kiier«Ute Gpitzelarbeit verrichtet würde. Am 2«. Januarsei dann ein Mann auf der Erpedition des„Sozialist- erschienen.der stch als der Briesschreiber Henkmann vorstellte. Er behauptete,auf ein von ihm in der„Berliner Ztg.- eingesetztes Inserat, worin einGeldmann als Theilhaber eines Patent-Unternehmens gesucht wurde,eine Postkarte, unterzeichnet von Spohr, erhalten zu haben, worindieser um nähere Auskunft über das Unternehmen ersucht haben sollte.Henkmaim machte entschieden den Eindruck eines Agent-Provo-t a t e u r s und man beschloß, die weiteren Aktionen des Henkmannabzuwarten. Er suchte sich dann in der großen Barceloua-Protcst-Versammlung bei Keller dem Spohr wieder zu nähern und lud ihnzum Kneipen ein; Henkmann habe keineswegs den Eindruck gemacht,daß er ein Anarchist sei, habe aber sowohl Spohr, als ihm selbst gegenübersehr aufreizende Redewendungen gebraucht. So habe er u. a. ge-sagt: Die deutschen Anarchisten seien doch sehrschlappe Kerle, daß sie sich so etwas gefallen lasten. Alsman ihm entgegen hielt, daß die deutschen Anarchisten doch inBarcelona nichts thun könnten, habe Henkmann erwidert tauchin Deutschland haben die A n a r ch i st e n genug zut h it n. Er habe serner gesagt; wenn i ch e i n m a l aus derW e l t g e h e, d a n n in u ß K r a u s e mit. Er, Zeuge, habe da-mals geglaubt, Henkmann habe mit dem Namen Krause nur eineUnischreibung des Namens des Kaisers geben wollen, erst der ProzeßKoschemann habe ihn auf den Gedanken gebracht.daßmitdieserWendungdoch etwas anderes gemeint gewesen sei. Er habe es deshalb fürseine Pflicht gehalten, den Henkmaun, der einen sehr gedrückten,heruntergekommenen Eindruck gemacht, noch einmal aufzusuchen.Als er sich am 8. April in die Henkmann'sche Wohnung begab,habe er die Wohnung gerichtlich versiegelt gefunden. Er habe mitSchaudern vernommen, daß sich am 24. März Henkmann mit seinerFrau selbst getödtet, nämlich verbrannt habe.Auf Befragen des Präsidenten erklärt der Zeuge, daß er Anarchistsei und zweimal wegen Aufforderung zum Ungehorsam gegen obrigkeit-liche Erlaffe mit 2 bezw. 9 Monaten Gefängniß bestrast worden seiDamals sei er Redaktetir des„Sozialist- gewesen.Die Stellung zum Eid.Präs.: Haben Sie auch früher den Sozialist gelesen?—Zeuge: Jawohl.— Präs.: Kennen Sie die im Jahre 1392 er-schienenen Artikel, betreffend den Eid eines Anarchisten, wenn ergegen einen Gesinnungsgenossen als Zeuge aufzutreten hat?—Zeuge: Ja, die habe ich gelesen.— Präs.: Billigen Sie diedarin vertretene Ansicht?— Zeuge: Nein, ich stimme derselbennicht zu.— Staatsanwalt K a n z o w: Herr Landauer, Sie sind,ivie ich weiß, anarchistischer Schriftsteller, warum traten Sie in denSpalten des„Sozialist" nicht als Verfechter der entgegengesetztenAnsicht ans?— Zeuge: Ich hielt es nicht für richtig, durch Ver-öffentlichung einer Kritik zur Gegenäußerung herauszufordern unddadurch vielleicht einen Verstoß gegen die Gesetze' herbeizusühren.Heubuan«.Staatsanwalt Kanzow: Lesen Sie den„Lokal-Anzeiger'?—Zeuge: Selten.— Staatsanwalt: In diesem Blatte hateine Notiz über den Tod Henkmann'S gestanden, sollten Sie dieselbenicht gelesen haben?— Z e u g e: Die Nachricht ist erst am 3. Aprilzu meiner Kenntmß gelangt.— Staatsanwalt: Stehen Siezu dem in der gestrigen Nummer des„Sozialist- erschienenenArtikel:„Wie Dynamit- Attentats• Prozesse entstehen- undder im wesentlichen das enthält, was Sie uns heute er-zählt haben, in irgend welcher Beziehimg?— Zeuge:Nein.— Staatsanwalt: War es Ihnen nun nicht auffallend,daß ein Mann wie Henkmann, den Sie als einen Polizeispitzel hin-stellen, seine Machinationen erst im Januar d. I. begann, währendKoschemann bereits im Juli v. I. verhaftet wurde?— Zeuge:Nein, das ist mir nicht aufgefallen.— Vertheidiger: Wiesah Henkmann anS?— Zeuge: Ein Mann, gedrungen und vonMittelgröße, mit einem vollen rothen Gesicht und einem braunenVollbart. Er utachte, wie gesagt, einen unheimlichen Eindruck.Polizei und anarchistische Attentate.Staatsanwalt: Verkehrten Sie rntch im Späth'schen Dis-kutirklub?— Zeuge: Nein, die dort verkehrenden Anarchistenvertraten einen anderen Standpunkt. Wir verkehrten auch schonum deshalb nicht bei Späth, rveil das Lokal uns als Spitzelfallebekannt war.— Bertheidiger Dr. Werthauer: Können Sie unsThatsachen angeben, wonach Polizei-Organe selbst derartige Sachenangestiftet haben?— Z e u g e: Ja, ich erinnere nur an de» FallWohlgemuth.Kriminalkommiffarius Bösel.Kriminalkommiffcwius Bösel: Es wird hier wider der Ver»such gemacht, die Polizei der Provokation zu beschuldigen. Ichhabe schon einmal kategorisch erklärt, daß ich keine Provokationendulde. Ich bin von Anfang an der Ansicht gewesen, daß die Ge-siunungsgenossen Koschemann's den Versuch machen werde», dieAngeklagten der Justiz zu entziehen, und daß die Anarchisten in derWahl ihrer Mittel nicht wählerisch sind, ist bekannt. Im„Sozialisthat auch schon vor längerer Zeit ein Artikel gestanden, iu ivelchemdie Ueberzeugung ausgesprochen wurde, daß die Nachforschungennach dem Absender der Kiste ohne Erfolg bleiben werden. Ich habeschon damals mir gesagt, ob nicht im letzten Augenblicke Herr Landauerals Retter in der Noch austreten wird. Mir ist es sehr intereffant,daß diese Bermuthung jetzt bestätigt wird. Ich habe genau so, wieder Landrichter Hallervorden, die Empfindung gehabt, daß in dieserAngelegenheit allerlei dunkle Mächte arbeiten. Das bewiesen auchallerlei Artikel in den Zeitungen. Ein Artikel— ich glaube, erstand in der„Tägl. Rundschau"— ging sogar so weit, zu be-haupten, daß der Eifer untergeordneter Polizet-Organe. niit allerGewalt in dieser Angelegenheit die Thätigkett von Anarchisten zuentdecken, schon in maßgebenden Kreisen Anstoß erregt undzu Berathungcn im Polizeipräsidium Veranlastnng gegebenhabe. Ich bin sofort darauf ausgegangen, mir Gewiß-heit darüber zu verschaffen, ob jene Notiz auf Wahrheitberuhe, und habe erfahren, daß dies keineswegs der Fallist. Jin Gegentheil: meine Vorgesetzten haben meinen unermüdlichenEifer, in diese dunkle Angelegenheit Licht zu bringen, anerkannt.Die Akten werden zeigen, daß nicht von Anfang an ein bestimmterVerdacht obwaltete, sondern daß mühsam Baustein an Bausteingereiht werden mußte, um endlich das erdrückende Belastungs-material zusammenzubringen. Daß man nun hier wiederversucht, diese ganz« Sache als Spitzelarbeit hinzustellen.dafür habe ich keinen parlamentarischen Ausdruck.— Rechts-anwalt Dr. Bieber: Der Zeuge hat hier von einem„erdrückenden" Belastungsmaterial gesprochen. Hat er nachdem Gange des Prozesses auch heute noch die Ansicht, daß„erdrückendes Belastungsmaterial" gegen sämmtliche Angeklagtevorliegt.— Zeuge: Ich bin in meiner Erregung, die wohl be-greiflich ist, wohl etwas zu weit gegangen und habe mich in derWahl des Ausdruckes vergriffen. Ei» solches Urtheil darf ich nattir-lich hier nicht abgeben.— Rechtsanwalt Dr. Bieber: Ich bittealso die Herren Geschworenen, auf dieses Urtheil keinerlei Gewichtzu legen.— Staatsanwalt K a n z o w: Ich nehme keinen Anstand,als Vertreter der Anklage zu erklären: Ich halte nach dem bis-herigen Gang der Dinge noch nicht für dnrgethan, daß„erdrücken-des Belastungsmaterial gegen sämmtliche Angeklagte" vorliegt.Wir sind ja aber noch nicht zu Ende und müssen das weitere abwarten.Landauer im Kreuzverhör.Auf Befragen der Vertheidigung erklärt der Zeuge Landauerweiter, daß er und seine Freunde den Späth schen Diskutirklubstets mit Vorsicht behandelt haben, da er ihnen nicht unverdächtigerschien, weil dort doch manchmal auffallend unvorsichtige Redengehalten wurden.— Staatsanwalt K a n z o w: Ist Ihnender Anarchist Dempwolff bekannt?— Zeuge Landauer:Jawohl.— Staa tsanw alt: Ist Ihnen bekannt, daß dieserDempwolff, der Ihnen befreundet und schon oft bestraft ist,erst vor Kurzem Aeußerungen gethan hat, daß man dieThaten von 1348 wiederholen müßte?— Zeuge: Ichbin»n jener Versammlung nicht zugegen gewesen und kannkaum annehmen, baß Dempwolff solche Aeußerungen gemachthat.— Zeuge Landauer erklärt weiter: Er habe sich zur Zeitder Absendung der Kiste in Bregenz am Bodensee dauernd auf-gehalten und sei erst wegen einer schweren Erkrankung seinerFrau nach Berlin gekommen. Obgleich nun die Polizei nach einereinzige» bestimmten Person, der Frauensperson mit dem Tituskopf,recherchirte, habe sie sich nicht gescheut, auch seine Frau, bei welcherkeine Spur von Aehnlichkeit obwaltete, als Absenderin der Kiste zuverdächtigen.— Polizeirath Wolfs: Die Recherchen haben sichnicht auf eine einzige, sondern aus 70—80 Frauenspersotren erstreckt.— Kriminalkommissar Bösel erklärt zur Sache Henkmann noch-mals ausdrücklich, daß er diesen absolut nicht kenne, auch ihnniemals als Agenten benutzt habe, wie er auch nicht wisse, daßHenkmann überhaupt als Polizeiagent Verwendung gefunden hätte.Brede wußte von den Polizcimaßnahmen gegen Koschemann.Hierauf wird der Bater des Angeklagten K., der SteueraufseherKoschemann aus Weißenfels, vernommen. Er ist ein Mann von53 Jahren, der in der Steuerbeamten-Uniform erscheint. SeineBrust ist mit Kriegsdenkmünzen und anderen Auszeichnungen bedeckt.Er ist an dem vielerwähnten zweiten Pfingsttag 1395 auch mit inKönigswusterhausen gewesen und weiß, daß sein Sohn dort nichtauf eine längere Zeit verschwunden war und keine Gelegenheithatte, im geheiinen eine Uhr zu kaufeit. Dagegen bekundet er,daß am Tage nach jenem Ausfluge der Zeuge Brede ihmallerlei Schlechtes über seinen Sohn Paul erzählt habe. Namentlich habe er ihm schoit damals ge-sagt, daß Pattl K. von der Polizei aus dieAnarchistenliste gesetzt und auch schon photographirtworden sei. Thatsächlich ist Koschemann schon im April 1395bei Gelegenheit einer vorübergehenden Sistirung photographirtworden.— Zeuge Brede bestreitet, daß er in positiver Form diestattgehabte Photographirung behauptet habe. Er habe allerdingsin längerer Unterredung mit dem Vater Koschemann die Ueber-zeugung ausgesprochen, daß sein Sohn Anarchist sei und leicht au'die Anarchffle» liste gesetzt und photographirt werden könnte. DerAngekl. Koschemann behauptet, daß Brede aus seinem Munde nichterfahren haben könne, daß er photographirt worden sei. Der Wunsch desAugeklagten, seinem Vater vor dessen Entfernung noch die Hand drückenzu dürfen, wird ihm ersnllt.— Präs.: Werden etwa Bedenken inbezug ans den Geisteszustand des Angeklagten Koschemann erhoben?Dann mußte der Vater noch hier bleiben.— RechtsanwaltWerthauer: Die Vertheidigung hat sich darüber noch nichtschlüssig gemacht. Mir selbst sind, wie ich nicht leugnen kann, schoneinige Zweifel in dieser Beziehung erstanden.— Präs.: Dannkann also Koschemann Vater nicht entlasten werden. Letzterer erklärtnoch auf Befragen der Vertheidigung, daß er, nachdem er vonBrede die Andentungen über seinen Sohn erhalten, diesem ernsteVorhaltungen gemacht habe. Letzterer habe ihm geantwortet:„DieSache sei nicht so schlimm," und habe dann versprochen, sich vonder anarchistischen Sache ganz zurückzuziehen.— RechtsanwaltWerthauer erklärt, daß er vielleicht noch in die Lage kommenwerde, einen jetzt in Oesterreich weilenden Zeugen, der auch am29. Juli 1396 den Koschemann zur kritischen Zeit in Weißensee ge-sehen haben will, zu zitiren.Spohr über Henkinau».Zeuge Spohr, der Expedient des„Sozialist", erzählt seineBegegnung mit dem Henkmann, der sich in sehr auffälliger Weisean ihn herattgedrängt habe und den er ebenso ivie Landauer füreinen agent provooadsur gehalten habe.— Staatsanwalt K a n z o w:Ist es richtig, daß der Zeuge einmal gesagt hat: Ob die Anarchistendies und jenes thun, ist eine Frage der Taktik, nicht eine Fragedes Gewissens?— Der Zeuge bestreitet dies.— Die ZeugenLandauer und Spohr werden vereidigt und entlassen.Die Ergebniffe der Haussuchungen.Präs.: Koschemann, als bei Ihnen am 30. Juni 1895 eineHaussuchung gehalten wurde, ist bei Ihnen ein auf eine Kiste ge-nageltes Uhriverk gefunden worden. Was hat es damit für eineBeivandtniß?— Angekl.: Das Uhrwerk habe ich in den All-gemeinen Elektrizitätswerken zu 50 Pf. gekauft.— Präs.: So wiees da ist?— Angekl.: Ja wohl, das sind ausrangirte Uhriverke,welche für Bogenlichtlampen gedient hatten und dann für 50 Pf.das Stück verkauft wurden.— Präs.: Was wollten Sie denn mitdem Uhrwerk?— Angekl.: Ich hatte die Absicht, einen Apparatzu konstruiren, welcher für Aerzte dienen und den Zweck erfüllensollte, mit Hilfe elektrischer Akkumulatoren jemand, der des Nachtsan der Glocke eines Arztes zieht, sofort in den Stand zu fetzen,zu ersehen, ob der Arzt sich sprechen lassen will oder nicht.—Präs.: Angekl. Westphal, auch bei einer Haussuchung, die bei Ihnenvorgenommen wurde, sind allerlei Dinge, Uhrräder u. dgl., gefundenworden. Was wollten Sie denn damit?— Der Angeklagte erklärt,daß er den Apparat zusammen mit Koschemann ausnutzen wollte.— Kriminalwachtmeister Targunski hat bei der Haussuchungbei Koschemann außer dem Uhrwerk auch noch eine Rolle Leitung?»draht vorgefunden, von dem der Angeklagte behauptet, daß er ihnzur Anlage von Haustelegraphen verwende» wollte.— Der Sach-verständige Telegraphen- Assistent T a e g e n hält es nicht fürunmöglich, daß das Uhrwerk zu dem von K o s ch e-mann erwähnten Erfindungszwecke hätte dienenkönnen. Das Werk ist ein solches, wie es für elektrische Zweck« ver-wendet wird, der Leitungsdraht ist der gewöhnliche, für Telegraphen-leitungen verwendete. Eine Aehnlichkeit zwischendiese in Uhuwerk und dem einer Wecke rithri st nicht vorhanden.— Krimiualschutzmann Busse hatbei der Haussuchung außer einer Nummer der„Freiheit" undmehrerer anarchistischer Werke auch ein Fläschchen Benzin undKupscrdraht vorgesunden. Das Benziu sollte angeblich zum Flecken-reinigen, der Draht zum Legen telegraphischer Hausleitungen ver-wendet werden.— Kriminalschutzmann S ch w e r d t h e l m hat beidem Angekl. Weber die Haussuchung vorgenommen und dabeiaicher der Most'schen„Freiheit" auch zwei Hefte Rundschrist-Vorlagenund einen halben Bogen mit Rundschrift-Proben vorgefunden.(DieBcgleitadreste der Sprengkiste ivar bekanntlich in Rundschrift ge-schrieben.) Weber behauptet, daß die Rundschriftheste seinem Brudergehören und daß er danach Uebungen augestellt habe.— Beispäteren Haussuchungen sind bei Westphal mehrere Uhrräder,anarchistische Schriften, eine Patronenhülse, das Uhrwerk einer Wecker-uhr in einer Schachtel vorgefunden. Westphal behauptet, daß esdas Uhrwerk einer elektrische» Glocke war. welches die Beamtenschon 1895 bei ihm gesehen, aber nicht mitgenommen hatten,während sie es 1896 als verdächtig nntnahmen. Die Patronenhülsehabe er als Bleistiflhalter benutzt. Bei Westphal ist ferner einBrief aus Johannesburg mit Mtttheilungen über die dort erfolgteDynamit-Explosion vorgefunden worden, der nach seiner Behauptungvon einem Schlächter Winkler herrührt.— KriminalschntzmannBusse hat ferner am 19. Juli 1896 bei der Wiltwe Koschemanneine Haussuchung nach Koschemann's grauem Anzüge vorgenommen.Es wird behauptet, daß dieser Anzug nicht gesunden worden, that-sächlich aber in der Wohnung vorhanden gewesen, aber in einemBerg schmutziger Wäsche versteckt worden sei.— Die Beamten erklären, daß sie in diesem Falle den Anzug gefunden haben würden.Noch mehr Schutzleute als Zeuge».Schutzmann Busse bekundet, daß er die Wittwe Koschemanndirekt nach dem grauen Anzug gefragt habe, sie habe aber ver-neint, daß er sich in ihrer Wohnung befinde. Von der WittweKoschemann ist der Beamte sofort zur Angeklagten Gürtler gegangenund hat auch dort vergeblich nach dem Anzüge recherchirt.—Kriminalschutzmann Fetken hau er: Am 1. Juli 1895, als PaulKoschemann das erst« Mal verhaftet war, wurde er auf der Straßevon Frau Wittwe Koschemann mit der Frage angesprochen:„HabenSie ihn?" Auf die bejahende Antwort sagte Frau Koschemannweiter:„Da können Sie froh sein, denn die Angeklagte Gürtler istmit Warsönke nach dem Bahnhof gefahren, um Kosche-mann von seiner drohenden Verhaftung zu benachrichtigen.Die Gürtler hat Geld mitgenommen, damit Koschemannofort nach der Schweiz befördert werden könnte."—Die Gürtler bestreitet dies; sie meint, die Koschemannhabe schändlich gelogen, denn sie sei nur nach dem Bahnhof ge»gangen, um mit anzusehen, wann Koschemann verhaftet würde undzu kontrolliren. ob sich die Beamten dabei etwa Uebergriffe zuschulden kommen lassen.— Ein Schutzmann will von Frau Kosche»mann gehört haben, daß Frau Gürtler mit Warsönke und anderenGenosten in der Küche hinter ihrem Geschäftslokale Zusammen-künste zu halten pflegte und vorn an ihrem Laden einen elektrischenDrücker angebracht habe. durch dessen Berührung die Genossen inder Küche benachrichtigt wurden, daß sie sich schleunigst hintenheraus zu entfernen hätten.— Die Angekl. Gürtler meint, dieschwerhörige Frau Koschemann habe die ganze Sache mißverstanden;die telegraphische Leitung habe den Zweck gehabt, ihren Haus»knccht, der hinten in dem Kohlenschuppen beschäftigt war, wennes nothwendig war, nach vorne zu zitiren.Zeugin Wwe. Koschemann,die 53 Jahre alte Tante des Angeklagten K.: Mein Neffe ist recht-schaffen und fleißig und reell gewesen, was weiter passirt ist, weißich nicht.— Präs.: Das wäre sehr wenig. Wir wollen einmalversuchen, ob wir etwas mehr herausbekommen.— Auf viele, eingehende Fragen des Vorsitzenden bekundet die Zeugin im allgemeinenfolgendes: Ihr Neffe sei vor etwa 3 Jahren zu ihr gezogen, seivielfach nicht zu Hause gewesen, mid habe auch manchmal Büchermit nach Hanse gebracht, die er ihr auch zu lesen geben wollte.Sie wollte aber„an so was" nicht glauben. Was dieses„so was"war, erklärt die Zeugin nicht mehr zu wissen, denn„wenn sieihre Brille nicht zur Hand habe. könne sie ja doch nichtssehen." Ihr verstorbener Ehemann habe dem AngeklagtenKoschemann wiederholt Vorhaltungen gemacht, daß er beiseiner Jugend doch nicht so ost in die Versammlung gehen solle.Bei Gürtler's sei er sehr häufig gewesen, er habe sich auchmancherlei aus der Fabrik mitgebracht, wie Uhrräder u. dergl. Ausihre Frage habe sie die Antwort erhalten, es solle eine Maschine„zum Stromstärken" werden. Am 29. Juni 1895 sei er srüh weg-gegangen, angeblich nach Martinickenselde; er habe einen grauenAnzug und einen dunklen, bläulichen Hut getragen. Als er nachseiner Verhaftung wieder nach Hause kam, habe er den grauen Anzugin seinen Koffer gelegt.Der graue Anzug.Präs.: Was ist dann aus dem grauen Anzug geworden?— Zeugin: Ich habe ihn versteckt. Rock, Hose, Weste waren inein Papier gewickelt und ich habe das Packet in einen Waschkorb ausreine Wäsche gelegt.— Präs.: Bei der Haussuchung ist er abernicht gefunden worden.— Zeugin: Weil er in der Küche war.— Präs.: Der Anzug ist also von Ihnen versteckt; warumdenn?— Zeugin: Weil so viele kamen, junge Leute, die wolltenden Anzug haben, und da habe ich gesagt, er sei nicht mehr da.Als der"Kriminalschutzmann Busse am 19. Juli 1896 die Hans-fnchung abhielt, habe er den Anzug nicht gefunden. Auch FrauGürtler sei einmal zu ihr gekommen, als sie die Vorladung zumPolizeipräsidium hatte, und habe den Anzug haben wollen. Siewollte ihn wegbringen, habe aber den Anzug von ihr nicht be-kommen.— Frau Gürtler erklärt dies für unwahr.— Nach derweiteren Tarstellung der Zeugin ist in der Sonntag-Nacht, in welcherKoschemann verhastet wurde, die Gürtler mit ihrem Manne bei ihrgewesen und habe gefragt:„Ist Koschemann schon hier?" Auf dieverneinende Antwort habe Frau Gürtler gesagt:„Na, dann habensie ihn fest" und Herr Gürtler habe hinzugefügt:„Na, nun siehstDu, was Du davon hast; nun werden sie Dich auch baldfestnehmen!" Die Zeugin erinnert sich nur langsam, daßGürtler's an jenem Abend auch noch etwas vom Bahnhofe gesagthaben, weiß aber nickt, ob damit gesagt sein sollte, daß Gürtler'sschon auf dem Bahnhofe waren und Koschemann warnen wollten.Bei ihrer ersten Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter hatte dieZeugin behauptet, der Anzug sei weggewesen und ein kleiner Jungehabe ihn erst später wiedergebracht. Frau Gürtler habe ihr danngesagt, sie solle den Anzug nicht herausgeben und so habe sie ihndenn versteckt. Die Gürtler hat sich einmal von einem gewissenKaul ein Schreiben an den Oberinspellor des Zellengefängnisses inPlötzensee anfertigen laffen, in welchem angeblich die WittweKoschemann um die Erlaubniß nachsuchte, ihr eine Unterredungmit ihrem Neffen zu gestatten. Frau Koschemann hat auch wirklich— wie sie sagt, ohne ihr Zuthun— eines Tages eine Aufforderungaus Plötzensee erhalten, dort zu erscheinen, hat dann aber an jeneinTage ihren Neffen doch nicht sprechen können.— Frau Koschemannbestätigt schließlich, daß ihr verstorbener Ehemann am zweiten Pfingst-tage einen halben Napskuchen mit heimgebracht habe, der in einrothgeblümtcs Taschentuch eingebunden war— Einzelne belastendeAussagen dieser Zeugin sind nur unter Schwierigkeit mit ihrenfrüheren Aussagen in Einklang zu bringen. Sie entschuldigt sichdamit, indem sie dem Vorsitzenden sagt:„Sie jlooben jar»ich,err Anwalt, wie schwach ich im Kopf bin. Ich habe meineedanken gar nicht mehr beisammen."— Nach Beendigung derMittagspausewerden wiederum die Schreibsachverständigen vernommenum ihre Gutachten über die Adreffe und den Begleitschein zu derAttentatskiste abzugeben. Da die beiden Adressen mit Rundschristgeschrieben sind, so ist die Aufgabe der Schreibsachverständigen eineschwierige. Herr Langenbruch erklärt, daß er nur mit Vermuthungenund Möglichkeiten rechnen könne.— Sekretär Altrichter kommt inseinem Gutachten zu dem Schluß: Es liegen erhebliche Momentedafür vor, daß es wahrscheinlich ist. daß der AngeklagteKoschemann die Packetadresse geschrieben hat.Die EntlastnugSzeugru.ES werden zwei von der Vertheidigung geladene Zeugen ver-nommen. die Mechaniker-Ehefran Baum berger und der Mecha-niker G ö t s ch. Die erstere bekundet, daß ihr Mann im Sommer1395 mit Koschemann in der Löwe'schen Fabrik gearbeitet habe.Ob ihr Mann sich an dem erwähnten Sommersest betheiligt habe, wissesie nicht, glaube es aber nicht, da sie zur damaligen Zeil ein kranke?Kind hallen. Ihr Mann arbeite jetzt in einer Fahrrad-fabrik in Stcyr in Nieder- Oesterreich.— Der folgende Zeuge,Mechaniker Götsch, hat ebenfalls mit Koschemann zusammengearbeitet. Er hat nicht an dem Sommersest theilgenommen, abervon Baumberger gehört, daß dieser Koschemann bei dem Fest ge»troffen habe.— Die Vertheidiger Koschemann's halten es für noth-wendig, den Baumberger aus Oesterreich kommen zu lasse», woraufder Gerichtshof dessen telegraphische Ladung beschließt. Nach kurzerUnterredung ziehen die Vertheidiger ihren Antrag zurück undverzichten auf die Ladung des Zeugen Baumberger. Di« Ver-nehmung der folgenden Zeugin, einer Wittwe A l t m a n u, mit derWittwe Koschemann verwandt, verursacht dem Präsidenten ungeheureSchwierigkeiten. Wort für Wort muß ihr herausgeholt werden. End»lich giebt sie zu, daß sie vor dem Untersuchungsrichter die Wahrheitgesagt habe. Damals hat sie bekundet, daß sie zugegen gewesen sei, als dieAngeklagte Gürtler in der Nacht, als Koschemann's Verhaftung er-folgte, zur Wwe. Koschemann gekommen sei und gefragt habe, woihr Neffe sei. Als die Antwort erfolgte, daß er noch nicht zu Hausesei, habe die Gürtler gesagt:„Na denn haben sie ihn, denn ein Zugkommt nicht mehr." Die Zeugin hat aus der Aeußerung derGürtler entnomnien, daß sie selbst ans dem Bahnhofe gewesen sei.Der Ehemann der Angeklagten Gürtler, der Handelsmau»Augustin Gürtler, erklärt, daß er von seinem Rechte, sein Zeugnißzu verwetgern, Gebrauch mache.lveruehmnng des Berichterstatters Kaul.Er habe die Angeklagte Gürtler durch kleine Einkäufe, die erm ihrem Laden gemacht, kennen gelernt und dann auf ihre Bittehm für die Wittwe Koschemauti ein Gesuch an die Gefängniß-Verwaltung zit Plötzensee gerichtet. In verschiedenen Unter»Haltungen habe Frau Gürtler ihm von dem Gange der Bor-Untersuchung gegen Koschemann erzählt, besonders, daß es der Polizeidarum zu thun war, des grauen Anzugs habhaft zu werden. DieWiltwe Koschemann bleibe bei allen Nachfragen dabei, das, sie denAnzug nicht habe. Eines Abends nach 10 Nhr sei Frau Gürtler involler Erregung zu ihm gekommen und habe gesagt, daß die Wiltwe