Die blutigen 24 Stunden

Eine Chronik vom 30. Juni zum 1. Juli

Der Blutsäufer!

Die Welt schreit vor Entsetzen auf. 3wölf hohe Staats­würdenträger ermordet( soviel wurden bis jetzt zuge­geben), darunter drei Männer von weltbekannten Namen, ferner eine Frau so sieht es aus, wenn Hitler  sein Personal wechselt. Ein Bluthund rast. Es scheint, daß er Röhm und Heines vor seinen eigenen Augen niederschießen ließ. Das ist nicht mehr Energie, das ist auch nicht mehr Brutalität, das ist Blutrausch.

Wer die entsetzlichen Vorgänge in Deutschland   richtig verstehen will, darf nicht vergessen, daß der Beruf von Mördern das Morden ist. Er muß sich vor Augen halten, daß das Element von Kriechtieren der Sumpf ist. Und vor allem muß er stets daran denken, daß das Geschäft von Lügnern das Lügen ist.

Mord, Sumpf und Lüge- das sind die Kennzeichen der deutschen   Tragödie, die sich soeben abgespielt hat und die vermutlich noch nicht zu Ende ist. Wenn wir früher schrieben, daß das Nazisystem auf Mord aufgebaut ist, dann waren das angeblich Greuelmärchen. Wenn wir feststellten, daß Hitlers   brauner Staat durch und durch von Korruption zerfressen ist, dann war das böswillige Hetze. Und wenn wir der Wahrheit gemäß sagten, daß Sie entscheidenden Stellen des braunen Staatswesens von, moralisch verkommenen Menschen besetzt sind, dann hießen wir böswillige Schänder und Schmäher Deutsch­lands.

Nun stellt sich heraus, daß wir weit mehr recht hatten, als wir selbst ahnen konnten. Adolf Hitler   selbst hat durch sein Blutbad und durch dessen, zwölf Punkte umfassende, ,, Rechtfertigung" ein Bild des dritten Reiches" gezeichnet, von dem sich jeder anständige Mensch mit Grauen ab wendet.

Der deutsche Retchskanzler soll sich keinen Illusionen hingeben: in den Augen der Welt hat er seinen Kredit verspielt. Sie mag seine blutige Energie, nein Hysterie mit Grauen und Widerwillen anerkennen. Aber es gibt nichts menschlich Gemeinsames mehr mit einem Staat, der nur durch zwölffachen Mord regiert werden kann, und mit einem Staatsmann, der ohne zwölffachen Mord viel­leicht heute schon ein erledigter Mann wäre.

Er klagt jetzt, daß die SA.  - Führung ein einziger großer Schweinestall gewesen sei. Wenn dieser Schweinestall, wie die Dinge heute liegen, wirklich nur durch zwölffachen Mord hätte gereinigt werden können, dann wäre der Hauptschuldige Adolf Hitler   selbst; denn er hatte es in der Hand, schon vor Jahr und Tag durchzugreifen. Er klagt heute über unverantwortliche Schlemmereien, über Luxusautos und Diners, über unwürdiges Benehmen von SA.  - Führern in der Oeffentlichkeit; er schimpft darüber, daß die braunen Helden sich öffentlich betrinken, randa­lieren oder gar Exzesse veranstalten". Aber welches Recht hat gerade Hitler, solche Vorwürfe zu erheben? Reist er nicht selbst auf seinen Cer­gnügungsfahrten mit sechs Luxusautomobilen durchs Land? Jst er nicht selbst der Mann, der ständig unterwegs bei Besichtigungen und Ausflügen und fast nie an seinem Schreibtisch in der Reichskanzlei zu finden ist? Und ist der unwürdigste und lächerlichste Träger eines widerlichen Brunks nicht gerade der Mann, mit dessen Hilfe er jetzt Röhm und seine Kameraden ins Jenseits geschickt hat? Gegen den traut er sich freilich kein Wort zu sagen, weil er ohne ihn im Augenblick verloren wäre. Es ist einfach feige Heuchelei, den SA.  - Führern Prunk und Lurus vor­zuwerfen, solange das oberste Vorbild dieses Luxus, Her­ mann Göring  , unter dem Beinamen Lametta- Hermann erster Würdenträger des Reiches ist.

Die übelste Scheinheiligkeit offenbart sich aber in den Klagen über die sexuelle Korrumpierung der SA  . Hier ist ein furchtbares Unheil in der deutschen   Jugend längst angerichtet worden und nicht mehr gutzumachen. Wenn Hitler der Welt weis machen wollte, daß er diese Dinge nicht oder nicht im ganzen Umfange gewußt habe, dann müßte man ihn für außergewöhnlich dumm halten. Er hat den Schmut natürlich genau gekannt. Vor einigen Jahren bereits erschien bei ihm eine national­sozialistische Deputation unter Führung des Grafen Reventlow und beklagte sich über die privaten Lieb­habereien des SA.  - Chefs Röhm. Hitler   erwiderte zynisch, ihm sei es ganz wurscht, ob einer so oder so.... nun folgte ein nicht wiederzugebendes Wort.

Nein, Adolf Hitler   soll sich nicht vor der Verantwortung für das von ihm verschuldete Unheil drücken können, und menn er jetzt zehnmal Haltet den Dieb!" schreit.

Adolf Hitler   ist es, der die deutsche Jugend diesen perver­sen Lüstlingen als Lustfnaben ausgeliefert hat. Adolf Hitler  ist es, der mit einer forrupten und blutdürftigen SA.  ­Clique eine Schreckensherrschaft über Deutschland   auf­gerichtet hat. Adolf Hitler   ist es, der die Rowdys zu Herren im Lande gemacht hat und die wirklich sozialen Elemente des Volfes unter ihren Stiefelabsatz brachte. Adolf Hitler   ist es, der Mörder als Polizeipräsidenten einsetzte und ihnen Hunderttausende von anständigen Gegnern in den Konzentrationslagern als Beute vorwarf. Adolf Hitler   ist es, der der deutschen Jugend den Mord am politischen Gegner als Jdeal gepredigt hat und ihn ihr jetzt als Beispiel vorführt.

Wir können wirklich froh sein, daß bis heute im Saar­gebiet noch andere Methoden herrschen. Vielleicht überlegen es sich sogar Herr Röchling   und Herr Pirro, ob es nicht doch besser ist, in Ehren und mit heilen Knochen abgesägt zu werden, als sich ermorden lassen zu müssen, wenn dem Führer die Nase nicht mehr paßt. Der weitaus größte Teil der Saarbevölkerung dürfte den von der deutschen Front" bisher beklagten Terror" der Regierungskommission den gegenwärtigen deutschen   Regierungsmethoden jedenfalls vorziehen.

Die ermordeten SA  .- Führer

An der Spitze Röhm

Berlin, den 1. Juli 1934. Amtlich wird folgendes gemeldet: Der ehemalige Stabschef Röhm hat sein Verbrechen gegen den Staat und seine Untreue gegen den Führer mit dem Tode gefühnt. 9th

Oberregierungsrat v. Bose hat sich, als er verhaftet werden sollte, erschossen.

Weiter haben ihr Komplott gegen die Staatssicherheit und gegen den Führer mit dem Tode gesühnt:

Gregor Strasser  , Polizeipräsident Heines, Breslau  , Ministerpräsident von Sachsen  , v. Killinger  . Obergruppenführer August Schneidhuber  : München  , Gruppenführer Karl Ernst  = Berlin  , Gruppenführer Wilhelm Schmidt, Gruppenführer Hans Hayn= Sachsen, Gruppenführer Peter v. Heydebred: Pommern  , Standartenführer Hans Erwin Graf Spreti- München.

Schleicher und seine Frau Bestialisch im Senatorium getötet

Berlin  , den 30. Juni 1934. Das amtliche Deutsche   Nachrichtenbüro teilt mit, daß die Gestapo   auf Befehl Görings in die Wohnung Schleichers eingebrochen tft. Offenbar auf Anweisung Görings ließ fich die Gestapo   dazu verleiten, den General und seine Frau ohne irgendwelche nähere Erklärungen abzugeben, einfach niederzuschießen, Natürlich wird von den braunen Schergen die Meldung verbreitet, daß Schleicher und seine Frau sich mit der Waffe in der Hand zur Wehr gesezt hätten. Das ist eine ebensolche Lüge, wie die frühere Behauptung, daß Schleicher und Röhm Selbstmord begangen hätten.

Ministerialdirektor Klausener

Der Mord am Leiter der Katholischen Akion Aktion in Berlin  , Der Führer der Katholischen Ministerialdirektor Klausener, der intime Mitarbeiter des katholischen Bischofs von Berlin  , ist auf Befehl Hitlers  von einer in seine Wohnung eindringenden Streife er= ichossen worden. Die amtliche Meldung darüber sucht den Tatbestand zu verschleiern, indem sie behauptet, Klausener Berlin  , 1. Juli. habe sich einer durch Hitler   angeordneten Hausfuchung widersetzt und habe deshalb erschossen werden müssen. In Wirklichkeit liegt hier glatter vorbedachter Mord vor.

., Röhm wurde daraufhin..." Killinger nicht erschossen!

Das Deutsche   Nachrichtenbüro meldet folgendes: Dem ehemaligen Stabschef Röhm ist Gelegenheit gegeben worden, die Konsequenzen aus seinem verräterischen Han­deln zu ziehen. Er tat das nicht und wurde daraufhin er­schossen.

Während das gleiche Büro am Samstag gemeldet hatte, daß der sächsische Ministerpräsident Manfred von Killinger  erschossen worden sei, wurde am Sonntagabend durch Rund­funt diese Meldung widerrufen und erklärt, Killinger sei nicht erschossen und bleibe auch im Amte. Die erste Falsch­meldung wäre unverständlich. Vielleicht hat Killinger auf der Mordliste gestanden, ist aber noch rechtzeitig zu Kreuze gefrochen. Darüber werden die nächsten Tage Aufklärung bringen.

Interessant ist auch die Tatsache, daß der gleiche Rund­funk die Ermordung des Reichsbankpräsidenten Schacht dementiert. Eine Nachricht von der Ermordung Schachts war weder uns noch andern Blättern bekannt geworden.

Wer Klausener, den Führer der Katholiken Berlins  , fennt und die Arbeit dieses Mannes seit Jahren beobachtete, weiß, wie fern ihm jeder gewaltsame Widerstand gelegen hat. Das wird uns insbesondere auch die inzwischen gleichgeschaltete ehemals katholische Saarbrücker Landes- Zeitung", mit der er in ſehr guter Beziehung stand, bestätigen können und hoffentlich morgen auch bestätigen. Oder sollten wir uns irren! Sollte immer noch die Angst vor der nationalsoziali­stischen Gewalttat und die Hörigkeit gegenüber den national­sozialistischen Propagandafonds stärker sein als das fatholische Gewissen? Wir werden sehen!

Im übrigen beweist dieser Mord an Klausener nur erneut die gestern von uns schon gebrachte Meldung, daß der Kultur: kampf gegen die Katholiken trotz der vorgeftrigen Meldung über eine angebliche Entspannung und Einigung zwischen Episkopat und Hitler   weitergeht.

Die Verteidigung der Morde

..Röhm trat mit Schleicher in Beziehung"

DNB. München, 30. Juni. Die Reichspressestelle der NSDAP  . teilt mit: Seit vielen Monaten wurde von einzel. nen Elementen versucht, zwischen SA  . und Partei sowohl wie zwischen SA  . und Staat Keile zu treiben und Gegensäge zu erzeugen. Der Verdacht, daß diese Versuche einer beschränk: ten, bestimmt eingestellten Glique zuzuschreiben sind, wurde ten, bestimmt eingestellten Clique zuzuschreiben sind, wurde mehr und mehr bestätigt. Stabschef Röhm, der vom Führer mit seltenem Vertrauen ausgestattet worden war, trat diesen Erscheinungen nicht nur nicht entgegen, sondern förderte sie Erscheinungen nicht nur nicht entgegen, sondern förderte sie unzweifelhaft. Seine bekannte unglückliche Veranlagung führte allmählich zu so unerträglichen Belastungen, daß der Führer der Bewegung und Oberste Führer der SA  . selbst in schwerste Gewissenskonflikte getrieben wurde. Stabschef Röhm trat ohne Wissen des Führers mit General Schleicher in Beziehungen. Er bediente fich dabei neben einem anderen SA  .- Führer einer von Adolf Hitler   schärfftens abgelehnten in Berlin   bekannten obsturen Persönlichkeit. Da diese Ber: handlungen endlich natürlich ebenfalls ohne Wissen des Führers zu einer auswärtigen Macht bzw. deren Vers tretung sich hinstreckten, war sowohl vom Standpunkt der Partei wie auch vom Standpunkt des Staates ein Eins schreiten nicht mehr zu umgehen.

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Planmäßig provozierte 3 wischenfälle führ ten dazu, daß der Führer heute nacht um 2 Uhr, nach der Besichtigung von Arbeitslagern in Westfalen  , von Bonn   aus im Flugzeug nach München   flog, um die sofortige Absetzung und Verhaftung der am schwersten belasteten Führer anzus ordnen. Der Führer begab sich mit wenigen Begleitern persönlich nach Wiessee  , um dort jeden Versuch eines Wider: standes im Reime zu erstiden. Die Durchführung der Ver­haftungen zeigte moralisch so traurige Bilder, daß jede Spur

Der deutsche Massenmord hat aber auch noch eine tiefere Bedeutung. Bisher hat das braune System seine Bluttaten eisern abgeleugnet, denn sie richteten sich fast ausschließlich gegen Marxisten und Juden. Heute beginnt gewissermaßen eine neue Aera der politischen Schlächterei. Heute wird der Mord offen verkündet, damit alles in lähmen­dem Entsetzen erstarre. Hitlerdeutschland   tritt in die Periode der offenen Blutherrschaft ein.

Es ist zugleich die Periode der offenen, höhnischen, eis­falten Reaktion. Der Traum vom Sozialismus ist ausge­träumt. Wir wehren uns gewiß dagegen, daß man einen jetzt ermordeten Mörder wie Heines zum Sozialisten und zum Opfer seiner Gesinnung stempelt. Aber schon der ermordete Röhm hatte sich, bewußt oder unbewußt, zum Sprecher der sozialistischen   Gefühle seiner Mannschaft gemacht. Gefliffent­lich werden jetzt die persönlichen Laster der Ermordeten ans Licht gezerrt, die man solange deckte und verschwieg; man will von der sehr ernsten sozialen Unruhe ablenken, aus der Röhms Verschwörung entsprang. Aber die Wahrheit springt in die Augen, wenn man sich die Liste der Opfer genau an­sieht. Die dedeutendste Gestalt unter den Toten ist Gregor Strasser  , der einstige Führer des sozialistischen   Flügels der NSDAP  ., der sich vor anderthalb Jahren von Hitler   trennte, weil er dessen Katastrophenkurs nicht mehr mitmachen

von Mitleid schwinden mußte. Einige dieser SA  - Führer hatten sich Luftknaben mitgenommen. Einer wurde in der efelhaftesten Situation aufgeschreckt und verhaftet. Der Führer gab den Befehl zur rücksichtslosen Ausrottung dieser Pestbeule. Er will in Zukunft nicht mehr dulden, daß Mil­lionen anständiger Menschen durch einzelne krankhaft ver= anlagte Wesen belastet und kompromittiert werden.

Der Führer gab dem preußischen Ministerpräsidenten Göring   den Befehl, in Berlin   eine ähnliche Aktion durchzuführen und dort insbesondere die reaktio= nären Verbündeten dieses politischen Komplotts auszuheben. Mittags 12 Uhr hielt der Führer vor den in München   zusammengekommenen höheren SA  .- Führern eine Ansprache, in der er seine unerschütterliche Verbundenheit" mit der SA  . betonte, zugleich jedoch den Entschluß verkündete, disziplinlose und ungehorsame Subjekte sowie unsoziale oder krankhaft veranlagte Elemente" von jetzt ab unbarmherzig auszurotten und zu vernichten. Er wies darauf hin, daß der Dienst in der SA. Ehrendienst sei, für den Zehntausende braver SA.- Männer die schwersten Opfer gebracht hätten. Er erwarte von dem Führer jeder SA.- Einheit, daß er sich dieser Opfer selber würdig erweise und in seinem Vaterlande als Vorbild lebe.

Er wtes weiter darauf hin, daß er jahrelang Stabschef Röhm vor schweren Angriffen gedeckt habe, daß aber die legte Entwicklung ihn zwinge, über jedes persönliche Empfinden das Wohl der Bewegung und damit das des Staates zu stellen, und daß er vor allem jeden Versuch, in lächerlichen Zirkeln ehrgeiziger Naturen eine neue Um wälzung zu propagieren, im Reime erstiden und ausrotten werde.

wollte. Sein eigener schrecklicher Tod gibt ihm noch nach­träglich auf eine furchtbare Weise recht. Denn mit einem Schlage hat der hitlerische Nationalsozialismus heute den letzten lügnerischen Schleier eines angeblichen Sozialismus abgeworfen und steht vor der Welt da als die Verför­perung der sinnlosen, ideenlosen Gewalt, der zu ihrer Selbst­behauptung jedes Mittel recht ist.

Bevor Hitler   zu seinem politischen Schlachtfest nach München   abflog, ließ er sich in Essen   zusammen mit Herrn Krupp von Bohlen und Halbach foto= grafieren. Der Schwerindustrielle dürfte von Hitlers  blutigen Plänen nichts gewußt haben. Aber er wußte sicher bereits, daß Hitler   sich für die Reaktion und gegen den Sozialismus entschieden hatte.

Strasser tot, Röhm tot, Schleicher tot der Sozialis mus in den Reihen der NSDAP  . ist mit dem Revolver abgetan. Die Reaktion hat freie Bahn in Deutschland  , fie geht an ihr Geschäft, und dies Geschäft ist der Mord.

Aber das Volk lebt. Es wird diesen Mord nicht ver­gessen, und es wird vielleicht noch durch viele folgende Morde daran erinnert werden. Und wenn die Mordfurie weiter rast, dann wird sie sich früher oder später ihr Opfer unter denen suchen, die heute noch die Henker sind.