„Deutsche Freiheit", Rummer SSDas bunte MattMittwoch. 25. April 1SS4Die erste KachtVon Felix FechenbschFelix Fechenbach, der Sekretär Kurt Eisners, desbayrischen Ministerpräsidenten und später sozialdemv-kratischer Redakteur in Detmold, gehört, wie tausendunbekannte sozialistische Soldaten, die„auf der Fluchtvon vorn erschossen" wurden zu den unsterblichenOpsern des deutschen Proletariats. Felix Fechenbachwar schon während des republikanischen Weimarer-systems unschuldig mehrere Jahre in bayrischenZuchthäusern eingesperrt. Schließlich wurde er amne-stiert. Aus seiner Zuchthauszeit stammt das Büchlein„Fm Haus der Freudlosen", dem wir anläßlich seinesGeburtstages ein kurzes Kapitel„Die erste Nacht" ent-nehmen. Fechenbach wäre am 28 Januar 40 Fahre altgeworden.„Der Transportschein liegt auf dem Tisch. Am oberenRand lese ich:„Vorsicht"! Das Wort ist mit Rotstift starkunterstrichen. Der Anstaltsdirektor wird durch die Wache ver-siändigt, daß ein„Zugang" eingetroffen. Gleich darauf werdeich abgeführt. Ein Beamter der Tonasche und ein Nacht-wächter begleiten mich. Tie großen Gittertüren, der ge-räumige Hof mit seinen mächtigen Arkadenbögen, die hohengewölbten Gänge, durch die wir kommen, das alles sieht sodüster aus und wirkt in der Beleuchtung der mitgeführtenHandlaternen fast gespenstisch und unwirklich. Und doch istsbittere Wirklichkeit. Der Nachtwächter ist mit Karabiner undPistole ausgerüstet. Neben ihm geht ein großer Polizei-Hund, der mich mißtrauisch anknurrt.Wir stehen in einem hohen Kreuzbogen vor einer Zellen-tür, sie wird geöffnet. Wie der Beamte Licht macht, pralleich entsetzt zurück. Ich hatte mir unter dem Begriff„Zucht-Haus" allerhand Unangenehmes gedacht. Was ich aber indieser Zelle zu sehen bekomme, übersteigt meine schlimmstenVorstellungen.In die Zelle ist ein großer Käfig aus rotlackierten Eisen-stanzen eingebaut.Mich überläuft ein kalter Schauer.Die Käfigtür wird geöffnet und mir bedeutet, daß ich ein-treten soll. Ich halte das zuerst für einen rohen Scherz, denman sich mit mir machen will. Aber es ist brutalster Ernst.„Da soll ich hinein?" frage ich, noch immer ganz ungläubig.Der Beamte bejaht. Dabei dreht er seinen martialischenschwarzen Schnurrbart.„DaS ist ja der reinste Tierkäsig!"„Fetzt sind's halt im Zuchthaus," kommt es lakonisch zurück,„aber ich bin doch kein Raubtier."Der Beamte lächelt überlegen und raschelt dabei mit seinemgroßen Schlüsselbund.„Wenn's amol a Zeitlang da sin', na werns scho einsehn,daß's hier Leut gibt, für die man so was braucht." Es warnichts zu ändern, ich mußte hinter die roten Eisengitter.Fetzt scheint mir nichts mehr unmöglich, selbst die Unge-heuerlichkeit, längere Zeit in diesem Raum bleiben zumüssen. Ich frage mechanisch danach. Meine Sorge wird nurzum Teil behoben.„Morgen ist Sonntag. Bis Montag müssen's also Geduldhaben. ES ist jo a nit so schlimm wie's ausschaut." Mir-st'Sschlimm genug.Ich werde allein gelassen. Der Beamte geht, um Matratzeund Schlafdecken zu holen. Ich schaue mir den Käfig näheran. Er.st zwei Meter hoch. Die oberen Querstangen kannich bequem mit der Hand erreichen. Die Rück- und die linkeSeitenwand werden von der Zellenmauer gebildet. Ganzunten, sast am Fußboden, ist ein eiserner Ring in derMauer befestigt, eine Vorrichtung für Fußfesselung. Dereinzige Einrichtungsgegenstand steht in der Ecke: ein Holz-kübel mit Deckel ohne Handgriff, die obligate Opserschale.Ich gehe auf und abMit drei Schritten habe ich den kleinen Raum durchmessenund muß dann immer wieder kehrt machen. Unwillkürlichdenke ich an Raubtierkäfige in Menagerien, in denen ge-sangene Tiere ruhlos am Gitter hin- und herstreichen.Da geht die Zellentür wieder auf. Matratze, Kopfteil, zweiSchlafdecken und ein Leintuch werden gebracht und auf demBoden des Käfigs zum Schlafen gerichtet. Ich muß michnackt ausziehen. Bor Kälte zittere ich.Leibesvisitation.Kein Winkel, keine Oesfnung des Körpers bleibt undurch-forscht. Dem Beamten ist das schon zum alltäglichen Hand-werk geworden. Er fühlt nicht mehr, welche tiefe Demüti-gung der ganze Vorgang für den Gefangenen bedeutet.Mein Hemd bekomme ich wieder. Alles übrige an Wäscheund Kleidung wird mir abgenommen. Käfig und Zellentürwerden verschlossen und verriegelt. Gleich darauf löscht dasLicht aus.Es ist dunkel und kalt.Ich bin müde von der langen Bahnfahrt, aber die neuenEindrücke beschäftigen mich, und der Gedanke an den schauder-haften Eisenkäfig, worin ich liege, läßt mich keine Ruhefinden. Ich kann nicht schlafen.Die nahe Turmuhr zeigt jede Viertelstunde die Zeit an.Ungeduldig zähle ich die Glockenschläge. Träge schleichendie Stunden und dehnen sich zu Ewigkeiten. Eine schlafloseNacht scheint endlos, besonders in solcher Lage.Ich habe immer nur den einen Gedanken: Wie kommeich aus dem Eisenkäfig heraus?Bis Montag hat mich der Beamte vertröstet. Dann sollich in eine ordentliche Zelle kommen. Also einen ganzen Tagund noch eine volle Nacht hier zubringen! Ich nehme mirvor, gleich am nächsten Morgen den Versuch zu machen, ineinen andern Raum zu kommen. Wenn man mich aber abweist? Tann bleibt's beim Käfig.So kreisen meine Gedanken unaufhörlich um den einenPunkt. Ter Nachtwächter kommt wiederholt, knipst das Lichtan und schaut durch den kleinen Spion in der Tür. Er willsich vergewissern, daß alles in Ordnung ist.Auch in der längsten Nacht rinnt eine Stunde nach derandern ab und die letzte dämmert dem Tag entgegen.Es schlägt sechs Uhr.Ich stehe auf, will mich ankleiden, um dann auf und ab zugehen. Aber ich finde meine Kleider nicht. Da fällt mir ein,daß ich sie am Abend hatte abgeben müssen. Fm Hemd spa-zieren gehen, wäre doch etwas ungemütlich: es ist auch zukalt dazu.Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich wieder ausdie Matratze zu legen.Bis halb acht Uhr bleibe ich unter den Schlafdecken ver-krochen, dann wird's lebendig im Haus. Fch höre Schritte.Stimmen, Tchlüsielklirren, Türen auf- und zugehen.Die Zellentür wird geöffnet.Ein Wachtmeister bringt mir meine Kleider und Wasserzum Waschen. Bald daraus kommt die Morgenkost, eineBlechschttsfel voll Brennsuppe und ein Stück Brot. Ich habeHunger und laffe nicht den kleinsten Rest übrig.—"Heilige RonservenbüchjenDas Bestreben der Fnder, englische Waren zu boykot-tieren, hat jetzt zu einem grotesken Vorkommnis geführt.Seit vielen Fahren knüpfen die Frauen in den kleinenindischen Dörfern bunte Bänder um leere Konservenmilch-dosen und machen diese schönen Handarbeiten ihren Hindu-Priestern zum Geschenk. Diese Arbeit des Knüpfens wirdmeist in aller Oeffentlichkeit auf dem Marktplatz verrichtet.Als nun vor kurzer Zeit revolutionäre Inder auf dem Markteiner kleinen Stadt die Buden mit englitchen Erzeugnissenumwarfen, und die Ware zertraten, bemerkten sie auch dieknüpfenden Frauen, und vor allem die leeren Kondensmilch-dosen mit englischem Ausbruck. Fm Bestreben, ihren Boykottbiß zur letzten Konsequenz durchzuführen, bemächtigten siesich der heiligen Büchsen und jagten die jammernden Frauenvom Marktplatz. Die Priester aber werden von nun abkeine leeren Milchdosen mehr von ihren Gläubigern zumGeschenk bekommen.Älbert Einstein und die LaienEinstein wurde nie verstanden,Hand aufs Herz, von Laienköpfen.Wie sie sich herum auch wanden,S'war zu hoch den armen Tröpfen.Trotzdem hat für sie getan,Fabelhaftes dieser Mann:Ohne die erhabne LehreVon der Relativität,Wüßt' ich nicht, waS mit unS wäre,—Sie ist unser Nachtgebet.Relativ ist alles Leben,Relativ sind die Begriff«„Heimat",„Vaterland",„das Streben".Sei's zu Lande, sei's zu Schiffe.Relativ das„Magenknurreu",Relativ das ganze„GlückDer Familie"— ohne Murre«Denkst du„relativ zurück".Stellst du„relativ dich ei»Zu der Freude, zu der Trauer,Dann verschwindet deine Pein—Du bist hinter einer Mauer—"Und mit felsenfestem WollenSag' zu allem„relativ!"Bringst den„Ein- stein du ins Rollen",Gehts dir„relativ nie schief".Lustige DingeUnbestreitbarProfessor:„Was meinen Sie wäre geschehen, wenn JuliusCäsar nicht ermordet worden wäre?"Schüler:„Ich glaube, er wäre später doch gestorben.(„Jugend")Zu spät„... und dann rate ich Ihnen noch, sich vor einer schlankenBlondine in acht zu nehmen."„Leider zu spät: besagte Dame ist schon meine Frau.(„Neue I. Z.)VertagtFräulein Lilli, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick."Könnten wir uns dann morgen wieber treffen?"(„Fliegende und Meggendorser Blatter)Resigniert„Papa, was ist ein leerer Titel?"„Zum Beispiel, wenn deine Mutter mich den Herrn deS'(.*«< s z.iBegründete Abneigung„Ich kann den Krüger nicht vertragen!"„Ich auch nicht!"„Wieviel bist du ihm schuldig...?"(„Humorist")BereinsuachrichtenGattin(in der Zeitung blätternd):„Komisch, daß ich dieGeburtsanzeige von Hubers Drillingen nicht finden kann.Gatte:„Wo suchst du denn?"„Unter Familienachrichten natürlich, wo denn sonst?„Schau doch einmal nach unter Bereinsuachrichten!"^Aus dem besten Wege„Nun, macht Ihre Tochter Fortschritte im Klavierspielen?"„Aber sicher! Sie kann eS gar nicht abwarten, vorwärts»zukommen Gestern sagte die Lehrerin zu ihr: Emma, mei«Kind, du bist ganze zehn Takte voraus."(„Deutsche Wochenzeitung für die Niederlande")Fyajaryk und die DetektiveIvan Herben und Fosef Mach haben in einem Büchlein,das im Prager Orbis-Verlag dieser Tage heraus-kommt, eine Menge Anekboten um und von Masaryk gesam-melt, die man mit Vergnügen liest. Masaryk tritt demLeser als geist- und humorvoller Mensch entgegen, der sichmit allen seinen Kräften davor wehrt, anders gewertet zuwerden als ein einfacher, vernünftig lebender Mensch. Be-sonders heiter sind die Anekdoten, die Masaryk im Kampsmit den ihm zu seiner persönlichen Sicherheit gegen seinenWillen beigegcbcnen Geheimpolizisten darstellt.Als Masaryk nach Griechenland und Palästina fuhr,drängte ihm der Innenminister einen der geschicktestenPrager Detektive als Begleiter auf. Protestieren nütze demPräsidenten nichts, er mußte der Polizei folgen und denDetektiv mitnehmen. Aber nach der Abfahrt von Prag ließer sich ihn kommen und sagte zu ihm freundlich:„Ich mußte Sie mitnehmen, weil es die Herren wollten:aber betrachten Tie diese Reise als Ihre Erholung: deshalbmuß Ihre Hauptsorge sein, daß ich Sie nirgends erblicke."Deshalb hielt sich der Detektiv ständig am Vorderteil desSchiffes aus. Nichtsdestoweniger geschah es, daß ihn der Prä-sident bei einem Spaziergang an Bord entdeckte: der Detek-tiv lag in einem Klappstuhl und schlief fest. Masaryk gingan ihm auf Fußspitzen vorbei, gab seinem Sekretär einZeichen, ganz ruhig zu sein und als sie aus der Hörweite desDetektivs waren, lachte Masaryk aus und iagte:„Fch bitteSie, geben Sie aus diesen Menschen Obacht. Denn wenn demetwas auf der Reise geschieht, macht mir der Minister desInneren die allergrößten Scherereien."*Ein anderes Mal wieder verschwand Masaryk plötzlich beiLana seinen zwei Hütern. Auf einem Waldweg machte erplötzlich eine scharfe Wendung und fort war er. Als er vonder andern Seite deS Waldes zum Schlosse zurückkam, sam-mclte gerade ein Weiblein am Wegesrand Reisig. Als sieden Präsidenten erblickte, rief sie ihm zu:„Herr Präsident.Herr Präsident, laufen Sie, laufen Sie rasch, denn die Gen-barmen suchen Sie schon."*Als Dr. Alice Masaryk in Lana Gäste hatte, lud sie sienach dem Mittagessen zu einem Spaziergang im Park ein.Sie gingen durch eine Allee, plötzlich blieb der Präsident,der hinter der Gesellschaft ging, stehen und rief ihr zu:„Gehtdort nicht hin, dort ist keine Natur mehr, dort stehen ja ehnur Polizeileut'."*Die Ueberwachungöbeamten haben mit Masaryk einenschweren Stand. Sie müssen immer aus Ueberraschungengefaßt sein. Uebrigens auch das Publikum. So erwartete ihneinmal vor einer Ausstellung eine große Menschenmenge.Plötzlich hörte er in seiner Nähe wie eine Frau sagte:„Schaut mal her, der Herr Präsident hat sich gar nicht ver-ändert." Masaryk drehte sich schnell um, ging auf die Frauzu und sagte ihr:„Das ist doch ganz eigenartig, liebe Frau,auch Sie haben sich überhaupt nicht verändert..."Wacht am lkattegattKopenhagen, 28. April 1984.Bei Helsingör dräuen die Zinnen der Kronborg ins Meer.Die Kanonen trutzen über den Sund zur schwedischen Küstehinüber. Die Schweden und Dänen waren einst nicht sofriedlich miteinander wie heute und die Kanonen der Krön-borg hatten oft Gelegenheit, mächtig zu donnern. Heuteführt dieses Bollwerk ein zwiefaches Dasein: einerseits lie-gen in den Kasematten dänische Truppen, patrouillieren ausden Wällen und tun eben das, was Soldaten in friedlichenZeiten zu tun pflegen. Daneben aber und hauptsächlich führtdie Kronborg im Baedecker drei leuchtende Sterne. Und dieseSterne sind es. die die Touristen aus allen Landen zu derFeste bei Helsingör führen. Das Zivil treibt für zweiKronen Eintritt vieles, was das Militärkommando ftirn»runzeln macht. Bei schönem Wetter liegen nach der obligate»Besichtigung die Faulenzer in den Gräben und auf denWällen, hocken auf den Schießscharten, schaue» über dasMeer hinaus und, was das schlimmst« ist: fotografieren.Nun ist das Fotografieren keineswegs verboten, aber dieFotografen sind unersättlich, sie wollen ein Andenken haben,wie es einzig in der Welt ist, sie wollen einen Hintergrund,wie ihn eben nur die Kronborg geben kann.Sehen da in Reih und Glied ausgerichtet viele Kanonen.Nicht mehr die neuesten Modelle, mit Spinnweben geschmückt,aber zum Salutschietzen reichen sie immer noch aus. Undausgerechnet auf diese Kanonen setzt jeder seine Braut nebstallen dazu gehörigen Anverwandten. Das gibt ein schönesGenrebild. Weil aber diese Kanonen königlich-dänischeSMilitärgut sind, wohl zum Besehen, aber nicht zum Besitzendurch gutzahlende Touristen zugelassen, muß militärisch ein-geschritten werden.Ueber den Kanonen wuchtet ein Wachtturm, auf diesemWachtturm steht ein einsamer Soldat mit aufgepflanztemBajonett und Stahlhelm. Der schreit im entscheidendenAugenblick:„Fort von die KanonerS!" Weil aber einerseitsder Soldat nicht so schnell von seinem Wachtturm herunterkann, wie ein« Momentaufnahme dauert und andererseitsdas dänische Militär zu gut erzogen ist, um auf fotografie-rende Touristen zu schießen, knipsen die Fotograsen trotzmilitärischer Warnung ihre Bräute samt Kanonen.Das RätselIn einer Berliner Mädchenschule gab der Lehrer dasRätsel auf:Vereint sollS jede« Mädchen haben.Getrennt sollS fehlen keinem Knaben.Die Lösung heißt:„Anmut und„an Mut". Aber für dieBerliner Schülerinnen war das Rätsel doch noch zu schwerund vielleicht auch für ihre unromantische Denkart nicht sehrgeeignet. Denn nur eine meldete sich, die triumphierendausrief:„Ich habe die Lösung! Hemdhose!"