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Deutsche   Stimmen Beilage sur Deutschen   Freiheit

Mittwoch, den 25. Juli 1934

Drei Ermordete

Dr. Edgar Jung- Dr. Werner Schotte- Dr. Willy Schmid

Der Reichsverband deutscher Schriftsteller", die offizielle Schriftstellerorganisation des dritten Reiches", hat vor einiger Zeit einen Fragebogen versandt, von dessen genauer Ausfüllung die weitere Berufstätigkeit abhängig gemacht

wurde.

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Man hätte annehmen sollen, daß ein Verband, der vom Schriftsteller verlangt, daß er sich ihm mit Haut und Haaren verschreibt, wenigstens das nackte Leben dieser von ihm ,, in Dienst genommenen" Autoren zu schützen wisse. Seit dem 30. Juni 1934 weiß man, daß dieser Verband dazu nicht willens oder nicht imstande ist; denn an diesem 30. Juni 1934 wurden die deutschen   Schriftsteller Dr. Edgar Jung  , Dr. Werner Schotte, Dr. Willy Schmid erschossen erschossen ohne Gerichtsspruch, ohne Verhör, ja ohne jenes Recht auf Verteidigung, das selbst mazedonische Feldgerichte dem Angeklagten einzuräumen pflegen. Man wird mich recht verstehen: die Erschießung dreier Schriftsteller in einem Land, das sich selbst stolz zum Land der, Dichter und Denker" ernannt hat, ist nicht nur eine deutsche, sondern eine das europäische Geistesleben berührende Angelegenheit. Es geht alle geistig tätigen Menschen an, ob es auf unserem kleinen Kontinent erlaubt sein kann, Menschen wegen ihrer schriftlich niedergelegten Meinung aus ihren Wohnungen zu reißen und von irgendeinem, vermutlich niemandem verant­wortlichen Rollkommando füsilieren zu lassen. Hat Herr Goetz Otto Stoffregen, der bisher durch keinerlei geistige Leistung hervorgetretene Führer des Reichsverbandes deutscher   Schriftsteller", sich um das Schicksal dieser drei erschossenen Schriftsteller auch nur eine Sekunde ge­kümmert? Und wenn er es nicht getan hat, wie reagieren die deutschen  , in den Grenzen des dritten Reiches" verbliebenen Schriftsteller auf diesen ihren Berufskollegen gegenüber verübten Gewaltakt?

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demselben

Im November 1933 haben 88 deutsche   Schriftsteller, die hiemand darum gebeten hatte, dem Reichskanzler Adolf Hitler   ,, treueste Gefolgschaft" zugelobt, Reichskanzler, bei dessen Regierungsantritt jene Holzstöße aufflammten, auf denen die Bücher bisheriger Kollegen ver­brannt wurden. Das Treuegelöbnis der Flake, Seidel, Benn, Binding, Ponten, Frenßen, Loerke und Genossen hat damals dem Ausland eine etwas merkwürdige Interpretation jenes Kameradschaftsgeistes vorgeführt, von dem gerade in Deutschland   in Lied und Wort so viel Wesens gemacht wird. Soll heute das Schweigen dieser 88 etwa bedeuten, daß Bie die treueste Gefolgschaft, die sie dem siegreichen Diktator anboten, bis zur schweigenden Zustimmung zu der ohne einen Gerichtsspruch vollzogenen Tötung ihrer Berufskollegen übertreiben wollen? Diese Männer des Geistes sollten zum mindesten von Shakespeare   wissen, daß ,, Mord verübt", wer ,, Mörder schont". Sie, die allen geistigen Ausschreitungen des nationalsozialistischen Regimes gegenüber bestenfalls ein würdevolles Schweigen". caufbrachten, sollten wissen,

daß

es einen Grad des Schweigens gibt, der Mitschuld be­deutet; diese Mitschuld muß auch auf jenen Reichsverband deutscher Schriftsteller  " ausgedehnt werden, der seinen Mit­gliedern zwar einen Maulkorb vorbinden, so lange sie leben, für den sie aber Hekuba sind, sobald sie von halbstaat­lichen Rollkommandos erledigt worden sind.

Diese im Reichsverband" zusammengeschlossenen deut­ schen   Schriftsteller, die anscheinend zum Totschweigen der am 30. Juni vorgefallenen Dinge entschlossen sind, müssen es sich gefallen lassen, wenn nach ihrem menschlichen Ver­sagen das Ausland sich um die Durchleuchtung der Gründe bemüht, die zur Füsilierung der drei Schriftsteller geführt haben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit die Führung des Reichsverbandes daran erinnern, daß sich in seiner Mitte der preußische Staatsrat und bisherige Chefdramaturg des preußischen Staatstheaters, Hans Johst  , befindet, der in seinem zwangsweise auf sämtlichen deutschen   Bühnen ge­spielten Landsknechtsschauspiel ,, Schlageter  " den nackten Mord mit folgendem unmiẞverständlichen Satze gefeiert hat: Die Menschheit braucht endlich wieder Führer und Priester, die den Mut haben, Blut zu vergießen und zu schlachten!" Diese Führer, nach denen der heute in ein Capri- Idyll ver­zogene Dichter Hans Johst   ruft, haben sich am 30. Juni gefunden, um ohne Verhör drei deutsche Schriftsteller um­zubringen.

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Edgar Jung   hat in seinem Buch Die Herrschaft der Minderwertigen" den Nachweis zu bringen versucht, daß die Demokratie( und der inr verbundene Parlamentarismus) eine unterwertige Spezies Mensch zur Macht kommen lasse,- einen unheroischen Typus, der gefährlichen Entscheidungen ausweicht und überall die Durchsetzung einer verkleinerten, mittelmäßigen Menschenart ermöglicht. Ich halte es persön­

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nung, da er sich vor seinem Gewissen keiner anderen Schuld bewußt war als die bekannte Marburger Rede des Vize­kanzlers von Papen, des zweithöchsten Beamten des Reiches, mitkonzipiert zu haben mitkonzipiert zu haben jenes Herrn von Papen, der heute noch sein Amt in der Regierung innehat. Am 30. Juni wurde er verhaftet; und am selben Tage getötet. Tagelang hoffte Jungs Frau, daß ihr Gatte noch am Leben sei. Schließlich wurde ihr als Antwort ohne weiteren Bescheid die Aschen­urne ihres Gatten zugestellt.

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Dr. Werner Schotte, der Redakteur der Führer­briefe", die auf die deutsche Politik im Sinne eines autori­tären Kurses Einfluß zu nehmen suchten, entstammt der Sphäre jenes Berliner   Herrenklubs", der zum Unheil Deutschlands   in der Politik herumdilettiert. Moeller van den Bruck  , der sein Buch Das Dritte Reich" dem promi­nenten Herrenklubmitglied Heinrich von Gleichen   gewidmet hat( der eben noch die schützende Grenze erreichte), erwägt in diesem Buch kalten Blutes die Möglichkeit, ob es nicht doch vielleicht nötig sei, die eine Hälfte des deutschen  Volks" auszurotten, bevor Deutschland   der großen ,, Erneue­rung" teilhaftig werden könne. Aber der Blutrausch, den er auf dem Papier in das Spiel einkalkulierte, konnte in der Realität auch vor der Türe eines Herrenklubs nicht abge­stoppt werden.

Der dritte der am 30. Juni erschossenen Schriftsteller ist der Münchener   Musikschriftsteller Dr. Willy Schmid, der an den ,, Münchener Neuesten Nachrichten" als Musik­kritiker tätig war und noch vor kurzem nach den Eindrücken der Berner Festwoche einen Aufsatz über Otmar Schoeck ge­schrieben hatte. Willy Schmid, den seine Freunde als, vor­nehm- schlichten und gütigen Menschen" schildern, wurde er­schossen, weil man ihn mit dem( inzwischen gleichfalls ge­töteten) SA.- Gruppenführer Wilhelm Schmid verwechselt

Ereignisse und Geschichten

Vom großen Rausch

Wir waren klug, ach viel zu klug. Und warn nicht klug genug.

Wir sprachen zur Sache, zur Sache stets. Betrüger schrien: ,, Betrug!"

Und gingen hin mit viel Gebrüll Und tobten, drohten, logen.

Zu ihnen sind, mit ihnen sind Durch Dick und Dünn gezogen.

Für die ein Räuschlein angenehm, Ein Rausch, der Rausch viel lieber. Sie taumelten vorwärts, sie griffen in die Luft Und purzelten hinüber...

Sie fanden sich wieder im Sonnenreich, Im Paradies auf Erden.

C

Und wenn sie auf Marsch, bei Fest und Gesang, Dann fragten sie nicht: Was soll werden?

Doch als sie genügend Lärm gemacht- Und als sie ausgeschlafen,

Da fühlten sie Ketten und Fesseln und Last Da ahnten sie: Wir sind Sklaven.

Sie rieben sich die Augen aus Und wunderten sich sehr. Sie sehen sich die Augen aus. Die Ketten bleiben schwer.

Der Rausch wird überaus teuer bezahlt.

So teuer, wie nie sie gedacht.

ララ

Was wird? Was soll werden",

So fragen sie... So klagen, die erwacht.

and Aus Gläubigen wurden Gläubiger. Sie waren hineingezogen.

Sie müssen mit! Und woll'n nicht mehr... Der Rausch, der Rausch ist verflogen. Heinz Wielek

hatte. Das heißt also: die Exekution Willy Schmids ging Paul Claudel   und die Frauen

unter Formen vor sich, die dem unglücklichen Münchener  Schriftsteller noch nicht einmal den Nachweis ermöglichte, daß er nicht der Gesuchte war.( Vielleicht interessiert sich der Präsident der Musikkammer Richard Strauß   für den Fall Willy Schmid; hat doch Schmid kurz vor seinem Tode einen Aufsatz ,, Das Münchnerische bei Richard Strauß  " veröffentlicht. Wird Willy Schmids gewaltsamer, unschuldig erlittene Tod das ,, Menschliche bei Richard Strauß  " zum Vorschein kommen lassen?)

Zwei Tage nach dem 30. Juni aber hat der Stellvertreter des Führers in einer Rede, in der er den französischen  Außenminister ob dessen Begeisterung für Richard Wagner  umworben hat, ausdrücklich erklärt, es habe einen tiefen Sinn, wenn im Falle militärischer Unruhen jeder zehnte Mann erschossen werde. Da nach der heutigen national­sozialistischen Staatsauffassung jeder deutsche Bürger irgendwie als Soldat seines Landes anzusprechen ist, hat Rudolf Heẞ   demnach mit seiner Lobpreisung der Dezimie­rung einer Truppe ohne Ansehen der Person und der per­sönlichen Schuld" den Kernsatz des neuen germanischen Rechts formuliert. Diesmal, am 30. Juni 1934, haben sich drei deutsche Schriftsteller unter diesen ohne weiteres zum Tode verurteilten ,, zehnten" Männern befunden.

Wie bekannt, hat sich dieser Tage der Münchener   Schrift­steller Erich Mühsam  , ein Mann von 57 Jahren, nach 16monatiger qualvoller Haft in einem Konzentrationslager ( laut amtlicher Darstellung) erhängt. In den Gefangenen­und Konzentrationslagern des ,, dritten Reiches" befinden sich seit März 1933 u. a. noch folgende deutsche   Schrift­steller: Ludwig Renn  , Carl v. Ossietzky, Carlo Nierendorf,

Dieser Tage erscheint ein kleiner Gedichtsband des großen französischen   Dichters und Diplomaten, ein Gedichtsband mit dem Titel ,, Hör' zu mein Mädchen", der außer bereits be­kannten auch einige unveröffentlichte Gedichte enthalten wird. Mit der Herausgabe dieses Auswahlbandes verfolgt Claudel   einen besonderen Zweck, was schon durch eine Wid­mung angedeutet wird: ,, Den Frauen und jungen christlichen Mädchen Frankreichs  , Belgiens   und Kanadas   ist dieses Buch ehrerbietigst gewidmet". Der Sinn dieser Widmung ergibt sich näher aus einer kurzen Erklärung, die Claudel   über dieses Werk gemacht hat: Eine große katholische Organisation hat kürzlich bei 20 000 französischen Mädchen und Frauen Umfrage über deren literarischen Geschmack gehalten. Fast einstimmig liefen diese Klagen auf diese Klage hinaus: Warum beschäftigt man sich nicht mehr mit uns? Warum verachtet man uns? Warum findet man in fast jedem neuen Buch, das man aufschlägt, statt trostvoller und erhebender Dinge diese entsetzliche Leere, die durch das Fehlen des Göttlichen entsteht, wenn es sich um die Beschreibung der scheußlichsten Seiten des menschlichen Lebens handelt, das mit einer Art trockener Ironie und einer bösen Freude dar­gestellt wird?" Um diese pathetische Forderung zu erfüllen, hat ein französischer Dichter aus seinem Werk die Seiten ausgewählt, die ihm durch die Heilige Schrift, durch die Lithargie. durch das christliche Leben eingegeben wurden und die ihm am besten geeignet schienen, die weibliche Seele zu berühren und zu stärken. Für sie, für alle aufrichtigen Christen sind sie geschrieben worden. Was werden die 20 000 Frauen antworten, wenn sie nach der Lektüre dieses Wer­kes nochmal nach ihrer Meinung gefragt werden sollten?

Armin T. Wegner  , Kurt Hiller  , Fritz Gerlich  , Ernst Hardt  . Ein Sammelband André Da die deutschen   Schriftsteller schweigen, wird es hohe Zeit, daß die nicht unter Terror gestellten Schriftsteller der Welt auf Mittel sinnen, ihre aufs höchste bedrohten Be­rufskameraden zu retten, so lange sie noch zu retten sind. Hermann Lepel.

Gides

Nach Albert Einstein   veröffentlicht nun auch der fran­ zösische   Dichter André Gide   eine Sammlung seiner Betrach­tungen über politische und soziale Zeitfragen. Er faßt sein Glaubensbekenntnis in folgenden Sätzen zusammen: Wäh­rend der Faschismus jede persönliche Freiheit unter der staatlichen Uebermacht erbarmungslos zermalmt, schafft der Kollektivismus, indem er die Schranke der Klasse, der Rasse

ララ

Was einem Pfaccer passieren kann und der Nation beseitigt, den Raum zur Entfaltung eines ,, Horst- Wessel  - Truppe in der Ewigkeit"

In der ,, Times" berichtet ein englischer Pfarrer über ein Erlebnis, das er während einer Deutschlandreise in München  hatte. Ein Hitlerjunge wurde beerdigt, und der Gebiets­führer erklärte bei der Beisetzung der Asche: ,, Du bist nun in die himmlischen Heerscharen Horst Wessels eingegangen." Der anwesende Pastor sagte dazu: Ob es in der Ewigkeit eine Horst- Wessel  - Truppe gibt, weiß ich nicht" und fuhr dann in seiner Trauerandacht fort. Der Gebietsführer trat

wirklich lebendigen Individualismus, der für alle Menschen und nicht nur für eine bevorrechtete Minderheit erreichbar ist. In der kollektivistischen Gesellschaft von morgen wird die einzige notwendige Ungleichheit diejenige des Verdienstes und des persönlichen Wertes sein; was verschwinden wird, sind lediglich die künstlichen Ungleichheiten, die in der heutigen Gesellschaft durch die Uebermacht des Geldes hervorgerufen sind."

lich mit Montesquieu  , der gesagt hat: Heureux le peuple, jedoch vor und erklärte: Kamerad, Du bist bestimmt in Ein biblisches Drama Franz Weefels

dont l'historie est ennuyeuse" und möchte mich bei diesem Anlaß mit einer Auffassung von Politik nicht auseinander­setzen, nach der es wichtig ist, alle Staatsposten mit einem Troß heroischer Uebermenschen zu besetzen. Jedenfalls hatten unter der Herrschaft der Minderwertigen", die dem Hitlerreich vorausging, auch in Deutschland   jene zehn Ge­bote Gültigkeit, ohne die keine Nomadenhorde bestehen kann. Edgar Jungs Buch hat viel zur Erzeugung jener Mentalität beigetragen, als sei ein Volk in einer Krisen­situation durch eine Garde von über allen Normen der Ethik und der Logik stehenden Politikern besser regiert als durch Normalmenschen, die sich noch an die in allen zivilisierten Staaten gültigen Rechtsbegriffe gebunden fühlen. Jetzt aber, da die minderwertigen" Anhänger der Demokratie längst durch eine nur sich verantwortliche Führergarde ersetzt sind, war mit der Demokratie auch die Rechtsgarantie eines un­abhängigen Tribunals ausgetilgt, vor dem der arme Jung sich mit geistigen Waffen hätte verteidigen können. Edgar Jung   war von Freunden gewarnt worden; aber er blieb in seiner Woh­

Horst Wessels Heerscharen eingegangen." Der Pastor ant­wortete: Ich muß dagegen protestieren" und verließ den Friedhof. Drei Tage später wurde er verhaftet und erst nach sechs Tagen freigelassen.

Ein Totalvernordeter Vernordung tut not

Auf dem nationalsozialistischen Aerzte­kongreß in Dortmund   sprach Dr. Je B: Wir wollen den nordischen Geist, der die Kulturen des Altertums schuf, und das nordische Blut wieder zur Geltung bringen. Unter schweren Bedingungen wurde dieses Blut in grauer Vorzeit gezüchtet. Ins Wandern gekommen, unterwarfen sich seine Träger, die Massen der dunklen Völker. Viel ist im Lauf der Zeit gegen das Blut gesündigt worden, aber heute schreiten wir von der Entnordung zur Totalvernordung des Volkes,"

Max Reinhardt   hat in den legten Tagen zahlreiche Be­sprechungen mit dem deutschen   Komponisten Kurt Weil  gehabt, der die Musik zu der nächsten Inszenierung Rein­hardts, dem neuesten Werk Franz Werfels, einem Volk der Verheißung" betitelten biblischen Drama. Die Urauf­führung dürfte voraussichtlich in der Londoner   Albert Hall stattfinden; für die Rolle des Moses ist Fedor Schaljapin   in Aussicht genommen.

Franz Werfels neues Drama hat eine ganz eigene Form, das gesprochene Wort geht zuweilen in Rezitation und Ge­sang über. Das Thema stützt sich auf vier Begebenheiten aus dem Alten Testament  , die teils in die Zeit der Erzväter, teils in die der Propheten fallen.

Tarzan   verboten

Der Leite der Filmorüfstelle hat den Me..o- Goldwyn­Mayer- Film Tarzan and his mate" verboten

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