber alles solche, die von der Sünde erdacht, von der Sünde verfaßt, von der Sünde verlegt und von der Sünde verantwortet, von der Sünde gekauft, von der Sünde verkauft werden, und eine Stadt, ein ganzes Volk in Fäulnis zu setzen drohen. Ist das nicht ein Sakrament Satans?"

und Andächtige, zwischen Christus, der etwas ganz Positives ist und dem andern, der auch ein Positives ist, gibt es kein Mittelding. Und was ist der andere? Das ist nichts anderes und kann nichts anderes sein als der Antichrist, der Satan."

,, Man mag menschliche Institutionen zerbrechen, mit der Kirche Christi wird man nie fertig. Glaubt man, sie zu Boden gerungen zu haben, im nächsten Augenblick steht sie da, lebendig und ruhig, stolz und stark, und diejenigen, die die Grube gegraben, die fallen selbst hinein, und die Kirche wird ihnen noch das Requiem singen."

Also Bischof Bares. Die Zehntausenden von Katholiken, die ihm lauschten, haben ihn verstanden. Jedes Wort war ge­münzt auf ihr tägliches Erlebnis und die Realitäten, die sie umgaben. Bei jedem Sate wußten die Wissenden, daß mit dem Menschen, der sich selbst zum Gott gemacht habe, der ,, Führer" aus Braunau gemeint war. Sie hatten die Wahl, den Antichristen ringsher in nächster Nähe zu suchen: in der Ge­stalt von Rosenberg, Göbbels oder Göring .

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Aber der Mut, der aus diesen Sätzen sprach, es war ein Mut, der allein von den Interessen der Kirche an ihren Gläubigen bestimmt war. Bischof Bares zitierte den alt­testamentarischen Propheten Habakuk : Was sind das doch für Wundmale, die da eingezeichnet sind in die Mitte deiner Hände?" Sah er nie die Wundmale bei seinen Zeitgenossen? Hat keiner im Bereich des Katholizismus den höheren Mut zur Anklage gegen die Schänder atmenden Menschenwesens, gegen die Peitscher und Heuchler, die das Recht vergiftet und auf unzähligen Leibern den Thron des dritten Reiches" errichtet haben?

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Solange kein Kirchenfürst davon auch nur andeutend solange stehen er und seine Kirche im Zwielicht. Für dieses Schweigen werden sie sich einmal mit zu verant­worten haben. Denn wenn auch der Papst in Rom residiert, mit höchster Befehlsgewalt über Seelen, so wird dennoch keine übernatürliche Wahrheit lebendig bleiben, die zur Wahrheit des Tages und der Geschichte in Widerspruch steht. Argus,