Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit"

Freitag, den 6. April 1934

Ereignisse und Geschichten

Kennst du den Mann, der heute liest?" Das, heroische" Ideal

Die Buchhändler in heller Verzweiflung

Die deutschen   Verleger und Buchhändler stoßen einen Notschrei nach dem andern aus. Die Leute, die heute in Deutschland   obenauf sind und Geld haben, lesen nicht, son­dern exerzieren, die Menschen, die gern lesen möchten, sind entweder in Konzentrationslagern und Gefängnissen unter­gebracht oder sie haben kein Geld, oder der Unsinn, der im braunen Reiche geschrieben, gedruckt, verkauft wird, treibt ihnen die Haare zu Berge Langsam beginnen sogar einige gleichgeschaltete Blätter das zu begreifen. Nach der Litera­rischen Welt" und der Neuen Literatur" faßt jetzt auch die in Stuttgart   erscheinende Zeitschrift Literatur" eine Art selbständigen Gedanken. Sie veröffentlicht einen Aufsatz: ,, Kennst du den Mann, der heute liest?" Darin heißt es:

,, Voraussetzung allen Schreibens und Verlegens ist die Frage nach dem Menschen, der heute liest, diesen Mann muß man unbedingt kennen. Verlagsgeschäft und Schrift­stellerei als Beruf liegen danieder. Auf die Frage ,, Kennst du den Mann?" ist der Unternehmer auf geistigem Gebiete heute versucht, mit einem schweren Seufzer zu antworten: ,, Ja, den möchte ich kennen! Früher kannte ich ihn, aber ich weiß kaum noch, wie er aussieht so lange ist er nicht mehr bei mir gewesen."

... Aber abgesehen von diesem wehmütigen Scherz ist es verwunderlich, daß man sich nicht wirklich offen eingesteht: nein, wir kennen den Leser nicht. Wir müssen uns wohl von ihm eine falsche Vorstellung gemacht haben; sonst ließe er sich wahrscheinlich leichter zurückgewinnen oder wäre wahr­scheinlich gar nicht in dem Maße davongelaufen... Die Legende von dem Mann, der sich nicht anstrengen will, auf den man nur mit Seichtigkeit spekulieren dürfte, ist einfach Unsinn. Ist es etwa nicht wahr, daß vor einigen Jahrzehnten eine erstaunlich große Anzahl von sozialdemokratischen Arbeitern ,, Das Kapital  " von Marx   wirklich gelesen hatte, in müden Nächten, mit zergrübelten Gesichtern, weil sie von diesem Buch Klarheit und Wegweisung erwarteten? Und han­delt es sich nicht um ein ganz verflucht konzentriertes und schwer zu lesendes Buch?

Ja nicht wahr? Höchst   merkwürdig! Wenn man nun die verbotenen, verbrannten, verpönten sozialistischen   Bücher wieder zum Verkauf anböte? Dann wäre das deutsche  Büchergewerbe gerettet aber das braune Reich in Gefahr. Also wird man sich wohl entschließen, den Buchhandel voll­

-

-

ends vor die Hunde gehen zu lassen und das dritte Reich zu retten. Denn beides, Geist und Ungeist, hat unter einem

Dache keinen Platz.

In Holland  :

,, Emigrantenliteratur bevorzugt"

Die Berliner Börsen- Zeitung" befaßt sich mit der Frage der deutschen   Literatur und dem holländischen Markt und stellt fest, daß das ,, deutsche Buch" das Hakenkreuzbuch - in Holland   boykottiert wird. Wörtlich gesteht das Blatt: Dieses durchaus sichere und bedeutungsvolle Holland­geschäft des deutschen   Verlagswesens ist also seit einem Jahr schwer erschüttert worden. Nicht aber etwa dadurch, daß die vormaligen Nebenbuhler, die Büchererzeuger Frank­ reichs   und Englands, eine kräftige Kampagne begonnen hätten. Die Konkurrenz kommt von seiten des deutschen  Buches selber, nämlich von denjenigen deutschen   Büchern und Zeitschriften, die seit einem Jahr hier in Holland   her­gestellt werden. Es handelt sich um die Bücher und Zeit­schriften der Emigranten.

Das arge Weib

Klara Zetkins gestohlene Bibliothek

Im Lager Oranienburg  , dem so berühmt gewordenen, wer­den nicht nur Menschen gequält. Hier ist zugleich eine der braunen Höhlen, in denen das dritte Reich" sein Dieb­stahlsgut aufbewahrt. Darüber erfährt man eine inter­essante Einzelheit aus der Niederschrift des Oranienburger  Lagerkommandanten und Sturmbannführers Schäfer, die gegen die Broschüre Gerhard Segers gerichtet ist. Schä­fer schreibt( Abdruck der Westfälischen Landeszeitung", 31. März) wörtlh folgendes:

..Der umfangreiche Lagerbetrieb erfordert bei einer gegen­wärtigen Belegschaft von rund 800 Mann natürlich eine ge­ordnete und übersichtliche Verwaltung. Deren Ausbau ist jetzt vollendet. Raum dar war genug vorhanden. Er mußte nur entsprechend eingerichtet werden. Das ist nun geschehen. Aeußerlich und dem Betriebe nach möchte man sie als ein Mittelding zwischen Behörde, Garnisonschreibstube und kauf­männischem Büro bezeichnen. Ueberall wird in hellen, freundlichen Räumen emsig gearbeitet. Das Wichtigste ist das Zimmer des Lagerkommandanten. Hier läuft alles zu­sammen, und hier befindet sich das Museum, eine Sehens­würdigkeit für sich. Und nicht das allein. Dieses Museum er­weist wie nichts anderes die Notwendigkeit des Lagers. Fan­gen wir mit der Literatur an. Lange Bücherreihen zeigen, wie der Marxismus von teils überzeugt- fanatischen, teils gewis, senlosen Literaten hochgezüchtet wurde. Einen großen Raum

nimmt die beschlagnahmte Bibliothek der Klara Zetkin   ein, die, wie bekannt, in dem vor den Toren von Oranienburg  liegenden Finkenwerder ihr Proletarierheim in Gestalt einer Inxuriösen Villa besaß. Ein folgerichtiges Bild von der gei­stigen Entwicklung dieses argen Weibes, das zu guter Letzt noch den Deutschen Reichstag vor seinem unseligen Sterben durch die bekannte Alterspräsidentenkomödie schändete. Auch der Doktorbrief ihres Sohnes Maxim Zetkin   wurde in der Villa geschnappt und ist ein historisches Dokument. End. lich ein großes, in etwas klobigem russischem Farbendruck hergestelltes Bild einer Sowjetsigung in Moskau  , das aber in der Darstellung der Gesichter von starker Charakteristik ist, Das Bild steht ungerahmt auf einem Schrank. Während der Lagerkommandant seine Erklärungen gab, fiel uns Klara Zet­

"

( Randbemerkung zum Faschismus)

รอง ลง ล่าง อย

D

,, Amsterdam   ist zum hauptsächlichen Zentrum der deut­ schen   Emigrantenliteratur aufgestiegen. Es sind hier die drei holländischen Verlage Querido, van Kempen   und Albert de Lange, die sich im größten Stile auf die Herstellung von Büchern geflüchteter Autoren geworfen haben... Diese Emi­grantenliteratur hat in den Auslagen der Straßenverkaufs­stände und der Buchhandlungen das aus Deutschland   stam­mende Druckerzeugnis fast vollständig verdrängt. Kenn­zeichnend für die Sachlage ist es, daß die von der Import­firma Meulenhoff herausgegebene Monatsschrift Het duitsche boek soeben ihr Erscheinen eingestellt hat... Es ist zweifellos, daß das holländische Publikum durch diese eingetretene Stockung des deutschen   Bücherabsatzes nach Hol­ land   um die Möglichkeit kommt, sich über die Vorgänge und über die geistigen Leistungen in Deutschland   zuverlässig zu unterrichten. Der Ausfall des deutschen   Buches auf dem holländischen Markt ist einer der Gründe, weshalb die Stim­mung in Holland   gegenüber Deutschland   heute eine keines­wegs freundliche ist."

In Oesterreich  :

Hier wird ,, ausgemerzt"

Wohlstand, Kultur und Tugend Verfallen katastrophal:

Statt dessen lebt die Jugend Ihr ,, heldisches Ideal".

Der Umgang mit dem Geiste Bedingt Gehirn und Fleiß, Und daß man etwas leiste, Erfordert Müh' und Schweiß.

Das Leben des Heroen ant Strengt lange nicht so an, Das ist was für den rohen Und dummen Muskelmann.

Wozu noch die Finesse Im Weltanschauungsstreit? Dem Feind eins in die Fresse Erzeugt Belehrbarkeit.

Millionen müssen kuschen Mit abgestelltem Gehirn, Damit nur schrein und pfuschen Die Helden der niedrigen Stirn.

Der vom österreichischen Volksbildungsreferenten be. Der Sorgenbrecher bricht

27

stellte Büchereiausschuß zur Ueberprüfung von zirka siebzig Arbeiterbüchereien stellte fest, daß gewisse Schriften ent­fernt werden müssen". Das Februarheft der Volksbildungs­blätter" des Allgemeinen Niederösterreichischen Volks­bildungsvereines bringt als Kommentar hierzu einen Aufsatz unter dem Titel Schundliteratur ausmerzen", in welchem unter der auszumerzenden Literatur u. a. die Werke folgen­der jüdischer Autoren angeführt werden: Arthur Schuigler, Jakob Wassermann  , Franz Werfel  , Stefan Zweig  , Lion Feucht­ wanger  , Max Brod  . Man will in Wien   nicht daran glauben, daß sich die Bibliothekenreiniger an die hochwertigen lite­rarischen Schöpfungen der genannten jüdischen Autoren heranwagen werden; man erinnert sich hier zu genau, daß die Verbrennung der Bücher dieser Autoren im Frühjahr 1933 in Deutschland   zum Maßstab für das Kulturniveau des ,, dritten Reiches" in der ganzen Welt geworden ist.

In England:

Gründung einer Gesellschaft der Freunde der deutschen Bibliothek

Kürzlich fand, wie die., Times" mitteilt, ein Empfang bei Lady Oxford in London   statt, an dem zahlreiche führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Englands teilge­

nommen haben. Es wurde beschlossen, eine Gesellschaft der

Freunde der deutschen Bibliothek in England zu schaffen. die Tausende von Mitgliedern haben soll. In einem Briefe, unterzeichnet von H. G. Wells, Lady Oxford, Wickham Steed  , Louis Golding  , Professor Haldane, werden alle fort­schrittlichen Leute aufgerufen, sich dieser Gesellschaft anzu­schließen.

Am 9. April soll eine erste Sitzung der Gesellschaft statt­finden und für den 10. Mai, dem Tag des verbrann­ten deutschen Buches, ist ein großes Meeting vor­gesehen.

Als Sekretärin wurde gewählt Frau Haldane, die Frau des Professors Haldane. Diese Gesellschaft ist die englische Sek­tion der französischen   Gesellschaft für die Unterstützung des Internationalen Antifaschistischen Archivs.

kin, die auf dem Bilde gut zu sehen ist, in aller Form ,, auf den Kopf". Sie erhielt aber alsbald ihren Ehrenplat" wie­der. Zur literarischen Abteilung gehören auch Flugblätter und Handzettel in Massen. Die älteren mit ihrem bekannten Inhalt interessieren kaum noch. Desto mehr die neuen, die noch fortwährend, insbesondere durch Motorradstaffeln, ab­geworfen werden und beweisen, daß der Kommunismus sich immer von neuem zu Wühlarbeiten aufzuraffen versucht.

Vervielfältigungsapparate sind schon viele beschlagnahmt Betrieb, und solche Dinger sind ja schnell wiederbeschafft."

und zieren das Museum. Es sind aber immer noch viele in

Und so weiter. Dieser Schäfer ahnt gar nicht, welch guter Repräsentant des dritten Reiches" er ist. Er hat nicht die geringste Hemmung, von der Bibliothek zu berichten, die man der alten, auch von ihren politischen Gegnern hoch­geachteten Klara Zetkin   gestoh! hat. Aber die Feststellung des Diebstahls genügt ihm nicht. Er muß die Tote noch be­schimpfen; nicht nur sie, sondern auch ihren völlig unpoli­tischen Sohn, dessen Doktordiplom man als Siegestrophäe aushängt. Ueberflüssig zu sagen, daß die ,, luxuriöse Villa" ein einfaches Landhäuschen mit vier Zimmern war.

Es bedarf kaum noch irgend welcher Beweise. Ein Mensch demaskiert Ein Sadist.

Man muß

Reich mir noch einmal dein Füßchen...!

In der in Kassel   erscheinenden ,, Hessischen Landeszeitung" schmockt sich ein angeblich bekehrter Revolutionär über seinen Gesinnungswechsel aus:

,, Ich brauche es Euch ja nicht zu sagen, aber es treibt mich. Ich muß es förmlich! Als ich zu Hause wegging, war ich Kom­munist, heute bin ich überzeugter Nationalsozialist. Darum sage ich Man muß dem Führer die Füße küssen".

Soll der Unglückliche tun, was er offenbar nicht lassen kann. Was wir Menschenfreunde als Wunsch ihm auf den Weg geben können, ist dies: daß Adolf sich vorher die Füße waschen möge!

Das große Komiker- Sterben

Horatio.

Senta Söneland  , Berlins   kesseste, urwüchsigste Komikerin.. zieht sich von der Bühne zurück, tritt nicht mehr auf und hat das der Presse mitgeteilt. Eins der gleichgeschalteten Blätter Berlins   wagt zu dem Entschluß der berühmten Senta folgenden kritischen Kommentar:

Ein Sorgenbrecher weniger in Berlin  , über das ein großes Komikersterben hereingebrochen ist. Max Adalbert  ist nicht mehr, eben starb der alte Diegelmann, für viele von gestern ist kein Platz mehr. Der Berliner  Humor muß durch eine Krise hindurch,

Wird euch allmählich Angst? Und denkt ihr ab und zu an den heliebten Komiker, der bei Ausbruch des dritten Reiches" Selbstmord beging, weil Lachen und Leben in einer Despotie nur bitter sein können? Göbbels   forderte kürzlich ..mehr Heiterkeit", denn den braunen Oberbonzen wird die grimmige Stimmung des Volkes unbehaglich. Keine Sorge, es wird gelacht wenn auch anders, als Isidor wünscht: der Wit hat sich von der gefesselten, bespielten, zensurierten. Bühne anonym unters Publikum geflüchtet; Zorn und Ver­noch immer die Quellen der schärfsten achtung waren

Satire.

-

Lutschbonbon und Filzpantoffeln Schutz der nationalen Symbole

Der Deutsche Reichsanzeiger und Preußische Staats­anzeiger" Nr. 45 vom 22. Februar veröffentlicht eine weitere Serie von Entscheidungen, die auf Grund des Gesetzes zum Schutze der nationalen Symbole vom 19. Mai 1933 gefällt worden ist. Wir entnehmen dieser Veröffentlichung, daß u. a. für zulässig erklärt wurden:

Zelluloidtürschilder auf rotem Untergrund, die Aufschrift in weißen Buchstaben: Deutsch   sei der Gruß Heil Hitler  ; Uhren mit den vier Anfangstönen des Horst- Wessel  - Liedes als Halbstunden- Schlag.

Für unzulässig wurden dagegen u. a, folgende Fabrikate erklärt:

Gummilutschbonbons in Hakenkreuzform. Glückwunsch und Beileidskarten mit Hakenkreuz. Stehaufmännchen, SA.- Mann darstellend.

Postkarten mit Abdruck der Lieder: ,, Volk ans Gewehr" und Deutschland  , erwache" umrahmt von einem SA.- Mann und einem Stahlhelmer. außerdem verziert mit Hakenkreuz­fahne oder Hakenkreuz mit aufgehender Sonne, Eichenlaub und schwarweißrotem Band.

Filzpantoffeln einfachster Art, deren Tuchbrandsohle in von hellbraunen Streifen umrahmte Quadrate von je 4 Quadratzentimeter Fläche zerfällt. In jedem Quadrat be­findet sich ein dunkelbraunes Hakenkreuz.

Zeit- Notizen

Amerikanische   Filmgesellschaften scheiden

Das hohe

Aus dem Verbot des Marlene- Dietrich- Films Lied" und des Films,.Männer um eine Frau"( mit Max Baer  , dem Besieger Schmelings, in der Hauptrolle) haben Fox- Film und Universal- Film bereits praktische Konsequenzen gezo­gen. Die europäischen   Vertretungen beider Filmgesellschaf­ten wurden von Berlin   nach Paris   verlegt. Auch die Metro­Goldwyn- Mayer ist eben dabei, die Verlegung durchzuführen. Der Dank an Marlene

Der Film ,, Das hohe Lied", mit Marlene Dietrich   in der Hauptrolle, ist für Deutschland   verboten worden, weil in dem Film ein deutscher   Offizier vorkommt, der ein Mädden verführt. Marlene Dietrich   stiftete bekanntlich für das Win­terhilfswerk einen Betrag von 500 Dollar.

Intelligenz suspekt

,, Observer" schreibt zur ,, Krise der deutschen Presse": Intelligenz in Nazi- Deutschland ist verdächtig: wer sie besigst, macht sich der Sympathie mit dem früheren Regime verdäch­tig. Die Nazi- Partei ruft arf, eine Presse zu schaffen, die von ,, SA.- Geist", beherrscht sei, und sie hat damit einen sol­chen Erfolg, daß die Deutschen   diese Presse nicht zu lese wünschen."

Friedensmusik

Im deutschen   Musikalienhandel sind folgende Neuheiten erschienen:..Hitler   ruft! Kampflied der Nationalsozialisten"; Ein Landsknecht   wollte saufen gehen";" Ganz Deutschland  hält die Wacht";" Alldeutschland"; ,, Märsche und Signale der deutschen Wehrmacht",

2003