Fretheil

Nr. 118 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

113102/19713

Saarbrücken , Freitag, 25. Mai 1935

Chefredakteur: M. Braun

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Aus dem Inhalt

Wir setzen unsere

Originalberichte über den Stimmungsum=

schwung im Reiche fort

Seite 3

Hitlers Fehlschlag Gestern und fieute

Einmütigkeit der öffentlichen Meinung Englands

O. G. London , 28. Mai. Die nazifeindliche Stimmung in der englischen Oeffentlich­feit, vor allem in der englischen Presse, deren Anwachsen wir schon neulich festgestellt haben, besteht nicht nur fort, sie hat sich eher noch verstärft. Raum ein Tag vergeht, an dem nicht in den großen Londoner Blättern ein oder gar mehrere Artifel, Berichte oder Briefe mit ausgesprochen nazifeind= licher Tendenz veröffentlicht werden. In der Provinz presse, die früher in diesen Fragen zurückhaltender war, ist es ähnlich. Verteidiger des Naziregimes, die in den letzten Monaten mehr und mehr sich hervorwagten, scheinen von der Bildfläche verschwunden zu sein.

Englische Journalisten, mit denen ich über diese auffällige Erscheinung sprach, sind sogar der Ansicht, daß die nazi: feindliche Stimmung in England augenblicklich tiefer geht, als vor einem Jahr.

Damals schäunite zwar die Empörung über all die Greuel und Gewalttaten laut über und machte sich in leidenschaft­lichen Protesten Luft. Aber bei all diesen Protesten flang doch die Hoffnung durch, daß all die schrecklichen Dinge vorübergehende Erscheinungen der" Revolution" sein mögen. Und als sich dann der Terror mehr ins Dunfle zurückzog, als die Gewaltherrschaft in legale" Bahnen gelenkt wurde, als gar der laute Nationalismus Hitlers Friedensreden" und dem polnischen Paft weichen mußte, da begann sich die englische öffentliche Meinung zu beruhigen. Man blieb miß­trauisch, man machte weiter seine Vorbehalte, man empörte sich gelegentlich über offenfundiges Unrecht( z. B. Fall Dimitroff ), aber man begann sich mit dem Naziregime abzu­finden. Man begann es sogar außenpolitisch zu unterstützen, vor allem in der Abrüstungsfrage. Und nun ist plötz= lich alles wieder anders. In der Außenpolitif sucht England zwar nach wie vor zu vermitteln, es unterstützt fogar die deutsche Aufrüstung aktiv durch Lieferung von Flugzeug­motoren trot zahlreicher Proteste im Unterhaus und trotz eines formellen französischen Protestschrittes. Aber auch in der außenpolitischen Debatte hat sich der Ton geändert, man unterstreicht das Verständnis für die französischen Sicher­heitsforderungen stärker als bisher, man stichelt in der Saar­frage gegen Deutschland ( ob das sich freilich in der praf­tischen englischen Politif auswirken wird, sei dahingestellt). Vor allem aber hat sich die englische Haltung zur deutschen Innenpolitik gewandelt. Zeitweise ließen sich allzu zahl: reiche Engländer durch die geschickte Nazipronscanda bluffen, und glaubten, daß es in Deutschland wirklich vor: wärts ginge und daß das deutsche Volk geschlossen hinter dem Naziregime stünde. Jetzt beginnt man den Bluff zu durchschauen.

Eristenz eines Julius Streicher , heute ist dieser Mann allen politisch nur einigermaßen interessierten Engländern als ein übler Lump befannt, den das Naziregime in Er fenntnis seiner Verlumptheit mit höchsten Aemtern und Ehren überhäuft. Kaum etwas hat die Engländer so empört wie die berüchtigte Ritual mordnummer des Stür­mer". Bis in die kleinste Provinzzeitung wurden Berichte über diese empörende Zeitung gebracht, Times" und Manchester Guardian" widmeten Herrn Streicher sogar zwei lange Artikel, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen, die Times" brachte u. a. einige besonders üble Zitate aus früheren Stürmer"-Nummern. Der Erz­bischof von Canterbury , das Oberhaupt der eng­lischen Kirche, ein Mann der wirklich für das ganze englische Volk spricht, schrieb an die Times" den würdigen Protest­brief, der bereits in der Deutschen Freiheit" veröffentlicht worden ist. Die energische Sprache dieses Briefes ist be­sonders beachtlich, wenn man weiß, wie vorsichtig sich der Erzbischof im allgemeinen auszudrücken pflegt. Die Ritual­mordnummer tam nur in wenigen Exemplaren nach Eng­land ihr Export ist ja verboten diese wenigen Eremplare gingen von Redaktion zu Redaktion, die Kommentare waren einhellig aber nicht schmeichelhaft...

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Es ist nicht etwa der Antisemitismns als solcher, der in England die Entrüftung hervorruft auch in England gibt es Antisemiten es ist die unfagbar rohe, niedrige, ja pornografische Form, die den Abscheu erweckt. Auch die Göbbelsrede und die neue Kampagne im Angriff" hat ähnliche Wirkungen in England hervorgerufen. Die

Beschlagnahme der Ritualmordnummer nachdem Streicher damit drei Wochen ein ausgezeichnetes Geschäft hat machen können, hat in England nicht etwa den erwünschten Erfolg gehabt. Man hat das perspätete Verbot und die geradezu groteske Begründung mit bitter ironischen Worten abgetan.

Mancher hoffnungslose Materialist glaubt allein die Schuldenverhandlungen für Iden englischen Stimmungsumschwung verantwortlich machen zu können. Das ist sicher nicht richtig. Die Schuldenfrage interessiert nur relativ wenige, sie spielt in der Presse z. B. nur eine sehr geringe Rolle. Auch erstreckt sich die nazifeindliche Stimmung auf ein Blatt wie Lord Beaverbrooks Daily Expreß", der die Nichtzahlung der Schulden mit Schadenfreude be grüßt( warum haben die dummen Kerls ihr Geld im Aus­land angelegt!). Der Daily Expreß " war zeitweise recht wohlwollend gegen die Nazis; jetzt schrieb er- und zwar noch vor der Verhaftung seines Berliner Korrespondenten-, daß das Naziregime ein unbestreitbarer Fehlschlag sei und daß die Engländer aus diesem Fehlschlag die Lehre ziehen Der luftiose 1. Mai, die Kampagne gegen die Miesmacher, mögen. Selbst die faschistische Rothermere- Presse bringt die Entwicklung des deutschen Außenhandels, die leichtfertige neuerdings recht kritische Berichte über Nazideutschland. Finanzpolitik das alles zeigt den Engländern, daß das Dem deutschen Volf wurde dieser englische Stimmungs­Volf unter dem Terrorregime nicht besser daran ist, sondern schlechter, daß alle Gewalttaten nicht einmal einen umschwung in einem geradezu grotesken Artikel der Grant­materiellen Effeft haben. Und dazu kommen zahlreiche Erfurter Zeitung" beigebracht. Der Londoner Korrespondent scheinungen, die gerade auf die Engländer eine besonders dieses Blattes schreibt, daß eigentlich der Durchschnitts­engländer von dem Naziregime begeistert sei, daß aber die eindringliche Wirkung haben: die Unterdrüdung ber ganze öffentliche Meinung von Liberalen gemacht würde, ob Kirchen, die das firchentrene, religiöse englische Volf tief empört, der Mißbrauch der Justiz zu rein politischen diese Liberalen nun konservativ oder sozialistisch seien, ist nebensächlich, diese Liberalen" feien aber natürlich nazi­Rachezwecken und nicht zuletzt die neue antisemitische nebensächlich, diese Liberalen " feien aber natürlich nazi­Agitation. Vor 4 Wochen wußten vielleicht 100 Eng- feindlich und leider führten sie die englische öffentliche wenn es überhaupt so viele waren.-

länder

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Meinung, also...

Die Delirien des Dr. Robert Ley

Ein Aufbäumen der Christlichen Gewerkschaften an der Saar

Die deutsche Gewerkschaftsfront" an der Saar hat der Presse folgende Erklärung übergeben:

Laut einem offiziellen Bericht des Indie"( Informa­tionsdienst der Deutschen Arbeitsfront ), der auch in einem Teil der Saarpreffe im Wortlaut veröffentlicht wurde, hai der Führer der Deutschen Arbeitsfront Herr Dr. Robert Len auf einer Sondertagung am 15. Mai d. J. vor Vertretern der in- und ausländischen Preise u. a. folgende Werturteil" über die Gewerkschaften gefällt:

Nur als Schwindelfirmen tann und muß man diese

Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes trugen. Ja, fie waren noch schlimmer als die auf Klassenfampf auf­gebauten freien Gewerkschaften, denn diese waren geboren aus dem Mut, die bürgerlichen aber aus eigheit. Sie maren geschäftstüchtige Halunken..." Hierzu hat die Deutsche Gewerkschaftsfront Saar , und zwar in voller Einmütigkeit, zu erflären:

Die Gewerkschaften in Deutschland wurden in einer Zeit gegründet, in der der Arbeiter als Mensch und gleichwertiges Glied seines Volfes weder in der Wirtschaft noch im Staate zur Geltung fam. Um fich Geltung zu verschaffen, schloß er

Schiller hat das Geheimnis der Kunst einmal mit diesem Vers ausgedrückt:

Frei und leicht, wie aus dem Nichts entsprungen, steht die Form vor dem entzückten Blick...

Der kantische Idealist mit den Zukunftsglauben würde ein wenig erstaunt sein, könnte er sehen, wer heute an der Quelle dieses zaubervollen ,, Nichts" sein Feldlager aufgetan hat. Es ist der Knabe Göbbels . Soeben hat er die lebensvollste aller Formen der Künste, das Theater, für sein Propaganda­ministerium erobert.

Es geschah wieder ,, schlagartig". Mit sofortiger Wirkung entscheidet Herr Göbbels kraft eines Reichsgesetzes, wer spielen darf, was gespielt werden darf und was nicht; er kann befehlen, bestimmte Stücke auf den Spielplan zu setzen. Alle Theatervereinigungen stehen unter seiner Kontrolle. Die private Bühne, die in der wilhelminischen Zensurära so häufige Flucht in geschlossene Vorstellungen alles ist zu Ende. Jedem Theaterleiter, Kapellmeister, Regisseur, der die Bestätigung erhalten hat, kann sie jederzeit wieder entzogen werden, wenn sich ein ,, Mangel an der erforderlichen Zuver­lässigkeit und Eignung" erweist. Dieser Mangel ist zugleich rechtmäßiger Entlassungsgrund.

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Es ist also genau das Gleiche, was der Wissenschaft, der Schule, der Presse passiert ist und insofern nicht mehr er. staunlich. Es handelt sich einfach um die Verpflanzung der Machtpolitik in die gefährlichen und unzuverlässigen Bezirke des Geistes. Hier gibt es den besonders verdächtigen Theater. gesellen, der die Gewohnheit hat, gegen Bajonette zu re­bellieren und vielleicht auch hinter Hakenkreuzfahnen zu

nörgeln. Dieses Theater! Da siten Menschen beisammen, oben auf der Bühne sagt einer etwas, viele geben Antwort, und im Publikum hallt es wider. Die Geschichte kennt genug Bei­spiele, daß das eine gefährliche Sache werden kann. Gegen den Film Im Westen nichts Neues" hat Göbbels vor vier Jahren die Revolution der weißen Mäuse organisiert. Mit ihrer Hilfe hat er gesiegt. Heute muß er die Löschzüge des totalen Staates gegen diese verwünschten freien Gedanken in der hellodernden Flamme des Dramas herbeirufen.

Es geschieht wieder mit jener Verlogenheit, die Hitler­deutschland vornehmlich ausgebildet hat. Man wagt, in der Begründung dieses Theatergesetzes zu sagen, daß auch im nationalsozialistischen Staate die Kunst das Ergebnis freien Gestaltens sei, und daß sie nicht kommandiert werden dürfe. Man zitiert Schillers Schaubühne als moralische Anstalt". Aber jede Zeile des Gesetzes stabilisiert die neudeutsche Schaubühne als nationalsozialistische Anstalt, Dienerin der Herrschenden, halb heroisch, halb vermufft, verschlammt von Nichtskönnern und Konjunkturbeflissenen, wie sie be­reits im vergangenen Jahre die deutsche Bühnenkunst zu erniedrigen wußten.

In der noch laufenden Spielzeit sind 322 Stücke zur Ur. aufführung an deutschen Theatern gelangt. Eine entsetzen. erregende Zahl! Selbst ein so loyales Blatt wie die Kölnische Zeitung " ist ehrlich erschüttert. Was alles das Sieb aus Bühnenverlegern, Dramaturgen und Intendanten unbe­schädigt passiert habe, sei nur zu einem geringen Teil echte, eigenkräftige und den gestalterischen Forderungen der Schaubühne gerechtwerdende Dichtung gewesen: Die Talmi.

kunst, das Nachempfundene, das an den Haaren herbei zur

Aktualität Geschleppte dürfe keinen Play mehr haben... Gäbe es jeden Tag eine Uraufführung, dann werde der ein­fache Theaterfreund unruhig und der Institution des Theaters gegenüber mißtrauisch...

Und so weiter. Es ist, in der Kölnischen Zeitung ", eine sanfte Umschreibung. Für die Tatsache nämlich, daß es trotz Zwangsbesuchs durch Beamte und Kraft durch Freude " den deutschen Theatern miserabel geht. Man flucht nicht nur über die Ausgaben. Man hat Platzangst vor der gähnenden Lange. weile, vor diesem schmetternden Lärm der Gesinnungsspruch­bänder, die den Darstellern zum Halse heraushängen, vor diesen Gräbern der geistigen Freiheit, über denen sich die eit, über denen sich die Hitlergrüße recken.

So muß denn das deutsche Theater verwelken und ver derben. Auf den Thingplätzen, wo ein neuer Kultus durch Propaganda entstehen soll, wird Thalia einexerziert. Das nimmt kein gutes Ende. Denn die Kunst kann sich nur ent­falten in der Auseinandersetzung mit den herrschenden Ge­danken, und gerade das ist verboten.

Freilich, das Theatergesets ist das Ergebnis eines echten dramatischen Vorgangs. Es vollendet Göbbels Sieg über den bisherigen preußischen Theaterpascha. Göring , der den

Gewerkschaften bezeichnen, die alles versprachen, nichts aber sich in Gewerkschaften als Selbsthilfeorganen zusammen. geben wollte. Während sich Görings Brust mit neuen Orden hielten Sie brachen das Rüdgrat des Arbeiters und Dieser Zusammenschluß erfolgte völlig freiwillig. Millionen bedeckt, nimmt ihm der kleine Schrumpfarier eine Perle

nahmen ihm die Araft. Darin waren alle gleich, ob sie sich frei" nannten, chriftlich, bürgerlich oder den Namen eines

Fortsetzung fiehe 2, Seite

nach der anderen aus der Preußenkrone,

Argus.