Sinzig « onadhSngige Tageszeitung Deutschlands Numme,92— 2. Jahrgang[Saarbrücken , Sonntag Montag, 22.23. April 1934| Chefredakteur: M. B r a u n Ans dem Inhalt Jzanzösische DcoAuttget i Seite 2 Deutsche JUesseschande Zinsrückstände Seite 3 Seite 4 Ein Emigrant spricht für viele Seite 7 JUarmini s« den Völkerbund Ein hodipolltisdier Brief des Präsidenten der Rcgierungshommlsslon im Saargebiet Gestern und heute Wie»tele andere Zeitungen haben auch wir jüngst Mittei- über den angeblichen Inhalt eines Briefes veröffent. licht, den der Präsident der Regierungskommission im Saar- gebiet Herr Knox an den Generalsekretär des Bölkerbun- oes gerichtet hat. Dazu erhalten wir nun eine amtliche Eni- Segnung, die wir um so lieber veröffentlichen, als sie den vollen Wortlaut des Briefes bringt und so der Weltöffentlich- reit Gelegenheit gibt, sich selbst ein Urteil über die Zustände Uber das zu bilden, was wir von Anfang an eine ter- roristische Probeabstimmung mit Proskrip- t> o n s I i st e tt genannt haben. Regierungskommission des Saargebietes. .,„, Saar !'" ii tf e n, 20 April 1034 Direktion des Innern und des Kabinetts. J. C. II. 185/34. H. Amtliche Entgegnung Der Herr Präsident der Regierungskommission hat an den Herrn Generalsekretär des Völkerbundes- am 28. März 1084 folgendes schreiben gerichtet: -.. Saarbrücken , den 28. März 1084. Herr Generalsekretär! ..3m Namen der Regierungskommission des Saargebietes veehre ich mich, Ihre Aufmerksamkeit aus folgende Tatsachen »u lenken mit der Bitte, den Hohen Rat des Völkerbundes davon in Kenntnis zu setzen: Am 1. März 1084 überbrachten tterr Hermann Röch ling , einer der früheren Führer der im vergangenen Oktober aufgelösten Deutsch-saarländischen Volkspartei, und Herr Peter Kiefer, Führer der Deutschen Gewerkschaftsiront, dem Präsidenten der Regierungskommission die Mitteilung von der in einer Versammlung am Vorabend erfolgten Bil- dung einer neuen Gruppierung„Deutsche Front", in welcher ohne Ansehung der Partei alle für die Rückgliederung des Saargebietes an Deutschland eintretenden Kreise zu- sammengefaht würben: Die Parole dieses Zusammenschlusses würde Disziplin und Achtung ber Legalität sein. Der Präsident hat daraus erwidert, daß er jede auf die Aufrechterhaltung der Ordnung im Saargebiet hinzielende Entwicklung nur mit Befriedigung aufnehmen könnte. Er Wies die Vertreter der„Deutschen Front" gleichzeitig darauf hin, daß aller Wahrscheinlichkeit nach in kurzem eine Abstim- wungskommisiion im Saargebiet eingesetzt würde, deren erste Ausgabe mit darin bestünde, über die während des Abstim- mungskampkes zulässigen Propagandamethoden zu befinden. Bis zur Einsetzung dieser Kommission bat er die Vertreter der„Deutschen Front", sich jeder kanten Tätigkeit zu ent- balten, die eine Beunruhigung der Bevölkerung zur Folge haben könnte. Am gleichen Tage aber leitete die„Deutsche Front" eine intensive Kampagne ein; ihre Beauftragten gingen von HauS zu HauS, um Unter- schrisien für Beitrittserklärungen zu sammeln, durch welche der Unterzeichner sich verpflichtete,„mit allen seinen Kräften die„Deutsche Front" zu fördern, welche sich als Ziel gesetzt hat. alle Kreise der Saarbevölkerung zusammenzulassen, um in gemeinsamer Arbeit für die Rückgliederung des Saar- gebietes an daS Reich zu wirken". Gleichzeitig wurden die Arbeiter in einigen größeren In- dustriewerken von ihren Borgesetzten aufgesordert, ähn- liche Verpflichtungen zu unterzeichnen. Da dem Präsidenten der Regierungskommission alsbald zahlreiche Beschwerden dieserhalb zugingen, schrieb er unterm 3. Marz 1034 an den Führer der„Deutschen Front", um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß seine Propagandamethode, welche die Personen in die Zwangslage versetzt, jetzt schon offen zu bekennen, wie sie bei der Volksabstimmung stimmen werden, mit dem Grundsatz einer freien, geheimen und unbeeinflußten Abstimmung unvereinbar sei. Die von der„Deutschen Front" angewandten Methoden würden außerdem die Gefabr in sich schließen, daß sie die Aukstellnng von schwarzen Liften ermöglichen, welche die Namen der nicht der„Deutschen Front" beigetretenen Per» sonen enthalten. Der Leiter der„Deutschen Front" hat auf diese« Schreiben unterm ö. Mär, 1034 durch eine Mitteilung geantwortet, mit welcher er eine von ihm unterzeichnete Bekanntmachung übermittelte, die im übriaen in der saarländischen Presse ver- össentlicht wurde. In dieser S4ekgnnt^.^»nng erklärt er. daß. um den Charakter der Freiwilligkeit de« Beitrittes ,ur„Deutschen Front"»»»«Ktlerett getroffen würden, um Einhalt zu bieten und daß im sib-'„-u gt'erbaunt nicht für den Veitritt zur„Deutschen Front" geworben würde Abschrift dieses Schriftwechsels ist seinerzeit dem Ausschuß des Hohen Rates übermittelt worden. Die Regierungskommission hat allerdings mit Bedauern feststellen müssen, daß die in dieser Weise gegebene Zu- sicherung, die weit über das hinausging, was sie verlangt hatte, nicht eingehalten worden ist. Wenn auch die Fassung der Beitrittserklärungen abgeändert wurde und nicht mehr die Verpflichtung nach dem Ursprung- lichen Text enthält,„mit allen seinen Kräften die.Deutsche Front" zu fördern, um in gemeinsamer Arbeit für die Ruck- gliederung des Saargebietes an das Reich zu wirken^, wenn auch die Unterschristensammlung in den Werken im allge- meinen aufgehört hat snachdem sie aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Wirkung getan hatte, und wenn auch die Haus- besuche sehr abgenommen haben, besteht nichtsdestoweniger eine intensive Propagandatätigkeit fort. So ließ die„Deutsche Front" ihre Aufnahmescheine mit Gratisnummern von Zei- tungen verteilen. Die gleichen Formulare sind im ganzen Gebiete in Briefkästen gelegt worden: überaus zahlreiche Annahmestellen sind eingerichtet sfür die Stadt Saar- brücken allein wurden am 17. März 8 2 7 solcher Stellen gezählt), von denen aus die Bewohner de? betreffenden Stadtviertels durch telefonische Anrufe zum Beitritt aufgefordert morden sind: Ausnahmescheine werden sogar in Cales und anderen öffentlichen Räumen zur Unterschrift angeboten: was noch schiverwiegender ist, eine beträchtliche Anzahl der Werbebüros werden von Staats- und Gemeindebeamten verwaltet, und Beamte der Regierungskommission sPolizeibeamte mit einbegriffen) werden aufgefordert, diese Scheine auszufüllen: ein sehr starker Prozentsatz der Bolizei- und Landjägerbeamten hat bereits ihren Beitritt vollzogen. Die Regierungskommission kann bei dieser Gelegenheit nicht mit Stillschweigen an der Tatsache vorübergehen, daß der Leiter selbst der„Deutschen Front", der bis Dezember 1033 Staatsbeamter am Landratsamt in Homburg war, einem Bürgermeistereisekretär im Kreise Homburg einen Pack Aus- nahmescheine der„Deutschen Front" übergeben hat, in welcher der letztere aus dem Bürgermeisteramt die Na- men der Einwohner der Gemeinde eingetragen hat, um sie daraufhin von Haus zu Haus zu verteile» und Unter- schritten zu sammeln. Das Ziel, welches mit dieser Tätigkeit der„Deutschen Front" verfolgt wird, dürfte sich ziemlich klar aus folgendem Aus- schnitt einer am 12. März 1034 von Herrn Bürckel, dem nationalsozialistischen Gausührer der Pfalz , gehaltenen und vom deutschen Rundfunk verbreiteten Rede ergeben:„Und ich glaube, daß Ihr Führer vielleicht am S. Mai vor aller Welt bekanntgeben wird, soundsoviel Hunderttausend Mit- glieder stehen in der„Deutschen Front". Dann soll einmal die Gegenseite herausrücken mit ihrer Mitgliederzahl. Dann wird die Welt und Frankreich erfahren, worum es geht und wieviel Uhr es eigentlich geschlagen hat." Die Regierungskommission erkennt an, daß eS sich hier um eine mit ber Volksabstimmung zusammenhängende Frage handelt, die zum größten Teil außerhalb ihrer Zuständigkeit liegt; darum glaubt sie sich verpflichtet, die besondere Aufmerksamkeit des Hohen Rates auf eine Machenschaft zu lenken, die jetzt schon dahinzielt, die freie, geheime und unbeeinflußte Durchführung der eventuellen Volksabstimmung zu gefährden. Genehmigen Sie, Herr Generalsekretär, usw. An den Herrn Generalsekretär des Völkerbundes, Genf . Bai Heuest* Nach einer in Paris vorliegende» Meldung aus Jstambul soll die türkische Regierung nichts dagegen einzuwenden haben, daß Trotzki nach der Insel Prinkipo zurückkehre. Das Amnestiegesetz wurde in der spanische« Kammer mit 260 Stimmen gegen eine Stimme, bei Enthaltung der ge- samten Linken angenommen. Das Gewandhausdirektorium hat Professor Hermann Abendroth jKölnj zum Gewandhauskapellmeister ge- wählt. Professor Abendroth hat die Wahl angenommen. Im Verlause der Kundgebung der Marxisten vor dem Pariser Rathaus wurden etwa 1000 Verhaftungen vor- genommen. Ein Polizeibeamter wurde ernstlich verletzt. Im Waltersbausener Mordprozcß wurde die Beweisauf- »ahme geschlossen rnd die Verhandlung aus Dienstag vertagt. Die chinesische Gesandtschaft in London veröffentlicht eine Erklärung, in der gegen die kürzlich von Tokio ausgegebene Mitteilung über China scharf protestiert u>ilb Vergessen wir nicht alle em wenig zu schnell? Immer wieder ist man erschreckt über die Mängel des menschlichen Denkapparats, Tatsachen zu konservieren, in dem dauernden Trommelfeuer der Ereignisse vernehmen wir oft nur noch die Wirbel. Ein Jahr, zwei Jahre zurück: wir sind schon in einer versinkenden Welt, die Wahrheit von damals ist die Lüge von heute. Ein Hauptstück der Aufrüttelung des Mittelstandes durch die Nationalsozialisten war die Kampfansage gegen die Konsumgenossenschaften. In den vergangenen Jahrzehnten waren sie zugunsten von Millionen von Verbrauchern ein großer deutscher Wirtschaftszweig mit stark preisregulierender Wirkung geworden. Immer befanden sich die Kleinhändler im Aufstand gegen ihren Konkurrenten. Sie machten sie verantwortlich für Stagnation und wirtschaftliche Proletarisierung. Als die nationalsozialistische Agitation die Mittelständler-Standarte, aufpflanzte, gehörte zu ihren wichtigsten Programmpunkten die Vernichtung der Konsumgenossenschäften. Der Bäckermeister Müller, der Meßgermeister Lehmann und der Gemischwarenhändler Meyer waren die treuesten Geldgeber für die grundsäßlich konsumv er eins feindliche Partei. Tua res agitur! Heute: alle Genossenschaften sind noch da. An der Spiße, in den Vorständen sißen braune Sachwalter. Aber ganz wohl ist den Leuten nicht. Sie haben dauernde Existenzsorgen: Erstens, weil die Kleinhändler a:e nur für Liquidatoren halten, zweitens, weil die Verbraucher in Scharen davonlaufen. Dazu das Sinken der Kaufkraft. Nun beachte man, wie heimtückisch die ökonomische Logik sein kann. Die einstigen Konsumgenossenschaftstürmer müssen jeßt als ihre Werber auf die Plattform treten. Wie tun sie es? Sie bewa; sen, daß die Konsumgenossenschaften nunmehr zu den offiziellen Institutionen des ,,dritten Reiches" gehören. In zahlreichen nationalsozialistischen Blättern stellt Pg. Karl Ludwig Dörr, MdR. folgende programmatischen Erkenntnisse zusammen: 1. Wir haben die Konsumgenossenschaften nur bekämpft, weil sie Hochburgen marxistischer oder zentrümlicher Parteipolitik waren. 2. Heute müssen die Konsumgenossenschaften gefördert, werden, weil sie in die deutsche Arbeitsfront eingereiht sind. 3. Bei einer Auflösung ginge der größte Teil der Spargroschen verloren. 4. Bei der neuen Beseßung der maßgebenden Stellen wurden durchweg alte, zuverlässige Nationalsozialisten gewählt, „die durch ihre Tätigkeit für das„dritte Reich" die Gewähr dafür boten, daß von jeßt an die Konsumgenossenschaften vollkommen in nationalsozialistischem Sinne arbeiten würden", 5.„Genossenschaft " bedeutet nichts anderes als Verwirklichung des nationalsozialistischen Grundsaßes:„Gemeinnuß geht vor Eigennuß." Da werden die Mittelständler staunen.' Pflege der Konsumgenossenschaften ist nun ein Stück nationalsozialistischer Weltanschauung, heilige Verpflichtung der Nation, Bestandteil des Aufbruchs. Pg. Kohlwetter, einst warmherziger Freund der Belange des Kleinhandels, sißt in der Zentrale des örti'chen Konsumvereins in SA.-Uni/orm mit doppelter Liße. Er verkauft Kartoffeln, Käse und Wurst im nationalsozialistischen Geiste. Es ist eine um einige Grad derbere Lüge als die mit den Warenhäusern. Aber jede, moralische Pose wäre fehl am Ort. Wir bekommen einfach einen praktischen Anschauungsunterricht über politische Ethik und politische Macht. Reichsfach- schaftsleiter Dr. Frauendörfer hat das, worum es hier im Politischen wie im Oekonomischen geht, auf einer Gaukonferenz in Darmstadt vor einigen Tagen sehr klar gesagt: „Wir wollen keinen Ständestaat, sondern den nationalsozialistischen Machtstaat." Mit anderen Worten: die Rücken der Mittelständler, auf denen die braunen Männer in die Macht krochen, sind in Sättel umgewandelt. Wer nicht pariert, bekommt den Sporn in die Weiche. Argus.
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2 (22.4.1934) 93
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