" Deutsche Freiheit", Nummer 98
Das bunte Blatt
Stadt... od
2.900 2000
Straßburg , du wunderschöne Stadt..
Der Winter war lang und grau. Von den Höhen des Schwarzwaldes und der Vogesen war nichts zu sehen. Nebel stante sich in den Straßen, Schnee lag schmutzig und armselig in den Rinnsteinen. Straßburg war gar feine schöne Stadt...
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Es gab Bemerkenswertes, gewiß, in dieser Großstadt, die nichts Großstädtisches hat. Es gab Schönheiten, die der Winter nicht mindern und umbringen fonnte. Am Allerheiligentag die Messe im Münster , zelebriert unter dem Aufgebot alles bischöflichen Prunkes, fast wie ein profanes Tanzspiel, vor den dunklen Kulissen der Altäre und Pfeiler. Allerseelen die flatternden Irrlichter der Kerzen auf tausend Gräbern unter einem wassergrauen, weinenden Himmel. Der letzte Prunk des Herbstes in der novemberlichen Orangerie. Ein früher Dezemberabend mit dünnem Goldlicht, das die Kathedrale unirdisch erleuchtete. Ein Blick in den Rabenhof und die verschollene Mittelalterlichkeit, die einem darin auflauert. Ein buntes Marktbild unter ver= schneiten Bäumen. Stunden in Museen vor Plastiken, die durch Jahrhunderte unheimlich nahes Leben bewahrten.
Münsterturm! Veilchenfarbene Berge, hauchzarte Wölfchen grüne Matten, Blätter und Knospen zu feierlichem Gelb entzündet, der gleißende Rheinstrom, sanftes Rot über den Aeckern, verschimmerndes Silber im Süden der Ebene, eine Flut von Helligkeit, darin die Tauben flattern und höher ein Flugzeug murrende Kreise zieht.
In den Vorstädten liegen alte Landhäuser von herrlichen Maßen, blühen Gärten in verschwenderischen Formen und Farben. Die Waldränder sind maiglöckchengrün.
Frühling in Straßburg , Frühling im Rheintal... Wenn nur das Tand wäre und man ihm sorgenlos nahe sein könnte, der Ruhe und dem Gedeihen unendlichen Lebens, den Farbenkünften, des reifenden Lichtes, dieser Stadt voll zweitausendjähriger Geschichte, wenn nicht die Umstände wären, mit denen das Leben ungnädig uns umgab, die Fesseln des Herzens, Scham und Stolz, Enttäuschung und Heimweh, Haß und Liebe, dann möchte man ein kleines Paradies erträumen in diesen strahlenden Wochen.
Sonntag/ Montag, 22./28. April 1984
2000 Tote in der„ Grünen Hölle"
In der„ Grünen Hölle", dem Grenzgebiet zwischen Para guay und Bolivien , hat eine große Schlacht stattgefunden, 2000 Tote sollen in diesem Urwaldgebiet liegen, 2000 Opfer eines wilden Kampfes um das Del.
Schon seit Jahren geht hier der ewige Kleinfrieg, der Streit aber währt schon länger als ein Jahrhundert.„ Gran Chaco Boreal" heißt zu deutsch Großer Jagdgrund". Begrenzt ist dieses umstrittene Gebiet von den Flüssen Pilco mayo und Paraguay , ein tückischer Urwald, der seit der Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 1810 ewiger Unruheherd in Südamerika gewesen.
Die Grüne Hölle", in der Weiße wegen ihres mörderischen Klimas faum leben können, im Sommer von gewaltigen Ueberschwemmungen heimgesucht, dann monatelange Troden= heit, vernichtende Glut der Sonne eigentlich ein wertloses Gebiet ist trotzdem wertvoll für die beiden Grenzländer, denn im Westen des Chaco sind vor einigen Jahren ergiebige Petroleumvorkommen festgestellt worden.
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Was stört da gelbes Fieber, die großen Chacoameisen, deren Stich die Menschen erblinden läßt, wenn es um Erdöl
Dämmerzeiten in einer kleinen Weinschenke mit einem Indianer- Millionär regelt den Verkehr geht. Was stören die vergifteten Pfeile beimtüdischer In
Herben, flaren Wein, der ein wenig erinnert an Franfen, Würzburg , Mainberg. Es soll zudem eine ausgemacht gute Küche geben. Davon fann hier mangels Sachfenntnis nichts gesagt werden. Aber über die Hors d'oeure im Broglin und anderswo haben schon erlauchte Federn hymnisch berichtet.
Nun regiert der Frühling. Es scheint an allen Enden, Straßburg werde nun die wunderschöne Stadt des Liedes, obwohl einem auch der Gedanke kommt, dies„ wunder= schöne" fönne ein Erzeugnis von Mädchensehnsüchten sein, ein Begriff, gestaltet in ungezählten Soldatenbriefen, zum Liede geworden, lockend wie alle Ferne, dunkel und melan= cholisch wie alle Fremde.
Aber es hält stand den seriösesten Ansprüchen.
Natürlich ist auch diese Stadt verhunzt durch geldhungrig und planlos bebaute Vorstädte; die Kasernen sind und bleiben Kasernen, so zivil und menschlich sich das Militär hier auch gibt; die von Wilhelm II. und seiner Zeit vererbten Bauerzeugnisse sind Greuel besonderer Klasse, der ,, Kaiserpalast" eine troßige Scheußlichkeit, die neue Synagoge bleibt verwaist unter jeglichem Himmel. Man vergißt
Der Indianerhäuptling Blaue Krähe" aus Oklohama hat einen großen Sieg über die Polizei von Hollywood errungen. Er darf als Privatmann und in Ziviltracht den Verkehr an den Straßenecken, an der seine komfortable Villa steht, tagsüber regeln. Die Entscheidung wurde getroffen, weil er einer der größten Steuerzahler des Bezirks ist und die Einwohner sich bereits an diese, für einen Millionär recht seltsame Betätigung, des Originals gewöhnt haben. Dte " Blaue Krähe" entdeckte eines Tages in ihren Jagdgründen im Staate Oflohama Del und überließ tränenden Auges den Besitz einer Delbohrkompanie, gegen einen erheblichen Scheck selbstverständlich. In seinem neuen Reichtum wanderte er nach dem damals aufblühenden Hollywood , faufte ein luxuriöses Haus, das er mit den erlesensten Möbeln nach französischem Geschmack einrichten ließ. Eine Filmschönheit wurde seine Ehefrau und Blaue Krähe" war in seinem neuem Leben restlos glücklich, nur in einem blieb er seiner Indianertradition treu: auf einem kostbaren Perserteppich errichtete er ein Wigwam in den Farben seines Stammes, in dem er auf ebener Erde schläft. Doch mit der Zeit wurde das Millionärsleben etwas eintönig, so daß er sich nach einer Betätigung umsah; die Arbeit eines Verkehrsschußmannes liegt ihm am besten, und darum hat er eben beschlossen, diesen Beruf ehrenhalber auszuüben.
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dabei nicht, daß die Stadt ein derbes Schnürkorsett anbatte, Die Affen von Bristol
die vor 30 Jahren noch militärisch ernstgenommenen Festungsanlagen, die erst teilweise beseitigt sind. Festung ist die Stadt noch. Aber von ihrer modernen Stärke ist nicht viel zu sehen. In die vormalige Wache am Kleberplatz ist das lebensfrohe Sinnenvergnügen eingezogen, Cafe, Restaurant, Cinema, Bar, Dancing. Deutsches Säbelraffeln wich der harmlosen Unaufdringlichkeit französischer Garnison. Die Zeiten haben sich geändert.
Aber die Stadt, jetzt erleuchtet und besonnt, von heiterer Wärme erfüllt, von blühenden Gärten und sprießenden Feldern eingefaßt, vor den nebelblauen Rettenbergen in Often und Westen, diese Stadt bleibt wunderschön. Diese Häuserzeilen, diese Gassen sind wohlgegliedert, mit erlesenen Erfern und schwingenden Dächern, modische Prospefte aus wohlhabender reicher Kultur. Dabei webt nicht der Moder um diese Vergangenheit. Hier ist keine Museumswelt wie in Rothenburg und Dinkelsbühl . Hier kreist
Aus dem 300 von Bristol ist ein Dutzend Affen ausgebrochen; die schöne Frühlingsluft, eine morsche Gitterstange und ein unaufmerksamer Wächter waren Grund genug zu diesem Ausflug in die Straßen der Stadt. Nichts half es,
dianerstämme, die von den Weißen aus besseren Jagdgründen vertrieben, in unauslöschbarem Urwaldhaß gegen dieſe Eindringlinge leben und jeden töten, dessen sie habhaft werden können.
Große Expeditionen friedlicher Forscher, die das unbefannte Gebiet ergründen wollten, sind am Widerstand der Natur und der Indianer gescheitert. Weiter bis zu den Randgebieten sind die weißen Kolonisatoren noch nicht vorgedrungen, trotzdem die Erde fruchtbar ist und wertvolle Bäume die kostbarsten Edelhölzer liefern.
Paraguay und Bolivien schickten nun ihre Truppen in den Urwald. Mit Maschinengewehren und Flugzeugen soll der Uebergang über den Paraguayfluß erzwungen werden. Boli vien , das unzweifelhaft der Angreifer ist, will nicht allein das Del, sondern auch, als südamerikanischer Binnenstaat, von allen Meeren abgeschnitten, einen Zugang zum Atlantischen Ozean. Und der Paraguanfluß wäre die ersehnte Zufahrtsstraße ins offene Meer. Ein Sieg Boliviens im Grand Chaco würde also auch die Kontrolle über diesen Fluß bedeuten.
2000 Tote, Soldaten, für Del und Wasserstraßen gefallen, sind die Opfer einer einzigen Schlacht auf diesem so weit ent legenen Kriegsschauplaß. Von den anderen Opfern aber schweigt der Kriegsbericht, denn jede Patrouille, die von der Haupttruppe abirrt, ist rettungslos verloren, und die Opfer der Unfälle unter den Truppen sind noch bei weitem höher als die Verluste in den Gefechten.
daß die Feuerwehr aufgeboten wurde und mit Bananen die Ein Elefant wird„ geworfen"
Ausreißer von den Bäumen herunterlocken wollte. Die Affen erfreuen sich noch immer, gejagt von der gesamten Bevölkerung der Stadt, ihrer Freiheit und werden nur durch das dauernde Herumjagen immer wilder. Sie holen sich ihre Nahrung, wo es ihnen Spaß macht, überfallen Marktfrauen mit frischen Gemüsen und denken gar nicht daran, in den langweiligen Käfig zurückzukehren. Man fürchtet, daß man die Tiere, wenn man ihrer nicht anders habhaft werden kann, erschießen, muß, denn hungrige Affen sind durchaus keine harmlosen Tiere und können recht wild und gefährlich werden.
Gegenwart durch alle Räume, überhaucht mit fräftigem Ein originelles Testament
Odem die Fassaden, die Fenster und Tore. Der Fluß murmelt blaugrau in Forellentönung vorbei. Die Wäscherinnen waschen an vielen Waschbänken grobes und feines Zeug. Die Wagen rasseln über viele Brücken.
Welch beglückende Bauten sind die Präfektur und das Rohan- Schloß , die Fassaden ein Spiel, geschaffen für die Heiterkeit der Sonne!
Welch ein Prachtwerk ist das alte Zollhaus an der Schinderbrücke, die jetzt ein bißchen verwahrloste Markthalle! Welch eine Sinfonie von Farben und Licht, der Blick vom
in
Zwei jehr bekannte Ringkämpfer haben Neuyork einen Elefanten zum Kampfe herausgefordert. Zwei gegen einen ist ja sonst nicht sehr ritterlich, aber hier hatte man in Anbetracht der Riesenkräfte eines Elefanten diesen Kampf erlaubt und vor einem interessierten Publikum rollte die Vorstellung unter den Augen eines gewissenhaften Schiedsrichters ab. Der Elefant schien zwar etwas verwundert, als sich plößlich zwei Mann an seinen Beinen zu schaf= fen machten, aber er war zu gut erzogen, um das allzu übelzunehmen, setzte sich nach einiger Zeit friedlich auf die Hinterbeine und ließ sich schließlich gehorsam„ werfen".
les Testament hinterlassen. Er hatte zu Lebzeiten 2000 Blund Der Mann mit dem Papieranzug
Sterling auf einer Bank deponiert und die Bestimmung getroffen, daß von den Zinsen dieser Summe die Getränke aller Stammfunden seiner Lieblingsbar bezahlt werden sollten. Das Testament hatte übrigens nichts vergessen. Für den Fall, daß die bestimmte Bar eines Tages freiwillig oder unfreiwillig schließen sollte, würde das nächstliegende Restaurant von dieser Stiftung bedacht werden und im Falle einer Prohibition sollten die Zinsen der Heilsarmee zuge= wandt werden.
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London ist bestimmend für die Männermode. Aber wohl faum wird der Anzug jenes seltsamen Herrn, der alltäglich durch London spazieren geht, Anklang finden: Er fleidet sich billig. Aus den großen englischen Zeitungen, wobei sich hier die Größe aufs Format bezieht, schneidet er sich Hose, Weste und Jackett. Und auch der Hut ist kunstvoll auf Papier gefnifft und trägt in großen Lettern die neuesten Nachrichten. Die Schuhe hat der seltsame Modeschöpfer sich aus Packpapier verfertigt.
Der Mann, den nichts erschüttern konnte
Zum ersten Male sind jetzt die Tagebuch- Aufzeichnungen des Er- Zaren Nikolaus II. im vollen Umfange veröffentlicht worden. Der frühere Russenkaiser pflegte gewissenhaft alle Ereignisse, die ihm von Belang erschienen, in seine Tagebücher einzutragen. Sie füllen nicht weniger als 52 Hefte und geben ein eigenartiges Bild davon, wie sich die weittragendsten Geschehnisse in der Seele des Lenkers eines Riesenreiches spiegelten.
Da ist z. B. der 19. Juli 1914, russischer Zeitrechnung. Damals vollzogen sich Vorgänge von weltgeschichtlicher Bedeutung. Im Tagebuch des 3aren finden sie den folgenden Niederschlag:
" Ich ging mit Alix( der Zarin) zum Dimeisti- Kloster. Wir gingen mit den Kinder spazieren. Als wir zurückkehrten, hörte ich, daß uns Deutschland den Krieg erklärt hat. Olga, Dimitri und Jean saßen mit mir am Mittagstisch. Am Abend kam der englische Botschafter Buchanan mit einem Telegramm von Georgy( dem englischen König). Die Beantwortung nahm viel Zeit in Anspruch. Wir haben um 21 Uhr nachts Tee getrunken."
Während die Armee bei Tannenberg verblutete... Einige Wochen später: Die nach Ostpreußen eingebrochenen russischen Truppen sind bei Tannenberg vernichtend geschlagen. Der Zar findet für dieses Ereignis nur die folgenden Worte:
omm
,, Am Nachmittag war ich mit Alig, Olga und Ella in der Stadt. Bin nach einem kleinen Spaziergang auf dem See Boot gefahren. Alig kam um sechs Uhr nach Hause. Ella war noch vor dem Mittagessen nach Moskau gefahren. Ich bekam die unangenehme Nachricht, daß die Deutschen mit überlegenen Kräften unser 13. und 15. Armeekorps ange= griffen und sie mit schwerer Artillerie vernichtet hätten. General Samsonow und viele andere fanden den Tod."
Auch die anderen Aufzeichnungen sind von einer Ruhe und Alltäglichkeit, die geradezu erschütternd wirkt. Während die Revolution bereits schwelte und ihr Ausbruch jeden Augen blick erfolgen konnte, heißt es im Tagebuch nur:
„ Heute abend hatte ich ein langes Gespräch mit Grischa ( Rasputin )", oder:„ Gestern abend warteten wir lange auf Grischa. Aber dann kam er endlich und wir blieben bis spät nachts beisammen."
" Ich habe ihnen meine Meinung gesagt."
Man blättert weiter in dem Tagebuch. 1917... An allen Ecken und Enden des Reiches ist Revolution. Der Zar ist von seinem stolzen Thron gestürzt. Wie hat dieser jähe Wandel auf seinen Seelenzustand gewirkt? Was sagt der Bar in seinem Tagebuch? dile ted
„ Ich habe lange und tief geschlafen. Erst hinter Dwinst bin ich aufgewacht. Es herrschte strahlender Sonnenschein bei großer Kälte. Ich habe mit meiner Suite über die Ereig nisse des gestrigen Tages gesprochen und dann lange ein
in Mohilew an."
Niemand würde aus diesen gleichgültigen Worten erkennen, daß der abgedankte Zar sich damals auf der Fahrt nach seiner Sommerresidenz befand, wo ihn die Familie mit Zittern und Bangen erwartete.
Ein neues Blatt: Die Schicksalswürfel sind gefallen. Der Zar lebt als Gefangener in Sarskoje- Selo. Er schreibt:
„ Trotz der Umstände tröstet uns der Gedanke, daß wir alle beisammen sind. Ich habe mit den Kindern bis 2 Uhr nachmittags die Zeit verbracht."
Die Ereignisse überstürzen sich im wilden Tempo. Die Zarenfamilie wird nach Sibirien verschleppt und schließlich in Jekaterinburg gefangen gefeßt. Der Sar berichtet darüber: „ Sie haben alles durchsucht. Auch Alig' Reiseapotheke. Das hat mich aber schon aus der Fassung gebracht, und ich habe dem Volkskommissar meine Meinung gesagt."
„ Keine Nachricht von draußen..."
Die letzten Blätter. Am 13. Juli 1918 schreibt der Zar in sein Tagebuch:
" Alexis' Knie ist besser geworden, obwohl er es noch nicht biegen kann. Das Wetter ist trübe. Von draußen teine Nachricht."
Drei Tage später wurden der Zar- und- seine Familienangehörigen getötet.
Das Tagebuch des Zaren ist das fühle Spiegelbild eines Herrschers, dem die Geschichte eine Aufgabe zugewiesen hatte, die weit über seine Kräfte hinausging. Es läßt sich schwer die Frage lösen, ob der unerschütterliche Gleichmut, der aus seinen Aufzeichnungen spricht, ein Ausdruck der Schicksals. ergebenheit oder der ergebenheit oder der Kurssichtigkeit.ist
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