Sonntag- Montag, den 10. und 11. Juni 1934
Das Reich der Lautsprecher
Im Wellenbereich des deutschen Rundfunks
Wir denken nicht daran, den Rundfunk zum willenlosen Diener parteipolitischer Absichten herabzuwürdigen, da die neue deutsche Politik weitab jeder parteimäßigen Begrenztheit liegt und sich auf Volk und Nation in ihrer Gesamtheit erstreckt." Dr. Goebbels am 18. August 1933 auf der Jubiläums- Funkausstellung in Berlin . Liest man die Programme des deutschen Rundfunks oder läßt man sich gar einmal dazu herbei, einen deutschen Sender einzustellen, so wird einem schon im ersten Moment klar, daß wie in allem, was die Nationalsozialisten reden und tun, auch in bezug auf den Rundfunk die Linie des Betrugs, der Unwahrhaftigkeit, der Lüge gewahrt blieb. Sie sprechen vom Frieden und rüsten zum Krieg, sie predigen Sozialismus und stärken den Kapitalismus, sie verwerfen Jadenverfolgungen und machen Pogrome, sie versprechen, die Politik beim Rundfunk auszuschalten und machen ihn zum wichtigsten Propagandainstrument ihrer Partei. Nicht. nur in ideeller Beziehung, sondern auch in materieller. Denn aus dem Rundfunk bezieht Herr Goebbels die vielen Millionen, die er zu Propagandazwecken in die ganze Welt hinausrollen läßt.
ウラー
Während alles was in Deutschland heute noch Kunst und Kultur vermitteln könnte, Theater, Presse, Literatur, Kunst oder wissenschaftliche Institute, zugrunde gegangen ist oder im Begriff steht zugrunde zu gehen, hat der Rundfunk eine Zunahme der Hörerzahl erfahren. Das ist eine Tatsache, die nicht ernst genug zu werten ist. Für den oberflächlichen Beobachter scheint sie vollkommen unverständlich, nachdem er sieht, wie jedes künstlerische Moment aus dem deutschen Rundfunk ausgeschaltet wurde, wie die Darbietungen, abgesehen von rein propagandistischen Programmpunkten, auf dem niedersten Niveau angelangt sind. Er kann sich nicht vorstellen, daß der deutsche Hörer noch immer nicht genug hat von den Phrasen nationalsozialistischer Führer", von den Uebertragungen irgendwelcher Feiern, von ,, heldischen" Hörspielen, Marschmusik und Horst- Wessel- Lied. Er vergißt dabei, daß der deutsche Rundfunk ein Zwangserziehungsmittel geworden ist. Daß das Radio heute in Deutschland nicht mehr wie früher oder jetzt noch in anderen Ländern Vergnügungs- oder Belehrungscharakter trägt, sondern daß es ein Kampfgas geworden ist, das befehlsgemäß geschluckt werden muß. Wer traut sich denn heute zu Hause keinen Nation Radioapparat zu haben, wenn der Führer" zur spricht? Wer wagt es, den Worten Hitlers , Goebbels , Görings oder eines anderen Erneuerers" nicht zu lauschen, wenn und Anlässe werden tagtäglich er aus irgend einem Anlaß produziert eine große Rede ins All hinausschmettert? Wer nimmt die Folgen auf sich, seine Kinder vom Schulfunk auszuschließen? Wo sie doch lernen müssen mit Flug. zeugen, Gasmasken und Maschinengewehren umzugehen! Wer darf sich vom ,, Wehrdienst der Nation" oder der ,, Stunde der Nation", dem„ Zeitfunk" oder der Jugend
stunde" ausschließen? Der Kostenpunkt darf da nicht mehr mitsprechen. Die Rundfunkgebühren sind Steuern, die das deutsche Volk zu zahlen hat.
Die Zahl der deutschen Hörer betrug am 1. April 1932 4 168 440. Ende 1933 war sie schon auf 5 052 607 gestiegen, am 1. Februar auf 5 274 076 und am 1. März 1934 war sie auf 5 364 557 angelangt. Woher kommt diese starke Zunahme an deutschen Rundfunkhörern? Erstens einmal infolge von Zwangsmaßnahmen, die nicht nur den Zweck hatten, das Volk unter die Propagandarute zu bringen, sondern auch, um die stagnierende deutsche Funkindustrie anzukurbeln. Die Nationalsozialistische Rundfunkkammer" ließ von den 28 deutschen Radiofirmen nach strengen Vorschriften den sogenannten Volksempfänger" in genau einheitlicher Ausfertigung herstellen, der zu dem billigen Preis von 76 Mark, selbstverständlich auf Raten, gekauft werden mußte. Bis jetzt sind von diesem Gerät, auf dem man natürlich keine ausländische Station hören kann( laut strengsten Vorschriften) 400 000 Stück umgesetzt worden. Trogdem bleiben noch immer 800 000 neue Hörer übrig. ,, Das sind jene, die mangels jeden Kunstgenusses an deutschen Bühnen und mangels jeder aufschlußreichen Nachricht in deutschen Zeitungen, Rundfunkhörer wurden. Nicht um die deutschen Stationen, sondern um die ausländischen Sender zu hören."
Obwohl die Kontrolle sehr streng gehandhabt wird und zahlreiche Denunziationen vorkommen, wird die Zahl solcher Funkhörer immer größer. In letzter Zeit ist man schon mehrfach von nationalsozialistischer Seite zu strengsten Warnungen übergegangen, an den Volksempfängern" keine Aenderungen vorzunehmen, was beweist, daß die Hörer, die sich mit Volksempfängern begnügen mußten, diese umbauenließen, um ebenfalls das Ausland hören zu können. So geht Goebbels ,, dicke Berta ", wie man humoristisch den Rundfunk als schwerstes Geschütz des Propagandaministeriums nennt, nach hinten los. aald der
Aber die gewaltigen Einnahmen, die Goebbels aus dem Rundfunk zieht, werden noch zu anderen Propagandamitteln verwandt. Mit den Millionen von Arbeitergroschen, die an den Rundfunk fließen, stützt man das Hitlerregime und versucht seinen Einfluß zu verstärken. Früher unterstand der Rundfunk der Postverwaltung. Die Einnahmen wurden so verteilt, daß 45 Prozent dem Rundfunk verblieben, während 55 Prozent der Post zufielen. Damals schon betrug der Ueberschuß, den die Post durch den Rundfunk empfing, Millionen. Jetzt ist er als selbstständiges Unternehmen dem Propagandaministerium unterstellt und braucht keinerlei Bilanzausweis vorzulegen. Auch die Verwendung der Rundfunkgelder unterliegen keinerlei Kontrolle. So ist man auf Schätzungen angewiesen über die Summen, die Goebbels zu Propagandazwecken aus dem Rundfunkbetrieb zieht. Der Betrag dürfte aber annähernd 50 Millionen Mark betragen, Betrag dürfte aber annähernd 50 Millionen Mark betragen, da die Programmkosten stark beschränkt wurden und auch alle übrigen Ausgaben eine Reduzierung erfahren haben!
Der verliebte Chefredakteur
Streichers Kamerad ist einer Kameradin verfallen
Unter Nürnbergs Presse steht seit Beginn des dritten Reiches" Streichers Publikationsorgan Fränkische Tageszeitung" oben an. An der Spitze der Schriftleiter Nürnbergs steht wiederum der Hauptschriftleiter des genannten Blattes, mit Namen P. E. Rings.
Wir gestehen, daß wir jeden Morgen zuerst zur Fränkischen Tageszeitung" greifen, immer gewiß, daß uns ein Artikel des genannten Herrn Kollegen Anlaß zur Frohlaune bieten wird. Noch niemals sind wir enttäuscht worden.
Am vergangenen Mittwoch hat jedoch unsere menschliche Teilnahme für P. E. Rings einen nicht mehr zu überbietenden Gipfel erreicht. Es ist ihm, nach ausdauerndem Ringen und vielen Enttäuschungen, endlich gelungen, eine Kameradin zu finden. Liebe ist immer ein Ansporn zu hohen geistigen Leistungen gewesen, die unglückliche noch stärker als die glückliche. Aber P. E. Rings ist noch im Rausche des wahren Glückes, und darum ist ihm diese poetische Manifestation seines Liebeslebens gelungen:
Denn Du willst meine Kameradin sein Du weißt, ich hab' hundert andere geküẞt
In jener Zeit vor Dir,
Ich wußte nur, daß man Frauen vergiẞt
Und dann kamst Du zu mir.
Was immer ich der Liebe gezollt,
Mein Herz, das blieb so kühl,
Bis dann das Schicksal es gewollt,
Daß ich Dir ganz verfiel.
Denn Du willst meine Kameradin sein
Im Leben für und für
Dich nenn ich nun für ewig mein
Und ich bleibe immer bei Dir!
Mich lockt nie mehr ein anderer Mund,
Ich laẞ Dich nie allein.
Und wenn ich früher oft geirrt:
Und was mir einst den Sinn verwirrt,
Jetzt weiß ich um's wahre Glück
Dem bin ich ganz entrückt!
Denn Du willst meine Kameradin sein, Die sich mir für's Leben verschrieb Und Dir gehört mein ganzes Sein; Ich hab' Dich so innig lieb!
P. E. Rings. In mächtigen Buchstaben( merkwürdigerweise in unarischen Antiqualettern) steht das in der Fränkischen Tageszeitung". Die Stadt, in der Walter von Stolzing ob seines Minne- und
Preisliedes von weiland Hans Sachsen gekrönt wurde, darf sich freuen, daß die poetische Tradition in ihren Mauern nicht aussterben kann.
Freilich, wir müssen gestehen, daß wir bei der Lektüre des Gedichtes einen Augenblick in Schreck gerieten. Es handelt sich da um die Verszeile:... ,, als ich Dir ganz verfiel". Zunächst darf, wie uns deucht, der Führer der fränkischen Presse nicht so hemmungs- und rettungslos einem Weibe verfallen". Er hat die Aufgabe, das Heldengeschlecht zu mehren und muß in diesem Punkte die heroische Ueberlegenheit behalten. Aber das ist für unsere Bange um P. E. Rings nicht einmal entscheidend. Er ist so entrückt in Liebesfesseln,
so verschrieben mit Haut und Haar, daß wir den Verdacht
nicht los werden, als habe hier eine alttestamentarische Dalila ihren girrenden Liebhaber der Kraftlocken beraubt. Womöglich ist die Kameradin" eine Sendbotin der Weisen von Zion, geschickt ins Lager Streichers, um seine Gefolg schaft zu umgirren und zu bezaubern. Man kennt schließlich viele Beispiele aus der Geschichte. Als Max Schmeling die Halbjüdin Anny Ondra heiratete, war es zu Ende mit der Weltmeisterschaft im Schwergewicht.
Unsere herzliche Teilnahme begleitet P. E. Rings. Wir würden es aus hygienischen Gründen tief bedauern, wenn seine schöpferische publizistische Leistung in nächster Zeit
nur eine Partei
Eine Front nur gibt es, Genossen,
nur eine Fahne, aus Blut das verran.
Uns führen die Toten, die kämpfend erschossen, es schreitet uns Koloman Wallisch voran.
Sie fragen uns nicht nach den Mitgliedsbüchern, sie wollen den Mut und nicht unser Geld. Sie wollen die Hände, die schwielenzerfurchten, der einigen Arbeiterklasse der Welt.
Wer nicht auch sein Blut wagt, der wird nicht gewinnen, die ewig Geduckten verlieren den Krieg. Männer sind besser als käufliche Stimmen. Prolet, deine Fäuste entscheiden den Sieg.
Das ist der Weg, den die Toten uns weisen: Einig und mutig und kampfesbereit. Und nur wer kämpft bis die Ketten zerreißen, der findet den Weg in die kommende Zeit. Kurt Doberer
Civis
Ein aussterbender Begriff
Dem Untertanen des ,, dritten Reiches", der einmal über die Grenze nach Holland gelangt, fällt nichts so sehr auf, als daß alles dort in Zivil herumläuft. Man kann z. B. stundenlang durch Amsterdam wandern, ohne einer anderen Uniform zu begegnen als der eines verkehrsregelnden Schutzmannes. Wer als Post- oder Trambahnangestellter im Dienst eine Uniform zu tragen hat, der wechselt sie, so bald seine Freizeit beginnt, schleunigst mit dem Straßen
anzug.
In Deutschland dagegen stirbt der Zivilist aus. Zivilist... Ist jemand schon einmal aufgefallen, daß die Worte Zivilist und Zivilisation beide von dem gleichen Stamm abgeleitet werden? In beiden steckt das lateinische ,, civis ", das ist der Bürger, nicht in der Bedeutung des Bourgeois, sondern des stimm- und gleichberechtigten Staatsbürgers.
,, Civis Romanus sum" ,, ich bin ein römischer Bürger". Das war das Stolzeste, was ein Mensch des Altertums von sich sagen konnte. Das bedeutete: niemand darf willkürlich mich antasten, auspeitschen oder foltern. Kein zum Tode verurteilter Civis Romanus durfte hingerichtet werden, bevor er nicht von dem Recht der Berufung an die Vollbürgerversammlung Gebrauch gemacht und diese das Urteil bestätigt hatte. Das ,, civis Romanus sum" war ein Stück Zivilisation der antiken Welt.
Wehe dem, der sich über das Berufungsrecht eines Civis Romanus hinwegsette! Selbst ein Mann von der Popularität des großen Redners Cicero mußte das erfahren. Als Konsul des Jahres 63 v. Chr. hatte Cicero bei der Aufdeckung der Verschwörung Catilinas die beiden Catilinarier Lentulus und Cethegus unter Mißachtung der Berufungsrechte hinrichten lassen. Ein feierlicher Beschluß des antirevolutionären Senates hatte ihm dabei den Rücken gedeckt. Aber es half ihm nichts: das Recht der Verurteilten, an das Volk zu appellieren, war nicht gewahrt worden, und fünf Jahre später mußte Cicero, um seiber einer Verurteilung wegen dieser Willkürmaßnahme auszuweichen, in die Verbannung gehen. Sein Haus wurde dem Erdboden gleichgemacht. Das hieß in den Zeiten der römischen Republik: civis Romanus sum! Heute gibt es in den Diktaturländern keinen Civis mehr. Der Zivilist ist zum minderwertigen Wesen gegenüber dem Uniformierten, der Staatsbürger zum wehr- und rechtlosen Untertanen geworden, die Prätorianergarde des Diktators darf einen jeden einsperren, foltern und morden: der Ruf ..civis sum!" wird mit Hohngelächter von ihr beantwortet. Die Zivilkurage ist ein unbekannter Begriff geworden. Bürger mit Zivilkurage gibt es in weniger Exemplaren als Wisente in Zoologischen Gärten. Und mit dem Civis, mit dem Zivilisten, mit der Zivilkurage stirbt langsam die Zivilisation! Julius Civilis .
Odal
Kein Mundwasser, sondern ein Geheimnis
,, Die 1932 vom jetzigen Reichsernährungsminister Darré begründete Monatsschrift unter dem Namen„ Odal Monatsschrift für Blut und Boden". Die ,, MS.- Landpost" bemerkt zu diesem Namen, er weise klar und unmiẞverständlich den Weg, den die Zeitschrift gehen werde; denn der Odalsbegriff sei der Schlüssel zum Verständnis des bäuerlichen Wesens der Germanen." ( ,, Frankf. Ztg.")
nicht mehr die bisherige Sprache der Kraft und der Freude Zeit- Notizen
aufweisen sollte.
Danae
Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht besucht einen ausländischen Bankier. An der Wand des Zimmers hängt eine Kopie nach Tizians ,, Danae". Schacht, der die Sage nicht kennt, erkundigt sich, was das Bild vorstelle.
,, Das ist die griechische Fürstentochter Danae", erklärte der Hausherr. ,, Ihr Vater hat sie in ein ehernes Verließ, eine Art Tresorraum, eingesperrt, weil sie keine Kinder bekommen soll. Aber Zeus , der Oberste der Götter, dringt gleichwohl als goldener Regen ein, das Gold bedeckte Danaes Körper, und das Unglück ist fertig."
Hjalmar gefällt die Geschichte offenbar nicht, denn er wiegt miẞbilligend sein Haupt auf dem Giraffenkragen: ,, Ganz mit Gold gedeckt? Hätt ich nicht getan. Vier Prozent Golddeckung genügen doch auch!"
Mucki.
Die Prager Mozart- Gemeinde konnte dieser Tage bei einer Versteigerung in Berlin die Partitur von Mozarts Don Juan" erwerben, die bei der Uraufführung im Prager Ständetheater verwendet worden ist. Die Partitur, die um 1850 Mark erworben wurde enthält eigenhändige Bemerkungen von Mozart und Smetana ,
Der religiöse Tanz
Das ethnographische Museum des Trocadero in Paris bereitet eine Ausstellung ,, Der religiöse Tanz" vor, die Anfang Juni eröffnet werden soll. Die Idee dieser Ausstellung geht von Professor Curt Sachs aus, der sich als Verfasser eines Buches über den Tanz einen Namen gemacht hat. Die Ausstellung wird zahlreiche interessante Dokumente aus der Geschichte des Tanzes enthalten, sie wird einen Ausschnitt durch die Jahrhunderte und die Kontinente bieten und damit einen äußerst wertvollen Beitrag nicht nur zur Geschichte des Tanzes, sondern auch der bildenden Kunst und des Theaters liefern.
Schlösser als Zensor
Auf Einspruch des Reichsdramaturgen fand die für Freitagabend angesetzte Erstaufführung des Stückes„ Der Prozeß Mary Dugan" im Theater am Horst- Wessel- Plag nicht statt. Die Aufführung des Stückes wurde für bedenklich erklärt.
Bürgermeister als Filmstar
Wie aus London verlautet, sind dem früheren Neuyorker Bürgermeister Jimmy Walker mehrere Angebote für sein Auftreten auf der Leinwand gemacht worden. Er hat sie alle angenommen und wird in nächster Zeit in drei amerikenischen Filmen als Star erscheinen.