" Deutsche Freiheit", Nr. 160
Das bunte Blatt
Ein Artist schreibt seine Memoiren
fregoli- der einstige Star des Varietés
Am Palmenstrand von Viarregio sitzt ein alter weißhaariger Mann und diftiert seiner Sekretärin in die Maschine. Im Grunde diftiert er freilich nicht, sondern erzählt. Seine Augen schweifen übers Mittelmeer , als er über längst versunkene Zeiten spricht. Der Mann erzählt sein Leben, ein großartiges Leben, das Leben des Künstlers Leopoldo Fregoli , der einst die gefeiertste und berühmteste Varieténummer der Welt war.
Die italienische Theaterzeitschrift„ Scenario" hat den 64jährigen Meister aufgefordert, seine Memoiren zu ver= öffentlichen. Diese Memoiren werden nicht nur von seinen brausenden Erfolgen, von seinen Lorbeerkränzen und Siegeszügen berichten. Fregoli hat auch sonst Dinge erlebt, die gewöhnlichen Sterblichen nicht so leicht zustoßen.
Am 2. Juni 1867 wurde Leopoldo in Rom als Sohn eines Arbeiters geboren. Ursprünglich wollte er Uhrmacher werden. 1887 ließ er sich dann aber für eine italienische For schungsreise nach Aethiopien verpflichten. Ein Teil der Expeditionsteilnehmer wurde von Eingeborenen gefangen genommen. Auch Fregoli geriet in die Hände des Negus, des Oberhauptes der Abessinier. Während dieser Gefangenschaft kam ihm der Gedanke, seine Kameraden durch allerlei Ver
ließ der Herrscher Fregoli frei, um ihm seinen Dank für die reizenden Abende zu befunden, die er durch ihn erlebt hatte. Nach der Rückkehr nach Italien schlug Fregoli endgültig die künstlerische Laufbahn ein. Er baute seine Nummer bis zur Vollendung aus. Sein Ruf machte bald nicht mehr an den Grenzen der Halbinsel halt. 1900, auf der Pariser Weltausstellung, ist er schon ein berühmter Mann. Er führt einige tausend Kilo Gepäck mit sich, 800 Kostüme, 1200 Perücken, zahlreiche Friseure und Ankleidefrauen. Da seine Nummer den ganzen Abend füllt, mietet er ein eigenes Theater. Seine Triumphe sind unbeschreiblich. Fregoli weiß sämtliche Persönlichkeiten der Zeitgeschichte in verblüffender Weise darzustellen. Er kann sich mit einer Geschwindigkeit verwandeln, die an Hererei grenzt. Seine Stücke, in denen er selbst alle Rollen spielt, schreibt er allein. Er ist ein ausgezeichneter Sänger, Musiker und Bauchredner. Sein Theater ist immer voll. Tourneen in Nord- und Südamerika machen ihn so populär, wie seitdem nur Chaplin geworden ist. Nach dem Kriege hat sich Fregoli zur Ruhe gesetzt. Vor neun Jahren bat man ihn, noch einmal im Pariser Empire zu gastieren. Er lehnte ab, weil er sich den Anstrengungen seiner Nummer nicht mehr gewachsen fühlte.
Die Memoiren, die er jetzt herausgeben wird, werden bei allen, die ihn noch gesehen haben, großes Aufsehen erregen. Sie werden sein abenteuerliches Leben in allen Einzelheiten
Wiegenlied 1001
Samstag, 14. Juli 1934
Du warst, mein Sohn, nicht recht willkommen. Und dennoch famst du. Und bist da. Ich hab dich in die Hand genommen Und sagte laut und deutlich: ja! Du bist erstaunlich klein und dumm. Du bist noch nicht mal Irgendwer. Ich möcht dir sagen: Kehre um! Wenn das in etwa möglich wär.
Du fleiner Dummkopf! Du hast Pech! Du tommst in eine Welt, wo man sich nur mit Stahl und Eisenblech, doch nicht mit dir befassen kann. Die Welt steht nicht für dich bereit. Sie hat für alles Schwache Hohn. Du kommst in keine gute Zeit. Du hast kein Glück, mein kleiner Sohn. Jetzt bist du da. In zwanzig Jahren wird unsere Welt nicht weiter sein. Und auch wenn du, in weißen Haaren, dich umschaust, bist du noch allein. Du strampeltest mit deinen Beinen dich pünktlich an das Tageslicht. Du hast ganz recht, so laut zu meinen- Den Grund jedoch weißt du noch nicht! Petit jeant.
kleidungskunststücke aufzuheitern. Vor allem konnte er bauch- schildern und wieder einmal zeigen, wie man zum Erfolg Kommt ein Vogel geflogen...
reden und machte durch diese Fertigkeit den Negus selbst zu einem ständigen Besucher seiner Veranstaltungen. Schließlich
gelangen kann, wenn man es versteht, seinen Mitmenschen etwas Neues zu bieten.
Die Russen lassen
John D. Rockefeller , der seinen 95. Geburtstag feierte, hat die Kirchen wiederherstellen
nicht, wie er es gewünscht hatte, seine ganzen Freunde zu einer stillen Feier empfangen können, da sein Gesundheitszustand plötzlich sehr besorgniserregend geworden ist. Ferner Hatte der Milliardär die Absicht gehabt, sich an diesem Tage in die Kapelle von Lahewood zu begeben, die sich seiner Residenz am nächsten befindet, und wo ihm zu Ehren ein Spezialgottesdienst abgehalten werden sollte. Der alte Herr hat nicht einmal den Pfarrer bei sich zu Hause empfangen können, da er zu krank war. Rockefeller hat den gestrigen Tag nur in Gesellschaft seines ältesten Sohnes, John D. Rockefeller junior , verbracht, der, wie es scheint, über den Gesundheitszustand seines Vaters sehr besorgt ist und ihn in aller Eile nach seiner Stadtresidenz in Tarrytown transportieren lassen will. Die übrigen Mitglieder der Familie
Die Sowjetbehörden haben beschlossen, gewisse Kirchen und andere Moskauer Bauwerke, die während der Revolution zerstört worden waren, wiederherstellen zu lassen. Die Arbeiten haben schon begonnen. Die„ Christi- Geburts- Kirche" und die Kirche, die nach Angaben der Narychkina, der Mutter Peters des Großen, gebaut wurde, sind schon wieder im Bau
Im Hospital zu Besio fanden die Krankenschwestern fürz lich eine Brieftaube auf, die im Garten niedergegangen war und am Ende ihrer Kräfte schien. Sie trug um ihren Hals ein Zettelchen, auf dem die Zahl 54 690 geschrieben stand. Die Insassen des Krankenhauses pflegten das Tier und kauften sich außerdem bei der nächsten Lotterie ein Los mit der Nummer 54 690. Dieses Los fam mit einem hohen Gewinn heraus. Das Merkwürdige an der Geschichte ist, daß auch schon im vorigen Jahr am gleichen Tage und zur selben Stunde eine solche Taube an der gleichen Stelle herabgekommen sein soll. Auch damals habe sie eine Nummer mitgebracht, die später gleichfalls in der Lotterie gewann. So wird jedenfalls erzählt...
begriffen. Es handelt sich in beiden Fällen um Bauwerte Flitterwochen im Gefängnis
aus dem 17. Jahrhundert. Auf jeden Fall legen die Sowjets doch scheinbar Wert darauf, ihre Kulturdenkmäler, wie sie jeder andere europäische Staat aufzuweisen hat, zu erhalten. Rußland kehrt nach Europa zurück.
haben den Chef des Hauses an seinem gestrigen Ehrentage Eine neue Spur
nicht sprechen dürfen.
Die Entstehung der Einheitspreisgeschäfte
Das erste Einheitspreisgeschäft wurde im Jahre 1879 im Woolworth- Building in Neuyorf eröffnet. Seitdem hat sich diese Art von Läden, wie man weiß, über die ganze Welt verbreitet. Im Jahre 1909 gründete Woolworth in London die erste europäische Einheitspreis- Gesellschaft. Erst nach dem Kriege wurden ähnliche Häuser in Frankreich , Deutschland und der Schweiz aufgemacht. Hier machten sie dem Klein handel überall eine solche Konkurrenz, daß alle Länder des Kontinents Schutzmaßnahmen gegen ihre Eröffnung ergriffen haben.
Scotland Yard ist jetzt von dem Verschwinden eines jungen Mädchens unterrichtet worden, dessen Personalbeschreibung
Vor einigen Tagen wurde auf dem Jahrmarkt von Chikago in einer prähistorischen Dekoration aus Pappmaché eine Hochzeit gefeiert, deren Teilnehmer nicht mehr bekleidet waren, als Adam und Eva im Paradies. Niemand hätte die Leutchen gestört, und alles wäre glatt perlaufen, wenn nicht ein entrüsteter Bürger zur Polizei gelaufen wäre, um Anzeige zu erstatten. Das junge Ehepaar und seine Gäste wurden wegen Verlegung der öffentlichen Sicherheit vor Gericht gestellt und verbringen ihre Flitterwochen nun hinter Gefängnismauern.
ziemlich genau auf das Opfer zutrifft, das man vor vier Wissen Sie schon...
Wochen auf dem Bahnhof von Brighton gefunden hat. Ein Verwandter der Verschollenen hat erklärt, das junge Mädchen sei vor zwei Monaten von Jersey nach Brighton ge= fahren. Seit Anfang Juni, also seit dem Mordtermin, habe sie plötzlich nichts mehr von sich hören lassen. Scotland Yard scheint an dieser Spur besonderes Interesse zu haben, obwohl an sich bereits über mehr als tausend ähnliche Aussagen vorliegen.
... wie dick etwa die Erdrinde ist? ... was der siderische Monat ist? Mondes um die Erde.
Etwa 1600 Kilometer,
- Die Umlaufzeit des
... was das„ Kreuz des Südens" ist? Ein Sternbild auf der südlichen Halbfugel des Himmels. ... was die Aequinoftien sind? Die Tag und Nachtgleichen.
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Unsere Töchter, die Nazínen
Roman von Hermynia 3ur Mühlen.
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Er blieb auch gewahrt, und als einmal doch ein Malheur passierte... Mein Gott, wozu hat man einen Arzt zum Vater. Und von da an war Lieselotte vorsichtiger.
Aber, das ereignete sich später, als Lieselotte an die sechsundzwanzig war. Wie gesagt, Arthur wollte nicht in die sozialdemokratische Partei eintreten, und ich durfte es nicht. Aber ich versuchte dennoch, die Sympathien dieser Menschen zu gewinnen. Ich überwand meinen Stolz und sprach mit den Arbeitern, als ob sie meinesgleichen wären. Und ich ärgerte mich über unseren Konkurrenten, den Doktor Bär, der seit dem Jahre 1900 in der Partei war. Freilich war er ein ungeschickter Mensch; jeder andere hätte diese Tatsache ausgenügt, er aber hatte früher davon nur Unannehmlichfeiten gehabt und verstand es nicht, sich jetzt dafür schadlos zu halten.
Das Leben wurde wieder normal. Doch mußte ich meine Hoffnung auf ein eigenes Haus begraben. Arthurs Patienten wanderten ab. Und das war einzig und allein seine eigene Schuld; wenn man schon ein schlechter Arzt ist, so soll man wenigstens Interesse für die Kranken an den Tag legen. Viele von ihnen verlangen gar nichts anderes. Ich wußte, daß Arthur den Doktor Bär haßte, kamen sie jedoch zusam= men, so war mein Mann ganz Verehrung und Liebenswürdigkeit. Ich muß ja sagen, daß uns der Doktor Bär während der Inflation einmal viel geholfen hat, aber mein Gott, er hatte es ja, und schließlich haben diese Juden einen Kollegialitätsfimmel. Wir sind ihm noch immer Geld schuldig, doch mahnt er uns nie, obwohl es ihm auch nicht besonders gut geht.
Nach einigen Jahren mußte ich Arthur recht geben: es wäre ein Wahnsinn gewesen, sich den Sozialdemokraten anzuschließen. Sie begannen an Macht einzubüßen. Und ich hatte mir durch meine Arbeiterfreundlichkeit ohnehin genug geschadet. Man soll sich eben nicht mit der gemeinen Masse einlassen. Das sagte mir auch die Frau Major Schilder, als ich einmal bei ihr zum Tee war.
,, Sie haben ein zu gutes Herz, liebe Frau Doktor," sagte fie.„ Aber es ist unflug, nicht zwischen Feinden und Freunden unterscheiden zu können,"
Ich nickte und erwiderte:
„ Das sagt ja auch mein liebec Mann immer."
" Ihr Mann ist ein zurückhaltender feiner Mensch," meinte die Frau Major.„ Aber..." Sie stockte.
Was wollten Sie sagen?", fragte ich.
" Ich möchte mich nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen ,. liebe Frau Doktor. Aber ich finde, es ist jetzt an der Zeit, Farbe zu bekennen."
Arthur und Farbe bekennen! Fast hätte ich gelacht. Doch fühlte ich mich gleichzeitig unbehaglich. Ich war ja so gern bereit, Farbe zu bekennen, aber welche? Die Frau Major kam mir zu Hilfe.
" Ich hätte nie im Leben einen Andersgläubigen heiraten können," erklärte ich.
Die Frau Major schwieg, doch hatte sie offensichtlich noch etwas auf dem Herzen. Ich griff nach meiner Teetasse, um nicht reden zu müssen.
Die Frau Major gab sich einen Ruck.
„ Eine so gute Frau und Mutter, ein so ehrenwerter Mant wie der Herr Doktor gehören wirklich in unsere Partei." Ich hätte ihr ins Gesicht schlagen mögen, unsere Partei was sagt sie nicht gerade heraus, was sie meint, was läßt sie mich raten?
" Und auch Ihre reizende Tochter," setzte die Frau Major
Nicht wahr, für uns Menschen mit einer guten Kinder- hinzu. Zum erstenmal in meinem Leben empfand ich Sehn stube gibt es nur eine Partei."
„ Selbstverständlich," erwiderte ich, und dachte bei mir, wenn ich nur wüßte, welche. Die Deutsche Volkspartei , das Zentrum, die Deutschnationalen? Wir hatten früher bei den Tees immer sorgfältig vermieden, von Politik zu sprechen, deshalb kannte ich mich nun nicht aus.
„ Wir halten so viel von Doktor Feldhüter," fuhr die Frau Major fort.„ Er ist ein ausgezeichneter Arzt, ein musterhaf= ter Gatte und Vater. Wir freuen uns immer wieder über das schöne Familienleben, das Sie zusammen führen." Ich lächelte.
„ Ja, Frau Major, ich darf wohl sagen, wir sind heute, nach mehr als zwanzigjähriger Ehe, ebenso glücklich wie am ersten Tag."
„ Wie wohl es einem tut, so etwas zu hören, bei der immer mehr einreißenden Sittenverderbnis. Das deutsche Heim, die deutsche Familie. An ihr wird nicht nur unser geliebtes Vaterland, sondern auch die Welt genesen."
Ich sagte:„ Ja" und dachte bei mir:„ Dumme Gans, weshalb sagst du nicht endlich, welche Partei du meinst."
,, Dieses zutiefst religiöse Familienleben", die Frau Major war in ihrem Fahrwasser. Ich möchte nicht ungerecht sein, aber ich glaube, daß man es nur bei evangelischen Christen findet."
Also nicht Zentrum, das wenigstens wußte ich nun.
„ Ja, ich fürchte, die Katholiken nehmen es nicht so ernst," antwortete ich.„ Aber Sie wissen ja, liebe Frau Major, daß wir beide, sowohl mein lieber Mann als auch ich, evangelisch sind."
sucht nach Arthur. Der weiß von jedem, welcher Partei er angehört, der nennt die Gesinnung jedes Menschen in unse rem Städtchen. Ich habe ihm öfter gesagt:
An dir ist ein Spizel verloren gegangen." Und dann erschien immer auf seinem Gesicht ein geheint nisvoller, fast grausamer Ausdruck, und er entgegnete: ,, Man kann nie wissen, wozu es einmal gut sein wird." Ich verstehe, daß man alles ausnüßt, um eine bessere posi tion zu erlangen, aber dieses nuzlose Wissen um Menschen, dieses sinnlose Sammeln von Einzelheiten, nein, in solchen Augenblicken war mir der böse Krüppel, den ich geheiratet hatte, stets ein wenig unheimlich. Außerdem ärgerte es mich jezt, daß er mich nicht über die Ansichten der Familie Schil der aufgeklärt hatte. Aber er ist nun einmal so, er mißtraut allen Menschen, sogar seiner eigenen Frau.
Die Frau Major goß meine Tasse von neuem voll, und ich verbrannte mir den Mund an dem heißen Gebräu, das ich sofort hinunterschluckte, nur um nicht sprechen zu müssen. „ Ich bin ja so glücklich," sagte nun die Frau Major unvermittelt,„ daß es jetzt auch in unserer Stadt einen Luisen bund gibt. Da können sich alle treffen, die zusammengehören. Sie sah mich erwartungsvoll an.
" Ja", meinte ich etwas erleichtert, denn nun begann ich mich auszukennen.„ Ja, es war die höchste Zeit." „ Wir dürfen also auf Sie rechnen, liebe Frau Doktor?" Die Stimme flang zuckersüß, aber mir fiel gerade in die sem Augenblick ein, daß die Frau Major bei jedem Krank heitsfall den Doktor Bär rufen läßt und nicht meinen Mann. Sie hat sich einmal gewissermaßen bei mir darüber ent
" Ich weiß, ich weiß und ich freue mich darüber. Mischehen schuldigt: find immer eine gefährliche Sache
Wortiebuna folgt