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Nr. 126­

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Frethei

2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, 5. Juni 1934

Chefredakteur: M. Braun

Die befreiten Geiseln

Segers Kampf gegen Hitters Barbarei

Das System hat Frau Seger und ihre noch nicht zwet Jahre alte Tochter aus dem Konzentrationslager entlassen nicht freiwillig, sondern gezwungen. Es hat beide, die monatelang als Geiseln in Haft waren, nach England ab­geschoben. Es hat damit seine Furcht vor diesen beiden Beugen seiner Brutalität, aber zugleich seine Verbrechen eingestanden. Die letzte Phase des Kampfes um die Be­freiung der Geiseln hat die Gewissenlosigkeit und Würde losigkeit des Systems noch besonders gezeigt. Als der eng­ lische   Politiker Lord Listowel sich in Berlin   bei der Reichsregierung nach dem Schicksal von Frau und Kind Seger erfundigte, erzählten ihm der Reichs just iz= minister Gürtner und der Chef der Gestapo  , Simmler, daß sie in Freiheit wären. Lord Listowel hat die unwahrheit dieser Behauptungen an Ort und Stelle festgestellt. Die Weltpreise hat diese Feststellung miedergegeben. Die Regierung des Herrn Hitler   stand vor der Wahl, sich in der ganzen Welt öffentlich der Lüge zeihen zu lassen oder zuzugestehen, daß sie nichts von dem weiß, was zwei Schnellzugsstunden von Berlin   geschieht. So ge­lang es der englischen konservativen Politikerin Mr 3. Tate, die Freilassung beider Geiseln durchzusetzen.

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Diese Freilassung ist keine Wiedergutmachung, sondern nur die Flucht vor weiteren Konsequenzen der Brutalität. Das System hat die Grenzen der Wirksamkeit des Terrors erfahren. Es hat den Feldzug um Oranienburg   verloren. Das ist eine schwere Niederlage der Hitler, Göring   und Göbbels  , ein Sieg der Menschlichkeit über den Geist der Ge­

alt. Es ist der Beweis, daß dies System nicht zu den Systemen gerechnet werden kann, die in kultivierten Staaten bestehen. Hätte sich das System im Recht gefühlt- weder die Weftempörung noch der Druck englischer fonservativer Poli­tifer hätte ihm den Rückzug aufgezwungen! Aber vor ge­rechter Empörung weicht nur der zurück, der sich der eigenen Gemeinheit bewußt ist!

Es haben viele Menschen an diesem Erfolg mitgewirkt, Sozialisten und Nichtsozialisten, Männer und Frauen aus alle getrieben allen Bevölkerungsfreisen vieler Länder

von edler Entrüstung über die Vergewaltigung des Rechts und der Menschlichkeit. Hinter ihnen allen aber darf die Per­son des Mannes nicht zurücktreten, der in unermüdlicher Ar­beit das Weltgewissen wachgerüttelt hat, die Person Ger­ hart Seger  

3.

Ein Mann hat den Kampf mit dem System auf genommen. Er hat sich nicht zerbrechen lassen. Er hat Ver­bündete gesucht und gefunden, und er hat den Kampf ge­Als Gerhart Seger  , so schreibt der Neue Vorwärts", An­fang Dezember zu uns nach Prag   fam war er nicht ge­dem Konzentrationslager Oranienburg  - war er nicht ge­

wonnen.

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unmittelbar aus

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haben gefunden, daß es zu wenig pathetisch, zu wenig an­Klägerisch in Worten sei aber das war seine Stärke und erklärt seine Wirkung. Denn dieses Buch ist zu einem Feld­zug gegen das System geworden, der es moralisch er­schüttert hat.

Das System hat dementiert. Es hat Seger beschimpft. Es hat eine Gegenschrift erscheinen lassen. Wer spricht noch von dieser Gegenſchrift? Aber Segers Buch ist allein in Schweden  

in über 80 000 Exemplaren verkauft worden! Der Name ,, Oranienburg   wurde zu einem Begriff. Die Brutali­tät griff zu einem letzten Mittel. Die Frau und das kleine Kind Segers wurden als Geiseln verhaftet und in einem Konzentrationslager interniert. Diese niedrige Tat schlug alle Ableugnungsversuche des Reichspropagandaministe riums tot.

Gerhart Seger   kapitulierte nicht. Er ging nach Sweden  und Dänemark  . Er setzte den Kampf in Wort und Schrift fort. Er vertrat die allgemeine Sache der Menschlichkeit uth der Freiheit, er kämpfte zugleich um die Freiheit von Frau und Kind. Dieser Heroismus der Gesinnung steht turmhoch über dem, was im braunen Deutschland   der brutalen Ge­walt Heroismus genannt wird!

Vor zwei Monaten fam Seger nach England. In zwei Monaten voll unerhörter Arbeit hat er der Stimme der Wahrheit und Gerechtigkeit Bahn   gebrochen.

Er hat in England 31 Vorträge gehalen. In London   2, in Londoner Vororten 5, in Acton, Alford, Battersea, Jsling­ton, Poplar; die übrigen Versammlungen waren in: Leeds  , Heacham, Derby, Cambridge  , Newport, Bedwas, Tre Tomas, Machon, Bristol  , Swansea  , Plymouth  , Stoke   on Trent, Warrington  , Sheffield, Preston, Rotherham  , Wrexham und Stafford. Dabei ist zu bemerken, daß er in mehreren dieser Orte zweimal gesprochen hat, in öffentlicher Versammlung und in Delegiertenkonferenzen, oder vor der Stadt­verordnetenfraktion der P., so z. B. in Sheffield  , oder In einer nachmittags einberufenen Versammlung für Arbeits­lose, so in Rotherham   und Warrington  . Außerdem hat er im Unterhaus vor den Abgeordneten der Labour Party  beider Parlamente gesprochen.

Außer der öffentlichen Tätigkeit hat er eine nichtöffent­

liche in zahlreichen Unterredungen ausgeübt. Er sprach mit: Lord Robert Cecil  , Lord Ponsonby  , Sir Norman Angell  ,

R. N. Brailsford, Major Attlee, Colonel Wedgwood, Geoffrey Mander   M. P., Sir Edward Grigg  , Lord Astor, Lady Astor  , Mr. Fox, Leiter der World Alliance of Churches, mit Vertretern des Quäkerhauptquartiers und der Friedens­bewegung. Er hatte im Unterhaus Gelegenheit, vor sämt­lichen weiblichen Abgeordneten der konservativen und libe­ralen Partei und einigen männlichen konservativen Ab­geordneten drei Stunden lang Fragen zu beantworten. Die weiblichen Abgeordneten des Unterhauses waren am Diens

Aus dem Inhalt

Brüning als Emigrant

Die Saar- Garantien

Der Weg

Seite 2

1130

Seite 3

zur Zwangswirtschaft

Frankreichs Jnnenpolitik

Seite 4

Seite 7

Gestern und freute

Wir haben jetzt eine Zeit, in der alles schlicht und würdig ist. Wenn Fahnenmeere über Prunkaufbauten wehen, wenn der ,, Führer" die gigantischen Müncher Parteibauten befiehlt, wenn jeden Sonntag ein Werbefest rauscht: es ist immer an Schlichtheit nicht zu übertreffen. Zumal deutsch   sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun.

Diesen hohlen und überheblichen Satz hat Herr Goebbels  in diesen Tagen Richard Wagner   nachgesprochen. Der große Komponist stammte aus Leipzig  . Seine Freunde haben oft erzählt, welche Gewalt er dem sächsischen Dialekt zu ent­locken wußte, wenn er seine Götterdämmerung  - Partitur sin­gend begleitete. Kluge Leute im Ausland haben zuerst die Meinung vertreten, daß der Nationalsozialismus   ein einziges Potpourri aus Wagner  - Opern sei, mit Siegfrieds   Schwert, Lindwürmern, Festwiesen und Waldvögelgesang. Wer genauer hinhört, vernimmt das unaufhörliche Hoitou- Ho der Wotans­töchter. Dies hat, von den wilden Gefühlen abgesehen, den Vorzug, das Knurren der Mägen zu übertönen.

Jetzt wird fast jede Woche irgendwo in Deutschland   ein Thingplatz gesucht. Thingplätze waren einmal altgermanische Kult- und Richtstätten, und es standen da die Recken lobe­baeren um nächtliche Lagefeuer und schlugen die Schilde gegeneinander. So etwas muß heute wiederkommen. Kom­missionen suchen auf waldigen Höhen geeignete Plätze, wo in Bälde ,, einer vieltausendköpfigen Menge hohe Erlebnisse im künstlerischen Gleichnis sichtbar gemacht und sich die Basis unserer Kultur weithin auf die Gesamtheit des Volkes verbreitern soll." diav

Diesen Satz haben wir im Mannheimer   ,, Hakenkreuzbanner" gefunden. Auf dem Heiligenberg bei Heidelberg   wurde am vergangenen Mittwoch der Grundstein zu einer Thingstätte gelegt. Mit markigen Worten nahm der Reichsstatthalter Wagner die Weihe vor: ,, Der deutsche Liberalismus schuf Parlamente für Schwätzer, wir aber werden Stätten eines neuen Glaubens schaffen."

Als Repräsentant dieses neuen Glaubens sprach als Ver­treter der Reichstheaterkammer W. C.   Gerst. Kennen wir uns nicht schon lange, Herr Gerst? Haben Sie nicht gegen Ende des Krieges dem Verba..d zur Förderung deutscher Theater­kultur vorgestanden, der mit den libertinistischen Marxisten zusammen das neue Volkstheater schaffen wollte? Haben Sie nicht später den christlich- katholischen Bühnenvolksbund ge­gründet, unter dem Segen der Bischöfe, gespeist von parla­mentarischen Preußengeldern, die Ihnen die Zentrumsabge­ordneten zu verschaffen wußten? Heute sitt Herr Gerst mit breiter gewordenem Gesäß auf Blut und Boden und erlebt die Verbundenheit der Rasse, damit ,, in fünfzig, hundert und tausenden von Jahren der Geist dieser Zeit, das Werk Adolf Hitlers   zu allen Deutschen   alle Zeiten sprechen soll." Auf seinen Passionswegen durch eine Reihe von Weltanschau­ungen hat Herr W. C.   Gerst jetzt den Thingplatz erreicht, aber gewiß ist es noch nicht seine letzte Station.

Auch in Ansbach   gab es eine Thingplayweihe. Es erschien, so erzählt die ,, Fränkische Tageszeitung  ", der Frankenführer Streicher auf dem sonnenbestrahlten Platz des unteren Marktes, umgeben von Menschen ,,, die einen Blick, oder wenn sie Glück haben sollten, ein Wort, vielleicht sogar einen Hän­dedruck des Führers zu erlangen gedachten."" Als er sich dann die Kultstätte betrachtete, kam ,, manch goldiger Humor zu­tage, manch Scherzwort flog hin und her."

Dazu viele, viele Bilder. Auf einem legt der goldige Mann einem Christenknaben die Hand aufs Haupt, als wollte er ihn segnend vor einem Ritualmord beschützen, denn er hat ( wörtlich!) ein junges, großes und gütiges Herz", der Schöpfer des ,, Stürmers".

Bald werden wir seine ritterliche Gestalt auf allen Thing. plätzen Frankens erblicken und bengalisches Feuer wird seine Glaze bespiegeln. V

Neulich sahen wir die Fotografie der Tagung einer schwei­zerischen Landsgemeinde. Die Bauern saßen auf harten Bän­ken, einer stand auf und sprach. Keine Musik, kein Drum und Dran, man hat seine Würde und seine Sicherheit in sich und auf dem Antlitz geprägt.

Auf den deutschen Thingplätzen aber wird unter Fanfaren geschrien und getaumelt, um die Angst der Unfreien zu über­tönen, die gezwungen werden, im festlichen Schauspiel ihrer Ketten zu spotten. Argus.

um sie. Unter dem Druck der allgemeinen Empörung kapi­tulierte schließlich das System.

mar es selbstverständlich, daß das System unerbittlich be- tag, dem 15. Mai, alle bei dem deutschen Botschafter v. Hoesch, Redner, auf die Millionen von Reichsmark, die er einsetzen

tämpft werden müsse. Ueber das, was ihm selbst geschehen mar, ging er mit jener Zurückhaltung hinweg, die viele intellektuelle Opfer des physischen Terrors zeigen. Es kam thm auf die Sache, auf die objektive Beschreibung des Ter­

der sie empfing und ihnen die Entlassung von Frau Seger als wahrscheinlich darstellte. Der Lordbischof von Eichester hat sich schriftlich an den Reichsbischof Müller gewandt. Lord Ponsonby   hat den Fall in seiner großen außenpolitischen

Der Reichspropagandaminister Goebbels   liebt es, von Versammlungslawinen, von Propagandamaschinen zu sprechen. Er schwört auf die große Zahl, auf die Masse der tann  . Er hat versucht, die Maschine einzusetzen, um den Feuerherd Oranienburg   zu ersticken! Ein Mann hat die Maschine besiegt, der nichts für sich hatte, als sein gutes Recht und die Stimme der Wahrheit. Er hat bewiesen, daß

rorsystems, an. Er schrieb für den Verlag Graphia" sein Rede im Oberhaus behandelt. Der englische   Kaplan der die Brualität zurückweicht, wenn das Weltgewissen sich er­Buch Dranienburg"- ein furchtbares Zeugnis! Manche Botschaft in Berlin   besuchte Frau Seger und fümmerte sich