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Fretheil

Nummer 92-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 21. April 1934

Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Wohin geht Trotzki ?

Seite 2

Was Autorennfahcec

verdienen

Seite 3

Die Gläubigeckonferenz

Seite 4

Der ermordete Prophet

Seite 7

Berlin zu allem entschlossen! Gestern und freute

Berlin , 20. April.

Die gesamte deutsche Presse entfesselt seit Tagen einen Ent­rüstungssturm gegen Frankreich , dem die alleinige Schuld an dem Scheitern der Abrüstungsgespräche zugeschoben wird. Offenbar hat die Presse Anweisung erhalten, in ihren Kom­mentaren alles zu vermeiden, was in England und Ita lien verstimmend wirken könnte, weil man immer noch mit gewissen Möglichkeiten rechnet, die eine Fortsetzung der ita­ lienischen und englischen Vermittlungsversuche bringen fönnten. Unmittelbar nach der Veröffentlichung der ableh­nenden Note Frankreichs an England setzte man einige Hoff­nungen auf die enttäuschende Wirkung der schroffen franzö­fischen Haltung in London . In maßgebenden politischen Krei­sen ist man aber jetzt schon der Ueberzeugung, daß die sach­liche Prüfung der französischen Note in England doch stär­teren Eindruck gemacht hat, als die deutsche Presse öffentlich zugeben darf.

Die französische und die deutsche Front stehen sich nun starr

und man darf wohl sagen, feindlich gegenüber. Man ist sich

in Berlin seit langem klar darüber, daß Frankreich weder

abrüsten noch auf ein Höchstmaß an Garantieleistungen ver­zichten wird, wenn es einer Abrüstungskonvention zustim­men soll. Andererseits darf man sich aber nicht verhehlen, daß die Rüstungspolitik der deutschen Reichsregierung nicht wes niger entschlossen ist. Man erwartet hier, daß Frankreich in Genf versuchen wird, eine Rüstungsfonvention zu erhalten, die Deutschland mit der ultimativen Forderung zum Beitritt vorgelegt werden soll, oder daß Frankreich eine Aktion des Völkerbundes wegen Verlegung der Rüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages gegen Deutschland einleiten läßt. Es darf kein Zweifel darüber obwalten, daß die Reichsregie­rung entschlossen ist, in beiden Fällen abzulehnen und ents ichiedenen Widerstand zu leisten. In diesem Zusammenhang gewinnt eine Stelle in der sonst friedlichen Rede des ober­sten Stabschefs Röhm vom 18. April vor Vertretern der ausländischen Presse Bedeutung. Er sagte:

Dieser bewußte Friedenswille Deutschlands läßt aber niemanden auch nur den Funken einer Hoffnung, unge= straft an die deutsche Zukunft rühren zu dür: fen. Jeder Einbruch in die Reichsgrenzen wird nicht nur das Reichsheer, sondern das gesamte Volt bis zum legten Mann zur fanatischen Abwehr bereitfinden."

Daraus folgert man, daß Deutschland irgendwelche Sanktio­nen oder auch nur bestimmte einseitige Kontrollen in der ent­militarisierten Zone nicht zulassen werde.

Die Versuche, England und Jtalien möglichst von Frant­reich zu trennen, hindern die Reichsregierung nicht, das Luftfahrtministerium gerade jetzt in einem Maße auszubauen, das in London beunruhigende Aufmerksamkeit erregen muß. Das Luftfahrtministerium wird zu einer Son­derverwaltung über das ganze Reich ausgedehnt und erhält ein Netz von 16 Luftämtern. 21e vier westlichen sind Darm­ stadt , Frankfurt a. M., Köln und Stuttgart .

Da jede oppositionelle Kritik unterbunden ist, bleibt schwer zu sagen, ob die Massen des deutschen Volkes schon den gan­zen schweren Ernst der Lage erkennen und ob sie sich über die Folgen der deutschen Aufrüstungspolitif im flaren sind.

Stärkung der britischen Luftstreitmacht

London , 20. April. Die Nachricht von der Neuordnung der deutschen Luftfahrt durch Errichtung von 16 Luftämtern fin­det große Beachtung und wird von einem Teil der Presse als Hauptmeldung des Tages behandelt. Der Berliner ,, Times"-Berichterstatter spricht von einem weiteren Beispiel der allmählichen Durchführung der Reichsreformpläne und fügt hinzu, die neue Organisation sei auch insofern vorteil­haft, als Deutschland ja die Absicht verkündet habe, eine de­fensive Luftstreitmacht zu schaffen. Der Berliner Mitarbeiter der Morning Post" bemerkt, der Sitz der 16 Luftämter sei von jedem Gesichtspunkt betrachtet gut gewählt. Die Daily Mail", die ihren Feldzug für die Stärkung der britischen Luftstreitmacht heute wiederum mit einem Leitartikel fort= setzt, sagt, General Göring sei jetzt der vollkommene Meister der ganzen deutschen Luftfahrt. Deutschland sei der erste Staat der Welt, der seinem Luftfahrtminister die Kontrolle über jede Art von Luftfahrzeugen des eigenen Landes erteile. Aehnlich äußert sich News Chronicle", dessen Berliner Be­richterstatter außerdem noch bemerkt, von den 16 Aemtern seien viele in den Grenzbezirfen gelegen, und ihre Hauptaufgabe werde es sein, Verte vorkehrungen ge­gen Luftangriffe zu treffen.

Keine antideutsche Kundgebung

Zwiespältige Stimmung in England

London , 20. April. Der diplomatische Berichterstatter des " Daily Herald" bezweifelt, ob das Büro der Abrüstungs­fonferenz tatsächlich am 30. April zusammentreten wird. Jedenfalls würde es sich um eine rein formelle Sißung han­deln, denn die Lage sei so ernst, daß sie nur vom Hauptaus­schuß selbst behandelt werden könne. Man müsse sich vor Augen halten, daß die französische Regierung in ihrer letzten Note nicht nur die Tür für weitere unmittelbare Bespre­chungen, sondern sogar auch für jede Erörterung der Ab­rüstungsfrage in Genf geschlossen habe. Sie habe ferner er­flärt, daß es unmöglich sei, ein Abrüstungsabkommen abzu­schließen oder die Ausführungsgarantien" zu behandeln, wenn Deutschland nicht nach Grenf zurückkehre. Gleichzeitig aber habe die französische Regierung den Besprechungen ein Ende gemacht, die allein die Möglichkeit boten, Deutschland zur Rückkehr nach Genf zu veranlassen. Der Berichterstatter ist der Ansicht, daß Frankreich versuchen werde, die Konferenz zu einer Körperschaft zu machen, die Deutschland zur Beob­achtung der Einschränkung des Versailler Vertrages zwin­gen soll.

Der politische Berichterstatter der Morning Post"

ſaat: In politiſchen Kreiſen rechnet man mit der Möglichkeit,

daß die britische Regierung noch einen weiteren Rettungs­versuch unternehmen und ein Kompromiß zwischen dem deut­ schen

und dem französischen Standpunkt vorschlagen wird. In Kreisen, die der Regierung nahestehen, wurde gestern abend erklärt, die Hoffnung auf Erreichung einer Ab­rüstungskonvention sei noch nicht aufgegeben worden.

Der diplomatische Korrespondent des Daily Tele­ graph " crklärt, daß Ton und Inhalt der letzten französischen Note nicht nur die britische Regierung, sondern auch franzö sische Vertreter in verschiedenen Hauptstädten vollkommen überrascht habe. Auch Belgien und Polen waren nicht darauf gefaßt. Die vorletzte franzöfifche Note hatte zwar schon bei einigen britischen Ministern den Verdacht erregt, daß Frank­ reich

auf die Beendigung dieser Verhandlungen abziele. Man hatte aber angenommen, daß die darauf von London ge­stellte Frage wegen der französischen Garantiewünsche Paris von einem solchen Schritt abhalten würde. Barthou habe sich bis zum letzten Augenblick bemüht, eine solche Politik zu verhindern. Er sei aber von den militärischen Ein­flüssen innerhalb und außerhalb des Kabinetts über­stimmt worden.

Der Berichterstatter fährt fort: Ob der Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz am 23. Mai zusammentritt, wird ange­zweifelt. Aber eines steht fest: Irgendein Versuch, bei dieser Gelegenheit eine antideutsche Rundgebung von einer oder zwei Großmächten und einer Gruppe fleinerer Mächte zu veranstalten, würde von der britischen und italienischen öffentlichen Meinung verurteilt werden. Alles berechtigt auch zu der Annahme, daß Großbritannien und Italien sich nicht an einem Abkommen beteiligen würden, das Deutschland nicht freiwillig und in allen Ehren unterzeichnen tönnte.

Das Neueste

Fünf Tote

bei einem Lawinenunglück

Mailand , 20. April. Jn Piteda bei Sondrio ( Provinzhaupt­stadt des Veltlin) wurden am Donnerstag neun Arbeiter, die sich auf dem Wege zu den in der Nähe von Piateda in Bau befindlichen Kraftanlagen befanden, von einer Lawine verschüttet und ins Tal hinabgeschleudert. Unter großen Anstrengungen fonnten nur vier Verschüttete lebend aus dem Schnee geborgen werden. Die fünf übrigen fanden den Tod,

Wir haben in Deutschland jetzt eine Arbeitsschlacht. Führer erscheinen an der Front, bewehrt mit Festspaten, und schip­pen dann drei symbolische Häufchen Erde . Die proletarische Infanterie sieht zu, wie die Szene fotografiert wird und ent­deckt am anderen Tage die Bilder in der Zeitung. Ueber­schrift Die Arbeitsschlacht tobt", wie wir dieser Tage in einem Blatte des ,, dritten Reiches" dreifingerhoch lasen. Sie tobt! Sie brüllt! Der Sieg ist schon gewiß.

An der Spitze des Heeres steht Staatsrat Dr. Ley. Er be­sichtigt, er geht durch Spaliere, er teilt das deutsche Volk in anständige Menschen und in Verbrecher ein. Er ist ein Wider­sacher des Intellekt und ein Anhänger des Instinkts, denn jedes neue Examen habe eine neue Dreckschicht" auf die Urkraft der Gefühle gelegt, wie er jüngst unter stürmischem Beifall seiner Freunde in Köln sagte. Der Führer der deut­ schen Arbeitsfront ist ein Apostel, der schon durch sein Er­scheinen soziale Wunden heilt und Lohnabbau stillt.

Apostel aber reden nicht immer zur gläubigen Gemeinde; sie sitzen auch gerne an Tafeln. Hier erst wird der Mensch ,, wesentlich". Von dem Dr. chem. Ley war seit langem be­kannt, daß ihm die Wein- und Biergläser lieber waren als die Reagenzgläser im Laboratorium von Leverkusen . Die Quan­tität des Alkohols schlug in die Qualität seiner Begeisterung um, und so führte er die Sache des Nationalsozialismus von Erfolg zu Erfolg.

In Aachen ist es jüngst passiert. Ley war hier in der Ar­beitsschlacht strategisch tätig. Am Abend saß er in der Sappe Quellenhof", dem feinsten Hotel der Badestadt. Der Heeres­bericht verzeichnet an diesem Abend eine Wein- und Bier­rechnung von 1500 Mark, natürlich über deutsche Weine und Biere.

Nachher hatte Ley Verlangen nach leichter Kavallerie. Auf seinen Befehl mußte in vorgerückter Stunde das Ballett des Aachener Stadttheaters antreten. Das ,, Grenz- Echo" im nahen Eupen erzählt, daß die Ballettmeisterin Frau B., die ihrem Schutz anvertrauten jungen Damen nur mit Mühe vor allzu drastischen und handgreiflichen Beifallsausbrüchen bewahren konnte. Der Saal hallte wider vom Toben der Arbeitsschlacht, Zeuge des neuerstehenden Geschlechts spartanischer Führer. Zweite Szene, etwas zurückliegend: Mailand . Ein großer Mercedes fährt vor dem schönsten Hotel der Stadt vor. Ein kleiner dicker Mann springt mit Begleitung heraus und herrscht den erschreckten Direktor mit blitzblauen Augen an: ,, Kennen Sie mich nicht? Reservieren Sie mir sofort die be­sten Zimmer!" Als der Direktor einen Augenblick zögert, fährt der jähe Gast fort: Ich bin Dr. Ley, Führer der deut­ schen Arbeitsfront, mit den Kompetenzen eines Reichsmini­sters. Richten Sie sich danach!" Er bekam die besten Zimmer. Ley und seine Adjudanten traten auch sonst noch werbend für die deutsche Sache ein. Einer von ihnen unterhielt sich mit dem Direktor über Hitler und Mussolini : Ja, gewiß, Mussolini ist bedeutend. Aber Hitler! In Deutschland gibt es doch im Gegensatz zu Italien überhaupt keine Arbeitslosen mehr."

Am nächsten Tage sprach ganz Mailand von den heldischen Deutschen . Die Kellner schlichen respektvoll an ihnen vorbei, sie erzitterten vor Zimbern und Teutonen in der norditalie­nischen Tiefebene.

Wir sind nicht kleinbürgerlich. Wenn wir der Weimarer Epoche einen Vorwurf machen, so den, daß sie nicht den min­desten Sinn für Repräsentation besaß. Welch kümmerliche Bratenröcke trug Friedrich Ebert ! Ein früherer Reichsinnen­minister fuhr mit einem Dienstauto, aus dessen Polstern das Seegras quoll. Man stelle sich Hermann Müller in SA. - Uni­form vor und Heinrich Brüning mit dem Ehrendolch. Der verstorbene frühere Kultusminister Preußens, Konrad Haenisch , hat einmal öffentlich verlangt, man möge Orden und Ehrenzeichen für Verdienste um die deutsche Republik einführen. Eine naheliegende Idee, die treffend von der Schwäche der Menschen ausging, aber sie vertrug sich nicht mit der astralen Weimarer Republik . Haenisch erntete An­griffe und Hohn.

Heute ist das anders. Täglich neue Uniformen, höhere Titel, andere Abzeichen, frische Liten. Es ist ein Glanz um die Leys, die Streichers, um jeden Gaugewaltigen mit dem goldenen Blatt auf dem Spiegel. Sie leben ihrem Führer nach, den Baldur von Schirach besingt:

... ,, und seine Seele an die Sterne strich

und er doch Mensch blieb so wie du ich ich." Wie du und ich! Man denke! Solche Seelen können nicht immer an Sternen streichen. Manchmal siten sie tief unten in Auerbachs Keller , und es ist ihnen ganz kannibalisch wohl. Argus.

Wie die amtliche Wiener Zeitung meldet, hat sich unter dem Vorsitz des Fürsten Mar Hohenberg ein Ausschuß gebil: det, der nach Inkrafttreten der neuen österreichischen Ber: fassung über alle, die das Haus Habsburg betreffen, mit der Regierung in Verhandlungen treten wird.

Am Donnerstag wurden 81 bisher in Wien festgehaltene Sozialdemokraten und Kommunisten in das Konzentrationslager Wöllersdorf übergeführt.