Die Konzentrationslager Kemna   und Börgermoor  

Ein deutscher   Arbeiter widmet diesen Bericht dem obersten Kerkermeister aller Deutschen  

mit den Gefühlen, die er verdient

Ein Arbeiter, der als politischer Gefangener in Untersuchungshaft saß, erfuhr von einem Mitgefangenen aller­lei über Mißhandlungen im Konzentrationslager Kemna   bei Wuppertal  . Er teilte diese Erzählungen seines Mitgefangenen brieflich einem politischen Freund im Saargebiet mit. Zwar glaubte er sich als Absender mit aller möglichen Vorsicht getarnt zu haben, aber ein Zufall ließ die Polizei, die in den Besitz des Briefes kam, doch erkennen, wer der Schreiber war. Nun wurde er von neuem verhaftet und wurde selbst in das Konzen­ trationslager Kemna   bei Wuppertal   eingeliefert. Er war dort vom 24. Oktober 1933 bis zum 19. Januar 1934 und von diesem Tage bis zum 11. April 1934 im Konzentrationslager Börgermoor   bei Papenburg  . Das ist das­selbe Lager, in dem auch einige sozialdemokratische Führer, so Ernst Heilmann   und Friedrich Ebert   lange Monate gefangen waren.

Nun sitzt dieser Arbeiter vor uns und schildert uns seine Erlebnisse. Er vermeidet sichtlich jede Uebertrei­bung und jede Ungenauigkeit. Immer wieder führt er für seine Behauptungen Namen der SA.  - Leute, Daten und Zeugen an. Er ist bereit, für die Wahrheit seiner Schilderung überall einzutreten. Vielleicht hat die gleichgeschaltete Presse des Saargebiets den Mut, von dem Angebot dieses deutschen   Arbeiters Gebrauch zu machen.

Der Mann erzählt:

Die Begrüßung

In Kemna

Als der Polizeibeamte mich in Kemna einlieferte, sagte er gleich dem ersten SA.  - Posten: Ich bringe Euch da etwas ganz Feines!" Da er mir vorher eingeschärft hatte, ich müsse vor jedem SA.- Mann strammstehen, grüßte ich diesen SA.  - Posten durch stramme Haltung. Der aber schnauzte mich sofort an: Du rotes Schwein, Du wagst auch noch vor mir stramm zu stehen? Nimm die Knochen auseinander!" Und schon erhielt ich einen Faustschlag ins Gesicht. Den Namen des Wachtpostens ermittelte ich später. Er heißt Wolf.

Beim zweiten Wachtposten vermied ich nun, eine stramme Haltung anzunehmen. Sofort fuhr er mich an: Du dreckiges Schwein, willst Du nicht die Knochen zusammennehmen?" Und gleich sette es wieder Schläge.

Nun kam ich in die Wachtstube. Dort mußte ich mit dem Gesicht gegen die Wand stehen. Ein SA.- Mann schlug mich ins Genick, so daß ich mit dem Kopf schwer gegen die Wand prallte. Ich blutete. Der Mann drohte mir: Wenn ein Tropfen Blut auf den Boden fällt, kannst Du was erleben." Ich nahm meinen Hut und ließ das Blut hineintropfen.

SA.  = Stiehlt alles

Dann kam ich ins Büro und wurde von dem Obersturm führer Hilgers und dem Oberscharführer Weichert empfangen: Taschen leer machen!" hieß es. Ich hatte 18 Mark gespart, um meiner Frau etwas zum Geburtstag zu kaufen. Es wurde mir abgenommen, und ich bekam es niemals wieder. Man fragte mich:" Was hast Du gemacht?" Ich antwortete, daß ich einen Brief ins Saargebiet ge= schrieben hätte. Worüber?" Ich gab wahrheitsgemäß zur Antwort, was ich auf Grund der Erzählungen des Unter­suchungsgefangenen ins Saargebiet geschrieben hatte. Aha, Greuelmärchen! Das sollst Du schwer büßen!"

Unter der Treppe

Man führte mich wieder in die Wachtstube. Dort wurde noch einmal gefragt, was ich gemacht hätte. Ich sagte die Wahrheit. Da schrie mich plößlich der Scharführer Hoch­felder an: Du hast den Ueberfall auf mich geleitet." Der Mann war mir aber ganz unbekannt. Er hat es gewiß nur behauptet, um einen Anlaß zu Mißhandlungen zu haben. Sofort fiel er denn auch über mich her und schlug mich dermaßen ins Gesicht, das sich mehrere Zähne lockerten. Als ich zur Tür hinausging, wurde ich ins Kreuz getreten. Draußen befahl mir der Scharführer Hinse: Stell Dich an die Wand!" Der Scharführer Hochfelder schlug mich wieder ins Gesicht. Ich wurde nun in einen Raum unter die Treppe geworfen, wo schon vier Mann lagen. Dort wurde ich weiter mißhandelt.

Ein ,, Appetitsbrötchen"

Plötzlich hieß es: Raus!" Dann folgte ein weiterer Befehl: In die Wupper  !" Ich mußte eine Zeitlang Bruch steine aus dem Fluß herausholen; dann stieß man mich mit nassen Kleidern wieder unter die Treppe und ich blieb dort frierend ohne Decken liegen. Schließlich fam der Trupp führer Paul Schmitz   und fragte mich: Hast Du schon Dein Appetitsbrötchen gehabt?" Als ich verneinte, brachte er mir einen Salzhering, der war mit Rübenkraut beschmiert, das mit Salz bestreut war. Dann hatte man noch Maschinen­fett dazu geschmiert und auf das ganze uriniert. Ich mußte das essen. Als ich mich übergab, mußte ich auch das Aus­gebrochene wieder verschlingen.

Das ,, Verhör"

Vier Tage und Nächte habe ich unter der Treppe zu­gebracht. Dann hieß es wieder: Raus!" Ich kam in den Saal 3, wobei ich einschalte, daß der Saal 1 damals mit 236,

der Saal 2 mit 176, der Saal 4 mit 128, der Saal 5 mit 145 Leuten belegt war. Der Saal 3 war frei und wurde als Von der Ecke unter der Treppe Prügelsaal benutzt. prügelten mich 8 Mann nach oben. Dort wurde eine Proze­dur vorgenommen, die wohl alle Neueingelieferten haben durchmachen müssen. Fünf SA.- Leute hielten mich fest. Die andern schlugen mit Gummifnüppeln, Ochsenziemern und Gummischläuchen mit Blei auf mich ein. Beteiligt waren u. a. die SA.  - Männer Bläsing, Weichert, Hoch= felder, Hinze, Heine und Wolf. Der Lagerkom­mandant, Obersturmführer Hilgers, fommandierte. Ich wurde auf einen Tisch ausgestreckt und Hilgers dirigierte die Mißhandlungen durch Zeichen mit der Hand. Je nach­dem wurde zugeschlagen oder aufgehört. Man wollte von mir bestimmte Namen wissen. Als ich mich weigerte, wurde ich zum zweiten Male auf den Tisch geworfen und die Miß­Handlungen wiederholten sich. An vier Abenden wurde ich so geprügelt.

Zum Abschluß wurde man in einen Warenaufzug gestoßen und in den Keller hinabgefahren. Dann fragte man von oben: Hast Du Durst?" Es war gleich, ob man ja jagte oder nein oder gar nichts. Von oben wurden ein paar Eimer Wasser heruntergeschüttet. Mein Körper war nach

den Mißhandlungen eine einzige Wunde.( Wir schalten hier ein, daß unser Gewährsmann von sehr fräftiger Konsti­tution ist. Red. D. F.".)

Nach vier Tagen wurde ich in einen Bunker gebracht, der für 18 Mann bestimmt war. Darin lagen auf Stroh 52 Mann. Ich blieb hier, 14 Tage. Dann fam ich in den Saal 2. Die Mißhandlungen hörten nun so gut wie auf. Nur nachts gab es noch ab und zu Stöße mit dem Gewehrkolben von

der Wache. Als Begründung wurde gesagt, es wäre einer

auf gewesen, oder es wurde etwas Aehnliches als Ausrede gebraucht.

Reichstagswahlen

Am 12. November war Reichstagswahl. Der Lagerkoms mandant instruierte uns vorher: Jeder kann wählen, ich werde aber nachfontrollieren. Wer mit nein stimmt, wird etwas erleben wie nie!" An jeder Wahlurne stand ein SA.­Mann, der dem Abstimmenden über die Schulter sah, um zu fontrollieren.

Acht Tage nach der Wahl wurden 18 Mann eingeliefert, von denen man behauptete, sie hätten Waffen versteckt. Ausgesagt hatten sie nichts. 8 Tage lang wurden sie ge­schlagen. Ihre Wunden wurden mit Pfeffer und Salz be­streut. Zer Gefangene Winter von Radevormwald hat sich die Pulsader geöffnet, weil er die Mißhandlungen nicht mehr aushalten fonnte. Er wurde auf der Latrine gefunden. Im Februar lagen noch 4 von den Mißhandelten im Krankenhaus.

Der greise Beschwerdeführer

Am 18. Dezember kam ein neuer Kommandant. Es hieß allgemein:" Der bringt Ordnung." Er kanzelte auch die Wachmannschaft ordentlich herunter und sagte zu den Ge­fangenen: Wenn jemand Beschwerden hat, insbesondere wenn er geschlagen wird, mag er sich vertrauensvoll an mich menden." Der 68jährige Gefangene Wolters machte von diesem Beschwerde recht vertrauensvoll Gebrauch, weil ihn der Oberscharführer Engermann ohne jeden Grund niedergeschlagen hatte. Der Erfolg war, daß alle Ge­fangenen von Saal 3, wo der alte Wolters lag, auf dem braunen Morastplaß in 3ivilanzügen 2 Stunden Nach­exerzieren üben mußten. Die Leute mußten sich auf Kom­mando in den Schlamm legen und auf Kommando wieder hochspringen. Der alte Wolters mußte eine halbe Stunde im Schlamm liegen bleiben. Dann mußte er noch eine halbe Stunde Kniebeuge machen und bekam nachher Arrest. Erst am Morgen fam er mit verquollenen Augen und ge= schwollenem Gesicht heraus. Das war die Folge seiner Be­schwerde, die er im Glauben an die Worte des neuen Lager­fommandanten gemacht hatte.

,, Rot Front  "!

Am 18. Januar machte der Kommandant befannt: Das Lager wird aufgelöst. Achtzig werden entlassen, wer, sage ich nicht, weil sonst Unbesonnenheiten vorkommen." Das sollte heißen, daß man Selbstmordversuche bei Leuten befürchtete, die nicht entlassen werden sollten. In Wirklichkeit wurde gar niemand entlassen. Es wurden nur Hoffnungen erweckt bei Leuten, die man als Schwerverbrecher" durch die dann folgende Enttäuschung quälen wollte. Die Gefangenen marschierten zum Bahnhof nach Barmen- Rittershausen  . Ob­wohl sie mit Paketen beladen waren, sollten sie mit dem Nebenmann Richtung halten. Ließ die Richtung nach, gab es Kolbenstöße. Wir mußten das Horst- Wessel- Lied singen. Als wir an der Fabrik von Bemberg vorüberfamen, öffneten sich einige Fenster und Arbeiter riefen: Rot Front  ! Auch für Euch schlägt bald die Stunde der Freiheit!" Die Begleit­mannschaften schrien hinauf: Fenster zu, sonst schießen wir!"

In Börgermoor

Heilmanns Martyrium

Wir fuhren mit der Eisenbahn bis Dörpen   und waren abends 6 Uhr im Lager Börgermoor  , wo wir auf die einzelnen Baraden verteilt wurden. In diesem Lager waren schon seit längerer Zeit die SPD  .- Führer Ernst Heil= mann und Friedrich Ebert  . Die SA  .- Leute machten uns gleich darauf aufmerksam, daß sie uns Heilmann vor­führen würden. Man stellte eine Hundehütte auf, holte Heil­mann, der einen sehr zerrütteten Eindruck machte, aus der Baracke 1, die als Lazarett diente, und jagte ihn wie einen Hund zur Hundehütte. Dort wurde er an die Kette gelegt. Ein SA.- Mann stellte sich mit schußbereitem Gewehr vor ihm auf und fragte höhnisch:" Heilmann, wie macht die 2. Internationale?" Heilmann bellte wie ein Hund. Der SA.- Mann, der mit seiner schußfertigen Knarre noch immer vor dem Gefangenen an der Katte stand, sagte trium­phierend: Seht, was für eine feige Kreatur." Heilmann wurde dann von der SA. an der Kette wie ein Hund über den ganzen Platz geführt und kam dann wieder ins Lazarett. Am nächsten Tag wurde er uns mit einem anderen jüdischen Gefangenen vorgeführt. Das war an der sogenannten 4711- Kolonne( Latrinen Kolonne). Die SA.- Leute verlangten von dem einen Juden, er möge Kot aus der Patrine her­ausholen und es Heilmann ins Gesicht schmieren. Er ver

neigerte das. Dann schrie ein SA.- Mann den jüdischen Mitgefangenen an: Also, weil Du zu feige bist, wird Dich Heilmann beschmieren." Heilmann, der einen franfen und gebrochenen Eindruck machte, wurde solange bedroht, bis er wirklich den Befehl der SA. ausführte. Sie ließ nicht eher Ruhe, bis sie das efelhafte Schauspiel vollendet hatte und beide jüdische Gefangenen mit Menschenfot beschmiert waren.

Heilmanns ,, Fluchtversuch"

Einige Tage später erhielt der franfe Heilmann den Be­fehl, einen schweren Baumstamm auf die Schulter zu nehmen und durch einen sumpfigen Graben zu schaffen. Er sank immer tiefer ein und rief schließlich: Helft mir doch!" Die Wach­mannschaft hielt uns davon ab mit der Drohung: Wer hilft, wird erschossen!" Erst als Heilmann bis über die Schultern eingesunken war, und der Schlamm sich seinem Gesicht näherte, durften wir ihm helfen. Solche Prozeduren wurden mit Heilmann immer vorgenommen, wenn neue Gefangene eingeliefert wurden. Er wurde häufig in der sogenannten Vortragbaracke geschlagen, und die Mißhandlungen waren ihm anzumerken, wenn er herausfam. Heilmann war seelisch gebrochen. Aber er war ein guter Kamerad, wie alle be= zeugen, die mit ihm im Lazarett lagen. Häufig bekam er Lebensmittel, Zigaretten und auch Geld, und er hat stets brüderlich mit seinen ärmeren Mitgefangenen geteilt.

Ich war auch Zeuge der Schüsse auf Heilmann. Einmal fam er wieder nach Mißhandlungen aus der Vortragsbarace und schwankte wie ein Betrunkener. Hinter ihm waren SA.- Leute mit Gewehren, die immer wieder riefen: 208, Heilmann!" Er torfelte denn auch an der Wache vorüber durchs Tor. Als er einige Schritte vor dem Tor war, gaben vier SA.- Leute Feuer. Sie schossen schlecht. Heilmann wurde in den Fuß getroffen und klappte zusammen. Die SA.- Leute riefen uns zu: Ihr habt ja gesehen, daß er laufen gehen wollte." Wir mußten ihn holen, er wurde in das Kranken­haus nach Papenburg   geschafft, kam dann später wieder zu uns ins Lazarett und wurde schließlich entlassen.( Heilmann sizt noch immer im Gefängnis. Red. D. F..)

Als eine Rotterdamer   Zeitung später über Heilmanns Mißhandlungen berichtete, lief der Kommandant aufgeregt im Lager herum und suchte nach Zeugen, die den Zeitungs­bericht widerlegen sollten. Es wurden noch fünf Gefangene ermittelt, die mit Heilmann zusammen eingeliefert worden waren. Die Leute befundeten, daß der Zeitungsbericht wahrheitsgemäß sei. Was mit diesen Gefangenen geschehen ist, weiß ich nicht.

Wiederholt wurde versucht, den alten Parteihaß zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten anzustacheln. So wurde einmal Friedrich Ebert   aufgefordert, kommunistischen. Gefangenen in die Fresse" zu schlagen. Er weigerte fich tapfer und erklärte, daß auch jeder kommunistische Gefangene sein Kamerad sei. Ebenso weigerten fich fommunistische Ar­beiter, Friedrich Ebert   zu schlagen.

,, Das ist die Garde...."

Mit der nationalsozialistischen Ueberzeugung der SA. war es nicht weit her und ihre Enttäuschung äußerte sich manch­mal. Am meisten aber, wenn SA  .- Leute besoffen waren. Dann schickten sie dem Reichskanzler Adolf Hitler   die be­fannte Einladung Götz von Berlichingens und sagten uns: " Das ist alles kein Sozialismus. Wir legen den Adolf um, wenn er in diesem Jahre nicht den richtigen Sozialismus schafft." Damals waren schon eine ganze Reihe SA  .- Leute als Gefangene im Lager.

Das Moorlied

Endlich am 11. April schlug für uns die Befreiungsstunde. Die Kameraden verabschiedeten sich von uns mit dem Gruße der Gefangenen, mit einem dreifachen Moor- Heil!" und sangen mit uns zur Scheidungsstunde das Lied:

Wohin auch das Auge blicket Moor   und Heide nur ringsum. Vogelsang uns nicht erquicket, Eichen stehen fahl und frumm. Wir sind die Moorsoldaten Und ziehen mit dem Spaten Ins Moor.

Hier in dieser öden Heide Ist das Lager aufgebaut, Wo wir fern von jeder Freude Hinter Stacheldraht verstaut. Wir sind die Moorsoldaten... Morgens ziehen die Kolonnen In das Moor zur Arbeit hin, Graben bei dem Brand der Sonne, Doch zur Heimat steht ihr Sinn. Wir sind die Moorsoldaten... Auf und nieder gehn die Posten Reiner, feiner kann hindurch. Flucht wird nur das Leben kosten, Vierfach ist umzäunt die Burg. Wir sind die Moorsoldaten...

Heimwärts, heimwärts geht ihr Sehnen Zu den Eltern, Weib und Kind. Manche Brust ein Seufzer dehnet, Weil wir hier gefangen find. Wir sind die Moorsoldaten... Doch für uns gibt es tein Klagen. Ewig kanns nicht Winter sein. Einmal werden froh mir sagen: Heimat, du bist wieder mein. Dann ziehn die Moorsoldaten Nicht mehr mit dem Spaten Ins Moor.

( Nachdruck mit Quellenangabe erbeten.)