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Freihei

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Nr. 127 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, 6. Juni 1934

Chefredakteur: M. Braun

Aus dem Inhalt

Gestapo - Theater

Seite 2

Parole der Freiheitsfcont

Seite 3

Hitlers letzte Reserven

Seite 4

18jährige Sexualceformecin

Seite 7

Katholische Kampiprozessionen Gestern und fieute

Die geachteten Hakenkreuzfahnen

Berlin , 5. Juni. Das in allen Kreisen viel besprochene innerpolitische Ereignis sind die gewaltigen katholischen Rundgebungen am Fronleichnamstage, die unter den ge­gebenen Verhältnissen allgemein als eine großartige poli­tische Manifestation des Katholizismus betrachtet werden, auch wenn sie in den streng religiösen Formen erfolgten, die dem für die Katholiken hochheiligen Charakter des Festes entsprechen. Aus dem ganzen Reiche wird gemeldet, daß die Beteiligung so massenhaft und eindrucksvoll war wie nie zu­vor. Es sind diesmal viele Tausende Taufscheinkatholiken" mit aufmarschiert, die seit Jahren eine Kirche von innen nicht mehr gesehen haben. Mitglieder katholischer Organisationen, insbesondere der verfolgten Jugendvereine, aber auch Priester haben vor dem Fronleichnamstage mit unermüd­lichem Eifer von Haus zu Haus für die Prozessionen am Fronleichnamstage geworben. Der Schmud vieler Häuser, der Aufbau von Altären auf der Straße, das Herausstellen von Muttergottes- und Heiligenbildern und der Blumen­schmuck waren häufiger und reicher als je.

Eine Woche vor dem Fronleichnamstage hat die Reichs­regierung verfügt, daß er nur noch in den Orten gesetzlicher. Feiertag ist, die eine Mehrheit von Ratholiken haben. Das hat namentlich in den westdeutschen und südwestdeutschen Landesteilen, wo der Fronleichnam seit vielen Jahren gejez licher Feiertag ist, bei den Katholiken Erbitterung hervorge­rufen und die Beteiligung an den Prozessionen noch ge­steigert. Der Kampfcharakter trat auch in der Beflaggung hervor. Die Hakenkreuzfahnen waren beinahe ganz ver: drängt. Demonstrativ wurden viele Kirchen- und Stadt­fahnen gehißt, auch Landesfahnen. Das gilt namentlich für Bayern , wo auch bei nationalen Festen schon seit Monaten das alte bayrische Blauweiß wieder vordringt und gemeinsam mit Schwarzweißrot das Straßenbild beherrscht. In Bayern wurde der Gegensatz zwischen Kirche und weltlichen Behörden auch dadurch in die Oeffentlichkeit getragen, daß nach dem Vorbild der Landeshauptstadt München mehrere Gemeinden ablehnten, die öffentlichen Gebäude am Fronleichnamstag zu schmücken, und zwar wurde dies damit begründet, daß die firchlichen Instanzen bei nationalen Festen nicht die natio­nolen Farben zeigten, sondern nur die Kirchenfahnen hißten. In dem ganz überwiegend katholischen Bayern ist die amt­liche Beteiligung am Fronleichnamsfeste immer etwas Selbst verständliches gewesen.

Aus der bayerischen Pfalz wird mir zuverlässig mitgeteilt, daß die katholischen Gemeinden übereingefommen sind, bei

der Rückkehr von Rompilgern, die immer festlich empfangen werden, Hakenkreuzfahnen nicht mehr zu zeigen.

Es wird blauweiß, vereinzelt auch schwarzweißrot und da­neben päpstlich geflaggt. Die nationalsozialistische Presse be­schwert sich bitter über diesen katholischen Boykott der offi­ziellen Reichsfahnen". So groß ist aber auch in der Pfalz die Furcht vor dem Naziterror nicht mehr, als daß man sich vor­schreiben ließe, welche Fahnen herausgehängt werden. Ins besondere ist die katholische Solidarität sehr gewachsen.

Die nationalsozialistischen Gegenaktionen sind entsprechend. In einigen Städten, Stuttgart z. B., wurde in Riesenbuch­staben auf die Straße, die zu einer katholischen Kirche führt, hingemalt:

Weg nach Rom für Volksverräter." Kirchen, Pfarrhäuser, Jugendheime wurden mit Inschriften beschmiert, wie Tod den Schwarzen" Nur für Boltsverräter"-Was vers dient ein Kaplan?"" Hängt die schwarzen Bonzen auf!" Alle Schwarzen sind Landesverräter". Päpstliche Symbole wurden an einem Galgen hängend an die Wände gemalt.

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Demonstrativ hatten in den Gemeinden, in denen der Fronleichnamstag nicht mehr gesetzlicher Ruhetag war, auch viele nichtkatholische Läden geschlossen. In den endlosen Bro­zessionen zogen viel mehr Männer mit als in früheren Jahren, in denen die Prozessionen ganz vorwiegend von Frauen und Kindern gebildet wurden. Die katholischen Lieder wurden mit einer Begeisterung gesungen wie nie. Die nun beginnende Fulda er Bischofsfonferenz wird sich mit der Frage beschäftigen, wie die Tätigkeit der fatholischen Jugendnereine und sonstigen fatholischen Or­gansationen gegenüber den Ansprüchen des Staates und der Die Beratungen der Konferenz werden von entscheidender nationalsozialistischen Organisationen begrenzt werden kann. Bedeutung sein für die Verhandlungen zwischen dem Barifan und der Reichsregierung über die Auslegung und Durch­führung des Konkordats.

Aufgelöst!

Stuttgart , 5. Juni. Nach einem Bericht der Polizeidirek­tion UI m wurde ein von den katholischen Jugend­bünden veranstalteter Elternabend polizeilich auf­gelöst.

Dem Beispiel anderer banrischer Kreisregierungen folgend, hat jetzt auch die Regierung von Ober- und Mittelfranken ein uniform, Abzeichen und Sportverbot für tonfessionelle Jugendverbände erlassen.

Rote Demonstrationen

Der Sozialismus in Deutschland lebt

Hamburg , 4. Juni 1984.

Schon der 1. Mai hat gezeigt, wie stark noch der innere

In Lübeck hat der frühere sozialdemokratische Reichs­tagsabgeordnete Dr. Leber wegen der Beteidigung an

Eine wissenschaftliche Gesellschaft, die eher sterben als sich gleichschalten will: das ist soeben Tatsache geworden. Der Vorsitzende des Vereins für Sozialpolitik, Professor Werner Sombart ( Berlin ), teilt den Mitgliedern in einem Rundschreiben mit, daß die diesjährige Generalversammlung nur noch den förmlichen Auflösungsakt vorzunehmen habe. Man zieht den Freitod der Preisgabe des bisherigen geistigen Daseins vor, und im Abschiedsglanze leuchtet darum die Ver­gangenheit doppelt hell.

Der Verein für Sozialpolitik war ein soziologisches Gebilde von unvergleichbarer Eigenart. Er wurde 1873, als der große Krach nach dem französischen Milliardensegen einsetzte, von einer Reihe jüngerer deutscher Nationalökonomen gegründet. Sie erkannten die Gefahren des Manchesterliberalismus und traten für die Intervention des Staates ein. Sie wiesen ihm die Aufgabe zu, die neuen sozialen und ökonomischen Tat­sachen und Probleme zu beeinflussen, damit der gesellschaft­liche Gärungsprozeß aufgehalten werde und der Sozialismus nicht als Endsieger triumphiere. Schon war die Sozial­demokratie im Wachsen begriffen.

Man hat die Mitglieder des Vereins noch Jahrzehnte später als ,, Kathedersozialisten" verspottet. Der Konservative Adolf Wagner , der Sozialhistoriker Gustav Schmoller und der schon damals demokratischer Gesinnung verdächtige Lujo Brentano waren in Wahrheit in wissenschaftlichen, handels- und sozial­politischen Fragen weit voneinander getrennt. Aber sie waren für die gemeinsame Aufgabe entbrannt: eine ökonomische Akademie zu schaffen, ein Gehäuse zu bilden für eine freie, vom Wahrheitswillen getragene Aussprache sozialer Probleme und damit verbundener wirtschaftlicher Fragen.

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Welch eine lange Reihe der Generalversammlungsproto­kolle, der wissenschaftlichen Publikationen! Man suchte auf den Tagungen des Vereins nach neuen Gestaltungen zwischen Individualismus und Sozialismus, nach Wegen zum Aufstieg der breiten Massen, bejahend, skeptisch, ablehnend, eine ,, wandernde Akademie der Sozialwissenschaften", wie Hein­ rich Herkner den Verein nannte. Hier kamen sozialistische Theoretiker und Praktiker zu Wort mitten in den Jahren der Vorkriegsreaktion. Aber mehr noch als diese Debatten waren beim Unternehmertum die sozialen Enqueten zur Wohnungsfrage, zur Lage bestimmter Arbeiterschichten, des Handwerks usw. verhaßt, die der Verein regelmäßig der Oeffentlichkeit übergab. Sozialreaktionärer Druck hat schließ­lich den Verein stark gelähmt. Er wurde zuletzt allzu sehr Diskutierklub, und der Wille zur aktiven Beeinflussung der Politik und des Staates trat in den Hintergrund.

Wir erinnern uns noch der letzten großen Tagung in Zürich 1928. Sie beschäftigte sich mit den Wandlungen des Kapitalismus, im Vorgefühl der nahenden Krise. Man rang um die Begriffe Spätkapitalismus und Hochkapitalismus, schon wetterleuchtete die Weltrevolution" um kommende Dinge. Aber noch keiner der Sprecher ahnte damals den Siebenmeilenstiefel des Faschismus, der heute wieder die Urfrage des Vereins für Sozialpolitik gestellt hat, die Existenz der Sozialpolitik überhaupt.

Zusammenhalt der aufgelösten und verbotenen sozialdemo= einem Zusammenstoß zwischen mehreren Reichsbannerfame- nicht zu parieren. Seine fähigsten Köpfe sind von den deutschen

fratischen Organisationen ist. Daß sich in allen Gegenden Deutschlands massenhaft sozialdemokratische Arbeiter von den Straßenumzügen fernhielten oder sie vor dem Einmarsch auf die Festplätze, wo die Reden angehört werden sollten, ver­ließen, fann nich ohne eine innere Verbundenheit erfolgt sein. Es haben auch überall im Reiche eigene marristische Maifeiern stattgefunden, die in kleineren Orten zwar nur die Treuesten und Eingeweihten erfassen konnten, in Groß­städten aber bis zu dreihundert Teilnehmern zeigten. Nähere Mitteilungen können aus erklärlichen Gründen nicht gemacht

werden.

raden und Nationalsozialisten eine Gefängnisstrafe von 1% Jahren zu verbüßen. An seinem Geburtstage erhielt er rund 7000 Glückwünsche und viele Blumenspenden in das Gefäng­nis. Diese eindrucksvolle Kundgebung der Sozialdemokra ten für ihren eingeferferten Führer wurde bald bekannt und machte großen Eindruck. Viele hundert Getreue machten am Sozialisten und schmückten ihre letzte Ruhestätte.

Geburtstag Lebers Spaziergänge zu den Gräbern gefallener

Die Furcht vor dem lebendigen Geiste der gefallenen Mär­tyrer äußerte sich auch, als die Leichen der von Parteifreun­den des deutschen Reichsfanglers gefolterten und ermordeten

wurden. Nicht einmal die Verwandten durften die Leichen sehen oder sie durch ein Leichenbegängnis ehren. Es wur­den ihnen nur Fotografien der Leichname gezeigt.

Der Wille, die alte Ueberzeugungstreue zur Sozialdemo- vier Gewerkschafter aus Duisburg bei Dinslafen gefunden tratie zu befunden, drängt mehr und mehr in die Deffent­lichkeit. Am Himmelfahrtstage, einem Tage bevor sich der Todestag des Hamburger sozialdemokratischen Reichstags= abgeordneten Adolf Biedermann zum ersten Male jährte, gedachte die Hamburger Arbeiterschaft ihres Vertrauens­mannes, der im Vorjahre angesichts der Schande des Nazi- zulegen, wo die Leichen durch die Mörder verscharrt worden Deutschlands seinem Leben ein Ende setzte. Ueber 5000 Jam­

Aus Duisburg sind mehrere hundert Arbeiter nach Dins­lafen gefahren, um Blumen auf die Stelle im Walde nieder­

Vor dem großen sozialen und politischen Scherbenhaufen, den der Nationalsozialismus aufgehäuft hat, müßte heute wieder begonnen werden. Aber es wäre Hochverrat und Staatsverbrechen, wenn der Verein für Sozialpolitik es wagte, seine Tradition aufzunehmen. Er hat viele ausländische Mit­glieder, die gewöhnt sind. Gedanken auszutauschen, aber Lehrstühlen verjagt worden und wirken zu einem sehr großen Teile im Auslande. Die deutschen Hochschulen unterstehen dem Exerzierreglement der nationalsozialistischen Machtbe­hauptung, und die noch lebenden Gelehrten, die dem Verein für Sozialpolitik das Gesicht gaben, dürfen froh sein, wenn man sie vom Gepäckmarsch dispensiert.

Blickt man umher, im Kreise anderer wissenschaftlicher und kultureller Gesellschaften oder Kongresse was sieht man da? Auf dem 13. Deutschen Psychologenkongreß in Leipzig unterschied ein referierender Professor Jänsch zwischen dem zersetzenden großstädtischen S- Typus der Rassenmischung und dem zur Gemeinschaft neigenden 1- Typus". Auf der Weimarer Tagung der Goethegesellschaft bezeichnete Professor Bertram( Köln ) Schiller als einen ,, dorisch- germanisch- fridlerizianischen Menschen", und Pro­fessor Petersen sagte, daß Schiller und Goethe die ersten Nationalsozialisten gewesen seien

burger Männer und Frauen besuchten an diesem Tage die klasse ihre Toden im Gedächtnis behält und den eisernen politik bewahrt. Er tut das beste, was er tun kann: sich hin­

Grabstätte Adolf Biedermanns. Sie war über und über mit Blumen bedeckt. Unter der Fülle der Blumenspenden be­merfte man einen Kranz mit roter Schleife und einem Blumengebinde, das die drei Buchstaben DAE.( Disziplin, Aktivität, Einigkeit) darstellte. Die stumme Demonstration währte den ganzen Tag und auch am darauffolgenden Todes­tage Adolf Biedermanns war das Grab das Ziel vieler Friedhofsbesucher

waren. Die stumme Demonstration zeigte, daß die Arbeiter­Willen hat, sie im Freiheitskampfe zu rächen. Immer noch.

Magdeburg , 5. Juni. Der Beauftragte des Jugendführers des Deutschen Reiches für die Provinz Sachsen erläßt fol­gende Bekanntmachung: Es ist in letzter Zeit mehrfach beobachtet worden, daß immer noch frühere bündische und

Vor einem solchen Schicksale hat sich der Verein für Sozial­legen, um zu sterben. Wir legen ihm ein Strauß Immortellen aufs Grab. Argus.

margistische Jugendgruppen auf Fahrt gehen. Der Beauftragte des Jugendführers bittet, daß derartige Gruppen sofort polizeilich festgestellt und ihm ge­

meldet werden."