Sonder- Nummer

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Frethet

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Chefredakteur: M. Braun

Unsere neuen Veröffentlichun­gen über die Naziführung und die Reichstagsbrandstiftung haben eine große Nachfrage nach den betreffenden Ausgaben zur Folge gehabt.

Da diese Nummern der ,, Deut­schen Freiheit" schon nach weni­gen Stunden vergriffen waren, noch immer jedoch Nachbestel­lungen einlaufen, haben wir uns entschlossen, die vorliegende Sonderausgabe zusammenzu­stellen.

Ein Reichstagsbrandstifter meldet sich

SA.- Mann Kruse Nr. 134 522 vom Stabe Röhms schreibt aus der Schweiz an den Reichspräsidenten

Ein SA.- Mann vom Stabe Röhms hat am 18. Juli den nachfolgenden Brief an den Reichspräsidenten geschrie­ben und uns eine Abschrift übersandt. Der Brief enthält ungeheuerliche Beschuldigungen, die man, wenn sie gegen Parteiführer und Regierungsmänner mit den Sitten eines zivilisierten Volkes erhoben wären, ohne wei­teres als unsinnig zurückweisen würde. Gegenüber den Männern des 30. Juni steht aber jede Schandtat im Bereich des Möglichen. Wenn schon bisher alle Welt geglaubt hat, daß die Brandstiftung im Reichstage ein Provokateurstück der Nationalsozialisten war und alle Welt insbesondere auf den Ministerpräsidenten Göring zeigte, so ist nach dem 30. Juni der Verdacht für Millionen Menschen, die bisher noch zweifelten, neu zur Ge­wißheit geworden.

Der Brief des SA. - Mannes Kruse ist nur eine Bestätigung dessen, was jeder vermutete, der den Reichstags­brandprozeß mit kritischer Gewissenhaftigkeit verfolgt hat. Wir hielten uns für verpflichtet, den Brief des SA.­Mannes Kruse mit dem Vorbehalt an die Oeffentlichkeit zu bringen, daß uns selbst im Augenblick die Nach­prüfung seiner Angaben nicht möglich ist. Zu der Veröffentlichung haben wir uns entschlossen, um möglichst zu verhindern, daß der Brief des SA .- Mannes auf dem Wege nach Berlin oder im Büro des Reichspräsidenten verschwindet. Daß der SA.- Mann Kruse um sein Leben fürchtet und daher sich zunächst verborgen hält, wird jedermann begreifen.

Schweiz , den 18. Juli 1934. An den Herrn Reichspräsidenten Generalfeldmarschall v. Hindenburg Neudeck( Schloß Neudeck).

Erzellenz,

Mein Schreiben wird Sie zweifelsohne in Erstaunen feßen, vorausgesetzt, daß Sie solches überhaupt erhalten und man Ihnen solches nicht auch unterschlägt, wie es dem Ver­nehmen nach vorkommen soll. Ich schreibe Ihnen als bis­heriger deutscher SA .- Mann, teils aus mir selbst, teils im Auftrage meines bisherigen Stabschefs Ernst Röhm , der lei­der durch den Kanzler Hitler ermordet wurde.

Gehezt und verfolgt von der Gestapo , nachts gewandert, tagsüber versteckt bei Freunden, in Viehwagen und in Heu­wagen versteckt, so habe ich gestern die Schweizergrenze er: reicht, weiß aber, daß ich auch hier noch nicht in Sicherheit bin. Ich weiß, daß ich auch hier verfolgt werde von den Spizeln und wenn ich nicht hier im Hause eines Freundes für einige Stunden Unterkunft bekommen hätte, so wäre ich wahrscheinlich bereits durch diese Spizzel ermordet. Ich bin der letzte der aktiven Brandstifter des Reichstagsgebäu­des, darum darf ich nicht mehr leben und wäre wohl schon längst wie alle meine Kameraden erschossen worden, wenn mich nicht der Stabschef Röhm gedeckt und in seinem per­sönlichen Gefolge gehabt hätte. Ich schreibe diesen meinen Bericht an Sie mit Hilfe eines schreibgewandten Freundes, damit mein Bericht wenigstens niedergelegt ist, falls mir etwas passieren sollte. Das aber kann ich nicht unterlassen: ich werde die Kopien dieses Schreibens gleichzeitig an drei verschiedene Zeitungen neutraler Ränder senden, damit diese den Inhalt veröffentlichen, denn die Stunde ist nun ge­kommen, wo jede Rücksicht auf mein Vaterland aufhört, wo nur die Wahrheit gesagt werden darf und wo endlich an den Tag kommen soll, was vor dem 30. Juni alles passiert ist und wie der Reichstag angezündet wurde. Ich schwöre Ihnen, daß es die volle Wahrheit ist und wenn ich von hier fort­tommen fann und nicht irgendwo ermordet werde, dann werde ich die Aften, die mir mein Stabschef Röhm über­geben hat, der englischen Regierung zur Kenntnis und Ver­öffentlichung überreichen, sie gleichzeitig um Schuh angehend. Ich verstehe wenig von Politik oder gar nichts, fann Ihnen deshalb nicht viel über die Verhandlungen vor dem 30. Juni fagen, als was ich aus dem Kreise der im Büro meines Chefs verkehrenden Personen und Führer der SA. auf­geschnappt habe oder mir der Chef in seiner Aufregung der Ichten Zeit selbst gesaat hat.

Mein Name ist Ernst Kruse, SA.- Mann Nr. 134 522, zus geteilt zum Stab des Stabschefs Röhm und sein persönlicher Diener. Ich will gewiß den Verstorbenen nicht in Schutz nehmen für seine Handlungen und will auch nicht ein Lob­lied singen, ich weiß, er hat gefehlt in mancher Beziehung, besonders auch in sittlicher Beziehung, aber mir gegenüber war er stets gut und recht und hat mir manches Gute er­wiesen, das ich ihm nie vergessen werde, wenn ich auch nicht zu denen gehörte, die ihm hörig waren, wie so manche seiner SA.- und HJ .- Leute.

Nun ganz kurz eine Beschreibung der Vorgänge vor hem 80. Juni. Ich weiß, daß auf Drängen von Ministerpräsident Göring die SA . sollte aufgelöst werden. Goebbels , dieser Schwindler, hat auch geholfen, hat aber zuerst für die SA. Gesprochen, d. 5 uns gegenüber su uns gehalten, bis er alles wußte und dann bat er alles verraten, der ist schlimmer

Redaktion der ,, Deutschen Freiheit".

als ein Judas . Röhm und eine ganze Anzahl Führer der SA . wehrten sich dagegen und haben in langen Verhand­Iungen versucht, eine Aenderung zu erreichen, die Kameraden drängten überall auf Röhm , daß er die Zerreißung nicht zu­lasse. Als alles nichts nußte, drohte Röhm und einige der hohen SA .- Führer an Hitler , daß wenn die SA. aufgelöst werde oder zersplittert werde, er sich mit Militärs in Ver­bindung setzen werde, um evtl. mit Gewalt die Auflösung zu verhindern. Er werde die Vorgänge beim Reichstaas­brand veröffentlichen, und damit den Sturz Görings, Goebbels und damit Hitlers herbeiführen. Entweder oder. Hitler sagte zu, daß er verhüten wolle, daß die SA. zu Echaden fomme. versprach auch Gärina und Gnekhela herum. zubringen. Röhm aber verlangte bestimmte Antwort und positive Ertiärungen bis zum 1. Juli mittags, andernfalls Röhm annehme, daß keine Zusage gegeben werden könne, dann werde er handeln und sich auf eigene Faust zunächst mit einigen seiner Führer verbinden und gewisse Militärs stellen des Reiches orientieren.

Einige Militärs waren bereits im Bilde, waren auch evtl. bereit, an höherer Stelle ur Unterstüßung Dogma fi zu verwenden, alles aber erst, wenn bis zum 1. Juli mittags die Zusage Hitlers nicht angelangt sei. General Schleicher wurde auch vefragt darüber, er ließ aber dem Vermittler strifte erklären daß er mit der ganzen Sache nichts zu tun haben wolle, mit einer Regierung von Brandstiftern wolle er nichts zu tun haben. Diese Bemerkung wurde Hitler und Göring auch hinterbracht, worauf Hitler an Röhm ein hef­tiges Telefon los ließ, das man im Nebenbüro hören konnte, so tobte dieser edle Kanzler.

In der Nacht vom 30. Juni wurde nun die Aktion durch Hitler in München durchgeführt. Ich war selbst in jenen Stunden nicht in Wiessee , sondern in München . Als ich da­von hörte, floh ich sofort und versteckte mich dort, wo ich schon längst den Plan hatte, mich zu verbergen, da ich nie sicher war, daß nicht eines Tages ich, von Röhm unbeschützt, doch noch mal dran glauben mußte.

Hitler hat nicht sein Versprechen eingelöst, bis zum 1. Juli mittags die Antwort zu geben, sondern er hat in der Nacht vorher losgeschlagen. Röhm wäre sicher nicht im Bett ge­wesen und auch die anderen Führer nicht, wenn in dieser Nacht wirklich eine Revolte geplant gewesen wäre. Das weiß heute jeder SA.- Mann auswendig.

Röhm , der gute Kerl, mußte dran glauben und viele seiner Freunde mit, aber das weiß ich, daß die Kameraden die Kugeln seither lose stecken haben, wenn Hitler , Göring und Grebbels mal nicht hübsch geschüßt sich zeigen sollten. Welche politijchen Hintergründe da mitspielen, das alles weiß ich nugt, als einfacher SA.- Mann habe ich auch nichts ver­standen und habe mich nicht darum gekümmert, solange alles recht ging, d. h. ich mein Auskommen hatte.

Alles weitere werden die Akten ergeben, die ich hier bet mir trage und auf Umwegen der englischen Regierung übers bringen werde. Diese soll dann bestimmen.

Nun zu etwas anderem. Der Reichstag ist nicht von den Kommunisten, sondern von SA .- Männern mit Hilfe von Van der Lubbe angezündet worden. Ich werde Namen

nennen.

Am 10. Februar 1933 wurde von Röhm , Heines und Ernst eine Gruppe von 10 Mann ausgesucht, darunter auch ich, zu einer vertrauten Sizung. Der Plan des Brandes wurde genau besprochen und jeder gefragt, ob er mitmache, b. h. er wurde unter Eid gelegt, au schweigen und weitere Befeble abauperten. Ein Mann namens& obile lebnte

ab, er könne es mit dem Gewissen nicht vereinbaren, das zu tun. Er wurde abgeführt, wir haben ihn nie mehr gesehen, er durfte doch nicht aussagen in seinem innern Druck. Wir andern ahnten, wohin er kam und schwiegen, wir wußten, daß wir sonst die Sonne nicht mehr scheinen sehen würden. Van der Lubbe war dem Stabschef Röhm hörig, und weil er ein ganz verrückter Streber war, und sich überall groß machen wollte, wurde er mitbestimmt, den Reichstag anzu­zünden, d. h. ihm wurde nichts gesagt von uns, er sollte ganz allein einsteigen, mit Fackeln, die ihm geliefert wurden, die Nebenräume anzünden nach ganz bestimmter Vorschrift, wir aber sollten im genau gleichen Zeitpunkt den großen Saal anzünden mit Explosivbrandstoff.

Wir mußten zweimal nachts Uebung abhalten und vom Präsidentenpalais aus durch den Kellergang hinstürmen und wieder forteilen. Ich will mich mit den Vorarbeiten nicht lange aufhalten, jetzt die Namen nennen, die direkt beteiligt waren: Heines, Ernst, als Führer. ieder eine Gruppe von 5 Mann, dann Brähm, Stetts mann, Nagel, Sirop, Rummelsbach, Dieris ger, Bratschke, Lehmann, Schmitz und Kruse. Ich kann heute die genaue Zeit auf die Minute nicht mehr nennen, als der Befehl kam in der Nacht des 27. Februar, als wir im Keller des Präsidentenpalais von Göring vers sammelt waren, daß van der Lubbe bereits am Hause an gefommen sei. Jeder von uns hatte einen Zellofansack mit einem leichten Pulver darin und eine Rolle Zelluloidstreifen. Was für Pulver, das wurde uns nicht gesagt. Wir hatten jeder Befehl, die Säcke an ganz bestimmten Orten aufzus stellen, mit den Streifen zu verbinden und den Streifen gegen den Ausgang des Kellers auszuziehen. Dort standen Ernst an einem Streifenbündel, am andern eines und als wir uns zurückgezogen hatten zum Kellereingang, zündeten diese auf einen Befehl Röhm 3, der inzwischen sich überzeugte, daß van der Lubbe im Nebensaal herumsprang, die Streifen an. Feuerschlangen nach allen Seiten, wo der Sack getroffen wurde, ein dumpfer Ton und wie brennendes Mehl war die Luft voll und sofort war alles in einen brennenden Dunst eingehüllt. Wir flohen sofort. Das Werk war getan. Van der Lubbe wurde wie verabredet getroffen, das sollte ja so sein, man hatte ihm versprochen, daß er nach der vielleicht ziemlich langen Haft, die man eben nicht ver­meiden könne dem Volke gegenüber, ihn wohl verurteilen werde, aber man werde ihn dann heimlich entlassen und mit viel Geld nach Amerika spedieren, wo er es gut haben könne. Gin reicher Mann, da könne man schon mal ein paar Monate fizzen, besonders wenn man es ihm so bequem als möglich mache.

Was diese Leute gehalten haben? Mich schaudert, wenn ich daran denke, mich schaudert aber auch, wenn ich daran denke, daß meine Kameraden, denen unter Todesdrohung die Tat abverlangt wurde, alle nach und nach verschwanden, der eine früher, der andere später. Nur Röhm , Heines, Ernst und Nagel waren neben mir noch am Leben in der letzten Zeit. Nagel ist aber auch am 30. Juni mit Heines erschossen worden.

Uns Kameraden hat man gesagt, daß die Entscheidung bek der Wahl vom März 1933 auf dem Spiele stehe, es sei zu be= fürchten, daß die Kommunisten und Sozialisten doch eine zu große Mehrheit bekämen und dann sei alles umsonst gewesen. und alle Kameraden hätten umsonst auf ihre Posten gewartet. Es gelte die Abrechnung mit den Kommunisten. Herr Reichs­präsident! Ich weiß, ich selbst verdiene nichts anderes als eine Kugel, wenn ich an die Folgen jener Brandnacht denke, wenn ich auch unter Todesdrohung dazu gezwungen wurde, mitzutun, aber das eine sollen die großen Halunken doch noch erleben, daß diese grausige Brandnacht der Wahr­heit gemäß an die Oeffentlichkeit kommt, daß alles klar wird um diesen Schandfleck der deutschen Nation. Heute weiß ich. daß Deutschland zugrunde geht, wenn nicht eine andere Re­gierung kommtt, heute würde ich tausendmal gerne alles zurücknehmen, was ich getan, wenn ich nur könnte, aber gut machen will vor Gott und den Menschen und alles sagen, dann wird auch mein Gewissen leichter. Mögen sie dann kom men, die Spürhunde, die mich verfolgen seit dem 30. Juni, um derentwillen ich gehungert und gedurftet, halb verreckt bin im Dreck der Viehställe, um mich zu verbergen.

Röhm war in mancher Beziehung schlecht, aber so schlecht war er doch nicht wie Göring , Goebbels und der Ley, vow Hitler wollen wir gar nicht reden, der hat ja kein Wort, der ist ein Sampelmann in den Händen der andern, ein großer Blaqueur, wie ihn die SA - Führer stets nannten. Daß diefen