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0207 Joumbn2010

Freihei

Nr. 123 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbr cken Donnerstag/ Freitag, den 31. Mai/ 1. Juni 1934 Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Wie sie stehlen

Seite 3

Keise der

französischen   Komunisten

Seite 3

Wildwest

vor den Toren Berlins  

Seite 7

Front Gestern und fieute

Rußland in Front

Nach Litwinows glänzendem Vorstoß

Am ersten Tage der Beratungen des Hauptausschusses der Abrüftungskonferenz in Genf   hat der russische Delegierte überraschend den Vorschlag gemacht, die Abrüftungskonferenz dadurch zu beenden, daß man sie in eine ständig und regelmäßig tagende Konferenz überleitet, die keine andere Aufgabe habe, als mit allen Mitteln den Frieden zu sichern.

Widerhall in England

dub. London  , 30. Mai. Der Vorschlag von Dienstag hat die Preffe völlig überrascht, Times" begnügt sich damit, die Rede des Sowjetkommissars abzudrucken, ohne eine eigene Stellungnahme zu geben. Der Genfer   Berichterstatter der Morning Post" sagt, bei der Einsegung eines stän digen Friedensausschusses würde es sich um einen zweiten Völkerbund handeln. Offenbar hoffe Litwinow  , durch seinen Vorschlag Rußland   die Verantwortlichkeit eines regelrechten Völkerbundmitgliedes zu ersparen. Trotzdem habe sein Vor­fchlag viel für sich, weil er in der jegigen unruhigen europä ischen Lage eine Lösung schaffe. Der Vorschlag Litwinows jehe vor, daß die Sowjetunion   und die Vereinigten Staaten  durch eine Hintertür in den Völkerbund fämen. Die Einwen­bungen, die die Vereinigten Staaten   immer erhoben hätten, daß durch die Unterschrift unter die Völkerbundsatzung im Falle eines Berstoßes gegen die Satzungen durch irgendeinen Staat eine Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates nötig fei, würde dadurch hinfällig werden. Auch vom Gefichtspunkt der Abrüstungsschwierigkeiten aus betrachtet, hätte der Vorschlag Litwinows etwas für sich, denn er gebe die Möglichkeit, Deutschland   nach Genf   zurückzubringen, da seine Teilnahme an der Abrüstungskonferenz nicht eine Mitarbeit und einen Wiedereintritt in den Bölferbund be= denten würde. Der Vorschlag würde auch Japan   aach Genf   zurückbringen. Litwinows Vorschlag sei so ü raschend gekommen, daß die Vertreter der anderen Staaten nicht in der Lage gewesen seien, sich dazu zu änkern. Es verlante aber, daß in französischen   Streisen die Anregung begrüßt werde, weil sie die russische   Mitarbeit am Völkerbund bringe und Deutschland   möglicherweise nach Genf   zurücbringen könnte. In britischen amtlichen Kreisen sei man sehr zurückhaltend, aber in den Wandelgängen des Völkerbundes werde auf die Aehnlichkeit des Litwinowschen Planes mit dem britischen  Abkommensentwurf hingewiesen.

" Daily Telegraph  " unterzieht den Litwinow  - Plan einer abfälligen Kritif. Das Blatt erblickt darin den Versuch, die Abrüftungskonferenz in eine Sicherheitskonferenz zu verwandeln. Der Sowjetvertreter habe seinen Plan gegen: feitigen Beistandes aufgegeben zugunsten des Vorschlages der Umwandlung der Abrüstungskonferenz in eine ständig und regelmäßig sich versammelnde Friedenskonferenz". Wenn Litwinow   den Gedanken an Abrüftung aufgebe, so könne dies nur bedeuten, daß Rußland  , das die größten mili­tärischen Rüstungen der Welt befize, nicht abrüsten wolle. Daily Telegraph  " schließt, Litwinows Plan eines ständigen Friedensausschusses, der sich auf Santtionen gründe, er innere allzusehr an das trojanische Pferd, von dem Laokoon fagte, es stede entweder voll bewaffneter Männer oder berge irgendeine andere Tücke in sich.

Daily Expreß  ", der stets eine Jolierungspolitik für England befürwortet, spricht von einem französisch- russischen Plan, der bezwecke, Großbritannien   in die Angelegenheiten des europäischen   Festlandes zu verwickeln und es zur Teil­nahme an jedem europäischen   Krieg zu zwingen.

Mit Frankreich   vereinbart?

Paris  , 30. Mai. Der Verlauf der Dienstag- Aussprache in Genf   findet in der französischen   Presse allgemein einen sehr günstigen Widerhall. Nach der etwas gedrückten Stims mung vom Montag atmet man heute wieder erleichtert auf und begrüßt insbesondere die Ausführungen des Vorsitzen den der Abrüstungskonferenz Henderson, der sich offen hinter die französische   Sicherheits: these gestellt habe. Man will hierin ein gutes Zeichen für den weiteren Verlauf der Besprechungen sehen.

Die Ausführungen Norman Davis  ' finden in der Pariser Presse keine besonders günstige Aufnahme man wirft dem amerikanischen   Vertreter vor, heute noch an Din  : gen zu hängen, die durch die Ereignisse und insbesondere durch die deutsche Aufrüstung längst überholt seien. Nichts= destoweniger läßt man sich dazu herab, den guten Willen Ameritas anzuerkennen. Die größte Beachtung finden die Erklärungen Litwinows, soweit fie fich auf seinen Plan für den europäischen  Patt beziehen. Seine Vorschläge über die Umwand lung der Abrüstungskonferenz in eine ständige Friedens: konferenz werden jedoch als eine glatte Utopie bezeichnet Der Außenpolitiker des Echo de Paris", Pertinax, glaubt aber, daß die Rede des russischen Kommissars für auswärtige Angelegenheiten in allen Einzelheiten mit den Regierungen in Paris  , Ankara   und den Hauptstädten der Kleinen Entente   durchgesprochen worden sei. Ganz allgemein stellt man jedoch fest, daß der französische  Gedanke von einer Verstärkung der bestehenden Sicher: heitsgarantien und einer Zurückdrängung der Abrüstungsfrage gute Fortschritte macht. Der Zus spruch, den Frankreich   am Mittwoch von seiten Hendersons und Litwinows erhalten hat, macht es der französischen   Re­gierung nach Ansicht Pertinar' leicht, die Verantwor tung an dem Scheitern der Abrüstungsbes sprechungen auf andere abzuschieben. Das " Journal" ist anscheinend weniger gut unterrichtet als Pertinax und spricht im Zusammenhang mit den Ausfüh rungen Litwinows von unerwarteten Vorschlägen". Das Blatt bezeichnet diese Vorschläge aber als eine Utopie und begrüßt um so mehr die Erklärungen Hendersons, die eine angenehme Ueberraschung darstellten, weil er sich der französischen   Auffassung zugewandt habe. Der Matin" bezeichnet den Vorschlag Litwinows zur Schaffung einer tänen Friedenskonferenz als lächerlich. Seine Rede dente ankerdem nicht darauf hin, daß Rußland   besonders große Neigung zeige, in den Völkerbund einzutreten, denn man müsse sich fragen, womit sich dieser Völkerbund überhaupt noch beschäftigen solle. Die Außenpolitikerin des Deuvre"

stellt fest, daß die Abrüftungskonferenz felten eine Rede gehört habe, die so viel glückliche Vorschläge enthielt wie die Lit: winows.

London  , 30. Mai. Litwinow   erklärte dem Reuterver: treter in Genf  , es sei keine Rede davon, daß sein dem Haupt: ausschuß der Abrüstungskonferenz gemachter Vorschlag be= dente, dak die Sowjetunion   dem Völkerbund beitreten werde. Beide Fragen hätten nicht miteinander zu schaffen. Auf jeden Fall werde eine neue Konferenz unter den Auspizien des Völkerbundes stattfinden.

Zum Scheitern verurteilt

Die Konierenz der Unmöglichkeiten

Genf  , 30. Mai 1934.

Die deutsche Diktatur liefert der Welt ein Beispiel dafür, wie eine Regierung, die sich betont national nennt und den Nationalismus zur Staatsreligion erhebt, gerade dadurch zum Schaden der Nation wird. Wie hat sich die außenpoli­tische Lage Deutschlands   verschlechtert, seitdem es am 14. Of­tober 1983 aus Prestigegründen den Völkerbund verließ. Wie haben sich alle getäuscht, die auch außerhalb des natio­nalsozialistischen Parteilagers diese lärmende Geste für einen Geniestreich Hitlers   hielten. Der Präsident der Abrüstungs­fonferenz Henderson hat in seinen Erklärungen vor dem

Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz Deutschland in vol­

lem Maße für die neue Lage" verantwortlich gemacht. Nie­mand in der großen Völkersfizung hat ihm widersprochen.

Hitlers   Außenpolitik hat den Regierungen aller Pänder er­möglicht, wieder einmal Deutschland   als den Störenfried des Weltfriedens auszurufen, und es ist ein jämmerlicher Trost für das deutsche   Volk, wenn es seiner gleichgeschal eten Presse glaubt, die den Befehl erhalten hat, von einer Isolierung Frankreichs   zu berichten.

Man darf ruhig annehmen, daß die deutsche   Reichsregies rung sehr gerne einen Rüdzug antreten würde, wenn sie

Ein großes Wort hat auf der Kölner   Chemikertagung der ehemalige Freikorpsführer Roßbach ausgesprochen. Der Herr ist zweiter Präsident des deutschen   Luftschutzverbandes, also jener Organisation, die dem deutschen   Volke die Ueberzeu­gung von der Unvermeidlichkeit des nächsten Krieges beizu­bringen hat.

Herr Roßbach sagte, er könne nicht zufrieden sein, solange

nicht jeder einzelne mit jeder Einzelheit des Luftschutes völlig vertraut sei und gegebenenfalls auch Anordnungen zu

treffen vermöge. Wer ist somit ein deutscher   Volksgenosse? Ein Mensch, der imstande ist, Fliegerangriffe abzuwehren. Herr Roßbach war einmal Führer einer Organisation von Fememördern und hat eine Zeitlang Hitler militärisch be­raten. Später kühlte sich die Freundschaft ab, weil der Frei­korpsführer nicht mehr so recht an den Stern des großen Redners glaubte. Heute hat er wieder einen Posten in Hit­ lers   weitläufigen Staaten gefunden, scheinbar nicht den glanzvollsten, in Wahrheit aber einen recht bedeutenden. Man wird das erst merken, wenn es erst soweit ist, wie es doch selbstverständlich kommen muß, wenn das schöne Geld für den Luftschutz nicht umsonst aufgewendet sein soll.

Denn der Staatsbürger lebt für den Krieg, so gut wie der Hammel fürs Geschoren- und Gegessenwerden.

Luftschutz ist alles. Wenn erst einmal die Bombengeschwa­der unterwegs sind, dann gibt es kein Privatleben mehr, son­dern nur noch Fliegerabwehr. Dann herrscht Ausnahmezu­stand, und die Präsidenten des Luftschutzes herrschen über Leben und Tod. Ihre Truppe ist dann das ganze Volk, und ihre Polizei jeder einzelne. Dieser einzelne mag heute sich noch einbilden, daß das noch ein Ausnahmefall sei, der sich hoffentlich vermeiden lasse: für die Herren vom Luftschut ist es naturgemäß der Normalfall, der sicher nicht vermieden wird. Das bringt der Beruf so mit sich.

Es ist übrigens nicht nur in Deutschland   so. Das deutsche  Nachrichtenbüro verbreitet mit Behagen den Aufsatz eines polnischen Generalstabsoffiziers, der für gründliche Vorbe. reitung im Sinne einer Anpassung, des Wirtschaftsapparates an die Aufgaben des Krieges noch während des Friedens" eintritt. Deutschland   und Polen   leben zwar bekanntlich in dicker Freundschaft, aber so etwas muß durch die deutsche Presse gejagt werden. Der polnische Offizier bedauert weiter, daß Polens   stärkste Industriegebiete hart an der deutschen  Grenze lägen an der Grenze eines befreundeten Landes, setzen wir hinzu und meint, das sei militärisch sehr nach­teilig. Auf jeden Fall muß die Wirtschaft im Hinblick auf den Krieg aufgebaut werden.

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Und da gibt es hoffnungsvolle Toren, die vor dem nächsten Kriege Angst haben. Die nicht merken, das wir schon mitten­drin sind Der Wirtschaftsaufbau der Länder ist überhaupt nur noch als kriegerische Handlung zu verstehen. Die ganzen Rüstungen sind bereits die ersten Tage des Schauspiels; noch werden keine Figuren geschlagen aber das ist ja nur eine Frage der Zeit. Die Staaten führen bereits Krieg, wenn auch die Staatsbürger noch nicht in der Feuerzone sind. Wenn ein­mal der blutige Konflikt ausbricht, wird er tatsächlich nur eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sein.

Doch muß zugegeben werden, daß gewisse Länder hierin einen Vorsprung haben. In der geistigen und wirtschaftlichen Vorbereitung auf den Krieg liegen wahrscheinlich Staaten wie Japan  , Deutschland  , Rußland  . Italien   an der Spitze; dagegen mögen andere teilweise besser bewaffnet sein. Aber im ge­genwärtigen Kriege den die Hoffnungsvollen, wie gesagt, den kommenden nennen kommt es sicher weniger auf die Zahl der Waffen als der Waffenfabriken und der Waffen­fähigen an.

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Wir leben im Zeitalter der Rassehochzucht. Der Mensch gehört zu der fortgeschrittenen Tiergattung, die nicht mehr mit Kiemen, sondern mit Lungen atmet. Vielleicht glückt es aber eines Tages noch, daß die Nase sich in eine Art Gas­maske verwandelt und die Säuglinge mit einem kleinen gelb­kreuzsichern Rüssel zur Welt kommen. Wenn dann die Er­

rungenschaften unseres kriegerischen Zeitalters nicht ganz verloren gehen sollen, wird man schon dazu übergehen müssen, die reine Gasatmosphäre wieder mit Sauerstoff zu vergiften. Argus.

einen Ausweg fände, aber es tut ihr natürlich niemand den Gefallen, fie als Siegerin nach Genf   zurückzuholen. So schleicht sich denn die innerpolitisch so stolz nationale Regierung auf Hintertreppen demütig wieder in die Be­ratungen der Abrüstungskonferenz und des Völkerbundes ein.

Zur Abrüstung entfendet sie nur Horchposten und sucht in direkten Gesprächen mit einigen Staaten sich einzuschalten. Zur Saarfrage hat sie erst den deutschen   Konsul und jetzt den Freiherrn von Versner geschickt, der einst als Führer der deutschen   Friedensdelegation sich geweigert hat, die Frie­densbedingungen von Versailles   entgegenzunehmen und mit großem Theaterkrach als Beinahenationalheld nach Deutsch­ land   zurückgefahren ist. Später führte er als Reichstags­abgeordneter der Deutschen Volkspartei   ein in den weitesten Kreisen unbeachtetes Dasein, aber immer in Intrigen ge­